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Schwere Nebenwirkungen von Mirena und Co.?
Hormonspiralen unter Verdacht
Die Liste möglicher Nebenwirkungen von levonorgestrelhaltigen Hormonspiralen wie Bayers Mirena® könnte demnächst länger werden: Nach Informationen von DAZ.online prüfen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie die Europäische Arzneimittelagentur EMA derzeit schwere unerwünschte Wirkungen, die bislang nicht im Beipackzettel oder der Fachinformation zu finden sind.
Schon 2009 hatte die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) auf psychiatrische Erkrankungen als unerwünschte Arzneimittelwirkungen von Mirena® hingewiesen. Ein Formular des Herstellers zur Aufklärung von Patientinnen erwähne zwar Veränderungen der Monatsblutung, vergrößerte Follikel oder ein leicht erhöhtes Brustkrebsrisiko. „Dagegen fehlt ein Hinweis auf psychiatrische Erkrankungen“, schrieb die AkdÄ damals. In der Packungsbeilage ist wie in der Fachinformation „Depressive Stimmung/Depression“ als häufige Nebenwirkung aufgelistet. Damals wies die AkdÄ darüber hinaus auch auf Meldungen zu Verdachtsfällen unerwünschter Nebenwirkungen wie Angst, Schlafstörungen und Unruhe hin.
„Nach wie vor befinden sie sich nicht im Beipackzettel“, kritisierte vor etwas mehr als einem Jahr eine von gut tausend Unterstützern unterzeichnete Petition. Die Petition, die sich an die AkdÄ und das BfArM richtete, war erfolgreich: Als Reaktion auf die Unterschriftenliste initiierte das BfArM auf europäischer Ebene vor einigen Monaten ein Signalverfahren für levonorgestrelhaltige Implantate.
Daten sollen im Juni diskutiert werden
„Für Ängstlichkeit, Panikattacken, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und Unruhe wurde in Deutschland ein Signal identifiziert“, heißt es im Protokoll des Pharmakovigilanzausschusses (PRAC) der EMA von Februar. Der PRAC sei übereingekommen, dass eine weitere Analyse der Verbindungen zwischen psychiatrischen Störungen und levonogestrelhaltigen Implantaten wie Mirena®, Jaydess® und Luadei® vorgenommen werden solle. Innerhalb von zwei Monaten mussten die Zulassungsinhaber dem PRAC Verdachtsfälle übermitteln. „Diese Daten werden aktuell bewertet und sollen im Juni im PRAC diskutiert werden“, bestätigt BfArM-Sprecher Maik Pommer gegenüber DAZ.online.
Auch Hirndrucksteigerungen und Sehstörungen sind Thema
Doch nicht nur dies: Auch Hirndrucksteigerungen und Sehstörungen werden aktuell als mögliche Nebenwirkungen geprüft. Das ZDF-Magazin Frontal 21 hatte im April von Sehstörungen berichtet und einen Fall präsentiert, bei dem es auch zu vorübergehender Blindheit gekommen sei. Die Sehstörungen könnten dadurch entstehen, dass das Hormon den Hirndruck steigert und hierdurch wiederum der Sehnerv geschädigt werde, sagte der pensionierte Arzt und Pharmakologe Peter Schönhöfer, der früher auch für das Arznei-Telegramm tätig war.
Auf Sehprobleme werde in der Mirena-Fachinformation zwar verwiesen, erklärt der Pharmakologe Peter Ruth von der Uni Tübingen gegenüber DAZ.online – „allerdings im Zusammenhang mit dem Auftreten einer Migräne“, betont er. Generell sei über eher seltene unerwünschte Arzneimittelwirkungen der einzelnen Gestagene in Kontrazeptiva noch zu wenig bekannt. Studien mit vergleichsweise wenigen Teilnehmern wie jene von Katz reichten seiner Ansicht nach nicht aus, um gezielt ein Kontrazeptivum mit einem Arzneistoff, der auch in zahlreichen anderen Arzneimitteln enthalten ist, „herabzuwürdigen“, schreibt Ruth. Er argumentiert, dass auch eine Schwangerschaft mit einem Risiko für erhöhten Hirndruck einhergehe.
Wie ist die Lage in den USA?
FDA-Informationen zum levonogestrelhaltigen Implantat Jadelle® führen frühere idiopathische Hirndrucksteigerungen als Kontraindikation auf. Dort wird auch erwähnt, dass in seltenen Fällen über Hirndrucksteigerungen bei Nutzerinnen der Implantate berichtet wurde. Hirndrucksteigerungen und Sehstörungen sind in den USA offenbar auch Teil von Rechtsstreitigkeiten zwischen Patientinnen und Bayer. Die Pharmafirma argumentiert, dass Levnorgestrel-freisetzendende intrauterine Systeme zu einer geringeren Hormonkonzentration im Blut führen, als dies bei dem unter der Haut implantierten Präparat Jadelle® der Fall ist.
Wenige wissenschaftliche Untersuchungen
Wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema sind bislang kaum verfügbar. Im Jahr 2015 hatte Mahyar Etminan von der kanadischen University of British Columbia mit Kollegen eine Analyse von Spontanmeldungen der US-Arzneimittelbehörde FDA veröffentlicht und von einer leicht erhöhten Anzahl von Fällen mit erhöhtem Hirndruck für Mirena® berichtet. Die Schlussfolgerungen bezeichnete jedoch Deborah Friedman von der University of Texas Southwestern in Dallas als „fehlerhaft und irreführend“. Sie kritisierte methodische Fehler, die Etminan wiederum zurückwies. Dabei ist zu beachten, dass Friedman nach Eigenangabe als Gutachterin für Bayer auftritt – und Etminan von Anwälten klagender Patientinnen als Experte beauftragt wurde.
