„Uberisierung" des Arzneimittelhandels

Frankreichs Regierung will OTC-Versorgung für Online-Plattformen öffnen

Remagen - 10.02.2020, 11:00 Uhr

Die Apothekerorganisationen in Frankreich laufen Sturm gegen das Vorhaben, den OTC-Onlinehandel zu liberalisieren. ( r / Foto: imago images / PanoramiC) 

Die Apothekerorganisationen in Frankreich laufen Sturm gegen das Vorhaben, den OTC-Onlinehandel zu liberalisieren. ( r / Foto: imago images / PanoramiC) 


In Frankreich sorgt eine neue Gesetzesvorlage in Apothekerkreisen für Empörung. Die Regierung will erlauben, dass nicht-rezeptpflichtige Arzneimittel im Wege des Onlinehandels auch über Internet-Plattformen vertrieben werden dürfen. Außerdem sollen die Arzneimittel dafür außerhalb der Apotheken gelagert werden dürfen. Die Apothekerorganisationen laufen Sturm gegen das Vorhaben.

Eigentlich hat die neue „Gesetzesvorlage zur Beschleunigung und Vereinfachung des öffentlichen Handelns (ASAP)“ gar nichts mit Apotheken zu tun. Im Vordergrund stehen, wie der Name schon vermuten lässt, die Bürgernähe der Verwaltung sowie die Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren für den Einzelnen für die Unternehmen im Geschäftsleben. Eine solche „Vereinfachung ist auch die geplante Liberalisierung der Regeln für den Online-Verkauf von Arzneimitteln. Konkret soll erlaubt werden, OTC-Präparate im Weg des Internethandels nicht nur über Präsenzapotheken mit einer entsprechenden Erlaubnis, sondern auch über gemeinsame Plattformen zuzulassen. 

„Apotheker sollen ihre Tätigkeit ausbauen können“

Die Arzneimittel, die hierüber vertrieben werden, sollen auch in Räumlichkeiten außerhalb von Apotheken gelagert werden dürfen, die jedoch unter der Kontrolle eines Apothekers stehen müssen. Nach den Vorstellungen der Regierung sollen die Plattformen es den Apothekern ermöglichen, „ihre Tätigkeit auszubauen und den Franzosen eine sichere Abgabe von Arzneimitteln zu ermöglichen“. Die Bürger hätten dadurch einen „schnelleren und kostengünstigeren Zugang zu diesen Produkten des Grundbedarfs“. 

Kommerzialisierung von Arzneimitteln vor der Tür?

Der französische Apothekerverband USPO reibt sich verwundert die Augen. Stehe der Gesetzentwurf doch in klarem Gegensatz zu dem, was das Ministerium für Gesundheit und die Krankenversicherung seit mehr als zwei Jahren propagiere, meint der Verband, nämlich die Stärkung der Apotheker als Vor-Ort-Gesundheitsexperten. Das Vorhaben verharmlose das Medikament und bedrohe kleine Apotheken und ihre patientennahe Präsenz im gesamten Land. Finanzen und E-Commerce hätten im Gesundheitswesen nichts zu suchen. „Mit diesem Text ebnen wir den Weg für die Uberisierung der Apotheke“, erklärt der Verbandsvorsitzende Gilles Bonnefond gegenüber der Tageszeitung „Le Parisien“. „Wenn Amazon morgen mit einem oder mehreren Apothekern zusammenarbeiten will, kann es dies tun und mit dem Online-Verkauf von Medikamenten beginnen. Wir bewegen uns auf die Kommerzialisierung von Arzneimitteln zu, gegen die wir immer gekämpft haben.“

