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Kommentar
Der Einstieg in die Zwei-Klassen-Medizin in der Arzneimittelversorgung
Die neue Einleitung der Kabinettsvorlage zum Apotheken-Stärkungsgesetz liest sich toll. Endlich hat es das Bundesgesundheitsministerium geschafft, gute, sachliche Argumente für den Erhalt der Gleichpreisigkeit zu formulieren. Allerdings stellt das Ministerium mit diesen Worten auch klar: Die Rx-Preisbindung ist fortan ein rein sozialrechtliches Thema. Für PKV-Versicherte und selbstzahlende GKV-Versicherte (!) entsteht eine riesige Regelungslücke, die die Arzneimittelversorgung unsozial und unfair macht, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer.
Im Vergleich zum Referentenentwurf zum Apotheken-Stärkungsgesetz liest sich die neue Einleitung der Kabinettsvorlage aus Apothekersicht wirklich gut: Der Preis von Arzneimitteln dürfe bei der Versorgung im Wege der Sachleistung gegenüber GKV-Versicherten keine Lenkungsfunktion entfalten – und „aus Gründen des Gesundheitsschutzes“ solle er dies auch gar nicht, argumentiert das BMG. Zudem müssten Patienten vor „Kostenvergleichen“ geschützt werden und Leistungserbringer dürften nicht in einen Rabatt-Wettbewerb um die Patienten eintreten, heißt es dort.
Immer wieder nimmt das Ministerium in der Einleitung Bezug auf das Sachleistungsprinzip, das bekanntermaßen nur für die GKV gilt. Damit zementiert es eigentlich eine Befürchtung, die die Apotheker schon länger hatten während des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens: An die Privatversicherten wird beim Rx-Boni-Verbot nicht mehr gedacht. Während das Boni-Verbot in den ersten Entwürfen schlichtweg schlecht (juristisch) begründet war, stellt diese neue Entwurfsversion klar: Wir können die Gleichpreisigkeit nur für den GKV-Bereich retten.
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Doch mit dem Bezug auf das Sachleistungsprinzip vergisst das Ministerium noch eine ganz andere Gruppe: die Selbstzahler im GKV-Bereich. Ja, auch bei den Krankenkassen gibt es seit 2007 das Prinzip der Kostenerstattung. Unter anderem in Paragraph 13 des SGB V ist dieses explizit als Wahlleistung festgehalten. Wie viele GKV-Versicherte diese Option nutzen, ist unbekannt. Sie sind aber klar in der Unterzahl. Trotzdem: Auch für sie wird in Zukunft gelten, dass sich die EU-Versender bei eventuellen Rezept-Belieferungen nicht mehr an die Rx-Preisbindung halten müssen.
Preis-Wildwuchs für 9 Millionen Menschen könnte bevorstehen
Und so kommt man rein rechnerisch auf etwa 9 Millionen
Menschen in Deutschland, für die schon bald der Preis-Wildwuchs beginnen
könnte. Vielleicht werden die EU-Versender für sie spezielle „Boni-Programme“
schaffen, vielleicht aber auch höhere Preise nehmen? Die Kabinettsvorlage liest
sich fast wie eine Aufforderung an die Versender, ihr Boni-Glück künftig bei
den Selbstzahlern zu suchen. Für die Apotheker ist bei diesen neun Millionen Menschen noch lange nicht Schluss: Schließlich gibt es viele Rx-Arzneimittel, die auch für GKV-Versicherte nicht bedingungslos erstattungsfähig sind, wie etwa Lifestlye-Präparate oder die Pille danach. Warum sollten die Versand-Konzerne nicht auf die Idee kommen, gerade über das Internet massenweise Patienten zu
sich zu locken, die beispielsweise Lifestyle-Präparate („Viagra“, etc.)
verordnet bekommen? Alles ist möglich! Aus Patientensicht käme es dann zu absurden Situationen, in denen beispielsweise eine 35-jährige Frau für ihr Rezept über die „Pille“ Rx-Boni im Netz bekommt, für alle anderen Rezepte aber nicht.
Den Apotheken gingen dann auch noch diese Erträge verloren, eine für die Vor-Ort-Infrastruktur wichtige Versorgungskomponente bräche weiter weg. Aber eine solche Lösung ist auch zutiefst unsozial. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) brüstet sich damit, dass wir in Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt haben. Und einer der Grundpfeiler dieses Systems ist die (zumindest so vorgesehene) Gleichbehandlung aller Patienten. Warum sollte sich ein 75-jähriger selbstzahlender Patient im Internet umschauen, um die für ihn günstigste Apotheke zu finden? Unfair ist diese Lösung zugleich, weil sich natürlich GKV-Versicherte fragen werden: „Warum kann ich nicht 5 Euro für jedes Rezept bekommen?“ Und schon entstehen in einem solidarisch geprägten Gesundheitswesen ein Rabatt-Kampf und Neiddebatten.
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Es ist schade, dass sich das Haus von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht noch etwas intensiver mit der Stellungnahme des PKV-Verbandes zu seinem Gesetz beschäftigt hat. Denn mit Blick auf die Bedeutung der Rx-Preisbindung erklärte der Verband: „Es sollen die Verbraucher – unabhängig vom Versicherungsstatus – und die Sicherungssysteme im Hinblick auf die Unverzichtbarkeit medizinisch notwendiger Leistungen und das Fehlen der Konsumentensouveränität vor überhöhten Preisen geschützt werden.“
6 Kommentare
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