Pandemie Spezial

Impfung für Schwangere rückt näher

Das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe ist erhöht – mRNA-Impfstoffe scheinen sicher

Von Ralf Schlenger | Deutsche gynäkologische Fachorganisationen sprechen sich offen für eine priorisierte COVID-19-Schutzimpfung für schwangere und stillende Frauen mit einer mRNA-basierten Vakzine aus. Aktueller Anlass sind vorläufige Daten aus den USA, wonach diese bei Schwangeren so wirksam und sicher erscheinen wie bei Nicht-Schwangeren. Mangels kontrollierter Studien bleibt aber die Ständige Impfkommission (STIKO) derzeit bei ihrer „Kann“-Impfempfehlung für besonders gefährdete Schwangere.

In Deutschland haben Schwangere in der Versorgungsrealität meist keinen Zugang zu einer COVID-19-Immunisierung, monieren in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom 4. Mai 2021 elf Fachverbände aus den Bereichen Gynäkologie, Geburtshilfe, Pränatal- und Geburtsmedizin [1]. „Die Auswertung der wissenschaftlichen Daten zeigt uns, dass eine Impfung aller Schwangeren äußerst sinnvoll wäre“, sagt Prof. Dr. Anton J. Scharl, Präsident Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG e. V.). „Denn allein das Frühgeburtsrisiko liegt bei COVID-19 positiv getesteten Frauen bis zu 80% höher als bei gesunden Schwangeren. Hinzu kommen zahlreiche weitere Risiken für die nicht geimpfte erkrankte Mutter und ihr ungeborenes Kind.“ Der aktuellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) folgend gilt bisher für die COVID-19-Impfung: Schwangeren mit Vorerkrankungen und daraus resultierendem Risiko für eine schwere COVID-19-Erkrankung oder mit einem erhöhten Expositionsrisiko aufgrund ihrer Lebensumstände kann nach Nutzen-Risiko-Abwägung und nach ausführlicher ärztlicher Aufklärung eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ab dem zweiten Trimenon angeboten werden [2]. Eine generelle Impfempfehlung wird weiterhin nicht ausgesprochen.

Foto: Marina Demidiuk/AdobeStock

Schwerere Verläufe, mehr Komplikationen

Mehrere Länder empfehlen mittlerweile die allgemeine oder priorisierte COVID-19-Impfung von Schwangeren, unter anderem Belgien, die USA, Israel und Großbritannien. Dass eine SARS-CoV-2-Infektion Schwangere erheblich zusätzlich gefährden kann, belegte zuletzt ein Research Letter einer amerikanischen Forschungsgruppe um Karola S. Jering [3]. Über 406.000 Schwangere wurden zum Geburtszeitpunkt nach einer Rekrutierung im April bis November 2020 – also bereits zu Pandemiezeiten – auf Assoziationen zwischen ihrem COVID-19-Status und den Outcomes untersucht. Die 6380 (1,6%) SARS-CoV-2-positiven Schwangeren erlitten laut den Kodierungsdaten im Vergleich zu negativ getesteten Schwangeren doppelt so häufig eine venöse Thromboembolie (0,2% vs. 0,1%) und deutlich mehr Herzinfarkte (0,1% vs. 0,004%), ihr Risiko für Präeklampsie oder Frühgeburt war mäßig erhöht (Odds Ratio 1,21 bzw. 1,17), die Mortalität hingegen drastisch: 141/100.000 Schwangere mit COVID-19-Erkrankung verstarben, im Vergleich zu 5/100.000 unter den Nicht-Infizierten. Die bis zu 26-fach erhöhte Sterblichkeit stimmt laut dem Positionspapier der deutschen Fachgesellschaften mit Daten des deutschen CRONOS-Registers überein. Hier waren im April 2021 1905 SARS-CoV-2-positive Schwangerschaften dokumentiert. Unter ihnen mussten 4% intensivmedizinisch betreut und rund 1% beatmet werden. Eine Schwangere starb.

