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Hintergrund
Die ganze „MVZ-Story“
Ein warnendes Beispiel für einen ungesunden Trend im Gesundheitssystem
Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gab es Ende 2020 in Deutschland rund 3.850 MVZ und damit knapp 300 mehr als im Vorjahr [2]. Bundesweit sind demnach etwa 23.650 Ärzte in MVZ tätig, im Durchschnitt 6,1 Ärzte pro Einrichtung. Davon sind wie im Vorjahr 8,0 Prozent Vertragsärzte, alle anderen sind angestellt. Rund 63 Prozent der in MVZ angestellten Ärzte arbeiten in Teilzeit. Der Anteil der MVZ an der Versorgung unterscheidet sich regional stark. In Thüringen (23,5 Prozent) und Hamburg (20,6 Prozent) arbeitet etwa jeder fünfte Arzt, der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, in einem MVZ, in Baden-Württemberg dagegen nur 7,6 Prozent. Hausärzte, Chirurgen und Orthopäden sowie fachärztliche Internisten sind bundesweit in den MVZ am häufigsten vertreten.
Besonders genaue Daten für Bayern liefert das IGES-Gutachten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) [3]. Demnach bestanden im vierten Quartal dort 18.370 Arztpraxisstandorte (Leistungsorte), davon 13.370 Einzelpraxen, 4.020 Berufsausübungsgemeinschaften (BAG), 249 BAG mit MVZ und 731 MVZ. Dabei steigt die Zahl der MVZ, während die Zahl der anderen Leistungsorte abnimmt (siehe Abb. 1).
Bei den Hauptbetriebsstätten nahm der MVZ-Anteil in zwei Jahren um 18 Prozent zu. Als Träger der MVZ dominieren Vertragsärzte und Krankenhäuser (siehe Abb. 2). Im Hintergrund können private Investoren als Kapitalgeber fungieren, d. h. Eigentümer des unmittelbaren MVZ-Trägers sein. Die MVZ im Eigentum von Private-Equity-Gesellschaften (PEG-MVZ) können grundsätzlich in unterschiedlicher Trägerschaft verfasst sein. Gemäß dem Gutachten der KVB ist die Zahl der Arztpraxisstandorte im Eigentum von Private-Equity-Gesellschaften in Bayern in den Jahren 2018 und 2019 von 54 auf 93 Leistungsorte gestiegen. Ende 2019 befanden sich damit fast 10 Prozent aller bayerischen Praxisstandorte von MVZ im Eigentum von Private-Equity-Gesellschaften [alle Daten: 3].
Die Entstehung der MVZ
Die Bundesregierung stellt die MVZ gerne als Nachfolger der ostdeutschen Polikliniken dar. Die Idee klingt wie aus einem Werbetext – fast schon zu gut: Durch die fachübergreifende Zusammenarbeit unter einem Dach könnten Synergieeffekte genutzt und Wege verkürzt werden. Durch den fachlichen Austausch wären koordinierte Behandlungsprogramme mit gebündelter medizinischer Kompetenz und damit eine qualitativ bessere Therapie gerade bei komplexen Krankheitsbildern möglich. Trotzdem würden Kosten eingespart, unnötige Doppeluntersuchungen vermieden und verschriebene Arzneimittel besser aufeinander abgestimmt. Wartezeiten wären kürzer und Öffnungszeiten länger. Die gemeinsame Nutzung der Strukturen entlaste Ärztinnen und Ärzte und lasse mehr Zeit für die medizinische Arbeit. Dies fördere die Teilzeitbeschäftigung und ermögliche die Niederlassung ohne ökonomische Risiken [4].
Trotzdem ist die Kritik an den MVZ nie verstummt, vor allem deshalb, weil es um sehr viel Geld geht. Deshalb ist die Geschichte der MVZ ziemlich verschlungen. Seit dem Start am 01.01.2004 mit dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) wurde der Gesetzgeber immer wieder aktiv – durch Änderungen im Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) zum 01.01.2007, im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) ab 01.04.2007, im Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (PflegeWentwG) mit Wirkung zum 01.07.2008, im GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) zum 01.01.2012, im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) zum Juli 2015 und im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom Mai 2019 [5]. Novelliert wurden beispielsweise die Regelungen über den Kreis der zulässigen Gründungsberechtigten – und das nicht in einer Novelle, sondern in bisher jeder. Bis 2011 wurden überwiegend Erleichterungen beschlossen, ab 2012 wurde dagegen der Kreis der Gründungsberechtigten wieder verengt, aber jeweils mit Bestandsschutz. Auch an den zugelassenen Organisationsformen, der internen Rolle der ärztlichen Leitung oder dem Schutz vor nichtärztlichen Investoren wurde viel „gebastelt“, juristisch verfeinert und klargestellt. Trotzdem werden MVZ mit Blick auf verschiedene Realitäten weiterhin unterschiedlich bewertet.
