Arzneimittel und Therapie

Wenn Tamoxifen nicht lieferbar ist

Fachgesellschaften geben Empfehlungen, Politik beschließt Maßnahmen

Bereits seit dem vergangenen Jahr ist Tamoxifen nur eingeschränkt lieferbar. Nun droht ein vollständiger Lieferstopp. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) hat daher zusammen mit anderen Fachgesellschaften Empfehlungen zum Ersatz von Tamoxifen erarbeitet. Auch vonseiten der Politik wurden mehrere Maßnahmen beschlossen, um den Versorgungsengpass abzumildern.

Schätzungsweise 120.000 bis 130.000 Patientinnen und Patienten nehmen in Deutschland den selektiven Estrogen-Modulator (SERM) Tamoxifen ein. Die wichtigste und häufigste Indikation für Tamoxifen ist die Therapie des Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinoms in der adjuvanten und palliativen Situation. Des Weiteren wird Tamoxifen im Off-Label-Use beim Ovarial- und Prostatakarzinom sowie bei Weichgewebstumoren (Desmoiden/aggressiven Fibromatosen) eingesetzt. Die Therapie erstreckt sich in der Regel über mehrere Jahre, ein Abbruch der Behandlung kann Rezidivrisiko und Gesamtmortalität erhöhen. Da ist es verständlich, dass viele betroffene Patienten sehr verunsichert sind, wenn sie aktuell in der Apotheke erfolglos versuchen, ihr Tamoxifen-Rezept einzulösen. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) hat daher zusammen mit anderen betroffenen Fachgesellschaften eine Stellungnahme erarbeitet, in der Alternativtherapien bei verschiedenen Indikationen erläutert werden.

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Alternativen beim Mammakarzinom

Zur Therapie des Mammakarzinoms werden üblicherweise einmal täglich 20 mg Tamoxifen eingenommen. Die Suche nach Alternativen gestaltet sich insofern schwierig, als sowohl der Menopausenstatus wie auch mögliche Kombinationspartner, Therapiesequenzen und potenzielle Kontrain­dikationen berücksichtigt werden müssen. Sollte Tamoxifen nicht mehr verfügbar sein (auch nicht in der 10-mg-Dosierung), empfehlen die Fachgesellschaften (wie die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die Deutsche Gesellschaft für Senologie, die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie, die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie und die Deutsche Gesellschaft für Urologie) ein Ausweichen auf Aromatase-Hemmer oder Fulvestrant (s. Tabelle).

Brustkrebserkrankungen beim Mann – das sind rund 1% aller Mammakarzinome – wachsen in den meisten Fällen hormonabhängig und werden daher nach der operativen Entfernung des Tumors und der postoperativen Bestrahlung ebenfalls antihormonell behandelt. Standard ist eine fünfjährige Therapie mit Tamoxifen. Ist dieses nicht verfügbar, kann alternativ Fulvestrant eingesetzt werden.

Tab.: Empfehlungen zum Ersatz von Tamoxifen bei einem Versorgungsengpass, wenn keine Kontraindikationen gegen die Ersatztherapie vorliegen
Typ des Mammakarzinoms
Lebensalter
Alternativen, falls keine Kontraindikation vorliegt
Estrogen-Rezeptor-positiv
adjuvant
prämenopausal
Aromatase-Hemmer, in Kombination mit GnRH-Analoga
Cave: Nebenwirkungen
perimenopausal
Aromatase-Hemmer, in Kombination mit GnRH-Analoga
Cave: Nebenwirkungen
postmenopausal
Aromatase-Hemmer
Cave: Nebenwirkungen
Estrogen-Rezeptor-positiv
metastasiert
Aromatase-Hemmer
Fulvestrant
Estrogen-Rezeptor-positiv
neoadjuvant
(keine Standardtherapie)
Aromatase-Hemmer

Entscheidungshilfe bei anderen Tumorerkrankungen

Prostatakarzinom: Unter einer Therapie mit Antiandrogenen kommt es häufig zu einer Gynäkomastie (s. auch Seite 32: „Wenn Männern Brüste wachsen“); diese kann durch die Gabe von Tamoxifen (Off-Label-Use) abgeschwächt werden. Eine, wenn auch weniger effektive, Alternative ist die Bestrahlung der Brust.

Ovarialkarzinom: Ovarialkarzinome exprimieren Hormonrezeptoren und sprechen daher auf eine anti­hormonelle Therapie an. Die Gabe von Tamoxifen ist allerdings einer Monochemotherapie unterlegen. Ist Tamoxifen nicht verfügbar, kann im fortgeschrittenen Krankheitsstadium auf eine Monochemotherapie (z. B. Topotecan) gewechselt werden.

