Kommentar

Der Einstieg in die Zwei-Klassen-Medizin in der Arzneimittelversorgung

Berlin - 21.06.2019, 17:30 Uhr

Selbstzahler oder GKV-Versicherter? Diese Frage könnte in Zukunft in der Arzneimittelversorgung darüber entscheiden, welche Preise gelten. (Foto: imago images / STPP)

Selbstzahler oder GKV-Versicherter? Diese Frage könnte in Zukunft in der Arzneimittelversorgung darüber entscheiden, welche Preise gelten. (Foto: imago images / STPP)


Die neue Einleitung der Kabinettsvorlage zum Apotheken-Stärkungsgesetz liest sich toll. Endlich hat es das Bundesgesundheitsministerium geschafft, gute, sachliche Argumente für den Erhalt der Gleichpreisigkeit zu formulieren. Allerdings stellt das Ministerium mit diesen Worten auch klar: Die Rx-Preisbindung ist fortan ein rein sozialrechtliches Thema. Für PKV-Versicherte und selbstzahlende GKV-Versicherte (!) entsteht eine riesige Regelungslücke, die die Arzneimittelversorgung unsozial und unfair macht, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer.

Im Vergleich zum Referentenentwurf zum Apotheken-Stärkungsgesetz liest sich die neue Einleitung der Kabinettsvorlage aus Apothekersicht wirklich gut: Der Preis von Arzneimitteln dürfe bei der Versorgung im Wege der Sachleistung gegenüber GKV-Versicherten keine Lenkungsfunktion entfalten – und „aus Gründen des Gesundheitsschutzes“ solle er dies auch gar nicht, argumentiert das BMG. Zudem müssten Patienten vor „Kostenvergleichen“ geschützt werden und Leistungserbringer dürften nicht in einen Rabatt-Wettbewerb um die Patienten eintreten, heißt es dort.

Immer wieder nimmt das Ministerium in der Einleitung Bezug auf das Sachleistungsprinzip, das bekanntermaßen nur für die GKV gilt. Damit zementiert es eigentlich eine Befürchtung, die die Apotheker schon länger hatten während des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens: An die Privatversicherten wird beim Rx-Boni-Verbot nicht mehr gedacht. Während das Boni-Verbot in den ersten Entwürfen schlichtweg schlecht (juristisch) begründet war, stellt diese neue Entwurfsversion klar: Wir können die Gleichpreisigkeit nur für den GKV-Bereich retten.

Mehr zum Thema

Doch mit dem Bezug auf das Sachleistungsprinzip vergisst das Ministerium noch eine ganz andere Gruppe: die Selbstzahler im GKV-Bereich. Ja, auch bei den Krankenkassen gibt es seit 2007 das Prinzip der Kostenerstattung. Unter anderem in Paragraph 13 des SGB V ist dieses explizit als Wahlleistung festgehalten. Wie viele GKV-Versicherte diese Option nutzen, ist unbekannt. Sie sind aber klar in der Unterzahl. Trotzdem: Auch für sie wird in Zukunft gelten, dass sich die EU-Versender bei eventuellen Rezept-Belieferungen nicht mehr an die Rx-Preisbindung halten müssen.

Preis-Wildwuchs für 9 Millionen Menschen könnte bevorstehen

Und so kommt man rein rechnerisch auf etwa 9 Millionen Menschen in Deutschland, für die schon bald der Preis-Wildwuchs beginnen könnte. Vielleicht werden die EU-Versender für sie spezielle „Boni-Programme“ schaffen, vielleicht aber auch höhere Preise nehmen? Die Kabinettsvorlage liest sich fast wie eine Aufforderung an die Versender, ihr Boni-Glück künftig bei den Selbstzahlern zu suchen. Für die Apotheker ist bei diesen neun Millionen Menschen noch lange nicht Schluss: Schließlich gibt es viele Rx-Arzneimittel, die auch für GKV-Versicherte nicht bedingungslos erstattungsfähig sind, wie etwa Lifestlye-Präparate oder die Pille danach. Warum sollten die Versand-Konzerne nicht auf die Idee kommen, gerade über das Internet massenweise Patienten zu sich zu locken, die beispielsweise Lifestyle-Präparate („Viagra“, etc.) verordnet bekommen? Alles ist möglich! Aus Patientensicht käme es dann zu absurden Situationen, in denen beispielsweise eine 35-jährige Frau für ihr Rezept über die „Pille“ Rx-Boni im Netz bekommt, für alle anderen Rezepte aber nicht.

Den Apotheken gingen dann auch noch diese Erträge verloren, eine für die Vor-Ort-Infrastruktur wichtige Versorgungskomponente bräche weiter weg. Aber eine solche Lösung ist auch zutiefst unsozial. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) brüstet sich damit, dass wir in Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt haben. Und einer der Grundpfeiler dieses Systems ist die (zumindest so vorgesehene) Gleichbehandlung aller Patienten. Warum sollte sich ein 75-jähriger selbstzahlender Patient im Internet umschauen, um die für ihn günstigste Apotheke zu finden? Unfair ist diese Lösung zugleich, weil sich natürlich GKV-Versicherte fragen werden: „Warum kann ich nicht 5 Euro für jedes Rezept bekommen?“ Und schon entstehen in einem solidarisch geprägten Gesundheitswesen ein Rabatt-Kampf und Neiddebatten.