Das Gutachten des Bundesgesundheitsministeriums
2020 wurde die Situation der MVZ in einem Gutachten im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und unter dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn untersucht [5]. Es erscheint fast wie eine Verteidigungsrede, deren Parteilichkeit nicht zu übersehen ist. Die Gutachter sehen nur wenig Änderungsbedarf.
Sie legen großen Wert auf die Geschlossenheit des Systems und betrachten Beschränkungen auf Gründerebene oder in der Organisationsform als „Inkonsistenzen“. Im Gutachten wird kritisiert, dass die Möglichkeiten von MVZ in Krankenhausträgerschaft in der Zahnmedizin stark eingeschränkt werden, nicht aber in der Humanmedizin, in der zugelassene Krankenhäuser weiterhin MVZ gründen dürfen. Sie bemängeln auch Markteintrittsbarrieren für weniger kapitalstarke Gründer und eine Mehrklassengesellschaft innerhalb der MVZ wegen der juristisch notwendigen Bestandsschutzklauseln. Damit werde das gesetzgeberische Ziel verfehlt, denn das Engagement nichtärztlicher Investoren (Eigenkapitalgeber) in der ambulanten Versorgung werde zwar deutlich erschwert, nicht aber unmöglich gemacht. Letztere könnten über den Erwerb eines Krankenhauses weiterhin im vertragsärztlichen Bereich tätig werden, allerdings mit wesentlich größerem Aufwand als zwischen 2004 und 2012. Anstatt nun Vorschläge zu machen, wie das gesetzgeberische Ziel des Schutzes vor nichtärztlichen Investoren besser umzusetzen sei, ziehen die Gutachter die inkonsequente Schlussfolgerung, so „… dürfte sich für die Weiterentwicklung der MVZ-Regulierung eher die Frage stellen, ob die Beschränkungen auf Gründerebene im derzeitigen Ausmaß dauerhaft erforderlich sind, eine noch weitergehende Einschränkung erscheint jedenfalls nicht notwendig“ [5, S. 116].
Auch eine weitere Verschärfung der bestehenden Regelungen zum Schutz vor sachfremdem Einfluss auf die behandelnden Ärzte halten die Gutachter für nicht angezeigt. Denn die Freiberuflichkeit bestehe für angestellte Ärzte in einem MVZ fort. Dazu wird ausgeführt: „Die Grundannahme, Gesellschafter der Trägergesellschaft (Gründerebene) könnten medizinische Entscheidungen der im MVZ angestellten Ärzte sachfremd beeinflussen, lässt sich auch mit dem Status des angestellten Arztes im MVZ nur schwer vereinbaren“ [5, S. 95]. Denn angesichts der „weitgehenden funktionellen Annäherung von Vertragsarzt und angestelltem Arzt in MVZ jeder Trägerschaft“ erscheine die Annahme einer stärkeren Beeinflussung durch kommerzielle Ziele im MVZ „zunehmend rechtfertigungsbedürftig“ [5, S. 96]. Die Gutachter gehen sogar so weit zu fordern, dass die stärkere Reglementierung der MVZ in Fremdbesitz zu hinterfragen sei, denn dies sei Ungleichbehandlung und zunehmend vom Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers nicht mehr abgedeckt. Da alle nach Gewinn streben würden, verenge sich der „Beurteilungsspielraum umso stärker, je länger z. B. MVZ in Investorenhand unbeanstandet an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen“ [5, S. 95 f.].
Diese Sicht mag juristisch korrekt sein, hat aber, wie spätere Betrachtungen zeigen, in der Regel mit der Realität wenig zu tun. Gerade beim Kauf der Arztsitze durch die MVZ-Betreiber werden vielfach bereits die Weichen für eine Gewinnmaximierung gestellt, umso einschneidender, je mehr Kapital zur Verfügung steht. Während des Betriebs werden zudem subtile, aber effektive Steuerungsmechanismen durch wirtschaftliche Auswertungen eingesetzt, denen sich angestellte Ärzte nur schwer widersetzen können.