Desmoide/aggressive Fibromatose: Zur medikamentösen Behandlung dieser Weichgewebstumoren kann hoch dosiertes Tamoxifen eingesetzt werden. Als Alternativen kommen nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID) oder Multikinase-Inhibitoren in Betracht.

Mögliche Hintergründe der Lieferengpässe

Bereits 2021 gab es erste Hinweise auf einen Lieferengpass bei Tamoxifen. Formal informierte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am 28. Januar 2022 über Lieferschwierigkeiten seitens der Hersteller. Derzeit (Stand 11. Februar 2022) besteht für zwölf Tamoxifen-Präparate ein Lieferengpass bzw. findet sich ein solcher in der BfArM-Liste angekündet. Als voraussichtliches Ende der Lieferengpässe werden Zeiten zwischen Juni und Dezember angegeben. Die Hintergründe für den Lieferengpass von Tamoxifen sind nicht vollständig geklärt. Eine mögliche Er­klärung ist laut der Deutschen Ge­sellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie ein Anstieg der Verschreibungen seit dem ersten Quartal 2020. Zu diesem Zeitpunkt bestanden bereits Pandemie-bedingte Lockdown-Maßnahmen, was sich möglicherweise auch auf die Herstellung ausgewirkt hat.

Pro Generika zufolge haben einige Zulieferer für Tamoxifen aus wirtschaftlichen Gründen die Produktion eingestellt. Diejenigen Generikaunternehmen, die andere Zulieferer unter Vertrag hatten, konnten die Ausfälle für eine Weile überbrücken, ihre Bestände wurden und werden derzeit jedoch leergekauft. Zudem gibt es aufgrund des jahrelangen Kostendrucks auf Tamoxifen weltweit nur noch wenige Zulieferer, die sich noch an der Produktion beteiligen. Die Suche nach alternativen Zulieferern könnte noch einige Zeit dauern, so Pro Generika.

Bevorratung vermeiden

Der Beirat für Liefer- und Versorgungsengpässe (§ 52b Absatz 3b AMG) beschloss am 9. Februar 2022 mehrere Maßnahmen zur Abmilderung der Lieferengpässe bei Tamoxifen-haltigen Arzneimitteln. Hierunter fallen unter anderem:

  • Die Bekanntmachung eines Versorgungsmangels (§ 79 Absatz 5 AMG) durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Damit erhalten die zuständigen Behörden der Länder die Möglichkeit, Ausnahmen von den Regelungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) zu gestatten, so beispielsweise den Import Tamoxifen-haltiger Arzneimittel.
  • Kurzfristige Bereitstellung von Arzneimittelkontingenten durch die pharmazeutischen Unternehmer.
  • Aufforderung an die verschreibenden Ärzte, keine Rezepte für eine Bevorratung auszustellen und die Verordnung kleiner Packungsgrößen oder anderer Stärken zu erwägen. Diese Verordnungen werden keiner Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen.
  • Mitteilung an die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, um Apothekerinnen und Apotheker in ihrer Funktion als Berater in Arzneimittelfragen zu unterstützen.
  • Prüfung einer vorgezogenen Produktion; im Bedarfsfall prioritäre Bearbeitung von Änderungsanzeigen von Seiten des BfArMs (wenn etwa für die Produktion ein Herstellerwechsel genehmigt werden müsste).
  • Information der Öffentlichkeit durch das BfArM.

Der Beirat geht davon aus, dass mit diesen Maßnahmen die Versorgungslücke, die ohne Kompensationsmaßnahmen spätestens Ende Februar zu erwarten wäre, vermieden werden kann, bis die neu produzierten Arzneimittel wieder zur Verfügung stehen. |

Literatur

Tamoxifen. Gemeinsame Stellungnahme zum Lieferengpass von Tamoxifen unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. (DGHO) Lieferengpass, 9. Februar 2022

Q&A: Aktuelle Entwicklungen beim Lieferengpass Tamoxifen. Informationen der Pro Generika e. V, www.progenerika.de/updates/lieferengpaesse-beim-brustkrebs-wirkstoff-tamoxifen/, Stand 9. Februar 2022

Lieferengpässe für Humanarzneimittel. Informationen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelinformationen/Lieferengpaesse/_node.html, Aufruf am 11. Februar 2022

Beirat für Liefer- und Versorgungsengpässe beschließt Maßnahmenpaket zur Abmilderung der Lieferengpässe bei tamoxifenhaltigen Arzneimitteln. Informationen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelinformationen/Lieferengpaesse/Wirkstoffinformationen/tamoxifen-beiratsbeschluss.html;jsessionid=9658CC912DEA41DDE24EC9F39AECAA02.internet532, Stand 11. Februar 2022

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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