Arzneimittel und Therapie

Hilfe für die Schmetterlingskinder

Mit Filsuvez® steht ab sofort ein Arzneimittel zur Wundversorgung zur Verfügung

Bei der seltenen, genetisch bedingten Epidermolysis bullosa (EB) ist die Haut so verletzlich, dass sie auch Schmetterlingskrankheit genannt wird. Für die Therapie oberflächlicher Wunden bei dystropher und junktionaler Epidermolysis bullosa (JEB) bei Patienten ab sechs Monaten steht jetzt mit Oleogel-S10 (Filsuvez®) das erste und einzige zugelassene Arzneimittel zur Verfügung (s. auch DAZ 2022, Nr. 28, S. 38).

Auch wenn es sich bei weltweit etwa 500.000 Patienten um eine seltene Erkrankung handelt, wird die Epidermolysis bullosa in der Regel gleich nach der Geburt bemerkt. Es können Blasen an der äußeren Haut und auch an den Schleimhäuten entstehen, und zwar schon bei leichter Berührung oder in Stresssituationen. Ursache der EB sind ­Mutationen auf den Autosomen, die dominant oder rezessiv vererbt werden oder auch spontan entstehen. Als Folge der Mutationen werden Verbindungsstrukturen zwischen den Hautschichten nicht richtig ausgebildet oder fehlen vollständig. Die einzelnen Hautschichten lösen sich leicht voneinander, in die Lücken dringen seröse Flüssigkeit oder Blut und bilden die mitunter sehr schmerzhaften Blasen. Die häufigste und leichteste Form ist die EB simplex (EBS) mit eher oberflächlichen Läsionen. Die Kindler-EB (KEB), die junktionale EB (JEB) und die dystrophe Epidermolysis bullosa (DEB) sind schwere Formen mit Blasenbildung an und in der gesamten Haut, an Schleimhäuten und inneren Organen. Folgen der Multisystem­erkrankung können Infektionen, Anämien, Verwachsung von Fingern oder Zehen und Plattenepithelkarzinome sein [1].

Wundversorgung ist A & O

Das Leben mit schwerer EB ist geprägt von Schmerzen, Behinderung und einer zeit- und kostenintensiven Pflege. Die Wundversorgung kann in schweren Fällen mehrere Stunden am Tag in Anspruch nehmen. Blasen sollten täglich punktiert, entleert und fachgerecht versorgt werden, um Schmerzen und Infektionen vorzubeugen. Zur Behandlung der schweren Formen von EB erhielt am 22. Juni 2022 mit Oleogel-S10 (Filsuvez®) ein steriles Externum die Zulassung, für das eine beschleunigte Wundheilung nachge­wiesen wurde [2]. Die EU-Zulassung basiert auf der doppelblind-randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studie EASE (Efficacy And Safety of Oleogel-S10 in patients with EB, NCT03068780) mit 223 Teilnehmern im Durchschnittsalter von 12 Jahren (DEB, n = 195, oder JEB, n = 26). Bei allen wurde eine definierte Zielwunde von 10 bis 50 cm² Fläche alle 1 – 4 Tage entweder mit Oleogel-S10 oder mit einem Kontrollgel behandelt. Primärer Endpunkt war der Anteil an Behandelten mit einem ersten Verschluss der Zielwunde nach 45 Tagen im Vergleich zur Kontrollgruppe. Sekundär wurden unter anderem die Veränderungen gegenüber dem Ausgangswert bei Schmerzen beim Verbandswechsel mithilfe der Wong-Bakers FACES Schmerzbewertungsskala beobachtet [3]. „Die Untersuchung zeigte bei den mit Oleogel-S10 behandelten Patientinnen und Patienten eine signifikante Zunahme der Rate des Wundverschlusses um 44% und somit eine beschleunigte Wundheilung im Vergleich zur Kontrollgruppe“, erklärte Professorin Dimitra Kiritsi, stellvertretende Leiterin des Epidermolysis-bullosa-Zentrums der Universitäts­klinik Freiburg, bei der Einführungs-Pressekonferenz von ­Filsuvez®[1]. Die behandelten Wunden waren bereits nach zwei Wochen um mehr als die Hälfte reduziert und heilten rund eine Woche schneller. Nach zwei Wochen zeigte sich auch eine signifikant stärkere Schmerzreduktion beim Verbandswechsel. Wundinfektionen der Zielwunde waren bei den Patientinnen und Patienten unter Behandlung mit Oleogel-S10 milder und fünfmal seltener. Einen nachhaltigen Effekt zeigte nach zwölf Monaten die offene EASE-Nachbeobachtungsphase: Die ­Gesamtkörperwundfläche hatte sich vom Ausgangswert 12,1% auf 5,4% ­reduziert. Das entspricht einer Reduktion um etwa sechs Handflächen [3].

Thixotropes Gel

Der Wirkstoff von Filsuvez® ist ein ­Betulin-reicher Triterpen-Extrakt aus Birkenrinde. Der genaue Wirkmechanismus ist nicht bekannt. Ex vivo ­moduliert der Extrakt Cyclooxygenasen und Interleukine. Weiterhin ist er an der ­Migration und Differenzierung von ­Keratinozyten beteiligt, was Wund­heilung und -verschluss begünstigt [2]. In Oleogel-S10 ist der Trockenextrakt mit Sonnenblumenöl als Träger­substanz zu einem sterilen Gel verarbeitet. Das thixotrope Gel wird beim Auftragen auf die Wunde, also unter Einwirkung von Scherkräften, vorübergehend weniger viskos. Je nach Bedarf kann das Gel auch auf eine nicht-adhäsive Wundauflage aufgetragen werden. ­Filsuvez® wird zunächst in Deutschland zum topischen Einmalgebrauch in 25-ml-Tuben verfügbar sein. Für ­November hat der Hersteller größere Gebinde angekündigt. |
 

Literatur

[1] Prof. Dimitra Kiritsi, Prof. Christina Has, „Meilenstein in der Wundversorgung bei Epidermolysis Bullosa (EB) Filsuvez® – Die erste zugelassene topische Therapie bei EB“. Pressekonferenz am 13. Juli 2022, München, unterstützt von Amryt Pharmaceuticals DAC

[2] Fachinformation Filsuvez Gel. Stand Juni 2022

[3] Kern JS et al. Oleogel-S10 Phase-III-study „EASE” for epidermolysis bullosa: study design and rationale Trials 2019;20:350, https://doi.org/10.1186/s13063-019-3362-z.

[4] Wu YH et al. Family caregivers‘ lived experiences of caring for epidermolysis bullosa patients: A phenomenological study. J Clin Nurs 2020;29:1552-1560

Apotheker Ralf Schlenger

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