Obwohl hier (nach eigenen Angaben) ein primär juristisches Gutachten vorliegt, werden auch einige ökonomische Aspekte beleuchtet. Doch gerade relevante Fragen im Hinblick auf die mögliche fachfremde Steuerung der MVZ werden nicht oder nur unzureichend beantwortet. Es sei nicht möglich gewesen, „umfassende, strukturierte Daten über die (wirtschaftlichen) Eigentümerstrukturen von Krankenhaus-MVZ zu erhalten“ [5, S. 27]. Weiter heißt es, der Befund „oligopolartiger MVZ-Strukturen“ lasse sich „weder erhärten noch widerlegen“ [5, S. 29], während der Verfasser dieser Übersicht bereits 2017 anhand von Daten eines Rechenzentrums gezeigt hat, dass im Januar 2017 von 135 parenterale Zubereitungen abrechnenden Apotheken 79 nicht selbst hergestellt haben, also höchstwahrscheinlich von Herstellbetrieben beliefert wurden [6]. Die Gutachter stellen fest, dass nach Trägertypen differenzierte Abrechnungsdaten nicht zur Verfügung stehen, und folgern, daher sei kein Vergleich möglich [5, S. 30 f.]. Anstatt selbst belastbare Daten zu recherchieren, wird auf Allgemeinplätze zurückgegriffen, die überwiegend der Verteidigung von MVZ-Strukturen dienen. Gewinnstreben sei die „Triebfeder jeder leistungsfähigen Marktwirtschaft“ und eine Gewinnerzielungsabsicht sei „nicht per se als Nachteil zu erachten oder gar unethisch“ [5, S. 74]. Auf der Suche nach Argumenten für MVZ bemühen die Gutachter sogar Vergleiche mit dem amerikanischen Gesundheitssystem, das mit hohen Preisen und vielen un- oder unterversicherten Personen keinesfalls als Vorbild geeignet ist.
Trotzdem konstatieren die Gutachter schließlich, dass sich die Bedenken des Gesetzgebers, von MVZ in Investorenhand könnten Gefahren für die Versorgungsqualität ausgehen, „weder bestätigen noch entkräften lassen“ [5, S. 83]. Daraufhin sehen sie aktuell keinen weitergehenden Regulierungsbedarf. Das System ist also für Juristen in sich weitgehend schlüssig, aber ist es auch gut?
Das Gutachten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern
Den Mangel an Daten zur Versorgungsqualität versuchte die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) mit ihrem im April 2022 vorgelegten Gutachten zu beseitigen. Unter dem Titel „Versorgungsanalysen zu MVZ im Bereich der KV Bayerns“ wurden vom IGES-Institut umfangreiche Datenanalysen für die Jahre 2018 und 2019 vorgestellt [3]. Dieses Gutachten belegt für MVZ-Strukturen weitgehend den Verdacht nicht sachgerechter Einflussnahme respektive zu starker Renditeorientierung, durch medizinfremde Investoren (Private-Equity-Gesellschaften u. a.). Im Hintergrund werden eine sinkende Versorgungsqualität und „Rosinenpickerei“ (z. B. bei der Standortwahl oder den durchzuführenden Therapien) vermutet. Die festgestellten Unterschiede in den Anteilen der MVZ bei verschiedenen Facharztgruppen (siehe Abb. 3) legen nahe, dass es bei MVZ-Gründungen nicht vorrangig um Versorgungsqualität, sondern wohl eher um finanzielle Überlegungen geht.
Bei Augenärzten, Orthopäden und Internisten sind die größten Anteile der MVZ zu finden, aber das Gutachten verzichtet dazu leider auf eine Erklärung. Dabei gehören Internisten (inkl. der onkologisch tätigen Internisten mit dem höchsten Arzneimittelumsatz pro Facharztgruppe und pro Verordnung überhaupt) und Augenärzte zu den zehn umsatzstärksten Arztgruppen im GKV-Bereich bei den Arzneimitteln [7]. Augenärzte verordnen – abgesehen von der bemerkenswerten Ausnahme Lucentis® – nur sehr wenige lukrative Arzneimittel, dafür arbeiten sie aber bei Linsen und Brillen sehr eng mit Optikern zusammen, was zusätzliche Gewinne verspricht, die nahezu komplett außerhalb der GKV entstehen. Dieses Argument dürfte auch bei den Orthopäden greifen, die mindestens genauso eng mit Physiotherapeuten und Sanitätshäusern verbandelt sind. Dagegen sind die Hausärzte zahlenmäßig sehr viele und sehr inhomogen tätig, sodass zusätzliche Gewinne durch Kettenbildung nicht so leicht eingesammelt werden können. Ein durchgehendes Merkmal der bevorzugten Arztgruppen ist, dass die Möglichkeiten der Gewinnerzielung nicht vornehmlich in der medizinischen Leistung, sondern insbesondere in der Verordnung hochpreisiger Arzneimittel (Zytostatika, Ophthalmologika gegen die Feuchte Makuladegeneration) und Heilmitteln (Physiotherapie) oder in lukrativen operativen Eingriffen (künstliche Gelenke) liegen.
