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Pandemie Spezial
Rätsel um Vektorimpfstoff-Komplikationen
Zwei Preprint-Publikationen zu Vaxzevria warten mit neuen Hypothesen auf
Diese Preprint-Publikationen [1, 2] haben ein großes mediales Echo hervorgerufen und für viel Verunsicherung gesorgt (s. a. Kommentar „Fluch und Segen“), weil die in den Publikationen diskutierten Hypothesen als Tatsachen gewertet wurden. Zusammengefasst werden derzeit drei Punkte diskutiert, die Erklärungen zum einem für ausgeprägte Impfreaktionen, aber auch für seltene thrombotische Ereignisse liefern könnten.
Inzwischen geht auch die EMA davon aus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Verabreichung der vektorbasierten COVID-19-Impfstoffe von AstraZeneca (Vaxzevria) oder Janssen und seltenen schwerwiegenden Thrombosen in Verbindung mit Thrombopenie besteht.
Punkt 1: VITT
Hintergrund ist unter anderem die von Prof. Dr. Andreas Greinacher von der Universitätsmedizin Greifswald publizierte Hypothese, nach der Adenovirus-Vektor-basierte Impfstoffe das Risiko für VITT (Vaccine-induced Immune Thrombotic Thrombocytopenia) erhöhen – ausgelöst durch Adenovirus- und/oder andere Plättchenfaktor-4(PF4)-DNA-Interaktionen. Schon im März hatte man in Greifswald bei den seltenen schweren Nebenwirkungen unter dem Impfstoff von AstraZeneca eine Analogie zu den heparininduzierten Thrombozytopenien vermutet, die schließlich den Namen VITT erhielt [1] (s. a. „HIT mimicry durch AZD 1222“ in DAZ 2021, Nr. 12, S. 30).
Punkt 2: Die Verunreinigungen
Aus pharmazeutischer Sicht ist ein weiteres Ergebnis aus Greifswald besonders interessant: „Das Ausmaß der akuten Entzündungsreaktion, die durch die Impfstoffkomponenten induziert wird, scheint ein wichtiger – und potenziell behebbarer – Faktor zu sein, der durch die Reduzierung von Verunreinigungen und das Weglassen von EDTA verringert werden könnte“.Zu den Einschränkungen der Studie zähle aber, dass die detaillierten Spezifikationen des ChAdOx1 nCov-19-Impfstoffs nicht öffentlich verfügbar seien und die potenziellen Auswirkungen von vorgefundenen etwa 35 – 40 µg humanen Zellkulturproteinen (als Verunreinigung aus der Produktionszelllinie T-REx HEK-293) pro Impfdosis von den zuständigen Zulassungsbehörden noch bewertet werden müssten.
Diese also schon in Greifswald erkannten Proteinverunreinigungen haben nun aktuell durch eine Preprint-Publikation der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Stefan Kochanek aus Ulm, begleitet von einer Pressemitteilung der Universität Ulm, medial eine größere Aufmerksamkeit erfahren. Hier wurde darauf aufmerksam gemacht, dass in den Untersuchungen der Proteingehalt pro Impfdosis deutlich über den theoretisch zu erwartenden 12,5 µg liege. In einer genauer untersuchten Charge habe er sogar 32 µg betragen. Die Arbeitsgruppe von Kochanek hatte für die Preprint-Publikation drei Chargen der AstraZeneca-Vakzine untersucht und unter anderem auch Hitzeschockproteine identifiziert. Für Kochanek ein Problem, da diese angeborene und erworbene Immunantworten modulieren und bestehende Entzündungsreaktionen verstärken könnten. Zudem seien sie mit Autoimmunreaktionen in Verbindung gebracht worden.
