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Strukturreform 2023 erfordert nächste Eskalationsstufe der Apotheken

Apothekerverband Schleswig-Holstein sieht großen Handlungsbedarf

KIEL (tmb) | Die Apotheken stehen vor vielfältigen wirtschaftlichen und berufspolitischen Herausforderungen – die Mitgliederversammlung des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein am 29. Oktober 2022 in Kiel bot eine umfassende Übersicht und machte den großen Handlungsbedarf deutlich. Nach dem jüngsten Streik bereitete der Verbandsvorsitzende Hans-Günter Lund die Mitglieder auf die „nächste Eskalationsstufe“ vor. Unterdessen kommt das E-Rezept im Norden offenbar kaum voran.
Foto: DAZ/tmb

Hans-Günter Lund, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, sieht den jüngsten Apothekenstreik als gute Vorbereitung für künftige Maßnahmen.

In seiner ersten Mitgliederversammlung als neuer Verbandsvorsitzender erinnerte Hans-Günter Lund an die hervorragenden Leistungen der Apotheken in der Pandemie, die großen Dank wert seien. Vor diesem Hintergrund sei es „eine Frechheit sondergleichen“, wenn Minister Lauterbach jetzt von irgendwelchen Effizienz­reserven bei den Apotheken spreche. Lund betonte, dass viele Apotheken in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten um das Überleben kämpfen. Darum habe der jüngste Streik zeigen sollen, was ist, wenn die Apotheken nicht da sind. Dafür sei bewusst ein Mittwochnachmittag gewählt worden. Denn es sollte keine Maßnahme gegen die Menschen sein, sondern die Apotheker wollten ins Gespräch kommen – und dies sei gut gelungen. Der stellvertretende Verbandsvorsitzende Christian Stolzenburg ergänzte, in 30 Jahren sei keine Meldung über die Apotheken in den Medien deutschlandweit so gut gelaufen wie über den jüngsten Streik. Doch „das war nur der Anfang“, erklärte Lund und kündigte weitere Aktionen an, „nicht nur Reaktionen“. Er forderte die Verbandsmitglieder auf, politische Kontakte auf allen Ebenen zu nutzen. Außerdem freue er sich auf „schöne Ideen“ der Mitglieder „für die nächste Eskalationsstufe“.

E-Rezept kommt in Schleswig-Holstein kaum voran

Zum E-Rezept betonte Lund, in der digitalen Welt gebe es nur schwarz und weiß, aber keine Abstufungen – und das könne im Versorgungsalltag schwierig sein. Außerdem verdeutlichte Lund die Probleme mit der E-Rezept-Übermittlung per E-Mail, die ursprünglich von der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein propagiert worden war. Lund befürchtet, die Übertragung über diesen nicht vorgesehenen Weg hätte auch zum Anlass für Retaxationen werden können. Im Mittelpunkt stehe jedoch der Datenschutz. Dabei gehe es um die Sicherheit der Patientendaten und um die Gefahr, dass Hacker das Versorgungssystem lahmlegen. Als Ergebnis konstatierte Lund, das E-Rezept komme nicht zum Laufen. Zu Erfolgsmeldungen über die Zahl ab­gerechneter Rezepte gab er zu bedenken, dass beim E-Rezept jede Verordnungszeile als ein Rezept zählt. Verbandsgeschäftsführer Georg Zwenke ergänzte, nachdem Schleswig-Holstein nun offiziell keine Modellregion mehr sei, werde eine Liste mit Ärzten erstellt, die E-Rezepte ausstellen und für Tests bereitstehen. Außerdem zeichne sich eine kleine Clusterlösung für die weitere Erprobung ab, voraussichtlich in Lübeck.

Aufgaben aus dem Koalitionsvertrag

Außerdem vertiefte Zwenke die Einschätzungen zu berufspolitischen Entwicklungen. Dabei orientierte er sich am Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Angebote wie Gesundheitskioske oder -lotsen seien als zusätzliche Strukturen nicht nötig, weil ein niedrigschwelligeres Angebot als die Apotheken nicht möglich sei. Das Geld sollte besser zu den Apotheken fließen. Auch bei den erwarteten Plänen der Bundesregierung zur Notfallversorgung bestehe die Gefahr, dass neue Parallelstrukturen aufgebaut werden. Mit Blick auf Lieferengpässe verwies Zwenke auf die angekündigten Zuschüsse zur Behebung, die auch für rezepturmäßig hergestellte Ibuprofen-Säfte gewährt werden müssten. Zur Digitalisierung betonte Zwenke, der Koalitionsvertrag sehe ausdrücklich nutzenbringende Anwendungen vor. Dies sei aber bei einem E-Rezept auf Papier nicht erkennbar. Außerdem zeige die Erfahrung, dass die Digita­lisierung vielfach an den Patienten scheitere, die die Angebote nicht annehmen. Als weitere Neuerungen seien aufgrund des Koalitionsvertrags Bundeszuschüsse an die GKV für versicherungsfremde Leistungen und die Direktabrechnung für Kinder in der PKV zu erwarten.

Foto: DAZ/tmb

Bei der Mitgliederversammlung des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein: Verbandsvorsitzender Hans-Günter Lund, die beiden stellvertretenden Vorsitzenden Michaela-Alexandra Banzhaf und Christian Stolzenburg, Geschäftsführer Georg Zwenke (v. r.)

