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Verbraucherschützer Kai-Helge Vogel (VZBV)
„Verbraucher könnten dem Rx-Versandverbot ausweichen“
Auf relativ abstrakter Ebene wird bei den Apothekern und in der Politik derzeit über die Auswirkungen des EuGH-Urteils diskutiert. Was bedeuten die Neuregelungen aber für die Patienten? Ist das Urteil eine Chance oder eine Gefahr für die Verbraucher? Im Interview mit DAZ.online erklärt Kai-Helge Vogel, Gesundheitsexperte beim Verbraucherzentrale-Bundesverband, warum das Rx-Versandverbot keine gute Lösung wäre und was die Apotheke vor Ort für den Patienten so wertvoll macht.
DAZ.online: Herr Vogel, ist das EuGH-Urteil für Verbraucher und Patienten gut oder schlecht?
Vogel: Das Urteil ist angesichts der bisherigen EU-Rechtsprechung sicherlich eine Überraschung. Ich kann auch die Aufregung bei den Apothekern nachvollziehen. Was die Auswirkungen der Entscheidung für die Verbraucher und Apotheker betrifft, sind wir aber etwas zurückhaltender. Auf der einen Seite können Verbraucher in der Tat in begrenztem Umfang sparen. Andererseits müssen die Auswirkungen des Urteils kritisch betrachtet werden, hier sollte der Gesetzgeber wohlüberlegt handeln.
DAZ.online: In welchen Fällen können Patienten aus Ihrer Sicht also profitieren?
Vogel: Aus unserer Sicht sollten die Rx-Boni ganz klar an die Zuzahlungsbefreiung gekoppelt werden. Versicherte, die eine Zuzahlung leisten müssen, können aus unserer Sicht ruhig auch persönlich einsparen. Zumal ich die Zuzahlung primär als Kostenbelastung und nicht als Patientensteuerung ansehe. Wenn die Zuzahlung aufgrund eines Rx-Bonus wegfiele, wäre das aus unserer Sicht gut. Zu überlegen ist allerdings, was tun, wenn zuzahlungsbefreite Patienten von Rx-Boni profitieren.
„Die freie Apothekenwahl muss erhalten bleiben“
DAZ.online: Einige Kassen wollen dafür Selektivverträge mit den ausländischen Versandapotheken abschließen, um die Boni so abgreifen zu können.
Vogel: Und genau an dieser Stelle birgt das EuGH-Urteil für Verbraucher auch eine Gefahr. Wir sehen solche Selektivverträge kritisch, weil die freie Apothekenwahl unbedingt erhalten werden muss. Weder Krankenkassen noch Ärzte sollten Patienten Vorgaben in die Richtung einer bestimmten Apotheke machen dürfen. Es ist okay, wenn Patienten über Boni und Rabatte informiert werden. Es dürfen aber keine weiteren subtilen Methoden zur Anwendung kommen, um den Patienten in eine gewisse Richtung zu lenken.
DAZ.online: Einerseits sagen Sie, dass Sie die Aufregung der Apotheker verstehen können. Andererseits sagen Sie, dass Sie die Auswirkungen des Urteils zurückhaltender beurteilen. Wie passt das zusammen?
Vogel: Selbst wenn Rx-Boni in begrenzten Fällen auch in Deutschland erlaubt wären, würden die Patienten der Apotheke vor Ort nicht den Rücken kehren. Die Beratung vor Ort und das pharmakologische Wissen der Apotheker werden von der Bevölkerung hoch eingeschätzt. Keine Versandapotheke kann das komplett ersetzen. Hinzu kommt, dass die Versandapotheken im Rx-Bereich einen sehr kleinen Marktanteil haben. Es ist zudem ein praktischer Aufwand und ein zumindest psychologischer Nachteil für Versandapotheken, dass zumindest derzeit noch das Papierrezept weggeschickt werden muss. Das ist vielen Patienten schlicht zu kompliziert.
OTC-Versand ist unsicherer als der Rx-Versand
DAZ.online: Wenn das ein so unbedeutender Markt ist, dann kann man ihn ja auch verbieten…
Vogel: Ein Rx-Versandverbot ist aus unserer Sicht nicht richtig. Der Versandhandel funktioniert nun länger als zehn Jahre ohne Probleme. Die Patientensicherheit ist insbesondere im Rx-Bereich gewährleistet. Es sind keine unseriösen Anbieter im Markt, die Rezepte empfangen und bei denen Patienten nur die gewohnte Zuzahlung leisten müssen.
