Ibuprofen statt Fosfomycin

Harnwegsinfekte: Viele Patienten möchten gar kein Antibiotikum

Stuttgart - 18.03.2019, 17:30 Uhr

Prof. Dr. Ildiko Gágyor forscht selbst daran, wie man den Einsatz von Antibiotika verringern kann. (s / Foto: Matthias Balk)

Prof. Dr. Ildiko Gágyor forscht selbst daran, wie man den Einsatz von Antibiotika verringern kann. (s / Foto: Matthias Balk)


Dass Antibiotika nicht voreilig eingesetzt werden sollen, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Dass man einen Harnwegsinfekt nicht „verschleppen“ sollte, lernt man aber auch meist bereits in jungen Jahren. Wann reichen also Analgetika oder pflanzliche Alternativen aus, wann sind Antibiotika notwendig? Prof. Dr. Ildiko Gágyor hat auf der Interpharm 2019 zusammengefasst, wie man in der Apotheke und der Hausarzt-Praxis dazu beitragen kann, Antibiotika einzusparen.

Schon 2016 berichtete die Deutsche Apotheker Zeitung über eine Studie, die den Einsatz von Ibuprofen gegen Fosfomycin bei unkomplizierten Harnwegsinfekten verglich. An dieser sogenannten ICUTI-Studie (immediate versus conditional use of antibiotics in uncomplicated urinary tract infection – a comparative effectiveness study in general practice) hatten 42 hausärztliche Praxen in Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen teilgenommen. Untersucht wurden Frauen zwischen 18 und 65 Jahren, die die Hausarztpraxis mit den typischen Symptomen aufsuchten: Dysurie, häufiger Harndrang, häufiges Wasserlassen. Die Patientinnen wurden entweder mit einem Antibiotikum (3 g Fosfomycin-Trometamol-Pulver, einmalig) oder mit einem Schmerzmittel (Ibuprofen Tabletten, 3 x 400mg über drei Tage) behandelt. Eine Wiedervorstellung beim Hausarzt und eine Verordnung von Antibiotika waren jederzeit möglich.

Mehr zum Thema

Infektionen der Atem- und Harnwege

Die Top-Diagnosen bei Antibiotika

Erstautorin dieser Studie war Prof. Dr. Ildiko Gágyor. Seit 2015 ist sie Oberärztin und Forschungskoordinatorin am Institut für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Göttingen. Am vergangenen Wochenende sprach sie auf der Interpharm in Stuttgart über die Therapie von Harnwegsinfekten unter dem Titel „Analgetikum statt Antibioitkum?“. Seit 2016 hat Gágyors Studie viele Nachahmer gefunden, auf die sie auf der Interpharm einging. Was lässt sich aus der Gesamtheit dieser Studien ableiten?

Hausärzte können etwas verändern

Es ist ein bekanntes Problem: Die Zahl der Antibiotika-Resistenzen nimmt zu, gleichtzeitig kommen nicht viele neue Antibiotika auf den Markt. Gágyor, die selbst Allgemeinmedizinerin ist, weiß, dass ihre Kollegen nicht ganz unschuldig an der aktuellen Situation sind: Die Hausärzte und die hausärztlichen Internisten seien zusammengenommen für mehr als die Hälfte der ambulanten Antibiotikaverordnungen verantwortlich. Dabei gehören Harnwegsinfekte zu den häufigsten bakteriellen Infekten. Sie bieten also einen Ansatzpunkt, um die Zahl der Antibiotikaverordnungen zu beeinflussen.

