Valsartan-Krise

BMG: Behörden dürfen Pharmawerke in China inspizieren

Berlin - 04.09.2018, 15:30 Uhr

Das Bundesgesundheitsministerium weist in einer Antwort auf eine Anfrage der Linken darauf hin, dass deutsche Aufsichtsbehörden rein theoretisch Produktionsstätten in China inspizieren dürften. (c / Foto: dpa)

Das Bundesgesundheitsministerium weist in einer Antwort auf eine Anfrage der Linken darauf hin, dass deutsche Aufsichtsbehörden rein theoretisch Produktionsstätten in China inspizieren dürften. (c / Foto: dpa)


In der sogenannten Valsartan-Krise geht es seit Wochen auch um die Frage, warum die Verunreinigung des Wirkstoffes mit dem wahrscheinlich krebserregenden NDMA jahrelang nicht auffiel. Auf Nachfrage der Linksfraktion weist das Bundesgesundheitsministerium darauf hin, dass die Aufsichtsbehörden in Deutschland sehr wohl auch Pharmawerke in anderen Ländern inspizieren könnten. Ansonsten weicht das Ministerium den Fragen der Linken an vielen Stellen aus. Viele Fragen – auch die von Patienten und Apothekern – bleiben daher ungeklärt.

Mit einer Kleinen Anfrage zur Valsartan-Krise wollte die Linksfraktion im Bundestag den Druck auf die Bundesregierung erhöhen und zur Aufklärung des Falles beitragen, dass in China hergestellte kontaminierte Valsartan-Tabletten jahrelang an Patienten abgegeben wurden. Die Oppositionsfraktion konzentrierte sich in ihren Fragen auf die Arbeit der Arzneimittelaufsicht, die in Deutschland in den Händen der Bundesländer liegt.

Recht provokant fragte die Linksfraktion etwa danach, was die Bundesregierung unternehmen wolle, um ein solches „Kontrollversagen“ in anderen Fällen zu vermeiden. Sehr detailliert erkundigte sich die Linksfraktion zum Thema Qualitätskontrollen – unter anderem ging es in der Anfrage darum, welche Behörden wann und wie kontrolliert haben, ob das in China produzierte Valsartan eventuelle Kontaminationen aufweist und wie der vom Hersteller geänderte Syntheseweg hierzulande überprüft wurde. Schließlich drehten sich einige Fragen darum, ob die Patienten gut und ausreichend informiert wurden und ob der Preisdruck im Generika-System sich auf die Qualität der Versorgung auswirke.

Dr. Thomas Gebhart antwortete als Staatssekretär im BMG. Viele Neuigkeiten sind der Antwort des Ministeriums allerdings nicht zu entnehmen. Das BMG erklärt nochmals, wie es zu seiner früheren Einschätzung kommt, dass circa 900.000 Patienten in Deutschland von der Valsartan-Kontamination betroffen sein könnten: So seien 2017 etwa neun Millionen Valsartan-Packungen an GKV-Patienten abgegeben worden, schätzungsweise nehmen laut BMG 2,2 Millionen GKV-Versicherte regelmäßig Valsartan ein. „Da rund 40 Prozent der Chargen in Deutschland von dem Rückruf betroffen waren, könnten auf der Grundlage der Verordnungszahlen circa 900.000 Patientinnen und Patienten betroffen sein.“

Auf die Fragen der Linksfraktion rund um die Umstellung des Syntheseweges bei dem chinesischen Hersteller, die wahrscheinlich zu der Kontamination geführt hat, erklärt das BMG nochmals ausführlich die Ausstellung der sogenannten CEP-Zertifikate durch das EDQM. Auf die Frage, warum eine NDMA-Kontamination bei der Umstellung der Synthese nicht in Betracht gezogen wurde, erklärt Staatssekretär Gebhart: „Bei Syntheseänderungen werden auch neue Verunreinigungen in Betracht gezogen. NDMA ist eine Verunreinigung, die nach Aussage des EDQM nicht zu erwarten war. Die weltweiten Valsartan-Rückrufe zeigen, dass die Syntheseumstellung von einer Vielzahl der zuständigen Behörden akzeptiert wurde. Als eine erste Konsequenz ist die Anpassung der Valsartan-Monographie durch das EDQM vorgesehen.“

Wer kontrolliert die Produktion in China?

Ein weiterer Punkt in den Diskussionen in der Valsartan-Krise ist die Kontrolle der in China produzierten Arzneimittel. Wer muss die importierten Arzneimittel kontrollieren? Die Behörden oder die Hersteller, wenn sie hier in Deutschland ankommen? Oder gibt es sogar die Möglichkeit, die Produktionsabläufe schon am Produktionsstandort zu kontrollieren? Das BMG verweist hier auf das Arzneimittelgesetz (AMG), wonach Kontrollen in anderen Ländern (auch solche, die außerhalb der EU liegen) grundsätzlich möglich sind: „Die Anforderungen an den Import von Wirkstoffen zur Arzneimittelherstellung aus Drittländern sind europäisch harmonisiert. Zusätzlich sieht das AMG bei bestimmten Wirkstoffen eine Inspektion einer deutschen oder europäischen Behörde im Drittland vor.“ Konkret heißt es im AMG, dass die Behörden einen Hersteller in einem Nicht-EU-Staat auffordern können, „sich einer Inspektion nach den Vorgaben der Europäischen Union zu unterziehen“.