Wie Greinacher gegenüber dem Science Media Center anlässlich der neuesten Ergebnisse aus Ulm erklärte, hatte ihm Kochanek den entscheidenden Hinweis gegeben, Untersuchungen auf Verunreinigungen durchzuführen. „Die Ulmer Arbeitsgruppe hat jetzt unabhängig von unserem Labor sehr ähnliche Ergebnisse gefunden, was aus wissenschaftlicher Sicht erst einmal sehr gut ist.“
Das Ausmaß der Fremdproteine in Vaxzevria lässt die Frage nach der Qualität aufkommen. Prof. Dr. Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin, äußerte sich dazu gegenüber dem Science Media Center wie folgt: „Natürlich können Produktions- und Aufreinigungsprozesse verbessert werden. Aber je weiter man ein Produkt aufreinigt, desto mehr Verlust werden Sie auch haben, und am Ende entsteht weniger Produkt. Die Frage bleibt bestehen, ob es überhaupt nötig ist, das Produkt weiter aufzureinigen und ob diese ‚Verunreinigungen‘ überhaupt von Relevanz sind.“ Für Kochanek weist das Maß der Verunreinigung jedoch darauf hin, dass die bislang bei der Qualitätskontrolle eingesetzten Verfahren offenbar nicht ausreichen.
Punkt 3: Das Spleißproblem
Dass Herstellungsprozess und Qualitätskontrolle von Herstellern und Behörden doch noch einmal genauer betrachtet werden sollten, darauf weist – wenn auch aus anderem Grund – mittlerweile noch ein weiteres Preprint aus Frankfurt von Prof. Dr. Rolf Marschalek hin. An diesem ist ebenfalls die Ulmer-Arbeitsgruppe von Kochanek beteiligt. Marschalek, Professor für Pharmazeutische Biologie in Frankfurt, ist zuständig für die Kommunikation rund um die neueste Publikation. Darin kann man nachlesen, dass bislang zwar erklärt werden kann, wie es zur vakzininduzierten Thrombozytopenie kommt, allerdings sei unklar, wie es schließlich verzögert zu den seltenen und schwerwiegenden Thrombosen kommt. Vermutet wird, dass das Problem der vektorbasierten COVID-19-Impfstoffe darin besteht, dass die adenovirale, für das Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus kodierende DNA – anders als bei mRNA-Impfstoffen – im Zellkern in RNA übersetzt werden muss. Dabei kann die entstandene RNA, die schließlich den Bauplan für das Antigen liefert, weiter „zugeschnitten“ werden (sogenanntes Spleißen). Solche Spleiß-Ereignisse können zu Spike-Proteinvarianten führen, die den wichtigen Membrananker verloren haben, mit denen das Spike-Protein auf der Zelloberfläche präsentiert wird. Lösliche Spike-Proteine, die sezerniert werden, sind die Folge. Es sei beschrieben worden, dass diese löslichen Proteine beispielsweise eine starke Entzündungsreaktion nach Bindung an den ACE-2-Rezeptor von Endothelzellen in Blutgefäßen verursachen können („Vaccine-Induced COVID-19 Mimicry” Syndrome). So ließen sich mit der systemischen Verfügbarkeit des Spike-Proteins auch bei einer schweren COVID-19-Infektion die thromboembolischen Ereignisse erklären. Selbst Pseudoviren mit Spike-Protein auf der Oberfläche würden – wenn systemisch verfügbar – starke Entzündungsreaktionen in Geweben und Endothelzellen verursachen.
Den neuesten Preprint-Publikationen zufolge lässt sich beeinflussen, ob und wo die RNA geschnitten wird. Bei dem Vektor-Impfstoff von Janssen (Johnson & Johnson) soll die Spleiß-Problematik schwächer ausgeprägt sein als bei Vaxzevria von AstraZeneca.
Komplikationen: Zusammenspiel der drei Hypothesen?
