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Pandemie Spezial
Kein Duft in der Nase
Neue Erkenntnisse zur Pathogenese der Geruchsstörung bei COVID-19
Auch nach mehrfachem Schnuppern an dem frisch aufgebrühten Kaffee sendete die Nase kein Signal. Wahrscheinlich eine leicht verstopfte Nase als Beginn einer Erkältung, mutmaßte die Medizinerin. Doch als die im Backofen zubereitete Pizza weder nach Tomate noch nach Basilikum schmeckte, kam ihr COVID-19 in den Sinn.
Ein am nächsten Tag durchgeführter PCR-Test bestätigte die Verdachtsdiagnose. Hals- und Gliederschmerzen entwickelten sich erst 24 Stunden später, und Fieber trat überhaupt nicht auf.
Oft das erste Symptom
Dutzende von Studien haben mittlerweile bestätigt, dass eine Beeinträchtigung des Geruchs- und des Geschmacksvermögens zu den häufigsten Frühindikatoren einer Coronavirus-Infektion zählt [1,2]. Änderungen von Geruch und Geschmack werden von 20 bis 40 Prozent aller COVID-19-Patienten berichtet. Bei etwa einem Viertel der Fälle war die Sinnesstörung sogar das erste Symptom.
Wie SARS-CoV-2 die Funktion des Riechnerven beeinträchtigt – welcher Pathomechanismus dem Geruchsverlust also zugrunde liegt – ist bis dato ungeklärt. Mehrere Mechanismen werden debattiert:
- Der Riechnerv – ein Bündel von langgestreckten Nervenzellen, die in der Nasenschleimhaut mit einem Geruchsrezeptor beginnen und im Frontalhirn im Riechzentrum (dem sogenannten Riechkolben) enden - könnte aufgrund einer Infektion mit SARS-CoV-2 die Fähigkeit verlieren, Gerüche in Form von elektrischen Impulsen weiterzuleiten.
- Nach einer anderen Hypothese könnte eine durch SARS-CoV-2 verursachte Enzephalitis auch das Riechzentrum beeinträchtigen. Die Sinnesstörung wäre dann ein Kollateralschaden einer generalisierten Gehirnentzündung. Gegen diese Annahme spricht, dass eine Enzephalitis bei COVID-19 selten ist, Geruchs- und Geschmackseinschränkungen dagegen häufig beobachtet werden.
Molekulare Mechanismen aufgeklärt
Einer hochkarätigen Gruppe von Hals-Nasen-Ohren-Ärzten, Neurologen, Neuropathologen, Virologen und Immunologen des Pasteur-Instituts und diverser Pariser Universitätskliniken ist es vor Kurzem gelungen, den Pathomechanismus des Geruchsverlusts bis auf die molekulare Ebene aufzuklären [3]. Dazu untersuchten sie Patienten mit einer nachgewiesenen Coronavirus-Infektion und experimentell mit SARS-CoV-2 infizierte syrische Goldhamster mit einer breiten Palette von immunologischen, immunhistologischen, rasterelektronischen und neuropathologischen Methoden. Die Messreihen an den Patienten und in den Hamstern wurden mit denen gesunder Personen und nicht infizierter Tiere verglichen. Syrische Goldhamster gelten als geeignetes Modell, um den Krankheitsverlauf von COVID-19 im Menschen nachzuvollziehen [4,5]. In einem dritten Schritt wurden Patienten untersucht, bei denen nach einer ausgeheilten COVID-19-Infektion weiterhin Geruchs- und Geschmacksstörungen bestanden.
Nicht Fisch, nicht Fleisch
Bei den Patienten war die Diagnose COVID-19 zwischen zwei und 14 Tage zuvor gestellt worden. Meist war der Geruchsverlust abrupt aufgetreten und auch die Geschmackswahrnehmung war eingeschränkt. Alle Patienten bezeichneten die Sinnesstörungen als stark beeinträchtigend, die Mehrzahl roch überhaupt nichts mehr. Kein Patient klagte über eine verstopfte Nase. Auffallend war, dass besonders die Empfindungen für süß und bitter beeinträchtigt waren. Einige Patienten konnten nicht mehr unterscheiden, ob sie Fleisch oder Fisch im Mund hatten.
Um herauszufinden, ob und wie das Geruchsvermögen von mit SARS-CoV-2-infizierten Hamstern beeinträchtigt ist, mussten infizierte Tiere nach verstecktem Futter mit unterschiedlichen Duftnoten suchen. Bereits drei Tage nach der Infektion fand die Hälfte der Hamster kein verstecktes Futter mehr, unabhängig davon wie die Probe roch. Die nicht infizierten Tiere dagegen konnten das versteckte Futter binnen Kurzem erschnuppern. War das Futter nicht versteckt, sondern so gelagert, dass es die infizierten Tiere sehen konnten, wurde es rasch gefunden – ein Hinweis dafür, dass außer dem Geruchssinn keine andere sensorische Beeinträchtigung vorlag. Bereits am zweiten Tag nach Infektion war Virus-RNA im Riechzentrum nachweisbar, wenige Tage später auch in anderen Gehirnkompartimenten.
Infizierte Riechzellen ...
Schon eine erste orientierende Untersuchung der Patienten lieferte ein überraschendes Ergebnis: Nur bei zwei von neun Patienten war der an der Rachenhinterwand entnommene Abstrich im PCR-Test positiv. Bei ihnen wäre ohne die Beeinträchtigung des Geruchs- und des Geschmackssinns die Diagnose COVID-19 also gar nicht gestellt worden. Fündig wurden die Ärzte erst, nachdem sie mithilfe einer ultrafeinen Bürste Zellmaterial im oberen Bereich der Nasenmuschel gewonnen hatten, also dort wo die Rezeptoren der Riechnervenzellen dicht an dicht in der Schleimhaut eingebettet sind. In dem ausgebürsteten Zellmaterial ließ sich nicht nur Virus-RNA nachweisen, sondern auch ein Protein aus dem Virusinnern – ein sicherer Hinweis für eine Infektion der Riechschleimhaut mit SARS-CoV-2.
