Schwerpunkt Pharmazeutische Dienstleistungen

ARMIN – eine Blaupause für weitere Dienstleistungen?

Stuttgart - 23.09.2019, 09:00 Uhr

Das Medikationsmanagement stellt das Herzstück von ARMIN dar. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die flächendeckende Einführung honorierter Dienstleistungen bietet es sich an Bilanz zu ziehen, welche Erfahrungen es gibt. (Foto: ABDA)

Das Medikationsmanagement stellt das Herzstück von ARMIN dar. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die flächendeckende Einführung honorierter Dienstleistungen bietet es sich an Bilanz zu ziehen, welche Erfahrungen es gibt. (Foto: ABDA)


Seit dem 1. Juli 2016  wird das dritte Modul der Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen „ARMIN“ umgesetzt – eine pharmazeutische Dienstleistung, das Medikationsmanagement. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die flächendeckende Einführung honorierter Dienstleistungen bietet es sich an Bilanz zu ziehen, welche Erfahrungen es gibt. Kann ARMIN als Blaupause dienen?

Am 1. April 2014 haben der Sächsische und der Thüringer Apothekerverband (SAV, ThAV), die Kassenärztlichen Vereinigungen in Sachsen und Thüringen (KVS, KVT) und die AOK PLUS gemeinsam die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen „ARMIN“ gestartet. Sie umfasst insgesamt drei Module: die Wirkstoffverordnung, den Medikationskatalog und das Medikationsmanagement. 

Wirkstoffverordnung und Medikationskatalog laufen seit 1. Juli 2014. Das Herzstück von ARMIN ist aber das Medikationsmanagement. Die notwendigen Prozesse wurden im Frühjahr 2015 in einer ersten Pilotphase getestet. Ab dem Spätsommer 2015 konnte mit dem Test der technischen Prozesse bei den Praxisverwaltungssystemen begonnen werden. Ab dem 1. Juli 2016 wird das Medikationsmanagement umgesetzt. Von den insgesamt 559 teilnehmenden Ärzten sind 309 und von den 959 teilnehmenden Apotheken 328 für das Medikationsmanagement in ARMIN genehmigt. Diese Ärzte und Apotheken betreuen rund 5.800 Versicherte in Sachsen und Thüringen. Wie viele Medikationsanalysen tatsächlich erbracht wurden, kann man bislang nicht sagen, weil noch keine Evaluationsergebnisse vorliegen. Die Beteiligten gehen davon aus, dass die Zahl der Medikationsanalysen und dauerhaften Betreuungen etwa der Zahl der eingeschriebenen Patienten entspricht, also knapp 6000.

Das Feedback der teilnehmenden Ärzte zu ARMIN sei aktuell ausnahmslos positiv, heißt es auf Nachfrage von DAZ.online bei der ARMIN-Pressestelle. Gelobt werde vor allem der Beitrag des Medikationsmanagements zur Steuerung der Gesamtmedikation bei multimorbiden Patienten, die mehrere Arzneimittel einnehmen müssen, die sie oft von mehreren Ärzten verschrieben oder aus dem Krankenhaus mitgegeben bekommen. Gemeinsam mit der Apotheke könnten Wechselwirkungen geprüft und so die Gesamtmedikation gesteuert werden. Der Effekt sei, dass die Patienten die Arzneimittel tatsächlich einnehmen oder anwenden, wie sie sollen. 

Das Absetzen überflüssiger Arzneimittel komme seltener vor als anfangs angenommen. Häufiger seien Veränderungen in der Medikation (Ersatz eines Arzneimittels durch ein anderes), um negative Wechselwirkungen auszuschließen. Eine Ärztin habe das Medikationsmanagement von ARMIN sogar einmal als Mittel zum Qualitätsmanagement in der Praxis bezeichnet. Und: Die Zusammenarbeit mit den Apothekern auf Augenhöhe werde von allen an ARMIN teilnehmenden Ärzten geschätzt.

