IQVIA-Zahlen

Wie sehr hilft das E-Rezept dem Versandhandel?

Berlin - 27.06.2019, 15:10 Uhr

IQVIA-Experte Frank Weißenfeldt widmete sich beim BVDVA-Kongress der Frage, inwiefern das E-Rezept dem Versandhandel weiterhelfen kann oder nicht. (c / Foto: Florian Potthoff)

IQVIA-Experte Frank Weißenfeldt widmete sich beim BVDVA-Kongress der Frage, inwiefern das E-Rezept dem Versandhandel weiterhelfen kann oder nicht. (c / Foto: Florian Potthoff)


Für Arzneimittel-Versandhändler gibt es derzeit kein wichtigeres Thema als das E-Rezept. Banken und Unternehmensberater reden von zweistelligen Wachstumsquoten für den Rx-Versand, wenn das E-Rezept eingeführt ist. Aber was ist dran an den Hoffnungen der Versender? Ein Experte des Marktforschungsinstitutes IQVIA erklärte auf dem BVDVA-Kongress am heutigen Donnerstag in Berlin, dass die Einführung der digitalen Verordnungen keineswegs automatisch zu höheren Versandhandelsanteilen führe – das zeigen Beispiele aus anderen Ländern.

Aktuell stagniert der Marktanteil der in- und ausländischen Versender im Rx-Bereich: Immer noch – auch nach dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung – haben die Konzerne einen Anteil von etwa 1 Prozent in diesem Bereich. Doch gerade die ausländischen Konzerne wie etwa die Zur-Rose-Tochter DocMorris erhoffen sich ein großes Wachstum durch die Einführung des E-Rezeptes. Zur-Rose-Chef Walter Oberhänsli sprach erst kürzlich von einem möglichen Marktanteil von 10 Prozent am Rx-Markt. „Dann ist die Versandapotheke nur noch einen Klick entfernt“, sagte Oberhänsli in einem Interview.

Gerade für DocMorris, die kürzlich eine Kooperation mit den Fachärzten beim E-Rezept bekanntgaben, sei daher eine „schnelle und flächendeckende“ Einführung des E-Rezeptes wichtig, sagte Oberhänsli auf dem heutigen Kongress des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken in Berlin.

IQVIA: Blick nach Schweden und Dänemark

Aber sind die Hoffnungen der Versender auch berechtigt? Das Marktforschungsunternehmen IQVIA hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Experte Frank Weißenfeldt präsentierte auf dem BVDVA-Kongress dazu spannende Fakten. Weißenfeldt erklärte, man habe sich die Entwicklungen in anderen Ländern angeschaut, in denen es das E-Rezept schon gebe. Und auf den ersten Blick zeigt sich, dass das E-Rezept keineswegs mit einem Umsatzsprung der Versender einhergeht. Denn: In Dänemark und den Niederlanden gibt es das E-Rezept bereits, der Versender-Anteil im Rx-Markt liegt dort laut IQVIA aber bei 1 Prozent.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Denn auch in Schweden und der Schweiz gibt es digitale Verordnungen – und dort haben die Versender einen weitaus größeren Rx-Marktanteil (laut IQVIA 7 Prozent in Schweden und 12 Prozent in der Schweiz). Weißenfeldt und seine Kollegen haben sich dann also die Frage gestellt: Welche Faktoren begünstigen den Rx-Versand außer dem E-Rezept? Dazu verglichen sie die Ländern, in denen der Versand-Anteil trotz E-Rezept eher gering ist mit den Ländern, in denen die Versender mehr Marktmacht haben.

Wichtig: Lieferzeiten, Versorgungsstruktur, Lager

Und insbesondere mit Blick auf Schweden und Dänemark haben sie Interessantes zu Papier gebracht. Denn auch die Apothekendichte scheint eine Rolle zu spielen: In Dänemark liegt die maximale Entfernung zur nächsten Apotheke bei 15 Kilometern, im Schnitt sind es sogar nur knapp vier Kilometer. In Schweden hingegen ist der Norden des Landes – auch nach der Aufgabe des Fremdbesitzverbotes vor einigen Jahren – weiterhin schlecht versorgt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist laut IQVIA die Lieferzeit. In Dänemark betrage die Lieferzeit von Arzneimitteln im Schnitt 24 Stunden. In Schweden gibt es insbesondere im Stockholmer Stadtgebiet und den umliegenden Städten die Möglichkeit, sich die Medikamente innerhalb von zwei Stunden kommen zu lassen. Gerade dort sei der Marktanteil der Versender hoch, so Weißenfeldt. Dass es innerhalb Schwedens große Unterschiede in der Marktmacht der Versender gibt, zeige der Vergleich zwischen Stockholm und der an der Westküste gelegenen Stadt Göteborg. In Stockholm gebe es große Lager der Versandhändler, zudem Flughäfen und einen großen Hafen. Hier könnten die Medikamente „sehr schnell an den Kunden“ ausgeliefert werden. In Göteborg hingegen gebe es keine größeren Lager der Versender – hier betrage die Lieferzeit im Schnitt 24 Stunden. 