Heiße Auseinandersetzungen um Strukturreform erwartet

Außerdem wurde für das Frühjahr 2023 eine GKV-Strukturreform an­gekündigt. Zwenke betonte, der Streik sei zur Vorbereitung auf das Frühjahr wichtig gewesen, denn dann werde eine andere Gangart nötig sein. Es werde möglicherweise im nächsten Jahr „heiß hergehen“. Zwenke betonte, dass es im GKV-Arzneimittelmarkt zwar Umsatzsteigerungen, aber keine langfristigen Steigerungen der Packungszahl gebe. Dabei sei die Forderung des GKV-Spitzenverbandes, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel auf sieben Prozent zu senken, durchaus nachvollziehbar. Denn es könne nicht sein, dass der Anteil des Staates an den GKV-Arzneimittelausgaben stärker steige als die Arzneimittelausgaben selbst. Doch eine Mehrwertsteuersenkung würde die Apotheken wegen des Kassenabschlags erheblich treffen. Während die jetzt beschlossene Erhöhung des Kassenabschlags die Apotheken mit 19 Cent netto pro Rx-Packung belaste, würde die Einbuße dann auf 38 Cent netto pro Rx-Packung steigen (zur Berechnung siehe AZ 2022, Nr. 12). Die Apotheker müssten daher vorher unbedingt erreichen, dass der Kassenabschlag als Netto-Betrag formuliert werde. Dazu verwies Zwenke auf die uneinheitliche Nomenklatur zum Abschlag. Er regte an, diesen im Gesetz einheitlich als Großkunden­rabatt zu bezeichnen. Als Rabatt sei er dann konsequenterweise als Netto-Betrag zu betrachten.

Vorbereiten auf noch mehr Hochpreiser

Als zunehmendes Problem hob Zwenke die Hochpreiser hervor. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte nach den Folgen einer Deckelung des dreiprozentigen Aufschlags gefragt. Zwenke betonte, dass dies die Apotheken weit stärker als die Erhöhung des Kassenabschlags auf zwei Euro belasten würde. Dazu verwies er auf die geschätzte Belastung von etwa 276 Millionen Euro pro Jahr gemäß der Berechnung in DAZ.online vom 10. Oktober 2022. So könne es nicht gehen, aber die Apotheker müssten jetzt Vorschläge dazu machen. Denn in den USA gebe es zunehmend Arzneimittel mit Preisen in Millionenhöhe in der Pipeline, auf die wir uns in Deutschland einstellen müssten.

Außerdem sieht Zwenke bereits im verabschiedeten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ein bisher wenig beachtetes Problem. Da der Herstellerabschlag um eine Milliarde Euro erhöht wird, steige auch das Inkassorisiko der Apotheken. Umso wichtiger sei die Forderung, die Apotheken davon endlich freizustellen.

Forderung nach mehr Honorar

Doch es gehe jetzt nicht nur um die Abwehr neuer Belastungen, sondern auch um die Forderung nach mehr Honorar für die Apotheken. Die Apotheken sollten mindestens zehn Prozent mehr Honorar fordern, um höhere Kosten zu kompensieren, erklärte Zwenke. Angesichts der Inflation sei vermutlich noch mehr nötig. Zugleich wies Zwenke die Behauptung zurück, der Ausbau der pharmazeutischen Dienstleistungen könne die Belastungen kompensieren. Dies gehe nicht, weil das Honorar für diese Leistungen gemäß dem Schiedsspruch ohne Unternehmerlohn kalkuliert ist. Außerdem fehle vielfach das Personal, um diese Leistungen zu erbringen. Der diesbezügliche Ansatz von Minister Lauterbach sei daher verfehlt.

Ansatzpunkte: Unentgeltliche Leistungen und Entschädigungen für Eingriffe

Als wichtigen Ansatzpunkt für Honorarforderungen sieht Lund die vielen unbezahlten Leistungen der Apotheken. In der Diskussion wurde auf eine Berechnung der ABDA für das Jahr 2021 verwiesen, nach der die Apotheken 5,52 Milliarden Euro als Honorar aus der GKV erhalten haben, aber dem GKV-System 17,38 Milliarden Euro eingebracht haben, insbesondere durch die Umsetzung der Rabattverträge und Festbeträge sowie die eingezogenen Patientenzuzahlungen und Herstellerrabatte. Daher sollte für alle diese Leistungen eine Gebühr erhoben werden, hieß es in der Diskussion. Doch Zwenke betonte, die Apotheken seien zu diesen Leistungen gesetzlich verpflichtet. Dazu „können“ die Krankenkassen gemäß § 129 Abs. 5 SGB V Verträge schließen, aber das Gesetz sehe keine Pflicht für eine Honorierung vor. Allerdings stelle sich die Frage, wann die Verpflichtungen aus dem Sicherstellungsauftrag des Apothekengesetzes eine Pflicht zu einer Gegenleistung des Staates auslösen. Berufsausübungsregeln seien zu akzeptieren, aber es könne nicht beliebig viele entschädigungs­lose Eingriffe geben. Zwenke fragte daher: „Wann kippt das?“ Es sei eine wichtige juristische Aufgabe zu prüfen, ab wann der Staat zur Entschädigung verpflichtet ist. Insgesamt sieht Zwenke wegen der Verknüpfung aus Kontrahierungszwang, Kostensteigerungen und erhöhtem Kassenabschlag eine zunehmende Insolvenzgefahr für Apotheken. „Es ist viel zu tun“, folgerte Zwenke. |

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