... und Sustentakularzellen
Doch nicht nur Riechneuronen und Schleimhautzellen waren infiziert, auch in den sogenannten Sustentakularzellen, Hilfszellen, die die Geruchsrezeptoren stützen und ernähren, fand sich Virus-RNA. Im Hamstermodell ließen sich zudem mit SARS-CoV-2 infizierte Immunzellen nachweisen. Rasterelektronische Aufnahmen zeigten, dass mit zunehmender Dauer der Infektion die Riechschleimhaut ihre komplexe Feinstruktur verloren hatte.
Bei Patienten wie bei den Tieren war die Genexpression proinflammatorischer Botenstoffe in der Riechschleimhaut deutlich erhöht, inklusive des als Initiator des gefürchteten Zytokinsturms bekannten Interleukin-6. Die Forscher interpretierten die Befunde dahingehend, dass die komplexen Zellverbände in der Riechschleimhaut besonders anfällig für eine Infektion mit SARS-CoV-2 sind. Die aus der Infektion resultierende starke Entzündungsreaktion verhindert entweder die Umwandlung der Sinneswahrnehmung durch den Geruchsrezeptor des Neurons in einen elektrischen Impuls oder blockiert die Weiterleitung des elektrischen Signals zum Riechzentrum. In beiden Fällen entsteht in dem neuronalen Schaltzentrum kein oder ein fehlerhaftes Signal: Ein sonst eindeutiger Geruch wird also nicht mehr wahrgenommen.
Und die Geschmacksstörungen?
Nicht klären konnten die französischen Forscher den der Geschmacksstörung zugrunde liegenden Pathomechanismus. Die gustatorische Wahrnehmung ist wesentlich komplexer als die olfaktorische und erfolgt über Geschmacksknospen, die auf der Zunge, in der Mundschleimhaut und im Rachen liegen und jeweils unterschiedliche Geschmacksmoleküle wahrnehmen. Die von den Geschmackssensoren generierten elektrischen Signale werden über drei verschiedene Nervenbahnen in das Gehirn geleitet.
Persistierende Viren
In der dritten Phase der Studie wiederholten die Forscher ihre Messreihen an Patienten, die vor drei bis sechs Monaten eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten, aber nach wie vor über Beeinträchtigungen bei Geruch und Geschmack klagten. Bei allen Patienten ließ sich unverändert Virus-RNA und Virus-Eiweiß in der Riechschleimhaut der Nase nachweisen. Die proinflammatorischen Botenstoffe waren weiterhin in hoher Konzentration vorhanden. Auch im Tiermodell wurde bestätigt, dass das Riechvermögen solange beeinträchtigt war, wie SARS-CoV-2 im Riechnerv und/oder in den Neuronen des Riechzentrums nachgewiesen werden konnte.
Ideale Eintrittspforte
Auf der Basis der Beobachtungen bei Patienten und bei infizierten Hamstern postulieren die Wissenschaftler, dass der Geruchsnerv eine ideale Eintrittspforte für SARS-CoV-2 in das Gehirn darstellt: Die Distanz zwischen den in der Schleimhaut liegenden Geruchsnerven und dem Riechzentrum ist sehr kurz, eine Blut-Hirn-Schranke fehlt und das Riechzentrum steht mit anderen Gehirnkompartimenten in direkter Verbindung. Eine durch SARS-CoV-2 verursachte Enzephalitis hätte dieser Hypothese entsprechend ihre Ursache in einer aszendierenden Infektion über die Riechschleimhaut in den Riechnerven und von dort in andere Areale des Gehirns.
Wenn das Virus in den Neuronen der Riechschleimhaut über Monate persistieren kann, könnte das in anderen Gehirnkompartimenten gleichermaßen der Fall sein. Die zunehmend dokumentierten neurologisch-psychiatrischen Komplikationen nach durchgemachten COVID-19-Infektionen wie chronische Kopfschmerzen, Schwindel und Neuropathien wären dann durch eine fortbestehende Präsenz von SARS-CoV-2 in den betreffenden neuronalen Schaltzentren erklärbar. |
Literatur
[1] Qui C et al. Olfactory and Gustatory Dysfunction as an Early Identifier of COVID-19 in Adults and Children: An International Multicenter Study. Otolaryngology – Head and Neck Surgery. 2020; 163(4): 714-721; doi: https://doi.org/10.1177/0194599820934376
[2] Xydakis MS et al. Smell and taste dysfunction in patients with COVID-19. The Lancet Infectious Diseases. 2020; 20(9): 1015-1016; doi: https://doi.org/10.1016/S1473-3099(20)30293-0
[3] Dias De Melo G et al. COVID-19-associated olfactory dysfunction reveals SARS-CoV-2 neuroinvasion and persistence in the olfactory system; bioRxiv preprint doi: https://doi.org/10.1101/2020.11.18.388819
[4] Sia SF et al. Pathogenesis and transmission of SARS-CoV-2 in golden hamsters. Nature. 2020; 583(7818): 834-838
[5] Imai M et al. Syrian hamsters as a small animal model for SARS-CoV-2 infection and countermeasure development. Proceedings of the National Academy of Science of the United States of America. 2020; 117(28): 16587-16595
[6] Baig AM. Neurological manifestations in COVID-19 caused by SARS-CoV-2. CNS Neuroscience & Therapeutics. 2020; 26(5): 499-501
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