Medikationsfehler vermeiden

Blaue Hand – wie ist der Stand?

Bonn / Stuttgart - 11.04.2019, 15:15 Uhr

Für 195 Wirkstoffe hat das BfArM aktuell eine Blaue Hand angeordnet, um die Therapiesicherheit dieser Arzneimittel zu erhöhen. (m / Foto: Screenshot BfArM)

Für 195 Wirkstoffe hat das BfArM aktuell eine Blaue Hand angeordnet, um die Therapiesicherheit dieser Arzneimittel zu erhöhen. (m / Foto: Screenshot BfArM)


Die Blaue Hand kennzeichnet seit Dezember 2016 behördlich angeordnetes und abgesegnetes Schulungsmaterial für bestimmte risikoträchtige Arzneimittel. Das BfArM hat den Status quo der Blauen Hand erfasst, der inhaltliche Schwerpunkt zielt vor allem auf Nebenwirkungen und die Arzneimitteltherapiesicherheit ab. Bei Oralia informiert Schulungsmaterial vor allem zu Teratogenität und Heptatoxozität von Arzneimitteln, bei Injektabilia geht es vorwiegend um Anwendungs- und Dosierfehler.

Seit 1. Dezember 2016 gibt es in Deutschland die Blaue Hand. Sie kennzeichnet behördlich angeordnetes und genehmigtes Schulungsmaterial, sowohl für Patienten als auch für Angehörige der Heilberufe. Schulungsmaterial fordern die Arzneimittelbehörden immer dann, wenn die sichere und sachgerechte Anwendung des Arzneimittels zusätzlicher Informationen bedarf, die über die Hinweise in den jeweiligen Fach- und Gebrauchsinformationen hinausgehen. Derzeit hat das BfArM in seinem Zuständigkeitsbereich für 195 Wirkstoffe (11 Prozent der verkehrsfähigen Wirkstoffe – Homöopathika, Anthroposophika, Phytopharmaka ausgenommen) Blaue Hände angeordnet. Welches sind die Hauptgründe bei Arzneimitteln, dass sie Schulungsmaterial erfordern? 

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Das BfArM hat sich den Stand bei der Blauen Hand im Zeitraum von November 2018 bis April 2018 genauer angeschaut und die Ergebnisse nun in seinem gemeinsam mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) herausgegebenen Bulletin zur Arzneimittelsicherheit (März 2019) veröffentlicht.

BfArM analysiert Stand der Blauen-Hand-Umsetzung

Das BfArM untersuchte neben der Anzahl der Blauen-Hand-Schulungsmaterialien auch, welche Anwendungsrisiken und arzneimittelbezogenen Probleme am häufigsten vorkommen sowie deren möglicher Zusammenhang mit unterschiedlichen Darreichungsformen. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung im April 2018 war für 188 Wirkstoffe im Zuständigkeitsbereich des BfArM Schulungsmaterial angeordnet, etwa die Hälfte war bereits mit dem Logo der Blauen Hand versehen. Mittlerweile wurde aufgeholt und fast das gesamte veröffentlichte Schulungsmaterial enthält die Blaue Hand.

Welche Schulungsmaterialien gibt es?

Je nach zu vermittelndem Inhalt und der Zielgruppe kommen unterschiedliche Arten von Schulungsmaterial zum Einsatz: Spitzenreiter sind hier die Broschüren für den Arzt (35 Prozent) und den Patienten (21 Prozent), relativ häufig kommen ärztliche Checklisten (11 Prozent), Therapiepässe (9 Prozent) und Patientenkarten (8 Prozent) zum Einsatz.

Oralia: Teratogenität, Hepatotoxizität, Thromboembolien

Inhaltliche Schwerpunkte, die im Schulungsmaterial thematisiert werden, sind Nebenwirkungen und die Arzneimitteltherapiesicherheit. Medikationsfehler stellen hier den größten Anteil dar. Darunter fallen nicht angemessen beachtete Dosierungs-, Anwendungs-, Verordnungs-, Therapiemonitoring-, Umstellungs- und Rekonstitutionshinweise.