Wie groß der Anteil der in Fernost produzierten Wirkstoffe am deutschen Generikamarkt ist, weiß das Ministerium nicht. Es sei aber davon auszugehen, dass es „ein Großteil“ ist. Und auch was die weitere Aufklärung betrifft, antwortet das Ministerium nur vage. In die Aufarbeitung würden die Rolle der Behörden, des EDQM, der Arzneimittel- und Wirkstoffhersteller sowie die Kommunikationswege zwischen allen Beteiligten einbezogen. Zumindest was die Kommunikationswege betrifft, hat sich das BMG schon gekümmert: In der vergangenen Woche fand im Ministerium ein Treffen zwischen Apothekern, Ärzten und Patientenvertretern statt, bei dem thematisiert wurde, wie die Patienten bei ähnlich großen Arzneimittel-Rückrufen künftig besser und transparenter informiert werden können. Sowohl die ABDA als auch das Bundesgesundheitsministerium wollten sich zu den Ergebnissen dieses Gespräches aber nicht äußern.

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte als Konsequenz aus der Valsartan-Krise kürzlich laut darüber nachgedacht, einige Kompetenzen der Landesbehörden dem Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) zu überlassen. Sein Staatssekretär Gebhart will von diesem Vorschlag wohl aber nichts wissen. In der Antwort gegenüber der Linksfraktion schreibt Gebhart dazu lediglich: „Die gesetzlichen Regelungen sehen eine Kompetenzverteilung zwischen den Behörden von Bund und Ländern vor, die sich grundsätzlich bewährt hat.“ Ebenso wenig Handlungsbedarf sieht das BMG bei den Rabattverträgen. Diese seien ein „wichtiges Instrument zur Regulierung“ der Arzneimittelausgaben. Was den Preisdruck im Generika-System betrifft, erklärt das Ministerium beschreibend, dass der „Konzentrationsprozess bei der Generikaindustrie und der Produktion der Wirkstoffe in China, Indien et cetera“ eine weltweit stattfindende wirtschaftliche Entwicklung sei. Ursachen dafür seien niedrigere Investitionskosten und günstigere Arbeitskosten in diesen Ländern.

Gabelmann: Kontrollen völlig unzureichend

Die Linken-Politikerin und Apothekerin Sylvia Gabelmann, die die Anfrage federführend entworfen hatte, ist enttäuscht von der Antwort der Bundesregierung. „Es ist schon seit vielen Jahren bekannt, dass die Kontrollen bei den Arzneimittel-Produktionsstätten zum Beispiel in China oder Indien völlig unzureichend sind. Dennoch hat die Bundesregierung bislang keinerlei Verbesserung der Überwachung zustande gebracht, weder zusammen mit den europäischen Partnerländern noch durch bessere Abstimmung und mehr Personal bei den Länderbehörden.“

Gabelmann bleibt dabei, dass die Aufsichtsbehörden hierzulande aus ihrer Sicht versagt haben: „Die Bundesregierung betont zwar, dass Inspektionen durch deutsche oder europäische Behörden im Drittland (theoretisch) möglich seien beziehungsweise dass die Befugnis zur Inspektionen und zur Einsichtnahme in Unterlagen bestünde. Doch dieser Valsartan-Skandal macht wieder einmal deutlich: Diese Kontrollen sind völlig unzureichend, finden zu selten oder vor Ort gar nicht statt.“ Auch mit Blick auf den Lunapharm-Skandal fordert die einzige Apothekerin im Bundestag nun eine Kompetenzerweiterung beim BfArM: „Wie die Bundesregierung angesichts der Vorfälle mit Valsartan oder auch Lunapharm zu dem Schluss kommt, dass die Kompetenzverteilung zwischen den Behörden von Bund und Ländern sich grundsätzlich bewährt hätte, bleibt wohl ihr persönliches Geheimnis. Eine Bündelung der Befugnisse und bessere Ausstattung der Überwachungsbehörden wären wohl die mindesten Maßnahmen, die dringlich in die Wege geleitet werden müssten.“

Schwere Vorwürfe macht Gabelmann der Bundesregierung auch in Sachen Patientenaufklärung. Aus ihrer Sicht hätten die Patienten direkt informiert werden müssen – und nicht über den Umweg Arzt beziehungsweise Apotheker. „Wer gerade Anfang Juli die Pillen für ein Quartal abgeholt hatte, wird durch 90 weitere Pillen unnötig vergiftet. Das nehmen die Bundesregierung und die Behörden in Kauf. Dabei gibt es für ein langfristiges Krebs-Risiko keinerlei Grenzwert und keinerlei Untergrenzen, bis zu denen die Aufnahme von NDMA unschädlich ist, wie die Bundesregierung auf meine Frage hin bestätigte.“ Gabelmann kritisiert auch, dass es keine „regelhafte Erstattung der Zuzahlung“, kein Extra-Krebs-Screening und kein Gutachten zur Ermittlung möglicher Entschädigungsleistungen gibt.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Das streng geheime Spitzentreffen

von Ole Galen am 06.09.2018 um 10:49 Uhr

Das ominöse Spitzentreffen - schnell vor dem 2. FAKT-Beitrag anberaumt. Wird aber sonst alles gerne von Minister und Ministerium schnellstens ventiliert, ist von diesem Treffen zur Verbesserung der Kommunikation mit den Patienten auch über eine Woche danach außer einem Bild auf Twitter vom Beginn nichts nach außen gedrungen.
Laut Bildunterschrift waren Ärzte- und Apothekerverbände und die Arzneimittelkommission anwesend, aber welche Patienten? Oder waren diese Kreise ihre "Vertreter"?
Die Öffentlichkeitsarbeit des Ministers und des Ministeriums in Richtung Patienten - dazu zählt auch das zweifelhafte Interview in der Stuttgarter Zeitung - erscheint inzwischen leider nur noch als von Ignoranz geprägte Beruhigungs- und Vertuschungskampagne.

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