Trotzdem gelingt es im Gutachten, die Dynamik der Ausbreitung der MVZ und deren Tendenz zu höheren Umsätzen darzustellen. Im Durchschnitt rechnen MVZ 5,7 Prozent höhere Honorarvolumina als Einzelpraxen ab, MVZ im Eigentum von Private-Equity-Gesellschaften sogar 10,4 Prozent mehr. Gerade die Zahl der Praxisstandorte dieser MVZ-Untergruppe stieg in den beobachteten zwei Jahren um 72 Prozent [alle Daten: 3]. In einem früheren Gutachten im Auftrag der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) hatte das IGES-Institut bereits die Versorgung durch zahnärztliche MVZ kritisch untersucht [8]. Die KZBV hatte daraufhin vor einem „zerstörerischen Systemumbau“ durch MVZ gewarnt.
Nach der Präsentation des Gutachtens für die KVB erstellte diese eine Reihe von Forderungen, die teilweise auch schon von der Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) im November 2021 übernommen wurden. Ende Juni 2022 erweiterte und bekräftigte die KVB ihre Forderungen durch ein Rechtsgutachten des Verfassungsrechtlers Prof. Dr. Helge Sodan mit dem Titel „Gefährdungen der Freiberuflichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung durch medizinische Versorgungszentren“ [9]. Die KVB fordert wiederholt ein MVZ-Transparenzregister, das die nachgelagerten Inhaberstrukturen sichtbar macht, aber im BMG-Gutachten von 2020 wegen des bürokratischen Aufwands abgelehnt worden war. Außerdem fordert die KVB beispielsweise, dass
- die Gründungsbefugnis von Krankenhäusern (auch regional) eingeschränkt wird,
- die Entscheidungsstruktur eines MVZ-Trägers in den Händen von Vertragsärzten liegen muss und
- der Verantwortungs- und Aufgabenbereich des Ärztlichen Leiters eines MVZ konkretisiert und gestärkt wird [10].
Darüber hinaus weist Sodan in seinem Gutachten für die KVB darauf hin, dass im Rahmen einer Zulassung auch eine Eignungsprüfung für MVZ bis hin zu einem Ausschluss rein gewinnorientierter MVZ von der ambulanten Versorgung verfassungsrechtlich zulässig sei [9, S. 109].
Ein Zwischenfazit
Alle Forderungen der KVB sind aus deren Sicht gerechtfertigt. Erneut wird versucht, mit untauglichen juristischen Mitteln Teile eines grundsätzlichen Problems zu lösen – ohne Grundsätzliches zu ändern. Sogar die Einführung einer strikten Regionalität würde vermutlich nur die Ausbreitungsgeschwindigkeit der MVZ-Strukturen verlangsamen. MVZ-Gründer müssten statt eines Krankenhauses mehrere kaufen, wobei Krankenhausketten im Vorteil wären. Die Möglichkeit der Gewinnoptimierung und damit des Missbrauches bliebe bestehen. Einfacher wäre ein komplettes Verbot institutioneller Leistungserbringer, also der MVZ-Struktur als solcher – ein Weg, den aber die Politik und ihre Einflüsterer nicht zu gehen bereit sind. Aber selbst in diesem unwahrscheinlichen Fall würde der juristische Bestandschutz greifen.
Weiter bleibt festzuhalten, dass im KVB-Gutachten die Privatversicherten und alle IGeL-Leistungen (Individuelle Gesundheitsleistungen) fehlen, die auch den GKV-Patientinnen und -Patienten empfohlen/eingeredet werden und die sie aus eigener Tasche bezahlen. Es fehlen die Einnahmen, die aus einer Vielzahl von Quellen generiert werden und die nicht unbedingt einer Praxis zuzuordnen sind. Gerade in Fachbereichen mit vielen Berührungspunkten zu anderen Leistungserbringern ist von einer weiteren deutlichen Zunahme der Gesamtumsätze und Gewinne in renditeorientierten (MVZ-)Gesundheitsunternehmen auszugehen. Allerdings haben auch einzelne Ärzte solche Strukturen aufgebaut, die in manchen Regionen bereits ein marktbeherrschendes Ausmaß angenommen haben [11]. Letztlich fehlt den Autoren beider Gutachten der kühle Blick auf die dunkle Seite der Realität.
Zum Weiterlesen
Müller-Bohn, T.: „Wie wirken MVZ auf die Versorgung? Das IGES-Institut hat ein Gutachten im Auftrag der KV Bayern erstellt.“ DAZ 2022, Nr. 16, S. 14 f.
Müller-Bohn, T.: „MVZ – zukunftsweisend oder problematisch? Zwei Gutachten zu Medizinischen Versorgungszentren mit unterschiedlichem Tenor.“ DAZ 2021, Nr. 8, S. 18 ff.
Müller-Bohn, T.: „Zahnärzte fürchten investorenbetriebene MVZ – FDP-MdB Schinnenburg kritisiert Ungleichbehandlung.“ DAZ 2021, Nr. 9, S. 18 ff.