Nicht nur zu viele Antibiotika, sondern auch die falschen

Doch nicht nur die Häufigkeit, mit der die Ärzte Antibiotika verordnen, ist ein Problem – problematisch sei auch, dass beispielsweise die (Fluor)chinolone besonders häufig bei Harnwegsinfekten verordnet werden, aber nicht das Mittel der 1. Wahl sind. So werde nicht nur die Entstehung von Resistenzen gefördert, sondern es würden auch unnötig Nebenwirkungen in Kauf genommen. Gut bekannt dürfte diese Problematik spätestens seit dem europäischen Risikobewertungsverfahren zu Chinolonen und Fluorchinolonen sein. Der Pharmakovigilanzausschuss der EMA (PRAC) hatte im Oktober 2018 empfohlen, die Anwendung von Fluorchinolon-Antibiotika zu beschränken. Chinolon-Antibiotika, die ebenfalls Gegenstand des Reviews waren, sollen nach Meinung des PRAC ganz vom Markt verschwinden. In Deutschland sind sie aber ohnehin nicht mehr erhältlich.

Problem-Keim und Hauptauslöser von Harnwegsinfektionen ist dabei E.coli. Gágyor demonstrierte anhand einer Karte des ecdc (european centre for disease prevention and control), dass E.coli-Resistenzen gegen (Fluor)chinolone in Europa weit verbreitet sind. Dabei machen aber auch die Cephalosporine der dritten Generation und Aminoglykoside zunehmend Probleme. Bei den Cephalosprinen verwies Gágyor auf die ohnehin bestehende Enterokokken-Lücke. So liest man auch in der AWMF-Leitlinie zur Harnwegsinfektionen:


Aus der Gruppe der für die Therapie der unkomplizierten Harnwegsinfektion prinzipiell geeigneten oralen Antibiotika bzw. Antibiotikaklassen - Aminopenicilline in Kombination mit einem Betalaktamase-Inhibitor, Cephalosporine der Gruppe 2 und 3, Fluorchinolone, Fosfomycin-Trometamol, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam, Trimethoprim bzw. Cotrimoxazol - ist die Gefahr für mikrobiologische Kollateralschäden in Form von Selektion multiresistenter Erreger oder einem erhöhten Risiko für eine Clostridium difficile assoziierte Colitis bei Fluorchinolonen und Cephalosporinen am höchsten.“

Interdisziplinäre S3 Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulatn erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF-Register-Nr. 043/044


Analgetika können Antibiotikaverbrauch senken – aber was sagen die Leitlinien?

In der zu Beginn erwähnten ICUTI-Studie sollten der Verbrauch von Antibiotika und die Symptomlast als Zielkriterien untersucht werden. Später untersuchte auch eine Schweizer Studie die Wirksamkeit von Diclofenac gegenüber Norfloxacin. Hier war Diclofenac gegenüber Norfloaxcin unterlegen, reduzierte aber dennoch den Antibiotikaverbrauch um 37 Prozent. In einer Studie aus Norwegen, Dänemark und Schweden wurde der Einsatz von Ibuprofen mit dem von Pivmecillinam verglichen  und kam zu ähnlichen Ergebnissen. Die Zielkriterien dieser beiden Studien sollen vergleichbar mit denen der ICUTI-Studie gewesen sein und deren Ergebnisse bestätigt haben: Alle drei Studien zeigten eine erhebliche Reduktion des Antibiotikaverbrauchs, wobei die Symptomlast aber unter Analgetika etwas höher war, so Gágyor. Fieberhafte Infekte (bis zu Pyelonephritiden) sollen unter Analgetika allerdings etwas häufiger aufgetreten sein:


Wer schon einmal eine Nierenbeckeninfektion hatte, kommt für Ibuprofen nicht in Frage.“

Prof. Dr. Ildiko Gágyor auf der Interpharm 2019 in Stuttgart


Aber nicht nur Ibuprofen und Co. sind laut Gágyor Faktoren, die den Antbiotikaverbrauch senken können. Sie machte darauf aufmerksam, dass Apotheken generell die Patienten für die Ärzte „vorfiltern“ würden. Dies lege nahe, dass in der Praxis bereits viele unkomplizierte Harnwegsinfektionen mit Analgetika oder pflanzlichen Alternativen behandelt würden. Sie machte auch auf Studien aufmerksam, die den Einsatz von Bärentraubenblättern untersuchen. Dabei sei es generell schwierig, Patienten in solche Studien einzuschließen, weil diese oft gar kein Antibiotikum bekommen wollen. Mittlerweile hätten sich die Studien aber – die einzeln nicht signifikant seien – in ihrer Gesamtheit auch in den Leitlinien niedergeschlagen.

