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Was sagen die Honorar-Gutachter zum Versandhandel?

Berlin - 13.12.2017, 11:50 Uhr

Das Honorar-Gutachten des BMWi enthält mehrere Passagen zum Versandhandel. Welche Schlussfolgerungen treffen die Gutachter? (Foto: BVDVA)

Das Honorar-Gutachten des BMWi enthält mehrere Passagen zum Versandhandel. Welche Schlussfolgerungen treffen die Gutachter? (Foto: BVDVA)


Eigentlich hatte das Bundeswirtschaftsministerium die Agentur 2hm damit beauftragt, die Arzneimittelpreisverordnung zu überprüfen. Mit Blick auf das EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung erweiterte das Ministerium seinen Auftrag jedoch: Die Gutachter haben nun auch die Rolle des Versandhandels analysiert – und kommen zu dem Schluss, dass der Versandhandel keine Gefahr für die Apotheker darstelle. Denn die wirtschaftlich schwachen Apotheken wären ohnehin „gestorben“.

DAZ.online liegt inzwischen eine aktualisierte Form (vom 19. November) des Honorar-Gutachtens vor, das das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) bei der Agentur 2HM in Auftrag gegeben hatte. Hauptsächlich wurde das neue Dokument redaktionell ergänzt. Ausdrücklich erwähnt ist aber auch in dieser Version, dass es keine Endversion ist – die Prüfungen des Bundesamtes für Statistik seien beispielsweise noch nicht eingearbeitet. Und somit ist auch dieser Zwischenstand weiterhin mit Vorsicht zu genießen.

Neben der Honorar-Debatte enthält das Papier allerdings auch sehr viele versorgungsrelevante Fragen – wie etwa mehrere Abschnitte über die Rolle und die Bedeutung des Versandhandels in Deutschland. Die Gutachter haben sich mit Blick auf den Versandhandel zwei Fragen gewidmet: Wird der Versandhandel als Ergänzung beziehungsweise sogar als Ersatz von Apotheken benötigt? Und: Stimmt es wirklich, dass der EU-Versand und seine Rx-Boni eine Bedrohung für die flächendeckende Versorgung darstellen? Die Antworten auf beide Fragenkomplexe dürften vielen Apothekern nicht gefallen.

Versandhandel und flächendeckende Versorgung

Schon in der etwas länger bekannten Zusammenfassung am Anfang des Dokumentes beschäftigen sich die Gutachter mit der Bedeutung des Versandhandels in der Versorgungsstruktur. Dabei stellen sie zunächst fest, dass es  überhaupt keine Legaldefinition für eine „flächendeckende Versorgung“ gebe, sodass das „Ausmaß einer flächendeckenden Versorgung aktuelle nicht messbar ist“. In der Folge stellen sie weiterhin fest, dass die Debatte um das „Apothekensterben“ aus ihrer Sicht fehlgeleitet sei – schließlich handele es sich um eine Konsolidierung. 

Beim Punkt „Erreichbarkeit von Apotheken“ kommen die Gutachter erstmals auf den Versandhandel zu sprechen und erklären: „Über Versandapotheken ist es möglich, Arzneimittel auch bei stark eingeschränkter Mobilität zuhause zu erhalten.“ Und so kommt die Gutachten-Agentur zu einem für viele Apotheker sicherlich ernüchterndem Fazit:


„Die flächendeckende Versorgung ist in Deutschland aktuell nicht gefährdet. Um die Flächendeckung mit Vor-Ort-Apotheken zukünftig sicherzustellen, ist eine aktuelle Analyse der Erreichbarkeit von dem Hintergrund der Lebenswirklichkeit der Bevölkerung zu empfehlen. Es kann aus Sicht der Autoren nicht das Ziel einer angemessenen Versorgung der Bevölkerung sein, vollausgestattete Apotheken mit täglicher Öffnungszeit an Orten zur Verfügung zu stellen, in der weder Ärzte verfügbar sind noch Lebensmittel eingekauft werden können. Ein Verbot des Versandhandels ist nicht vor dem Hintergrund der flächendeckenden Versorgung zu rechtfertigen, da der Versandhandel Arzneimittel direkt nach Hause liefert. Aus der Sicht einer flächendeckenden Versorgung sind Botendienste von Vor-Ort-Apotheken und Lieferungen von Versandapotheken effiziente Versorgungsformen der Bevölkerung in der Fläche.“