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Doch nicht nur die Ärzte sind offenbar zufrieden. Auch von ARMIN-Apotheken, die das Medikationsmanagement umsetzen, ist das Feedback laut einer Sprecherin der Arzneimittelinitiative positiv. Die Zusammenarbeit mit Ärzten werde sowohl seitens der Apotheker wie auch der Ärzte als fachlich gewinnbringend angesehen. Das spiegle sich direkt in der Betreuung der Patienten wider. Dafür sei ARMIN 2018 auch mit dem Deutschen Patientenpreis ausgezeichnet worden.

Wissenschaftliche Evaluation

Nach § 65 SGB V besteht der gesetzliche Auftrag, Modellvorhaben extern wissenschaftlich zu begleiten und auszuwerten. Auch für ARMIN ist das der Fall. Erste Erkenntnisse aus begleitenden Untersuchungen liegen vor. So untersuchte zum Beispiel 2017 ein wissenschaftliches Begleitprojekt mit dem Namen PRIMA 2017, wie die beteiligten Patienten, Ärzte und Apotheker die in den Arzt- und Apotheken-Verwaltungssystemen erstellten elektronischen Medikationspläne im Versorgungsalltag akzeptieren. Den größten Vorteil des Modellvorhabens sehen Patienten laut der Studie in der engeren Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker. Sie äußerten ein höheres Sicherheitsgefühl im Umgang mit der gesamten Arzneimitteltherapie. Dieser Nutzen wiegt dabei stärker als manche Bedenken. Bedenken gab es beispielsweise hinsichtlich der Bindung an eine Apotheke. Nach Auskunft der ARMIN-Beteiligten wird ein umfassendes Ergebnis zur Akzeptanz bei den Patienten im Zuge der wissenschaftlichen Begleitung des Modellvorhabens (Evaluation) erwartet.

Aller Anfang war allerdings schwer – zumindest was die dritte Stufe betrifft. So seien die ersten beiden ARMIN-Stufen, die Wirkstoffverordnung und der Medikationskatalog ein halbes Jahr nach Start des Modellvorhabens nahezu reibungslos zur Anwendung gekommen, heißt es. Die dritte Stufe habe allerdings Anstrengungen verursacht. Die Sprecherin erklärt, welche das waren: „Die erste Hürde lag in der Schaffung der technischen Infrastruktur. Der im sicheren Netz der KVen platzierte Medikationsplanserver (MPS), an den sich Ärzte und Apotheken mit ihren Primärsystemen anbinden, um die Medikationspläne herunterzuladen, zu aktualisieren und wieder hochzuladen, musste zunächst konzipiert, anschließend zertifiziert und schließlich umgesetzt sowie in Betrieb genommen werden. Eine vergleichbare Umgebung hatte es seinerzeit nicht gegeben. 

Zudem mussten die Apotheken- und die Praxisverwaltungssysteme (AVS bzw. PVS) um Funktionen und Schnittstellen erweitert werden. Nicht alle Softwarehersteller haben diese Vorgaben umgesetzt, so dass nach wie vor ca. 20 Prozent aller Hausärzte keine Möglichkeit haben, sich über ihr PVS an den MPS anzubinden. Teilweise wurden die Funktionalitäten in den PVS nicht in die schon bestehende Medikationsplanbearbeitung integriert sondern isoliert programmiert, was die Nutzerfreundlichkeit einschränkt. In den PVS existieren zudem parallel unterschiedliche Medikationsplanformate (PVS-MP, Bundes-MP, ARMIN-MP), die untereinander nicht immer interoperabel sind. Die auf technischer Seite nach wie vor bestehenden Limitationen sind ein wesentlicher Grund, weshalb sich das Modellvorhaben in Sachsen und Thüringen noch nicht flächendeckend etablieren konnte.