Auf Anfrage hat Marschalek die drei Punkte nochmals eingeordnet: „Ich denke, dass die Kombination aus VITT (Greinacher, Greifswald), den starken Verunreinigungen im Impfpräparat (Kochanek, Ulm) und der von uns aufgezeigte Mechanismus des Spleißens des Spikeproteins (Marschalek, Frankfurt) zusammen einen Beitrag leistet, damit in seltenen Fällen diese Thrombosen auftreten (nicht nur Hirnvenen-Thrombosen). Alle diese Dinge sind wichtig: Autoantikörper gegen PF4, eine starke inflammatorische Reaktion und die C-terminal verkürzten Spike-Proteinvarianten.“
Das PEI war informiert
Inzwischen hat sich auch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) gegenüber der DAZ zu den Preprint-Publikationen geäußert. Die Publikationen seien dem Institut bekannt, zu klären sei nun, ob ein ursächlicher Zusammenhang besteht. „Die in die Diskussion gebrachten Fremdproteine in Vaxzevria (Kochanek) oder die Bildung löslichen Spike-Proteins (Marschalek) müssen daher ebenso wie andere Ursachen weiter untersucht werden“, so das PEI.
Alle bisher freigegebenen Chargen des Impfstoffs Vaxzevria von AstraZeneca würden jedenfalls den vor der Zulassung untersuchten und in der Zulassung festgelegten Anforderungen genügen. Zu den Fremdproteinen äußert sich das PEI wie folgt: „Eine akzeptable Menge an verunreinigenden Fremdproteinen, die aufgrund des Herstellungsprozesses Bestandteil des Impfstoffprodukts sein können, ist bei Impfstoffen nicht unüblich und stellt per se, wie in den nichtklinischen und klinischen Prüfungen bestätigt, kein Risiko dar.“ Vor der Chargenfreigabe erfolge eine experimentelle Überprüfung des Impfstoffs im Rahmen des OMCL(Official Medicines Control Laboratory)-Netzwerks durch ein unabhängiges Kontrolllabor (das Paul-Ehrlich-Institut ist eines der OMCL) und eine nationale Chargenfreigabe für Deutschland durch das Paul-Ehrlich-Institut, wird zudem erklärt. Das PEI verweist auch darauf, dass die COVID-19 Vaccine Janssen (Johnson & Johnson) herstellungsbedingt eine geringere Menge Fremdprotein aufweise. Dennoch seien ebenfalls sehr seltene Fälle von Thrombosen mit Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) gemeldet worden. Zudem seien dem Paul-Ehrlich-Institut weitere Untersuchungen zu möglichen Mechanismen, die den TTS nach Gabe bestimmter COVID-19-Impfstoffe zugrunde liegen könnten, bekannt „und werden sicher in Kürze veröffentlicht“. Man darf also gespannt sein auf neue Erkenntnisse von Behörden und Wissenschaft. Baldige Aufklärung ist gefordert, angesichts der Hypothese und Forderung, dass die Impfstoffe auf Herstellerseite optimierbar sein könnten und optimiert werden müssten. Die EMA hatte im März keine Hinweise auf einen Zusammenhang von Impfkomplikationen mit bestimmten Chargen des Impfstoffs oder der Herstellung finden können. Das könnte, wie die Ulmer-Arbeitsgruppe postuliert, auch an den Analysemethoden gelegen haben. |
Literatur
[1] Krutzke L, Rösler R, Wiese S, Kochanek S. Process-related impurities in the ChAdOx1 nCov-19 vaccine. Research Square. DOI: 10.21203/rs.3.rs-477964/v1
[2] Kowarz E, Krutzke L, Reis J, Bracharz S, Kochanek S, Marschalek R. „Vaccine-Induced Covid-19 Mimicry“ Syndrome: Splice reactions within the SARS-CoV-2 Spike open reading frame result in Spike protein variants that may cause thromboembolic events in patients immunized with vector-based vaccines.Research Square. DOI: 10.21203/rs.3.rs-558954/v1
[3] Greinacher A et al. Towards Understanding ChAdOx1 nCov-19 Vaccine-induced Immune Thrombotic Thrombocytopenia (VITT). Research Square Page2/13Keywords: VITT, PF4, COVID-19, AstraZeneka vaccine, DOI: 10.21203/rs.3.rs-440461/v1
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