Außerdem hatten im Jahr 2015 Augenärzte um Bradley J. Katz von der University of Utah in Salt Lake City auf einer Konferenz erste Daten vorgestellt, dass idiopathischer intrakranialer Hirndruck häufiger bei Frauen mit levonorgestrelhaltigen Intrauterin-Systemen zu beobachten sei. Kürzlich veröffentlichten sie hierzu einen Artikel im Fachmagazin Neuro-Ophthalmology, in der sie den Zusammenhang bestätigten. Gleichzeitig wiesen sie darauf hin, dass dies noch nicht bedeute, dass es eine kausale Beziehung gebe. Die Analysen haben andere Risikofaktoren für Hirndrucksteigerungen wie beispielsweise hohes Körpergewicht nicht berücksichtigt, was die Autoren selber anmerken. Da diese Faktoren teils mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine Verhütung mittels Implantat verbunden sind, raten sie zu Vorsicht bei Interpretation der Ergebnisse.
Auch das BfArM prüft das Thema
Das Thema wird aktuell offenbar auch beim BfArM behandelt, wie Behördensprecher Pommer gegenüber DAZ.online bestätigt. „Die Sicherheit der levonorgestrelhaltigen Implantate wird auch bezüglich weiterer Nebenwirkungen und Signale wie die aller zugelassenen Arzneimittel kontinuierlich überwacht“, erklärt er. Dazu gehöre die Prüfung der neuen Veröffentlichung von Katz. Offenbar untersucht die Behörde auch, inwiefern die Einleitung eines Signalverfahrens bei der EMA in Bezug auf diese Nebenwirkungen angebracht sei. Es würden „alle verfügbaren Daten in nationalen und internationalen Gremien bewertet und mögliche Maßnahmen evaluiert“, schreibt Pommer.
„Anpassung der Liste der Nebenwirkungen ist nicht notwendig“
„Basierend auf der Gesamtheit der für Bayer seit der Markteinführung von Mirena® verfügbaren Daten folgt aus der Anwendung von Mirena® kein erhöhtes Risiko für eine Idiopathische Intrakranielle Hypertonie“, erklärt Bayer gegenüber DAZ.online. Die Studie von Etminan sei „prinzipiell nicht geeignet“, Kausalzusammenhänge nachzuweisen. Zu jener von Katz habe der Konzern eine umfassende Analyse vorgenommen: Ein Sprecher verweist auf die von den Autoren selbst beschriebenen Grenzen der Methodik, auch biete sie „keine neuen Erkenntnisse“, auf Grund derer eine Anpassung der Liste möglicher Nebenwirkungen „notwendig wäre“.
Insgesamt sieht Bayer offenbar keinen Anlass zur Besorgnis. „Das Nutzen-Risiko Profil ist positiv, welches durch die während des klinischen Entwicklungsprogramms gemachten Beobachtungen bestätigt wird“, erklärt der Sprecher.
Im Spontanmeldesystem tauchen Sehprobleme auf
Sollte sich diese Einschätzung auch durch die im deutschen Spontanmeldesystem vorhandenen Meldungen zu Sehproblemen demnächst ändern, könnte dies auch andernorts für Unruhe sorgen: Nach einer Anmoderation mit dem Titel „Gute Geschäfte mit dem vermeintlich guten Zweck“ machte Frontal 21 darauf aufmerksam, dass Bayer in letzter Zeit vermehrt in Afrika tätig ist. „Bayer und die Bill & Melinda Gates Foundation vereinbarten im Jahr 2013 die Bereitstellung des Bayer-Verhütungsimplantats Jadelle® für mindestens 27 Millionen Implantate für Frauen in Entwicklungsländern über einen Zeitraum von sechs Jahren (2013-2018)“, bestätigt der Konzern.
Im Beitrag von Frontal 21 wurden Kritiker zitiert, nach
deren Aussage viele der Nutzerinnen nicht ausreichend über Nebenwirkungen
aufgeklärt werden. Auch gebe es laut einer Mitarbeiterin der Gates-Stiftung später
Probleme bei der medizinisch fachgerechten Entfernung der Implantate.
Update: Der Artikel wurde noch um die Argumentation Bayers ergänzt, dass Hormonspiralen wie Mirena® zu einer geringeren Konzentration des Hormons im Blutserum führen als bei Implantaten wie Jadelle®.
9 Kommentare
Depression mit und nach Mirena / zu frühe Menopausee
von Claudi am 09.11.2019 um 19:55 Uhr
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AW: Depression mit und nach Mirena / zu frü
von Squirrel am 08.01.2020 um 9:27 Uhr
Nach 10 Jahren Mirena nun hormonrezeptorpositiver Krebs
von Petra am 05.11.2019 um 15:37 Uhr
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Liegt es wirklich an der Mirena
von Ref am 02.11.2019 um 12:01 Uhr
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AW: Liegt es wirklich an der Mirena
von Petra am 05.11.2019 um 15:43 Uhr
Sehr grimmiges Gefühlt Bluthochdruck
von Ioana am 04.10.2019 um 22:43 Uhr
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Korrektur e-Mail Adresse
von Cigdem adic am 28.10.2017 um 18:48 Uhr
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Mirena
von Adic Cigdem am 28.10.2017 um 18:40 Uhr
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AW: Mirena
von Sandra am 11.06.2019 um 14:28 Uhr
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