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Zu der These, dass das E-Rezept den Rx-Versand begünstigen werde, zog der IQVIA-Experte schließlich ein gemischtes Fazit. Es gebe Faktoren, die dies begünstigen könnten und Faktoren, die dagegen sprächen. Zu den begünstigenden Faktoren gehöre unter anderem, dass die Versender eine hohe Liefer- und Servicequalität anbieten müssten. Außerdem zeige sich, dass die Lager in der Nähe von Großstädten angesiedelt werden müssten. Auch „Versorgungslücken“ und sich daraus ergebende lange Entfernungen der Kunden zur nächsten Apotheke könnten das E-Rezept und den Versand begünstigen.

Im Umkehrschluss kann laut IQVIA eine hohe Liefer- und Servicequalität der Vor-Ort-Apotheken diese Entwicklung ausbremsen. Und: je besser die Versorgungssituation, desto unattraktiver der Versandhandel und das E-Rezept. Eine Rolle spielen auch eventuelle Lieferkosten bei den Versendern sowie die geografische Verteilung der Arzneimittel-Lager und das Kaufverhalten der Kunden.

IQVIA: OTC-Versand stagnierte zuletzt

Zeitgleich zur Präsentation auf dem BVDVA-Kongress hat IQVIA am heutigen Donnerstag übrigens neue Zahlen zur Entwicklung des Versandhandelsmarktes im Jahr 2018 veröffentlicht. Demnach ist der OTC-Versandhandel zwar weiter umsatzbezogen gestiegen, das Wachstum hat sich allerdings etwas verlangsamt. Laut IQVIA wuchs der OTC-Umsatz „nur noch“ um 8 Prozent und der Absatz um 6 Prozent. In den Vorjahren waren jeweils zweistellige Wertzuwächse festzustellen. Im Vergleich mit den Vor-Ort-Apotheken schneidet die Entwicklung des Versandgeschäfts allerdings weiterhin deutlich besser ab, da erstere nach Umsatz einen Zuwachs von gut 3 Prozent verbuchen konnten, während die Menge sich um gerade einmal 1 Prozent erhöhte. Die höhere Umsatz- als Absatzsteigerung erklärt sich laut IQVIA durch neue, höherpreisige Produkte und tendenziell größere Packungen, die über den Versand oftmals günstiger angeboten werden.

Von den insgesamt 13,8 Milliarden Euro Umsatz mit OTC-Produkten entfielen im Jahr 2018 auf den Versandhandel knapp 1,9 Milliarden Euro, das entspricht einem Marktanteil von fast 14 Prozent. Die größte Steigerung verzeichnete im vergangenen Jahr hier unter den zehn umsatzstärksten Teilbereichen die Gruppe der Vitamine, einschließlich Mineralstoffe und Nahrungsergänzungsmittel, gefolgt von Beruhigungs- und Schlafmitteln sowie Präparaten für den Verdauungstrakt.

Im ersten Quartal dieses Jahres verlief das Geschäft der Versender aber vergleichsweise gedämpft: Der Umsatz des gesamten Versandhandels mit rezeptfreien Produkten erhöhte sich laut IQVIA „nur noch“ um knapp 3 Prozent auf 503 Millionen Euro bzw. knapp 45 Millionen Packungen. Die Mengenentwicklung liegt damit im Bereich einer „roten Null“ (-0,6 Prozent).



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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4 Kommentare

Versandhandel über alles

von J.M.L. am 28.06.2019 um 10:47 Uhr

Ich kann mir nicht vorstellen, dass das eRezept dem Versandhandel hilft ... Spahn und das BMG haben es ausschließlich zum Wohle des deutschen Patienten so eilig, den Softwarehäusern knappe Fristen zu setzen ... die Tatsache, dass Praxen nun PZN-Nummern aufdrucken müssen, dient sicher nicht der bessern Auslesbarkeit der verordneten Medikamente ... die Abgabereihenfolgen im neuen Rahmenvertrag haben garantiert nichts mit Automatisierungsverfahren zu tun ... Ich verstehe nur nicht, warum man ein eRezept überhaupt noch braucht? Reicht es nicht, wenn der Arzt die abzugebende PZN einfach in eine Maske des Versenders tippt? Oder noch einfacher, der Patient tippt bei DrEd einfach die PZN-Nummer seines Medikaments ein, DrEd simst an DocMorris und Amazon wirft per Drohne in den Schornstein! Dann muss sich der Patient nur noch mit geöffnetem Mund in den Kamin unter den Schornstein legen, alles andere löst ja ohnehin schon Alexa, einfach traumhaft das moderne Leben. Danke Silicon Valley, danke Jeff, danke Max, danke Jens, danke Zuckerberg, Ihr Helden der neuen Jahrtausends - durch Euch wird das Lebens erst richtig lebenswert, ich bin so froh dass es Euch alle gibt!!!