Eingang in die Leitlinien


Bei der akuten unkomplizierten Zystitis sollte eine antibiotische Therapie empfohlen werden. Bei Patientinnen mit leichten/mittelgradigen Beschwerden kann die alleinige symptomatische Therapie als Alternative zur antibiotischen Behandlung erwogen werden. Eine partizipative Entscheidungsfindung mit den Patienten ist notwendig.“

Interdisziplinäre S3 Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulatn erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF-Register-Nr. 043/044


Der Patient sollte also über das Risiko Komplikationen zu entwickeln, aber auch über Antibiotika-Resistenzen aufgeklärt werden. Eine antibiotische Therapie sollte dann immer möglich, aber nicht immer zwingend sein: Der Patient entscheidet mit. Zudem finden sich auch pflanzliche Präparate in der Leitlinie wieder: 


„Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau kann Mannose empfohlen werden. Alternativ können verschiedene Phytotherapeutika (z.B. Präparate aus Bärentraubenblättern (maximal 1 Monat), Kapuzinerkressekraut, Meerrettichwurzel), erwogen werden.“

Interdisziplinäre S3 Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulatn erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF-Register-Nr. 043/044


Mehr zum Thema

Die aktualisierte Leitlinie zur Behandlung unkomplizierter Harnwegsinfekte

Es muss nicht immer ein Antibiotikum sein!

Wenn also die Alternativen nicht greifen und Antibiotika notwendig werden, so sollen laut Gágyor die „richtigen“ Antibiotika nach Leitlinie verordnet werden: Fosfomycin-Trometamol, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam oder Trimethoprim (letzteres bei Resistenzraten <20%). Gágyor verwies außerdem auf eine kanadische Leitlinie zu Harnwegsinfekten, die sich speziell an Apotheker richtet



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Strukturiertes Vorgehen bei unkomplizierten Harnwegsinfekten

Nicht immer gleich ein Antibiotikum

Wie lässt sich der Antibiotika-Verbrauch bei unkomplizierten Harnwegsinfekten reduzieren?

Analgetikum versus Antibiotikum

Aktualisierte S3-Leitlinie Harnwegsinfektionen

Fokus auf alternative Therapien und Ältere

Neue Empfehlungen zu unkomplizierten Harnwegsinfektionen

Fokus auf alternative Therapien und geriatrische Patienten

Antibiotische Therapie von Harnwegsinfektionen

Das sagen die Leitlinien

Canephron® erweist sich bei akuten unkomplizierten Harnwegsinfekten als (nahezu) ebenbürtig

Phyto statt Antibiotikum

Die aktualisierte Leitlinie zur Behandlung unkomplizierter Harnwegsinfekte

Es muss nicht immer ein Antibiotikum sein!

Beratungstipps zu Verordnungen über Ciprofloxacin und Co.

Hilfe, ein Fluorchinolon-Rezept!

Diagnose und Therapie von Harnwegsinfektionen

Unkompliziert bis problematisch

1 Kommentar

Im Rollstuhl nach 3 Tabletten Fluorchinolone

von ImRollstuhl am 19.03.2019 um 8:27 Uhr

Bekam auf eine chronische Prostatitis Fluorchinolone. Nach 3 Tabletten sitze ich nun 3 Jahre später im Rollstuhl, vertrage keine Medikamente mehr, habe oft Schmerzen, kann nur noch eingeschränkt essen und bin sozial isoliert. Warum werden Fluorchinolone nicht vom Markt genommen ? So etwas darf nicht verkauft werden.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.