Arzneimittel und Therapie

Eine unterschätzte Gefahr!

Supplemente interagieren häufig mit Onkologika

Vier von fünf Krebspatienten nehmen neben ihrer Chemotherapie regelmäßig pflanzliche Präparate, Vitamine oder Mineralstoffe ein und unterschätzen dabei häufig das mögliche Interaktionspotenzial der scheinbar harmlosen Supplemente. Wie hoch die Gefahr wirklich ist und wo man als Apotheke seriöse Daten zur Abschätzung des Interaktionspotenzials finden kann, lesen Sie im Folgenden.

Die Medikation von Tumorpatienten besteht während der aktiven Krankheitsphase in der Regel aus zytotoxischen Wirkstoffen und Supportiva zur Kontrolle unerwünschter Wirkungen. Hinzu kommt bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck oder Fettstoffwechsel­störungen eine Dauermedikation mit mehreren Arzneimitteln. Ferner nehmen in den USA schätzungsweise mehr als 60% der Krebspatienten zusätzlich OTC-Präparate, pflanzliche Arzneimittel, Supplemente oder Nahrungsergänzungsmittel ein. Mit jedem zusätzlichen Medikament wächst die Wahrscheinlichkeit von Arzneimittelinteraktionen. Hinzu kommt, dass Wirkungen und Interaktionen vieler pflanzlicher Präparate und Nahrungsergänzungsmittel nur unzureichend bekannt sind und deren Einnahme dem Therapeuten oftmals verschwiegen werden. Um sich ein genaueres Bild von der Medikation von Tumor­patienten und den damit verbundenen Interaktionen zu machen, wertete ein Studienteam die gesamte per Telefoninterview ermittelte Medikation von 67 Brust- oder Prostatakrebspatienten vor, während und sechs Monate nach der Chemotherapie aus.

Foto: JPC-PROD/AdobeStock

79% der Tumorpatienten schätzen die gleichzeitige Anwendung von Supplementen und Kräutermischungen während der Chemotherapie als harmlos ein.

Vorsicht in akuter Chemotherapiephase

Die Studienteilnehmer gaben an, während des gesamten Zeitraums zwischen zwei und 28 (Median: elf) verschiedene Arzneimittel, Supplemente oder Kräutermischungen eingenommen zu haben. Während der Chemotherapiephase war die Anzahl der angewandten Arzneimittel mit sieben am höchsten (zwischen 2 und 22). Vor der Chemotherapie waren es im Median drei Arzneimittel und in dem Zeitraum nach der Chemotherapie fünf. Vier von fünf Krebspatienten nahmen mindestens ein Mittel der integrativen Therapie wie pflanzliche Präparate, Vitamine oder Mineralstoffe ein. Potenzielle Interaktionen wurden mithilfe von drei unterschiedlichen Inter-aktionsprogrammen festgestellt. Bei der Gesamtheit der Studienpopulation wurden 1747 potenzielle Interaktionen ermittelt, 635 davon erstreckten sich über den gesamten Zeitraum. Die meisten von ihnen wurden während der Chemotherapiephase registriert.

Patienten aktiv ansprechen

Die häufigsten Interaktionen traten zwischen verschreibungspflichtigen Wirkstoffen auf, gefolgt von Interaktionen aufgrund der Einnahme von pflanzlichen Präparaten und Supplementen. Rund die Hälfte der Interaktionen wurde von den Studienautoren als moderat eingestuft. Mehr als ein Drittel der Interaktionen (38%) wurde als schwerwiegend erachtet. Die Anwendung von therapieergänzenden Mitteln durch den Patienten stieg von 51% während der Chemotherapie auf 66% nach der Chemotherapie, was mit einer erhöhten Prävalenz von Inter­aktionen aufgrund integrativer Mittel (46% bis 60%) korrelierte. Patienten, die regelmäßig Supplemente oder Kräutermischungen einnahmen, wiesen ein höheres Risiko für eine gravierende Interaktion auf als Patienten, die keine integrativen Mittel einnahmen. Dabei stuften die meisten Anwender (79%) die ergänzenden Therapeutika fälschlicherweise als wechselwirkungsarm ein. Immerhin hatten 79% die Einnahme der Supplemente mit einem ihrer behandelnden Ärzte abgesprochen, wobei das Beratungsgespräch eher von den Ärzten als von den Patienten (56 vs. 33%) angestoßen worden war. Dies stellt die Wichtigkeit einer aktiven Ansprache der betroffenen Patienten heraus [1].