Inhaltliche Schwerpunkte des Schulungsmaterials. (Quelle: BfArM)

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Darreichungsform von Arzneimitteln und angeordnetem Schulungsmaterial? Am häufigsten wird Schulungsmaterial bei Oralia (54 Prozent) behördlich angeordnet – was nicht weiter überraschen dürfte, da perorale Arzneimittel das Gros der Medikamente in Deutschland ausmachen. 32 Prozent der Blauen Hände entfallen auf Injektabilia und 8 Prozent auf Suppositorien, Nasensprays und vaginale Freisetzungssysteme. Nur 4 Prozent auf Topika oder 2 Prozent auf Arzneimittel zur Anwendung in der Mundhöhle.

Anteile der unterschiedlichen von Schulungsmaterial betroffenen Anwendungsarten (Quelle: BfArM)

Bei den Oralia konzentrieren sich die Schulungsmaterialien vor allem auf mögliche toxische Eigenschaften des Wirkstoffs oder der Wirkstoffkombination, hier vor allem auf teratogene und leberschädigende Arzneimittel und auf die Nebenwirkung Thromboembolien, die vorwiegend bei Hormonellen Kontrazeptiva eine Rolle spielen. Thematisiert werden in den Schulungsmaterialien auch Anwendungsrisiken, wie sie durch Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln (CYP-450) entstehen können. Daneben Blutbildveränderungen, Hypersensitivitätsreaktionen  oder Photosensibilität und Phototoxizität.

Durch Schulungsmaterial zu minimierende Risiken bei Oralia. (Quelle: BfArM)

I.v.-Injektionen und Infusionen: Anwendungs- und Dosierfehler

Knapp die Hälfte aller Blaue-Hand-pflichtigen Injektabilia werden intravenös als Infusion verabreicht. Der Schwerpunkt liegt bei Infusionen – entgegen den Oralia – bei Dosierungs- und Anwendungsfehlern. An dritter Stelle stehen die Hypersensitivitätsreaktionen

Durch Schulungsmaterial zu minimierende Risiken bei Infusionen. (Quelle: BfArM)

Auch bei intravenösen Injektionen liegt die Ursache für angeordnetes Schulungsmaterial hauptsächlich (83 Prozent) in der Befürchtung von Anwendungs- und Dosierungsfehlern. Hypersensitivitätsreaktionen nehmen hier, wie auch bei den Infusionen, Platz drei ein.

Durch Schulungsmaterial zu minimierende Risiken bei Injektionen. (Quelle: BfArM)

Die Blaue Hand – keine doppelte Packungsbeilage

Wird heutzutage ein Arzneimittel zugelassen, ist immer auch ein zugehöriger Risiko-Management-Plan (RMP) fester Bestandteil. Diesen muss der pharmazeutische Unternehmer bereits mit den Zulassungsunterlagen verpflichtend einreichen. Gesetzliche Grundlage hierfür ist die 16. AMG-Novelle vom 26. Oktober 2012. Ein Risiko-Management-Plan sieht unter Umständen behördlich angeordnetes Schulungsmaterial vor. Das ist der Fall, wenn eine sichere und sachgerechte Anwendung des Arzneimittels zusätzliche Informationen voraussetzt, die über die in der Gebrauchs- und Fachinformation enthaltenen Hinweise hinausgehen.

Knapp und prägnant

Im Dezember 2016 schufen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Abstimmung mit der Arzneimittelkommission der Ärzte (AkdÄ) und der Apotheker (AMK) gemeinsam mit den pharmazeutischen Unternehmen das Logo der Blauen Hand. Die Blaue Hand kennzeichnet seither behördlich angeordnetes und genehmigtes Schulungsmaterial. Die auffällige Hand soll, in Analogie zur vor Arzneimittelrisiken warnenden Roten Hand, diese wichtige Information von Werbeprospekten abheben und den „Wiedererkennungswert steigern, eine erhöhte Aufmerksamkeit erzielen“, so das BfArM. Dem BfArM ist an dieser Stelle wichtig, dass Schulungsmaterial „prägnant“ ist und „klar fokussierte Aussagen“ enthält, die für die jeweilige Zielgruppe auch verständlich sind: „Es soll besondere Aspekte herausarbeiten, damit es nicht seine Sonderstellung als Instrument für eine knappe, aber prägnante Informationsquelle für besonders zu minimierende Anwendungsrisiken verliert und als weitere ‚Packungsbeilage‘ unbeachtet bleibt“, erklärt das BfArM im Bulletin zur Arzneimittelsicherheit vom März 2019.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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