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Viel Luft nach oben

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Weit mehr als vier Millionen Menschen in Deutschland gelten als pflegebedürftig. Tendenz steigend. Inzwischen erreichen die geburtenstarken Jahrgänge ein Alter, in dem sie aufgrund der Fortschritte in Diagnostik und Therapie ihre onkologischen sowie kardiovaskulären Erkrankungen überleben, und zwar mehrmals, und so ein gutes und langes Leben führen können.

Je älter Menschen werden, umso größer ist allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass sie pflegebedürftig werden, nicht zuletzt auch deshalb, weil ­demenzielle Erkrankungen auftreten, für die es nach wie vor an kausalen bzw. kurativen Behandlungen mangelt. Dabei spielt die langfristige, vollstationäre Pflege eine eher untergeordnete Rolle: Nur etwa ein Fünftel (rund eine Million Menschen) befindet sich in Heimen. Die Allermeisten werden somit ambulant versorgt, das heißt zu Hause, im Kreise der Familie oder von einzelnen Angehörigen. „Berufspflegekräfte“ unterstützen nur in rund einem Viertel dieser Fälle.

Was bedeuten diese Statistiken für die öffentlichen Apotheken? Eine ganze Menge! Der Pflegesektor gewinnt aus unternehmerischer Sicht an Bedeutung. Die Kooperation zwischen Heimen und Apotheken kann im besten Fall gewinnbringend für alle Beteiligten sein. Doch zugleich zeigt sich, dass sich immer weniger im stationären Bereich als in der ambulanten Versorgung abspielt. Durch die Weiterentwicklung von Prozessen und Technologien soll es Menschen ermöglicht werden, ihr hohes ­Lebensalter im häuslichen Umfeld zu verbringen. Allein schon aus Kapazitätsgründen muss die Versorgung im Gesundheitssystem der Zukunft vor allem dezentral erfolgen.

Das stellt eine große Herausforderung dar – gerade im Hinblick auf die Arzneimitteltherapiesicherheit. Laut einer Studie lassen aktuell nur 7,8 Prozent der ambulanten Pflegedienste die Medikation von Apotheken patientenindividuell neuverpacken (S. 16). Und „neuverpacken“ bedeutet bekanntlich mehr als nur die Verblisterung oder die Überführung von Tabletten in Dispensern. Apotheken, die schon heute pflegebedürftige Patienten versorgen, sind an der Auswahl der Arzneimittel beteiligt, analysieren Medikationspläne und schulen Pflegekräfte sowie Angehörige bei der Anwendung von Therapien. Die Studienautoren fanden heraus, dass die Hälfte der Pflegedienste, die selbst Arzneimittel stellen, Bedenken und Vorbehalte gegenüber der möglichen Apothekendienstleistung haben. Dabei sind Flexibilitätsverlust und der unfreiwillige Verzicht auf Vergütung wohl eher Missverständnisse als berechtigte Sorgen der Anbieter.

Multimorbidität und Polypharmazie prägen die Gruppe der pflegebedürftigen Patientinnen und Patienten. Um Sicherheit und Effizienz beim Einsatz von Arzneimitteln zu erhöhen, wäre pharmazeutische Kompetenz erforderlich. Aktuell liegt die Verantwortung für die korrekte Medikation aber vor allem in den Händen von Laien. Selbst, wenn ein signifikanter Anteil der ambulanten Pflegedienste mit Apotheken zusammenarbeiten würde, gäbe es immer noch viel Luft nach oben. Hier ­besteht dringender Handlungsbedarf. Es gilt, ambulante Pflegedienste, Verordner und nicht zuletzt die Betroffenen und ihre Angehörigen von der Notwendigkeit und vom Nutzen pharmazeutischer Dienstleistungen zu überzeugen.

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