DAZ.online: Apothekerkammern warnten die Öffentlichkeit zuletzt vor Problemen und Gefahren mit dem Versandhandel.
Vogel: Natürlich kann das Rezept auf dem Postweg in einigen wenigen Einzelfällen verloren gehen. Das kann es aber auch auf dem Weg zur Apotheke. Und natürlich gibt es unseriöse Fake-Apotheken im Internet. Ein Versandhandelsverbot würde diese illegalen Seiten aber nicht berühren, die Betreiber würden sich dadurch nicht beeinflussen lassen. Über Sicherheitsaspekte könnte man viel eher im Bereich des OTC-Versandhandels sprechen.
„Rx-Versandverbot wäre das falsche Signal an die Bevölkerung“
DAZ.online: Sie würden also den OTC-Versand verbieten und den Rx-Versand aufrechterhalten?
Vogel: Im Vergleich zum Rx-Versand ist der OTC-Bereich unsicherer. Da steht beim Versandhandel nämlich kein Arzt dahinter, der ein Rezept ausstellt. Grundsätzlich ist das Rx-Versandverbot aber auch juristisch und politisch nur schwer realisierbar.
DAZ.online: Warum?
Vogel: Es wird verfassungsrechtlich nur schwer haltbar sein. Schließlich ist der Rx-Versandhandel seit mehr als zehn Jahren ohne Probleme bei der Patientensicherheit etabliert. Außerdem ist es in Zeiten der Digitalisierung schlichtweg das falsche Signal an die Bevölkerung. Es macht keinen Sinn, solche gesellschaftlichen Entwicklungen komplett auszubremsen. Sie sehen ja im Falle „DrEd“, was der Verbraucher dann macht: Er sucht sich Ausweichstrategien und sieht sich im EU-Ausland um.
Die Apotheke vor Ort stärken
DAZ.online: Ein Rx-Versandverbot würde die Verbraucher also ins EU-Ausland und in den Graumarkt führen?
Vogel: Das kann passieren. So wie es DrEd macht, ist es aus unserer Sicht nicht gut. Reine Formulare zum Ausfüllen, bevor man ein Rezept erhält, sind einfach nicht ausreichend. Der deutsche Gesetzgeber sollte daher klare Regulierungen für Internetberatungen schaffen, die hierzulande stattfinden. Denkbar wäre doch beispielsweise ein deutschlandweites Verbraucherportal, auf dem Patienten Kontakt zu Ärzten aufnehmen können. Wichtig ist es, dass die Leute nicht ausweichen und dadurch Gefahr laufen auf unseriöse Anbieter zu stoßen.
DAZ.online: Sie wollen den Rx-Versandhandel erhalten, Boni in gewissen Fällen zulassen, weisen aber gleichzeitig auf die Bedeutung der Beratung in der Apotheke vor Ort hin. Wie passt das zusammen? Wie könnte ein Zukunftsszenario unter diesen Voraussetzungen aussehen?
Vogel: In einigen wenigen Fällen, also bei zuzahlungspflichtigen Arzneimitteln sollten Apotheken auch hierzulande etwas Spielraum bekommen. Gleichzeitig sollten aber auch die eigentlichen Stärken der Apotheker stärker hervorgehoben werden.
DAZ.online: Welche sind das aus Ihrer Sicht?
Vogel: Es war sehr wichtig, dass sich die Apotheker ein neues Leitbild verschrieben haben. Die wichtigste Aufgabe des Apothekers ist nicht die reine Packungsabgabe, sondern die Vermittlung von pharmakologischem Fachwissen. Deswegen sollten wir dafür sorgen, dass die Apotheker in einem Medikationsmanagement und beim Medikationsplan als die eigentlichen Experten für Arzneimittel stärker beteiligt werden. Apotheker haben nicht umsonst ein langes Pharmaziestudium hinter sich. Außerdem erscheint es ratsam die Honorierung der Apotheker anzupassen und Aufgaben wie etwa besondere Beratungsleistungen, Nacht- und Notdienste sowie die Rezepturherstellung gegenüber der reinen Abgabe eines Arzneimittels besser zu vergüten. Diese Weiterentwicklung ist für die Erhaltung des Berufsstandes der Apotheker aus meiner Sicht wichtig und natürlich sind es auch für den Wettbewerb zwischen Vor Ort und Versandapotheken wichtige Parameter.
1 Kommentar
Kompetenz ?!
von Ratatosk am 26.11.2016 um 16:19 Uhr
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