Auf Basis aktueller Studien fasst das Positionspapier der gynä­kologischen Fachgesellschaften weitere Risiken einer SARS-CoV-2-Infektion/COVID-19-Erkrankung in der Schwangerschaft zusammen [4]:

  • im Vergleich zu gleichaltrigen Nicht-Schwangeren ist sechsmal häufiger eine intensivmedizinische Betreuung und 23-mal häufiger eine Beatmung notwendig;
  • das Risiko für eine Präeklampsie oder für eine Frühgeburt ist nach SARS-CoV-2-Infektion jeweils um 80% erhöht, bei schweren COVID-19-Verläufen um den Faktor 4;
  • die Rate an thromboembolischen Ereignissen ist bei SARS-CoV-2-Infektion 4,5-fach höher;
  • die Rate an Totgeburten ist verdoppelt;
  • Neugeborene werden dreimal häufiger auf eine neonatologische Intensivstation verlegt.

Wie sind Sicherheit und Wirksamkeit der COVID-19-Impfung derzeit zu beurteilen?

Trotz der offenkundig erhöhten Risiken ist die Nutzen-Risiko-Abwägung bei der Impfung Schwangerer doppelt prekär: Jede Impfung stellt einen Eingriff am gesunden Menschen dar, in der Schwangerschaft sogar bei zweien, von denen der Fetus besonders vulnerabel ist, besonders im ersten Trimenon. Kontrollierte Phase-III-Daten fehlen, da Schwangere und Stillende in den Zulassungsstudien für COVID-19-Impfstoffen ausgeschlossen waren. Die Autoren des deutschen Positionspapiers beziehen sich auf Beobachtungsstudien und teils auf noch nicht publizierte, hochrangige Arbeiten. Hauptaussagen, die sich auf den Einsatz der mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna beziehen, sind:

  • Laut einer Forschungsgruppe der Harvard Medical School, Boston, führt die Impfung mit mRNA-Vakzinen bei Schwangeren und Stillenden zu einer vergleichbar robusten Antikörperbildung wie bei Nicht-Schwangeren, bei ähnlichem Nebenwirkungsprofil. Die Immunantwort nach der Impfung übersteige jene nach natürlicher Infektion [5].
  • Nach vorläufigen Daten der amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) führt die COVID-19-Impfung von Schwangeren mit mRNA-basierten Impfstoffen nicht vermehrt zu schwangerschaftsspezifischen Komplikationen wie Abort, Totgeburt, Frühgeburt, fetale Wachstumseinschränkung, Fehlbildungen oder neo­natales Versterben. Basis sind amerikanische systematische Nachbeobachtungen an über 4700 geimpften Schwangeren [6].
  • Gemäß einer Stellungnahme des European Network of ­Teratology (ENTIS) ist das Morbiditäts- oder Mortalitäts­risiko für die Schwangere oder die Feten nicht erhöht. Basis sind Nachbeobachtungen von weltweit mehr als 40.000 geimpften Schwangeren [7].
  • Auch in der Stillzeit sei die COVID-19-Impfung sicher und vorteilhaft: mRNA-basierte Impfstoffe könnten eine Nestimmunität hervorrufen, da impfinduzierte Antikörper in der Muttermilch nachweisbar sind [5].
  • Stillpause oder Stillverzicht sind nicht erforderlich, da die mRNA des Impfstoffes nicht in der Muttermilch nachgewiesen wurde. Die Quelle dieser Aussage ist der Pre-Print einer Studie mit n = 6 stillenden Müttern, deren Milch 4 bis 48 Stunden nach der Impfung gesammelt worden war [8].

Divergente Schlussfolgerungen

Auch wenn es über die derzeit gültige STIKO-Empfehlung hinausgeht, konsentieren die Fachgesellschaften zur Frage der COVID-19-Impfung von Schwangeren und Stillenden: „In informierter partizipativer Entscheidungsfindung und nach Ausschluss allgemeiner Kontraindikationen wird empfohlen, Schwangere priorisiert mit mRNA-basiertem Impfstoff gegen COVID-19 zu impfen. Um Schwangere auch indirekt zu schützen, wird weiterhin die priorisierte Impfung von engen Kontaktpersonen von Schwangeren, insbesondere deren Partnerinnen und Partnern, sowie Hebammen und Ärztinnen und Ärzten empfohlen“ [4].