Es ist schade, dass sich das Haus von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht noch etwas intensiver mit der Stellungnahme des PKV-Verbandes zu seinem Gesetz beschäftigt hat. Denn mit Blick auf die Bedeutung der Rx-Preisbindung erklärte der Verband: „Es sollen die Verbraucher – unabhängig vom Versicherungsstatus – und die Sicherungssysteme im Hinblick auf die Unverzichtbarkeit medizinisch notwendiger Leistungen und das Fehlen der Konsumentensouveränität vor überhöhten Preisen geschützt werden.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


Diesen Artikel teilen:


6 Kommentare

Gleichbehandlungsgrundsatz ist und war Illusion

von Krankgemacht am 24.06.2019 um 11:59 Uhr

Dass der Mensch vor dem Gesetz oder dem Arzt gleich behandelt werden soll ist durchaus ein löblicher Ansatz. Doch das hat es noch nie gegeben und ich halte das für eine Illusion. Wer reicher ist, sich richtig positioniert oder sympathischer ist, der ist eben im Vorteil und andere bleiben im Nachteil.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Arzneimittelqualität/-sicherheit

von Kritiker am 24.06.2019 um 8:49 Uhr

Die Diskussion der vergangenen Monate vernachlässigt die Aspekte Arzneimittelqualität und Arzneimittelsicherheit. Aus Patienten- bzw Endkundenperspektive stellt sich die Situation absolut indiskutabel dar. Aus Perspektive von Pharmaindustrie und Politik hat das Nutzvieh Patient/Endkunde gefälligst zu fressen, was im als Blackbox von der Pharmaindustrie vorgesetzt wird. Das gilt sowohl für Sachleistungen beziehende GKV Versicherte als auch für Selbstzahler/GKV Versicherte. Die Pharmaindustrie wimmelt Anfragen von Privatpersonen und Apotheken mit Worthülsen oder Arroganz ab.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Die lächerliche Artigkeit der Apothekerzunft

von Hans-Dieter Rosenbaum am 24.06.2019 um 8:27 Uhr

Mir kommt folgender niedlicher Witz in den Sinn, der wegen der Chemielastigkeit der Pharmazie durchaus Sinn macht (aber auch leider wegen des momentanen Zustandes der Apothekerbasis).

Kommt der Assistent, knallt das Telefonbuchbuch auf den Tisch und fordert zum Auswendiglernen auf. Fragt der Chemiestudent verwundert: "Wieso ?" Der beflissentliche Pharmaziestudent fragt artig: "Bis wann ?"

Herrschaften, so treten wir auf !! Und da wundern wir uns noch, dass uns keiner ernst nimmt, weder die ABDA noch die Bundesministerien, die mit unseren Angelegenheiten beschäftigt sind ?

Mal darüber nachgedacht in einer ruhigen Minute zwischen zwei Kunden ?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Rx Boni

von Sven Larisch am 22.06.2019 um 8:43 Uhr

Rx Boni sind Realität, auch für die GKV Patienten. Eine große Internetapotheke wirbt mit Boni bis 15 € pro Rezept und bei Erstbestellung zusätzlich € 10. Da große Geldgeber dahinter stehen, ist dies alles finanzierbar und dank des EuGH Urteils mit seiner total besch… Begründung auch noch rechtmäßig. Die deutschen Apotheker sind ja selber Schuld. Jahrelang mit Talern, Bonusheften etc. die freie Marktwirtschaft gefeiert und Kunden versucht zu akquirieren und jetzt jammern, das die Marktwirtschaft auch kommt.
Ach Anmerkung am Rande . Im Bericht steht "Pille danach" als Rx- gemeint ist wohl nur die Pille . Die Pille danach ist frei non RX.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Gilt doch alles nur für Inländer

von Hans-Dieter Rosenbaum am 21.06.2019 um 19:06 Uhr

Wir können uns in die Apothekengesetze schreiben was wir wollen: es gilt alles nur für inländische (Versand-)Apotheken. Nirgends steht geschrieben, dass dies auch für Versandapotheken aus anderen EU-Ländern gilt. Die müssen auch nicht dem GKV-Rahmenversorgungsvertrag beitreten und ihn daher letztlich auch nicht beachten. Inländische (Versand-)Apotheken hingegen werden pausenlos durch eine übermächtige GKV-Lobby geknebelt; politisch gewollt und von der ABDA abgesegnet (oder jedenfalls von ihr nicht aktiv bekämpft). Dies ist die eigentliche Crux: wann dürfen EU-Versandapotheken endlich erst dann nach Deutschland beliefern, wenn sie auch dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung beitreten ? Wäre dies überhaupt EU-rechtskonform ? Diese Fragen muss mir mal einer erklären !! Solange dies nicht funktioniert, wird sich der EU-Versand immer in einem rechtsfreien Raum bewegen und gehört schon deshalb verboten.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Gilt doch alles nur für Inländer

von Heiko Barz am 22.06.2019 um 12:24 Uhr

Sie haben doch alles richtig erkannt. Es ist die Ohnmacht der Apothekerbasis.
Wer zu allem Unglück auch noch eine vollkommen entrückte Führung sein Eigen nennt und diese noch bei immer steigenden Zwangsbeiträgen fürstlich für ständige Negativerfolge auch noch entlohnt, der sollte eigentlich nur noch seinen Kopf in den Sand stecken.
Eindeutig aber ist, dass alle Führugslinien im Gesundheitsbereich politischer wie auch berufpolitischer Ebene unsere berufsspezifischen Belange bis ins „Jota“ kennen, aber glaubt irgendjemand von uns, dass KKassen oder die Ministerien uns freiwillig unsere längst verdiente Honorarerhöhung fairerweise anbieten?
Das geht nur mit Krieg.! Wenn man sieht, wer alles auf die Strasse geht - jetzt laufen schon „politisch gedungen“ die Kinder auf die Strasse - dann bleibt auch uns nichts anderes mehr übrig, auch wenn der Herr Becker ausdrücklich davor warnt.

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.