Die Seite 3

Nur das i-Tüpfelchen

Foto: Philip Kottlorz Fotografie
Julia Borsch, Chefredakteurin der DAZ

Wer eine gelungene Verknüpfung von statio­närem und Online-Handel erleben will, dem sei ein Besuch im Stuttgarter Kaufhaus Breuninger angeraten. Das 1881 gegründete Unternehmen, das sich vor allem im gehobenen Marktsegment bewegt und im Besitz dreier Familien ist, macht einiges richtig. Es war übrigens auch das erste deutsche Handelsunternehmen, das eine Kundenkarte einführte – im Jahr 1959. Heute verfügt Breuninger über mehrere Filialen, die im Gegensatz zu einigen anderen Kaufhäusern keinerlei deprimierenden 1980er-Jahre Charme mehr versprühen und in denen regelmäßige Events sowie Gastronomie für ein Einkaufs-Erlebnis sorgen sollen. Dazu kommt ein Online-Shop, in dem sich natürlich Ware nach Hause oder in die Filiale bestellen lässt. Zudem ist es online möglich, die Verfügbarkeit sämtlicher Artikel vor Ort abzufragen und in der gewünschten Filiale zu reservieren. Schön, aber alles noch nicht so spektakulär. Auch andere Einzelhändler haben gute Lösungen gefunden, in der Online-Welt präsent zu sein. Was aber Breuninger von den meisten anderen wirklich abhebt: Sollte der gewünschte Artikel vor Ort nicht vorhanden sein, recherchiert das Personal im Web-Shop und bietet an, ihn für die Kunden zu bestellen. Der Branchenstandard im „normalen“ Einzelhandel lautet oft: „Haben wir nicht, schauen Sie halt im Internet.“ Ist Breuninger damit tatsächlich „ganz vorn“? Nein, denn dieser „Bestell-Service“ ist in der Apotheke längst eine Selbstverständlichkeit. In anderen Punkten können Apotheken aber durchaus noch etwas von anderen Branchen und deren erfolgreichen Online-Konzepten lernen (siehe Seite 20). Denn die Kunden sind Convenience beim Online-Shopping gewohnt und meist nicht bereit, beim Arzneimittelkauf Abstriche zu machen. Wieder an­dere Dinge aus dem Einzelhandel lassen sich jedoch nicht auf die Apotheke übertragen. Schließlich sind Arzneimittel ein besonderes Gut und keine x-beliebigen Waren. Apotheken sind daher an strenge gesetzliche Auflagen gebunden und haben weder beim Preis noch beim Sortiment großen Spielraum.

Und ja, das Beispiel Breuninger zeigt, dass auch stationäre Einzelhändler erfolgreich sein können, wenn sie das Beste aus allen Welten bieten. Die große Mehrheit der Händler bekommt das aber nicht so hin. Die Folgen erkennt man derzeit an den Schließungen in den Innenstädten. Es ist ohne Frage sehr bedauerlich, wenn dort viel Leerstand herrscht, aber kritisch ist die Versorgungslage mit Schuhen und Kleidung in Deutschland deswegen nicht. Zumal sie selten sofort, geschweige denn sonntags oder nachts benötigt werden, zumindest nicht nach objek­tivierbaren Gesichtspunkten.

Anders ist das, wenn die Apotheken wegfallen, weil sie aufgrund der Rahmenbedingungen nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können. Wenn sie ihren gesetzlichen Versorgungsauftrag weiterhin erfüllen sollen, darf man sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Sie brauchen ein wirtschaftliches Umfeld, das ihnen ermöglicht, ihr im Apothekengesetz vorgeschriebenes Kerngeschäft, die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, auskömmlich zu betreiben. Ein schicker Online-Shop oder coole Events können dann das Tüpfelchen auf dem i sein, aber das Überleben einer versorgungsrelevanten Apotheke darf davon nicht abhängen.

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