Die STIKO hingegen betont in ihrer aktuellen Pressemitteilung vom 10. Mai 2021, dass bis dato keine Erkenntnisse aus kontrollierten Studien zum Einsatz der COVID-19-Impfstoffe in der Schwangerschaft vorliegen. Alleine auf Grundlage der kürzlich publizierten Beobachtungen aus den USA werde man keine generelle Impfempfehlung für Schwangere aussprechen [2]. |

Literatur

[1] Gynäkologische Fachorganisationen empfehlen die COVID-19-Schutzimpfung für schwangere und stillende Frauen. Pressemitteilung Berufsverband der Frauenärzte e. V. (BVF), Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG), Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin e. V. (DGPM), Deutsche Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin e. V. (DGPGM), AG Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der DGGG e. V. (AGG) und weiterer Fachgesellschaften, 4. Mai 2021, https://idw-online.de/de/news?print=1&id=768127

[2] STIKO zum Einsatz der COVID-19-Impfstoffe in der Schwangerschaft, Pressemitteilung des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 10. Mai 2021

[3] Jering KS et al. Clinical Characteristics and Outcomes of Hospitalized Women Giving Birth With and Without COVID-19. JAMA Intern Med 2021;181(5):714-717. doi:10.1001/jamainternmed.2020.9241

[4] Empfehlung der COVID-19-Impfung für schwangere und stillende Frauen. Konsentiertes Positionspapier, Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG), Stand: Mai 2021, www.dggg.de/fileadmin/documents/stellungnahmen/aktuell/2021/COVID-19_Impfung_bei_schwangeren_und_stillenden_Frauen.pdf

[5] Gray KJ et al. COVID-19 vaccine response in pregnant and lactating women: a cohort study. Journal Pre-Proof To appear in: American Journal of Obstetrics and Gynecology. 22. März 2021, https://doi.org/10.1016/j.ajog.2021.03.023

[6] Shimabukuro TT et al. Preliminary Findings of mRNA Covid-19 Vaccine Safety in Pregnant Persons. NEJM 21. April 2021, DOI: 10.1056/NEJMoa2104983

[7] The European Network of Teratology Information Services, ENTIS: position statement on COVID-19 vaccines during pregnancy and lactation. 14. April 2021

[8] Golan Y et al. COVID-19 mRNA vaccine is not detected in human milk . MedRxiv, doi: https://doi.org/10.1101/2021.03.05.21252998

Autor

Ralf Schlenger ist Apotheker und arbeitet als freier Autor und Medizinjournalist in München.

Keine verpflichtende Immunisierung

Schwangere und Impfung ist für viele ein heikles Thema. Zwar erkranken schwangere Frauen nicht häufiger an COVID-19, aber wenn sie erkranken, kann der Verlauf unter Umständen deutlich schwerer sein. Wie man verunsicherte Frauen beraten kann, darüber sprachen wir mit Dr. med. Janine Zöllkau vom Universitätsklinikum Jena, Klinik für Geburtsmedizin. Sie ist wissenschaftliche Ansprechpartnerin zum Positionspapier der gynäkologischen Fachgesellschaften.

Foto: UKJ Jena

Dr. med. Janine Zöllkau

DAZ: Warum werden mRNA-basierte Vakzinen für die Impfung Schwangerer propagiert, keine Vektor- oder andere Vakzinen?

Dr. Janine Zöllkau: In den im Positionspapier referenzierten Studien wurden die mRNA-basierten Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna eingesetzt, die auch in Deutschland verfügbar sind. Da die Untersuchungsergebnisse sich sämtlich auf diese beziehen, ist nur hierfür eine Aussage möglich. Für Vektorimpfstoffe liegen derzeit keine vergleichbaren Daten vor. Auch wenn das Fehlen von Evidenz nicht die Evidenz fehlenden Nutzens oder den Nachweis von Risiken bedingen kann, muss die Datenlage dynamisch betrachtet werden. Im Alterssegment der Frauen im reproduktionsfähigen Alter (in der Regel unter 60 Lebensjahren) wird nach Diskussion der seltenen Komplikation einer Sinusvenenthrombose in der Versorgungsrealität keine Impfung mit Vektorimpfstoffen zustande kommen.