Abseits der öffentlichen Wahrnehmung
Schon in der „offiziellen“ Diskussion, auf Grundlage der im vorangegangenen Beitrag vorgestellten Gutachten, sind die Interessen der Patientinnen und Patienten praktisch nicht vertreten. Wie nur wird mit diesen Interessen und Bedürfnissen erst abseits der öffentlichen Wahrnehmung umgegangen? Hier leisten skrupellose Kaufleute (egal welcher Provenienz) und deren gewiefte (Winkel-)Advokaten ganze Arbeit – unter Ausnutzung von Regelungslücken und immer ganz nah am Rande zur Illegalität. Dies soll ein Fallbeispiel zeigen, das der Autor selbst recherchiert hat:
Was würden Sie denken, wenn Sie in der Präambel eines Vertrages Folgendes lesen?
„Der AG (= Auftraggeber, Vor-Ort-Apotheke) beauftragt den AN (= Auftragnehmer, MVZ und Herstellbetrieb mit Finanzinvestor im Hintergrund; kursive Anmerkungen vom Autor ergänzt) zum Zwecke der Einhaltung hygienischer und arzneimittelsicherheitsrelevanter Vorschriften mit der Herstellung steriler, patientenindividuell zubereiteter Infusionslösungen und parenteraler Ernährungslösungen. Als pharmazeutischer Hersteller mit Herstellerlaubnis nach § 13 Abs. 1 AMG stellt der AN im Auftrag von Apotheken auf Einzelanforderung des behandelnden Arztes patientenindividuell zu applizierende parenterale Infusionslösungen her. Alle Infusionslösungen werden ausschließlich aus in Deutschland zugelassenen Fertigarzneimitteln unter sterilen Bedingungen in modernsten Reinraumlaboren hergestellt. Als pharmazeutischer Hersteller unterliegt der AN den strengen GMP-Standards (Good Manufacturing Practice) für die Arzneimittelherstellung der Europäischen Kommission.“
Welches Geschäft wird hier geregelt? Warum sollte der Apotheker ein MVZ beauftragen, die Arzneimittel für ihn zuzubereiten? Versteht er sein Handwerk plötzlich nicht mehr? Offiziell und juristisch korrekt ist das ein freiwilliger Vertrag zwischen gleichberechtigten Vertragspartnern. Inoffiziell wird hier jedoch eine gewachsene Geschäftsbeziehung durch ein Konstrukt beendet, das weder auf die Versorgungsqualität noch auf Regionalität Rücksicht nimmt, sondern das Ergebnis knallharter Geschäfte, man könnte auch sagen von Erpressung, ist. Das lukrative Geschäft der „Zubereitung“ will das MVZ gerne selbst machen. Deshalb „darf“ die Apotheke jetzt einen Vertrag schließen, in dem das geänderte Vorgehen festgeschrieben wird.
Finanzinvestoren kaufen über ein MVZ und zu einem oft sehr hohen Preis in steueroptimierter Form einen onkologischen Arztsitz und stellen den bisherigen Inhaber für einige Jahre, gutes Geld und mit viel Urlaub an. Sogar für den Sitz eines Orthopäden wurden mündlich aus verlässlicher Quelle 5,5 Millionen Euro Kaufpreis, 250.000 Euro Jahreseinkommen und 1,5 Millionen Euro zusätzliche Zahlung in Abhängigkeit von bestimmten Erfolgskriterien („earnout“) erwähnt – bei Onkologen dürfte es noch mehr sein. Die Käufer veranlassen den Arzt, die parenteralen Zubereitungen, die er bisher vor Ort bei einer spezialisierten Apotheke bezogen hat, nun über einen entfernt liegenden Herstellbetrieb, der zum Firmenkonstrukt gehört, zu beziehen. So können aus 200 Metern schon mal 300 Kilometer Lieferstrecke werden. Durch diese (erlaubte) Zuweisung der Rezepte wird die Vor-Ort-Apotheke aus dem Markt gedrängt und auch deren Gewinn vereinnahmt, obwohl sie in vergleichbarer Qualität, aber deutlich schneller und flexibler liefern könnte. Großzügigerweise, aber auch um sich das Stillschweigen der geschädigten Apotheke zu erkaufen, wird der Apotheke der oben zitierte Vertrag angeboten, der (juristisch einwandfrei) für die „Endkontrolle“ der Infusionsbeutel und die notwendige Abrechnung mit den Krankenkassen eine Pauschale von neun bis fünfzehn Euro pro Infusionsbeutel vorsieht. Lehnt die Apotheke ab, hat sie den gesamten Geschäftsbereich verloren, der zuvor erhebliche Investitionen in Ausstattung und Personal erforderte, nimmt sie an, bleiben ihr immerhin ein kleiner Zusatzverdienst ohne viel Arbeit und die Kundenbeziehungen.