Rx-Versandverbot und die Bedrohung der EU-Versender

Mehrere Medien berichteten bereits darüber, dass das Gutachten auch auf die wirtschaftliche Bedrohung für viele Apotheken hinweist. An mehreren Stellen erklären die Agentur-Mitarbeiter, dass sie in der Frage, ob das Rx-Versandverbot empfehlenswert ist oder nicht, keine finale Aussage treffen wollen. Allerdings wollen sie Informationen dazu beisteuern, um die Entscheidung diesbezüglich zu vereinfachen.

Und so kommen die Gutachter zu der Frage, ob der EU-Versandhandel grundsätzlich und insbesondere nach dem EuGH-Urteil eine Bedrohung sei für die Apotheken. Ihre Antwort ist simpel – aber erschreckend: Sehr viele Apotheken seien ohnehin und auch schon im Jahr 2015 so angeschlagen gewesen, dass der Versandhandel für die schwierige Lage gar nicht verantwortlich sein könnte. Wörtlich heißt es dazu im Gutachten:


„Die wirtschaftliche Lage der Vor-Ort-Apotheken ist bereits mit Stand 2015 als für 47 Prozent aller Apotheken-Unternehmen als schlecht anzusehen. Der europäische Versandhandel kann daher rein zeitlich nicht für die wirtschaftlich schwierige Lage vieler Apotheken verantwortlich gemacht werden. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten betreffen insbesondere städtische Kreise (5.200 von 7.600 Apotheken) und stehen damit nicht in direktem Zusammenhang mit einer flächendeckenden Versorgung. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind weder durch das Verbot des Versandhandels noch durch die allgemeine Vergütung über die AMPreisV zu beheben.“


Vielmehr unterstützen die Gutachter den Vorschlag, einen Strukturfonds für Landapotheken zu gründen. Es gebe etwa 700 Landapotheken und weitere 1600 Standorte, die wegen ihrer Bedeutung für die flächendeckende Versorgung überprüft werden sollten. Welche Apotheken das genau seien, müsse man identifizieren und diese dann explizit unterstützen.

Aber sollte sich die Agentur nicht eigentlich nur mit der Arzneimittelpreisverordnung, also mit dem Apothekenhonorar beschäftigen? Eigentlich schon. Aber das BMWi hat die Gutachter im Februar 2016 – also etwa acht Monate vor dem EuGH-Urteil – mit einer weiteren Thematik beauftragt. Im Gutachten heißt es dazu: 


„Das BMWi beauftragte die 2hm am 13. Februar 2016, in Erweiterung des Forschungsprojektes und konsistent mit den räumlichen und sachlichen Bezugsrahmen des übrigen Forschungsprojektes die Konsequenzen von Marktanteilssteigerungen des europäischen Versandhandels auf die wirtschaftliche Situation der Vor-Ort-Apotheken in Deutschland zu berechnen und im Rahmen des Forschungsberichts darzustellen.“


Die Gutachter erklären auch, wie sie dabei vorgegangen sind:


„Dafür werden in dem vorliegenden Gutachten die Daten des Statistischen Bundesamtes zur Jahresstatistik im Handel der Apotheken auf der Ebene von Siedlungsstrukturellen Kreistypen in Bezug auf Rohertragseffekte bei Simulation von Absatzverschiebungen der Rx-Fertigarzneimittel zum ausländischen Versandhandel ausgewertet.“


Marktanteil der EU-Versender

Aber schon in der Anmoderation des betreffenden Kapitels zum EuGH-Urteil stellen die Gutachter klar, wie sie zu dem Thema stehen. Denn sie erklären: „Dieses Urteil kam (…) unter anderem gerade deshalb zustande, weil eine Bedrohung der flächendeckenden Versorgung durch einen Preiswettbewerb europäischer Anbieter gerade nicht nachweisbar war.“ Schließlich wertete die Agentur einige Zahlen aus und stellte gewisse Szenarien auf, bei denen Die EU-Versandhändler ihre Umsatzanteile in unterschiedlichem Ausmaß ausweiten könnten. Das Ergebnis:


„Über die Marktanteile der europäischen Versandhändler ist zu sagen, dass selbst, wenn sie mittelfristig einen Marktanteil von 21 Prozent erreichen würden, der Einfluss auf die oben beschriebene Ausgangslage vergleichsweise gering ist. Das liegt daran, dass mit einem geringeren Umsatz auch geringere Kosten verbunden sind, sobald ein Grundlevel der Ausstattung erreicht ist.“


Auch diese Analyse dürfte viele Apotheker verärgern. Denn konkret bedeutet das: Wenn der Versandhandel wächst, machen die Apotheken weniger Umsatz. Und dadurch, dass sie kleiner werden, müssen sie beispielsweise weniger Mitarbeiter beschäftigen, somit verringern sich die Kosten.

Die Gutachter folgen auch dem EuGH, der in seinem Urteil erklärt hatte, dass der Preis nur eine Wettbewerbskomponente darstelle. „Selbst im offenen Preiswettbewerb“ beim OTC-Versand liege der Versandanteil derzeit nur bei 21 Prozent. Und so kommt die Agentur 2HM zu dem Schluss:


„Aufgrund der Tatsache, dass Arzneimittel in der Regel nicht vom Patienten selbst bezahlt werden, es im Preiswettbewerb daher immer nur um Boni geht und nicht der gesamte Preis im Wettbewerb steht sowie die mit der Rezepteinlösung verbundenen Dringlichkeit ist zwar nicht davon auszugehen, dass in Bezug auf rezeptpflichtige Medikamente eine ebensolche oder schnellere Marktentwicklung zu beobachten sein wird, jedoch lassen sich die technologischen Entwicklungen und das Einkaufsverhalten der Bevölkerung nur sehr begrenzt voraussagen.“




Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

SPD

von Dr.Diefenbach am 13.12.2017 um 14:47 Uhr

Ich erinnere daran,dass vor einigen Jahren SPD -Mitgleder,die relevant für die Gesundheitspolitik waren,ggf.noch sind,die These vertraten (vertreten?),man könne ruhig die gewachsenen Strukturen erst mal zerstören,dann "neue'"Ideen installieren und man würde später sehen,ob es "besser"wäre als alte Wege.Und das kam zu einer Zeit,in der die wirtschaftliche Dynamik der Apotheken nach oben zeigte.ALSÖ:Der typische Neid-Effekt,den unsere Gesellschaft ja als ein mentales Standbein besitzt.Und so nimmt man in Kauf,dass möglicherweise viele Menschen ihren Arbeitsplatz einbüßen.Was ich so irre finde:In den meisten offiziellen Berufseigenen Verlautbarungen liest man,die"Kollegen planten Neueinstellungen".Ist wirklich noch Platz für gesundbeterische Maßnahmen.HIER im Forum wird dauernd gerechnet-WO ist endlich die Analyse aus Berlin???Es MUSS doch mal vorgeführt werden,was es wirklich heißt,wenn das 2Hm -Ding auch nur in Teilen umgesetzt würde???In keiner anderen Berufsgruppe findet eine solch unglaubliche Gängelei statt.Und es zeigt sich,dass die Strategie unserer Gegner,von "Partnern"rede ich nicht mehr,VOLL aufgeht :Man hat uns über Jahre hinweg mit immer neuem Schwachsinn eingedeckt:Telefonnummern prüfen,Unterschriften und Kreuzchen entschlüsseln,Prä-und weiteres Qualifizieren...-wir haben einfach alles gemacht.Weil es "ja nicht anders ging' und wir "staatsbürgerlich "mitarbeiten.Wie lange noch?1

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Vernichtungsfeldzug

von Karl Friedrich Müller am 13.12.2017 um 12:28 Uhr

Das ist alles auf dem Mist der SPD gewachsen.
Wir hätten bei der Bundestagswahl entschieden gegen diese Partei vorgehen müssen.
Dazu war man nicht bereit, weil man zu ängstlich war und ignoriert hat, welche Gegner wir haben, der nichts weniger als unsere Vernichtung im Sinn hat.
Das rächt sich jetzt

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