Basis gibt sich kämpferisch

Von der Basis bekommt der Apothekerverband uneingeschränkte Rückendeckung. Dies hat eine rasch gestartete Online-Umfrage der USPO bei den Apothekern mehr als deutlich offenbart.Nach zwei Tagen waren bereits mehr als 3200 Antworten eingegangen, mit eindeutigen Bekenntnissen: 97 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass der elektronische Geschäftsverkehr für den Zugang zu Arzneimitteln in Frankreich nicht erforderlich ist und fast 99 Prozent lehnen Plattformen für den Onlinehandel mit Arzneimitteln ab. 97 Prozent sollen kampfbereit sein, ihr Anliegen auch durchzusetzen. Schließlich soll das schon mal geklappt haben, nämlich im Jahr 2014, als Emmanuel Macron, damals Wirtschaftsminister, das Apothekenmonopol brechen wollte. Nach einem eintägigen Streik der Apotheker sei das Ansinnen noch am selben Tag wieder ad acta gelegt worden, ist im „le Parisien“ nachzulesen. 

Alles viel zu vage

Der französischen Apothekerkammer sind schon alleine die textlichen Ungenauigkeiten in der Vorlage ein Dorn im Auge. „Wenn eine neue Arbeitsweise eingeführt werden soll, muss sie präzise definiert werden, um den Patienten die gleichen Garantien für die öffentliche Gesundheit zu bieten wie heute“, heißt es in einer Erklärung. Die Kammer fordert deshalb, das Vorhaben zurückzuziehen, um es erst mal genauer zu diskutieren.

Die Nationale Akademie für Pharmazie teilt die Bedenken der Apothekerkammer. Der Online-Verkauf von Arzneimitteln müsse weiterhin lediglich die Ergänzung zu den Vor-Ort-Apotheken bleiben, meint die Akademie. Die Genehmigung entfernter Räumlichkeiten sei ein Einfallstor für die Schaffung großer Plattformen, die die Bestände mehrerer Apotheken bündeln, ohne dass diese ausreichend kontrolliert werden könnten. Dies werfe auch Haftungsprobleme auf. Außerdem berge es die Gefahr, dass gefälschte Arzneimittel in die legale Lieferkette gelangen. Die Akademie der Pharmazie kann vor diesem Hintergrund nicht erkennen, welche Vorteile die Pläne den Patienten bringen könnten. Es gehe einzig und allein um wirtschaftliche Interessen, so der Vorwurf an die Politik.

Laut „Le Parisien“ soll auf Seiten des Gesundheitsministeriums bis dato kaum Einsicht in die möglichen Probleme vorhanden sein. In dem Versuch, der Kontroverse ein Ende zu setzen, soll die Entourage von Agnès Buzyn erklärt haben, dass die Plattformen schließlich an die Lizenz einer Apotheke gebunden sein und unter die Kontrolle eines Apothekers gestellt werden sollten.

Aktuelle Rechtslage in Frankreich

Der Onlinehandel mit OTC-Arzneimitteln ist in Frankreich seit 2013 zulässig, jedoch nur ausgehend von Präsenzapotheken, inklusive der Vorratshaltung der Präparate. Die Apotheken müssen hierfür eine Genehmigung bei der regionalen Gesundheitsbehörde (ARS) beantragen. Die Erlaubnis ist an die Apothekenlizenz geknüpft. Pro Erlaubnis darf aktuell jeweils nur eine Webseite betrieben werden. Näheres ist in einem speziellen Erlass zum Onlinehandel mit Arzneimitteln festgelegt.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Es lebe die unabhängige Pharmazie!

von Dr. Hermann Vogel am 10.02.2020 um 16:22 Uhr

Das ist europäische Gesundheitspolitik im Jahr 2020: Während die deutschen Aufsichtsbehörden den nicht gesetzeskonformen Verkauf von Arzneimitteln über Plattformen wie Amazon dulden und die Apotheker(-Organisationen) die damit verbundenen Gefahren übersehen (oder ignorieren), scheinen die französischen Apotheker präventiv gegen Kommerzialisierung der Arzneimittelversorgung kämpfen zu wollen. Und während bei uns ein einzelner Student bei der Politik für die Interessen der Präsenzapotheke via Petition kämpft, scheinen in Frankreich die Apothekerorganisationen wieder einmal einen erfolgreichen Widerstand gegen eine falsche Arzneimittelpolitik zu organisieren. Bonne chance, ce combat en vaut la peine! Vive la pharmacie indépendante!

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