Pikanterweise ist das MVZ-Konstrukt und damit der Herstellbetrieb hinter dem Fallbeispiel einer der Schwergewichte des Bundesverbandes der Betreiber medizinischer Versorgungszentren e. V. (BBMV). Der BBMV verspricht auf seiner Homepage vollmundig: „Unser Wirken folgt den Grundsätzen der Offenheit, Transparenz, Fairness und Integrität“ [12]. Im erwähnten BMG-Gutachten wird der BBMV zitiert und mit seinen Daten argumentiert. Das zeigt die Wirkmächtigkeit solcher Interessenverbände und zugleich die Naivität der Gutachter. Dabei ist dies kein Einzelfall. In der Presse wurde vor einiger Zeit über ein weiteres Beispiel berichtet, und der Autor dieses Beitrags erlebte einen Augenarzt, der jahrelang gegen das Auseinzeln von Injektionen zur Behandlung der Makuladegeneration wetterte, aber kurz nach dem Verkauf seiner Praxis an ein MVZ seine Meinung ganz im Sinne der MVZ-Betreiber änderte [13]. Jetzt werden die Patienten mit einem per Post versandten, in einem zum MVZ gehörenden Herstellbetrieb ausgeeinzelten Arzneimittel behandelt, das keine Zulassung für diese Indikation hat. Der Gewinn der MVZ-Betreiber steigt.
Alle Beteiligten nehmen dabei die deutlich verlängerten und eigentlich unnötigen Transportwege und damit möglicherweise Wirkverluste und -veränderungen in Kauf, die den Patienten schaden könnten [6]. Ad-hoc-Herstellungen, die zeitnah und patientenindividuell erfolgen und dabei den Krankenkassen erhebliche Einsparungen bringen [14], sind aufgrund der zusätzlichen Entfernungen in vielen Fällen nicht mehr möglich. Zudem verschwinden langsam, aber sicher die Möglichkeiten regionaler aseptischer Zubereitungen, die auch zur kritischen Infrastruktur gehören. Aber um diese Dinge geht es ja nicht.
Der Patient wird über diese Vorgänge nicht oder nur unzureichend informiert. Alles läuft möglichst geräuschlos im Hintergrund ab. Werden die Aufsichtsbehörden doch einmal aktiv, wird das Verfahren so in die Länge gezogen, dass letztlich kaum mehr etwas ans Tageslicht kommt [15]. Dazu passt ein Zitat aus dem erwähnten BMG-Gutachten: „Aus der Informationsasymmetrie zwischen Arzt und Patient resultierende Probleme begründen sich vor allem in der Doppelrolle des Arztes gegenüber dem Patienten. Zum einen als Berater bei gesundheitlichen Entscheidungen, zum anderen als Leistungsanbieter. … Der Arzt … ist besser als … der Patient, z. B. über die zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden, informiert und kann versuchen, seinen Informationsvorsprung gegenüber dem Patienten zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen“ [5, S. 75]. |
Literatur
[1] Beiträge und Analysen Gesundheitswesen aktuell. Oktober 2021, ISBN: 978-3-9818809-4-6, Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung
[2] Medizinische Versorgungszentren auf dem Vormarsch. Dezember 2021, www.aerzteblatt.de/nachrichten/129944/Medizinische-Versorgungszentren-auf-dem-Vormarsch
[3] Tisch T, Nolting HD. Versorgungsanalysen zu MVZ im Bereich der KV Bayerns. Gutachten des IGES-Instituts für die KV-Bayern. Berlin 7. Dezember 2021, www.kvb.de/fileadmin/kvb/dokumente/UeberUns/Gesundheitspolitik/IGES-MVZ-Gutachten-April-2022.pdf
[4] Medizinisches Versorgungszentrum Nachfolger der Poliklinik. www.bundesregierung.de/breg-de/themen/medizinisches-versorgungszentrum-nachfolger-der-poliklinik-432282, Die Bundesregierung
[5] Ladurner A, Walter U, Jochimsen B et.al. Rechtsgutachten Stand der Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen zu medizinischen Versorgungszentren (MVZ). November 2020, www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Ministerium/Berichte/Stand_und_Weiterentwicklung_der_gesetzlichen_Regelungen_zu_MVZ.pdf, Bundesministerium für Gesundheit
[6] Stadler F. Die Sicherheitslücken bei der ambulanten Zytostatikaversorgung. März 2017, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/community/2017/03/01/die-sicherheitsluecken-bei-der-ambulanten-zytostatikaversorgung
[7] Pro Dialog: Geringes Plus bei Arzneimittel-Verordnungen, aber Kosten steigen. August 2018, www.aok.de/gp/news-krankenhaus/newsdetail/pro-dialog-geringe-zunahme-bei-arzneimittel-verordnungen, AOK Krankenkasse
[8] Haaß A et al. Investorenbetriebene MVZ in der vertragszahnärztlichen Versorgung Entwicklung und Auswirkung Gutachten für die Kassenärztliche Bundesvereinigung . Oktober 2020, www.iges.com/sites/igesgroup/iges.de/myzms/content/e6/e1621/e10211/e24893/e26287/e26288/e26290/attr_objs26292/Gutachten_Z-MVZ_IGES_2020-10_web_ger.pdf, Iges Institut
[9] Sodan H. Gefährdungen der Freiberuflichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung durch medizinische Versorgungszentren Rechtsgutachten für die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns. Oktober 2021, www.kvb.de/fileadmin/kvb/V10/Ueber-uns/Gesundheitspolitik/Gutachten/KVB-Rechtsgutachten-MVZ-2021.pdf
[10] https://www.kvb.de/fileadmin/kvb/dokumente/Presse/Publikation/KVB-FORUM/Einzeldateien-FORUM/2022/KVB-FORUM-6-2022.pdf, Seite 12 ????