 

DAZ: Gilt die Impfempfehlung während der gesamten Schwangerschaft, das heißt schon nach der Konzeption, wenn sich der Fetus in seiner vulnerabelsten Phase befindet? Gibt es keine Kontraindikation?

Zöllkau: Die Datenlage erlaubt derzeit keine Aussage zu einem optimalen Impfzeitpunkt, also weder für noch gegen einen bestimmten Zeitraum. Die verfügbaren Untersuchungen beziehen sich zumeist auf Impfungen im (zweiten und) dritten Trimenon und auf die ausgetragenen Schwangerschaften. Ergebnisse der Nachbeobachtungen von früher oder prä-(perikonzeptionell) geimpften Schwangeren dürfen nach abgeschlossener Schwangerschaft erwartet werden. Auch das deutsche CRONOS-Register erfasst und wertet Impfungen in der Schwangerschaft aus. Die Zulassungsstudien für Schwangere befinden sich (leider nicht in Deutschland) in der Rekrutierungsphase. In der Routine als praktikabel scheint sich „ab dem zweiten Trimenon“ zu handhaben, da die Organogenese dann weitestgehend abgeschlossen ist. So lautet auch die aktuelle STIKO-Empfehlung.

DAZ: Bei der Impfung wird mRNA in Muskelgewebe injiziert. Es wird diskutiert, ob nicht dosisabhängig mRNA ins Blut gelangen und diaplazentar den Fetus erreichen könnte. Kann man hier unerwünschte Interaktionen völlig ausschließen?

Zöllkau: Nukleinsäuren wie auch RNA sind in der Lage, die uteroplazentare Einheit in beiden Richtungen zu passieren. Im Fall fetaler DNA in der mütterlichen Zirkulation liegen diese zum einen in deutlich größerer Menge vor und sind zum anderen biologisch stabiler als ein mRNA-­Molekül. Bei der COVID-19-Impfung wird einerseits nur eine begrenzte Menge mRNA intramuskulär injiziert, die außerdem von Lipidnanopartikeln umhüllt sind, die eine Zellinternalisierung der mRNA bewirken. Tierexperimentelle Daten zeigen einen Verbleib der (im Rahmen solcher Untersuchungen markierten mRNA) im Muskel der Injektion sowie in den ersten drainierenden Lymphknoten. Die hypothetisch im Blutkreislauf – und damit für den transplazentaren Übertritt verfügbare – mRNA-Menge wäre minimal bis nicht existent und zudem bei Körpertemperatur und im biologischen System Mensch weniger stabil. Gehen wir in diesem Gedankengang jedoch einmal von einem transplazentaren Übertritt einer mRNA zum Feten aus, so gibt es für eine mRNA keinen Weg, in das Genom der Zelle integriert zu werden. Hierzu wäre zunächst die Rückprozessierung zu DNA erforderlich und des Weiteren der Eintritt in den Zellkern und die Integration in das Genom.

 

DAZ: Was würden Sie skeptischen Schwangeren sagen, die naturgemäß gegen Eingriffe in ihren Körper psychisch und physisch sehr sensibel sind und ein „Unbehagen“ gegen eine Impfung haben?

Zöllkau: Keinesfalls sollte es eine verpflichtende Immunisierung von Schwangeren geben. Impfangebote sind jedoch so zu realisieren, dass Schwangere nicht grundsätzlich von Impfprogrammen ausgeschlossen werden. Sie sollten auch in Hochrisikosituationen, wie bei bestehendem Diabetes mellitus Typ 1, Hypertonus, fortgeschrittenem Lebensalter, hohem BMI oder vorbestehenden Schwangerschaftsrisiken Zugang zu einer Impfung erhalten. Mein Standpunkt in der Debatte ist es, individuell – also unter Berücksichtigung persönlicher Wünsche, Ängste und Risiken für Infektion, Erkrankung und Schwangerschaftskomplikationen – zu beraten. Dabei sollen vertrauensvoll und behutsam die verfügbaren Erkenntnisse und deren Limitationen, daraus resultierende Sorgen und Wünsche für oder gegen eine Immunisierung besprochen werden, so dass eine tragfähige Entscheidung entsteht.

DAZ: Dr. Zöllkau, vielen herzlichen Dank für das Gespräch!

 

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