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Fakten schlagen Annahmen ...

von Christian Timme am 27.06.2019 um 20:53 Uhr

IQVIA liefert ... während große Teile der Apothekerschaft „Faktenfrei“ von den Standesorganisationen „betreut“ werden. Der BVDVA-Kongress scheint den sonstigen Apotheken-Standardveranstaltungen zu enteilen ... mit Informationen für „beide Seiten“. Es gibt nur noch ein Problem: Lesen und selbst „denken“ können ...

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was sind die Aufgaben?

von Karl Friedrich Müller am 27.06.2019 um 15:50 Uhr

Versandhandel - Versandhandel - Versandhandel.
Nichts anderes hört man. Das ist wohl der wichtigste Bereich im Apothekenwesen.
Mag schon sein - aber im negativen Sinn.
Wie in der Politik wird die Wirklichkeit ausgeblendet, weil die Akteure geblendet sind von Umsatz und Kohle. Vom Gewinn eher weniger, weil sie ja so doof sind, den Gewinn, zumindest momentan, zu verteilen.
Umsatz erhöht den Aktienkurs. Das ist schon mal alles.
Der Umsatz verschlechtert die Versorgung der Patienten- das ist so klar wie gewollt. Da geht man über Leichen.
Wie soll die öffentliche Apotheke - man beachte den Unterschied: APOTHEKE, nicht einfach HANDEL; - ihrem Auftrag der Versorgung nachkommen, wenn große Teile des Umsatzes verschwinden. Im NOTDIENST beispielsweise? Ich hab doch nichts am Lager, was nie geht? Den Lückenbüßer zu spielen, wenn der Versand mal eben nicht liefern kann? Wie soll das gehen?
Teure Aufgaben leisten? Rezeptur, BTM, Kühlartikel, "Dienstleistungen" (da fällt mir nur Beratungsklau ein)?
Dienstleitungen für umme?
Der Versandhandel muss weiter eingeschränkt werden, lieber Lauterbach und ABDA: RxVV, nichts anderes.
Die Welt scheint gaga.
Die Politik wie unsere Standesvertretung weigern sich, den einzigen, auch den einfachsten Weg zu gehen. Unbegreiflich.
Ich sage es noch mal ganz deutlich: Sollte der Versand in der vorgesehenen Form unterstützt werden, führt das nicht nur zum flächendeckenden Sterben der Apotheken vor Ort, wir werden zuvor auch unseren Aufgaben nicht mehr ordnungsgemäß nachkommen können.

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AW: was sind die Aufgaben

von Heiko Barz am 28.06.2019 um 11:56 Uhr

Sie werden einen Lauterbach, auch nicht mit überzeugenden Argumenten, kaum mit Ihrer Gedankenwelt konfirmieren.
Das RxVV ist seit langem der Schlüsselbegriff unserer beruflichen Zukunft. Den Versandhandel einschränken bzw zu verhindern ist ja nicht alleine eine Existenzsicherung für Deutschlands Apotheken, sondern, und das wird mir in vielen Kommentaren ständig versäumt zu beklagen, wird dabei das Wohl und die Gesundheit des Patienten vollständig (mit Absicht?) vergessen.
Das mit dem Umsatz als Indikator für Aktionärsanwerbung finde ich bezeichnend. Die Qualität unseres Gesundheitssystems ist seit der Einführung einer Beteiligung jeder Art von Geldgebern massiv in den Keller gerutscht. Das galt vormals nur bei Kliniken wird aber im AM-Bereich jetzt noch schneller mit großen Gewinnhoffnungen der Aktionäre betrieben. Für die Gewinn geifernden EU Versender ist das e-Rezept ein non plus ultra Agens, das nun götzengleich angebetet wird.
Für den Staat ( Spahn ) gibt es keine Alternative zur Qualitätssicherung für die zu versorgenden Patienten im Bereich der Arzneimittel, nur die Deutsche Apotheke !
Für Erhaltung diese Qualität gibt es ausschließlich ein Kriterium::
Das RxVV !!

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