Vorsicht vor Vitamin B17 und bitteren Aprikosenkernen

Foto: Sergey/AdobeStock

Häufig fragen Krebspatienten in der Apotheke nach Vitamin B17. Hiervon ist dringend abzuraten: Bei Vitamin B17 handelt es sich nämlich keinesfalls, wie der Name vermuten lässt, um ein Vit­amin, sondern um Amygdalin, einen Inhaltsstoff von bitteren Aprikosenkernen. Amygdalin wird im Darm zu Blausäure verstoffwechselt und kann schwere Vergiftungen hervorrufen. Vit­amin-C-Präparate, die ebenfalls häufig in der komplementären Therapie eingesetzt werden, erhöhen dabei noch die Toxizität von Amygdalin. ­Geringe Mengen werden vom Körper selbst abgebaut, daher sollten laut Krebsinformationsdienst nicht mehr als zwei Aprikosenkerne pro Tag verzehrt werden. Hinweise, dass Amygdalin tatsächlich einen protektiven oder heilenden Effekt auf Krebserkrankungen hat, gibt es jedoch nicht.

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie (PRIO) in der Deutschen Krebsgesellschaft zu Vitamin B17 (Amygdalin)

Wo finde ich seriöse Informationen?

Die Daten zeigen, dass zahlreiche Tumorpatienten Mittel der integrativen Medizin anwenden und diese mit einem erhöhten Risiko für Interaktionen verbunden sein können. Allerdings sind zuverlässige Daten und Bewertungen hierzu nicht immer leicht zu finden. Dies gilt in besonderem Maße für mögliche Interaktionen zwischen Mitteln der integrativen Medizin und zytotoxischen Mitteln der Schulmedizin. Die Konsultation folgender Quellen kann weiterhelfen:

Datenbank des US-amerikanischen Sloan Kettering Cancer Centers: Umfassende Datenbank zu zahlreichen Aspekten einer Tumorerkrankung wie etwa zu einzelnen Tumorentitäten, Studien, Anlaufstellen, Ernährung und integrativer Medizin. In dem Teil zur integrativen Therapie finden sich ausführliche Informationen zu diätischen Mitteln, Supplementen und pflanzlichen Mitteln. Es sind 277 Monografien aufgeführt mit Informationen für den Patienten und Fachkreise unter anderem mit Indikation, klinischen Daten (falls vorhanden), Wirkmechanismus, Nebenwirkungen, Warnhinweisen und Interaktionen sowie Referenzangaben [2].

Datenbank der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO): Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie hat eine Kooperation mit dem europäischen Projekt CAM-Cancer („Concerted Action for Complementary and Alternative Medicine Assessment in the Cancer Field“) gegründet. Im Rahmen dieser Kooperation werden deutsche Übersetzungen der CAM-Cancer Summaries in Onkopedia, einem Portal der DGHO zur Erstellung und Veröffentlichung von Leitlinien, eingestellt. Es handelt sich dabei vorwiegend um strukturierte Übersichts­arbeiten, in denen Daten zu Grundlagen und Anwendung komplementärmedizinischer Verfahren in Form kurzer Monografien aufbereitet wurden [3, 4].

Zum Vormerken: Die kommentierte, aber einsehbare Konsultationsfassung der S3-Leitlinie „Komplementärmedizin für onkologische Patientinnen und Patienten“ befindet sich aktuell noch in Bearbeitung. Mithilfe der Leitlinie sollen die wichtigsten zur komplementären und alternativen Medizin zählenden Methoden, Verfahren und Substanzen nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin bewertet werden [5]. |
 

Literatur

[1] Lee RT et al. Prevalence of potential interactions of medications, including herbs and supplements, before, during, and after chemotherapy in patients with breast and prostate cancer. Cancer 2021. doi: 10.1002/cncr.33324

[2] Search About Herbs. Informationen des Memorial Sloan Kettering Cancer Centers, www.mskcc.org/cancer-care/diagnosis-treatment/symptom-management/integrative-medicine/herbs/search, Abruf am 26. April 2021

[3] Complementary and Alternative Medicine for Cancer. Informationen des National Research Center in Complementary and Alternative Medicine (NAFKAM), https://cam-cancer.org/en, Abruf am 26. April 2021

[4] Komplementäre und alternative Therapieverfahren. Informationen der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. www.onkopedia.com/de/news/komplementaere-und-alternative-therapieverfahren, Abruf am 26. April 2021

[5] Leitlinie Komplementärmedizin. Informationen der Deutsche Krebsgesellschaft e. V. www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/komplementaermedizin/, Abruf am 26. April 2021

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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