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Arzneimittel und Therapie
ACE-Hemmer erneut unter Verdacht
Lungenkrebsrisiko vermutlich um 20% erhöht
Im Oktober 2018 schlug eine Kohortenstudie aus Großbritannien große Wellen: ACE-Hemmer konnten demnach möglicherweise das Risiko für Lungenkrebs erhöhen (s. DAZ 2018, Nr. 44, S. 24 „Lungenkrebs durch ACE-Hemmer?“). Ein paar Monate später folgte die Entwarnung durch den Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA: Er sah aufgrund methodischer Schwächen keine ausreichende Evidenz für einen kausalen Zusammenhang. Zudem waren Faktoren wie Rauchen, höheres Alter und männliches Geschlecht, die mit einem höheren Risiko für Bronchialkarzinome einhergehen, nicht beachtet worden. Die EMA sah deshalb zu diesem Zeitpunkt keinen Handlungsbedarf (s. DAZ 2019, Nr. 19, S. 31 „Entwarnung für ACE-Hemmer“). Ein bitterer Nachgeschmack der Studienergebnisse blieb jedoch bei etlichen Ärzten und Patienten bestehen, gehören doch ACE-Inhibitoren zu den am häufigsten eingesetzten Arzneistoffen weltweit.
Datenlage neu aufgerollt
Um die Evidenz zu dieser Fragestellung zu verbessern, haben sich chinesische Wissenschaftler die Mühe gemacht, die Datenlage erneut aufzurollen, und haben einen systematischen Review mit Metaanalyse durchgeführt. Dazu haben zwei unabhängige Gutachter fünf Datenbanken (unter anderem Pubmed, Embase, Cochrane Library) durchforstet. Eingeschlossen werden sollten alle Studien, die im primären Endpunkt die Entwicklung eines Lungenkarzinoms nach der Einnahme von ACE-Hemmern bei Personen über 18 Jahren gezeigt hatten. Als Follow-Up wurde eine Zeitspanne von mindestens zwölf Monaten gewählt. Insgesamt werteten die Forscher im Zeitraum zwischen 1988 und 2020 sieben Kohorten- und vier Fall-Kontroll-Studien mit etwa 13 Millionen Teilnehmern aus. Randomisierte kontrollierte Studien konnten nicht eingeschlossen werden, da sie lediglich kardiovaskuläre und renale primäre Endpunkte untersucht hatten, nicht hingegen das Risiko für Lungenkrebs-Neuerkrankungen. Laut den Wissenschaftlern wiesen alle Publikationen eine gute Qualität auf; lediglich ein Selektionsbias konnte nicht verhindert werden, da es sich nicht um randomisierte kontrollierte Studien handelte. Ein Publication Bias wurde mittels Funnel-Plot (s. Kasten „Was ein Funnel-Plot leisten kann“) ausgeschlossen. Insgesamt traten 96.764 neu diagnostizierte Lungenkrebserkrankungen auf. Im Vergleich zu den Kontrollgruppen (Angiotensin-1-Blocker, andere Antihypertensiva oder Placebo) erhöhte die Einnahme von ACE-Hemmern das Risiko, Lungenkrebs zu entwickeln, signifikant um 19% (Odds Ratio [OR] = 1,19; 95%-Konfidenzintervall [KI] = 1,05 bis 1,36). Trotz der großen Heterogenität der einbezogenen Studien erwiesen sich die Ergebnisse in den durchgeführten Sensitivitätsanalysen als robust. Eine mögliche Erklärung für das erhöhte kanzerogene Risiko: ACE-Hemmer vermindern durch die Inhibierung des Angiotensin-Converting-Enzyms den Abbau von Bradykinin und Substanz P, die sich in Folge in der Lunge ablagern und dort potenziell die Proliferation von Tumorzellen begünstigen können.
Was ein Funnel-Plot leisten kann
Für die Aussagekraft eines systematischen Reviews mit Metaanalyse ist die Bewertung sämtlicher vorhandener Literatur essenziell. Um zu prüfen, ob es nicht veröffentlichte Studien (z. B. aufgrund negativer Ergebnisse) zu der entsprechenden Fragestellung gibt, bedienen sich die Wissenschaftler der Methode eines Funnel-Plots. Dabei werden von allen in die Auswertung einbezogenen Studien auf der y-Achse die Studiengröße und auf der x-Achse der Behandlungseffekt aufgetragen. Ergibt sich kein symmetrisches Muster in Form eines umgedrehten Trichters (engl. Funnel), so kann das ein Hinweis darauf sein, dass es unpublizierte Daten gibt. (Abb. nach [4])
Asiaten besonders gefährdet
Ein höheres kanzerogenes Risiko hatten Personen, die die ACE-Hemmer mehr als fünf Jahre lang eingenommen hatten (OR = 1,21; 95%-KI = 1,02 bis 1,43; p = 0,03). Alters- und Geschlechts-gepoolte Analysen zeigten, dass vor allem Frauen und Menschen unter 60 Jahren ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko aufwiesen. Unterstützt wird diese These, da auch der trockene Reizhusten als typische Nebenwirkung der ACE-Hemmer gehäuft bei Frauen auftritt. Neben Rauchern wiesen auch Asiaten ein erhöhtes Risiko als andere Personengruppen auf. Insgesamt lag die Inzidenzrate für ein Lungenkarzinom unter der Anwendung von Ramipril und Co. bei 1,61%, was laut der Nebenwirkungen-Kategorisierung der Weltgesundheitsorganisation einer „häufigen” Nebenwirkung entspricht. Die Arbeitsgruppe sieht dieses Ergebnis als Anlass, künftig vermehrt Forschung in Form von randomisierten, kontrollierten Studien zu betreiben, um einen möglichen Kausalzusammenhang zu prüfen. |
Literatur
[1] Wu Z et al. Association between angiotensin-converting enzyme inhibitors and the risk of lung cancer: a systematic review and meta-analysis. Br J Cancer 2022, doi:10.1038/s41416-022-02029-5
[2] Jung B. Lungenkrebs durch ACE-Hemmer? DtschApothZtg 2018;158(44):24
[3] Straub C. Entwarnung für ACE-Hemmer, DtschApothZtg 2019;159(19):31
[4] Choi SW, Lam DMH. Funnels for publication bias – have we lost the plot? Anaesthesia 2016;71(3):338-341, doi: 10.1111/anae.13355
[5] Funnel Plot. Informationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), www.iqwig.de/sonstiges/glossar/funnel-plot.html
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