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Der zweite wesentliche Faktor, der das volle Potenzial dieses Modellvorhabens nicht ausschöpfen lässt, sei jedoch die Zeit gewesen. Das in ARMIN etablierte Medikationsmanagement erfordere insbesondere im Zeitpunkt der Startintervention einen deutlich erhöhten zeitlichen Aufwand, da durch die Apotheke zunächst die Gesamtmedikation des Patienten erhoben werden muss und die von der Apotheke bei der Medikationsanalyse gegebenenfalls festgestellten (potenziellen) Interaktionen zwischen bestimmten Medikamenten, bestehende Adhärenzprobleme sowie Fehler in der Anwendung beziehungsweise im Verständnis der Arzneimittel durch den Arzt einer Lösung zugeführt werden müssen. Zeit sei für Vertragsärzte heute jedoch ein rares Gut. Viele Hausärzte in Sachsen und Thüringen begründeten ihre Nichtteilnahme an dem Modellvorhaben daher mit den nicht vorhandenen Kapazitäten. Und selbst Ärzte, die das Medikationsmanagement umsetzen, sehen sich zeitlich limitiert und betreuen daher bislang nur einen Teil der hierfür geeigneten AOK-Patienten.

Stimmt das Honorar?

Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang natürlich auch stellt, ist die nach dem Honorar. Lohnt sich das Ganze für die Beteiligten oder zahlen sie gar drauf? Dazu kann man aktuell noch nicht viel sagen. Die Gesamtbewertung des Modellvorhabens, deren Ergebnisse frühestens für 2020 erwartet werden, sei aber ein weiterer Kernpunkt der zuvor angesprochenen Evaluation, heißt es von den Projektpartnern. Deren konkrete Umsetzung werde aktuell von den Vertragspartnern zusammen mit dem Evaluator geplant. In diese gesundheitsökonomische Gesamtbewertung werde auch einfließen, welche Honorare an Ärzte und Apotheken in Summe gezahlt wurden und in welcher Relation diese Ausgaben mit den Zielen des Modellvorhabens stehen. Die in ARMIN vereinbarten Honorare bildeten jedoch die untere Grenze für die intensive, pharmazeutische Betreuung der Patienten ab, heißt es seitens der Beteiligten – kalkuliert wird offenbar mit 1 Euro pro Apothekerminute. Von der KV Thüringen beispielsweise würden die veranschlagten Honorare durchgehend als kostendeckend eingeschätzt, heißt es. 

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Und wie geht es nun weiter mit Armin?

Wie geht es weiter mit ARMIN? Es ist laut Aussage der Vertragspartner das Ziel, nach Ende der Modelllaufzeit die Inhalte von ARMIN in die Regelversorgung zu überführen – wenn der Gesetzgeber hierfür die geeigneten gesetzlichen Grundlagen schafft, was ja mit dem Apotheken-Stärkungsgesetz passieren dürfte. Dann könnten alle gesetzlich versicherten Patienten von den Vorteilen des Modellvorhabens profitieren. Eine Ausweitung von ARMIN auf weitere/alle Kassen, idealerweise eine Integration in die Regelversorgung, würde von den teilnehmenden Ärzten selbstverständlich befürwortet, heißt es. Die Möglichkeit, das Modellprojekt auf andere Kassen auszuweiten, bestehe allerdings bereits seit dem 1. Januar 2017 in dem zugrunde liegenden Modellvertrag.

Nach Ansicht der Projektbeteiligten kann ARMIN auch als Blaupause gelten. Der Medikationskatalog werde sogar bereits von mehreren KVen umgesetzt, erklären sie. Als weitere Pluspunkte führen sie an:

  • Der ARMIN-eMP wird gemeinsam von Arzt und Apotheker bearbeitet, wobei ein kommunikativer Austausch via Kommentarfunktion auf dem eMP stattfinden kann.
  • Die Aufgaben von Arzt und Apotheker sind vertraglich geregelt. Die Therapiehoheit liegt klar beim Arzt, die pharmazeutische Kompetenz der Apotheken wird zugunsten einer verbesserten AMTS einbezogen.

Das Fazit der Projektbeteiligten: Inhaltlich ist ARMIN ein Erfolgsmodell und der „Goldstandard", allerdings muss – vor allem im ärztlichen Bereich – die technische Umsetzung einfacher und leichter handhabbar werden.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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