[11] Onkomedeor GmbH Donauwörth. www.northdata.de/OnkoMedeor+GmbH,+Donauw%C3%B6rth/Amtsgericht+Augsburg+HRB+34526
[12] Über den BBMV. www.bbmv.de/ueber-uns/, Bundesverband Medizinischer Versorgungszentren e.V.
[13] Lau T. Zytoservice: Eine geschädigte Apothekerin berichtet. Januar 2021, www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/markt/zytoservice-eine-geschaedigte-apothekerin-berichtet/
[14] Wellenhofer T. Der Wert steriler Ad-hoc-Zubereitungen. 2018, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2018/daz-34-2018/der-wert-steriler-ad-hoc-zubereitungen
[15] Rohrer B. Großrazzia bei Ärzten und Apothekern – Droht ein neuer Zyto-Skandal? 2019, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/12/17/grossrazzia-bei-aerzten-und-apothekern-droht-ein-neuer-zyto-skandal
[16] Wachstum von Medizinischen Versorgungszentren hält an. September 2021, www.aerzteblatt.de/nachrichten/126946/Wachstum-von-Medizinischen-Versorgungszentren-haelt-an
[17] Antikorruptionsgesetz. https://aok-bv.de/hintergrund/gesetze/index_14879.html, AOK Krankenkasse
[18] Blasius H. US-Studie: Zahlungen an Ärzte beeinflussen Verordnungsverhalten. 2018, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/04/17/us-studie-zahlungen-an-aerzte-beeinflussen-verordnungsverhalten/chapter:all
[19] Stadler F. Medikamenten Monopoly. Die unheilvolle Welt der Arzneimittelgeschäfte. August 2022, Murmann Publishers
Wo die Reise hingeht
Ein kommentierendes Fazit
Die Informationsasymmetrie gegenüber dem Patienten ließ und lässt so manchen Arzt renditeorientiert handeln – auch schon vor MVZ-Zeiten. Mit der Einführung institutioneller Leistungserbringer im ambulanten Bereich, aber auch durch die Zulassung von Unternehmensstrukturen über die gesamte Wertschöpfungskette wird dieses Verhalten systematisiert und zum Regelfall. Nicht der Arzt und seine Leistung stehen im Vordergrund, sondern der findige Kaufmann und seine Renditeerwartung. Was können wir nach diesem Blick in das weitgehend intransparente System lernen? Ist unser solidarisches Gesundheitssystem noch zu retten? Die Antwort hängt vom gesetzgeberischen Willen ab, und sie erfordert, folgende Aspekte zu beachten:
1. MVZ sind keineswegs die legitimen Nachfolger der ostdeutschen Polikliniken. Dort waren alle Ärzte angestellt, und es ging tatsächlich um die Qualität der Versorgung (auf dem damaligen und dortigen Niveau). Ein – unter anderen Vorzeichen – staatlich gelenktes System wäre auch heutzutage denkbar. Die Idee, dass durch MVZ nicht niederlassungswillige oder Teilzeitärzte wieder in die ambulante Versorgung zurückkämen, erscheint dagegen als Pseudoargument, das nur ein renditeorientiertes System legitimieren soll [16]. Heutige MVZ sind in der Regel die gezündete zweite Raketenstufe der Kommerzialisierung unseres Gesundheitssystems, das dieses Sozialsystem noch tiefer als bisher finanziellen Interessen überantwortet.
2. Die völlige finanzielle Transparenz ist zwingend notwendig. Der offizielle Blick auf dieses System ist zurzeit nur bedingt aussagekräftig und beschreibt nur einen Teil der Realität. Stattdessen müsste die Transparenz des gesamten Systems deutlich erhöht werden und sich auf alle finanziellen Aspekte der Transaktionen erstrecken. Keinesfalls würde es reichen, Türschilder an die Arztpraxen anzubringen, die über ärztliche Leiter und Träger des MVZ informieren [5, S. 4]. Diese Forderung des BMG-Gutachtens ist reine Kosmetik.
3. Die fortschreitende Kommerzialisierung muss gestoppt werden. Die Zusatzgeschäfte, die neben den eingekauften GKV-Umsätzen erwartet und erzeugt werden, sind die eigentliche Gelddruckmaschine der MVZ-Strukturen. Unser gesamtes Gesundheitssystem wird dabei immer mehr kommerzialisiert. IGeL-Leistungen, vertikale Integration, Übernahme der gesamten Wertschöpfungskette und Monopol- bzw. Oligopolbildung – das sind die eigentlichen Ziele der Renditejäger. Dabei erlaubt die MVZ-Struktur durch die Bildung von Wertschöpfungsketten ein deutlich einfacheres Vorgehen, das zwar an der Oberfläche juristisch korrekt sein mag, aber letztlich finanzielle Ressourcen aus einem Solidarsystem in die Taschen Einzelner umleitet. Das Wohl der Patientinnen und Patienten spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
4. Keine Flickschusterei mehr. Das grundlegende Problem der systemimmanenten Gier lässt sich nicht mit gesetzgeberischer Flickschusterei beheben. Nicht allein juristisch muss etwas (noch detaillierter) geregelt werden, sondern an der grundsätzlichen Einstellung der Leistungserbringer sind Änderungen notwendig. Die weitgehende Entkopplung von Einkommen und erbrachter Leistung wie in ostdeutschen Polikliniken ist schwierig zu bewerkstelligen, und das Wort Verstaatlichung ist und bleibt vermutlich tabu. Trotzdem sind als gesetzgeberische Entscheidungsgrundlage klare und durchsetzbare Vorgaben zur finanziellen Transparenz des Gesamtsystems notwendig. Nur so wird deutlich werden, welche Maßnahmen die fortschreitende Kommerzialisierung unseres Gesundheitssystems (zulasten der Patientinnen und Patienten) verhindern können. Ein Zwischenschritt könnte das Verbot der MVZ (und damit der Kettenbildung) in ihrer jetzigen Form sein.
Die nötige Transparenz ließe sich nur über regelmäßige Betriebsprüfungen und eine Bilanzierungspflicht für MVZ und ähnliche Konstrukte herstellen. So könnten integre Personen mit dem notwendigen Hintergrundwissen in Zusammenarbeit mit den Finanzbehörden verdeckte Zahlungen und obskure Geldflüsse nachvollziehen. Trotz (oder gerade wegen) des Antikorruptionsgesetzes von 2016 bleiben viele Absprachen und Verträge im Dunkeln [17]. So gibt es beispielsweise seit Langem gemeinsame Geschäfte zwischen Orthopäden und Physiotherapeuten/Sanitätshäusern, zwischen Augenärzten und Optikern und auch zwischen Ärzten und Apothekern, die den „gemeinsamen Gewinn“ aufteilen. Es gibt Stiftungen, Beteiligungsgesellschaften u. a., die über den Umweg zweifelhafter Gegenleistungen (Vorträge, Gutachten etc.) Gelder verschieben, die so nicht vorgesehen waren. Auch die Pharmaindustrie kann ihre Hände nicht in Unschuld waschen [18].
Solange hier nicht ernsthaft eingegriffen wird, ist unser solidarisches Gesundheitssystem in Gefahr. Viele weitere Beispiele dafür, aber auch Lösungsvorschläge hat der Autor in seinem Buch „Medikamenten Monopoly“ dargestellt [19]. Die wirtschaftlichen Akteure in Ketten- und Konzernstrukturen werden sich immer größere Teile der zur Verfügung stehenden Gelder (Mitgliedsbeiträge und Steuergelder!) sichern, werden sie dem Solidarsystem für ihre eigenen Zwecke und mit möglichst wenig Gegenleistung entziehen, werden übrigens auch ihre Steuern nicht in Deutschland bezahlen, und die Qualität der Versorgung im Allgemeinen wird abnehmen. Das wird (wie in den USA) nicht die Spitzenmedizin betreffen, die sich dann aber nur noch wenige werden leisten können. Darum lohnt es sich, für unser solidarisches Gesundheitssystem zu kämpfen und ernsthaft über Alternativen nachzudenken. Schließlich könnten wir alle betroffen sein.
Zu befürchten ist, dass die zunehmende Kommerzialisierung auch vor anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen nicht haltmachen wird. Nach Krankenhäusern, Zahnärzten und Ärzten werden wohl die Apotheken an die Reihe kommen. Bisher sind sie nur indirekt betroffen, aber auch hier ist mit einer Erweiterung des Mehrbesitzes zu rechnen, der bisher auf offiziell vier Apotheken je Betriebserlaubnis beschränkt ist.
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