E-Rezept

„Eher ein langsames Hochfahren“

ABDA-IT-Experte Sören Friedrich zum E-Rezept-Startschuss am 1. Juli

eda | „Hier wird gerade ein Hauptprozess im deutschen Gesundheitswesen digitalisiert“, macht Sören Friedrich im Gespräch mit der DAZ deutlich. Der IT-Experte der ABDA ist für die Apothekerschaft maßgeblich an der Entwicklung des E-Rezeptes beteiligt, und sieht diesen Prozess noch längst nicht am Ziel.

Viele Fragen rund um die elektronischen Verordnungen könnten erst nach dem Startschuss am 1. Juli endgültig beantwortet werden, doch mit den Modellprojekten wie ­GERDA in Baden-Württemberg oder dem E-Rezept-Pilotprojekt Berlin/Brandenburg hätte der Berufsstand bereits wichtige Weichen stellen können. Demgegenüber steht die Absage der gematik an den Deutschen Apothekerverband (DAV), der sich eigentlich die Hoffnung gemacht hatte, die eine E-Rezept-App für das Gesundheitswesen zu entwickeln. Über diese und viele weitere Aspekte im Hinblick auf die Einführung des E-Rezeptes haben wir mit ABDA-IT-Experte Friedrich im Rahmen eines Interviews gesprochen.

Foto: ABDA

ABDA-IT-Experte Sören Friedrich setzt sich für ein Fokusgebiet ein, in dem ab Juli eine konkrete Auswahl an Apotheken und Arztpraxen das E-Rezept weitergehend testen sollen.

DAZ: Herr Friedrich, ab Juli könnten die Apotheken in Deutschland erstmals mit elektronischen Verordnungen außerhalb von Modellprojekten in Berührung kommen. Wie optimistisch sind Sie, dass dieser Stichtag und dieses Versprechen eingehalten werden?
Friedrich: Wir stehen natürlich in enger Abstimmung mit der gematik und den Softwarehäusern. Die Warenwirtschaftsanbieter der Apotheken sind auf jeden Fall zum 1. Juli „E-Rezept-ready“ – allerdings an der einen oder anderen Stelle noch nicht auf allerhöchstem Niveau, wie wir das sonst gewohnt sind. Wo es tatsächlich noch zu Problemen kommen könnte, ist aufseiten der Praxisverwaltungssysteme in den Arztpraxen. Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass der ursprüngliche verpflichtende gesetzliche Termin 1. Januar 2022 – unter anderem auch für die Anpassung der Systeme – nun um ein halbes Jahr vorgezogen wurde. Das wird dazu führen, dass nicht jede Arztpraxis direkt in der Lage sein wird, elektronische Verordnungen auszustellen.

DAZ: Das heißt, es wird eher unwahrscheinlich sein, dass die Apotheken im Sommer flächendeckend und regelmäßig mit E-Rezepten in Berührung kommen?
Friedrich: Das kann man derzeit nicht abschließend bewerten. Man muss auch realisieren, dass hier gerade ein Hauptprozess im deutschen Gesundheitswesen digitalisiert werden soll. Die Arzneimittelversorgung ist ein äußerst umfangreicher und komplexer Vorgang. Es würde also nicht genügen, wie bisher, nach einem sechs­wöchigen Feldtest großzügig zu skalieren. In dem halben Jahr zwischen Juli und Januar sollte es eher ein langsames Hochfahren geben. Aktuell setzen wir uns stark dafür ein, dies alles zunächst in einem Fokusgebiet durchzuführen und zu begrenzen – mit einer konkreten Auswahl an Apotheken und Arztpraxen.

„Erst mittels App kann das E-Rezept all seine tatsäch­lichen Vorteile entfalten.“

DAZ: Ein weiteres Modellprojekt während der Regelversorgung?
Friedrich: Ich bezeichne es als Fokusregion, in der wir untersuchen sollten, wie sich die Prozesse bei den Ärzten und in den Apotheken tatsächlich verändern und wie der Austausch untereinander über die Patienten stattfindet. Unseres Erachtens nach wäre Berlin/Brandenburg die ideale Region, weil dort sowohl ein urbaner Bereich vorhanden ist und man zusätzlich territorial in die Breite gehen könnte.

DAZ: Aber wäre das nicht ein fatales Signal an die Ärzte und Apotheken in der restlichen Republik, die sich unter finanziellen und personellen Aufwendungen in den letzten Jahren auf diesen Stichtag vorbereitet haben?
Friedrich: Ganz so pessimistisch sehe ich das nicht, der gesetzliche Stichtag wird ja realisiert. Vielleicht sind die meisten Heilberufler auch ganz froh, dass alle relevanten Prozesse noch mal genau analysiert werden. Sollte etwas nicht funktionieren, sind die Leidtragenden nämlich die Patienten. Vor diesem Hintergrund sollte ein Regelbetrieb erst mal in geordneten Bahnen angefangen und begleitet werden.

„Auch gewisse bürokratische Hürden müssen weiter abgebaut werden, um die Patienten-App wirklich nutzbar zu machen.“

DAZ: Welchen Beitrag bzw. Input haben eigentlich Modellprojekte wie GERDA in Baden-Württemberg oder das E-Rezept-Pilotprojekt Berlin/Brandenburg geleistet?
Friedrich: Die Errichtung eines E-Rezept-Fachdienstes durch eine wirtschaftende Tochter des DAV wurde in Baden-Württemberg sehr erfolgreich begonnen und in Berlin/Brandenburg fortgesetzt. Die gematik betreibt nun ebenfalls einen Fachdienst, wählt konzeptionell allerdings einen anderen Ansatz. In Berlin/Brandenburg haben wir darüber hinaus mit einer anderen E-Rezept-Methodik gearbeitet, und zwar wurde per Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eine signierte PDF-Datei übertragen. Die gematik hat sich für einen strukturierten Datensatz und gegen eine echte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung entschieden. Dabei wird durch die gematik sichergestellt, dass ein vergleichbares Sicherheitsniveau erreicht wird.
Wir haben in Berlin/Brandenburg festgestellt, dass die qualifizierte elektronische Signatur eine Hürde darstellt, weil sie in der Arztpraxis bei jeder Verordnung erbracht werden muss. Dies unterstreicht die Forderung der Ärzteschaft, dass es sogenannte Komfort-Signaturen geben muss, die das Unterzeichnen deutlich erleichtern. Wir unterstützen dies, denn für Apotheken ist die Funktion ebenfalls relevant. Das soll bis zum 1. Juli auch umgesetzt werden. Außerdem haben die Patienten unsere App sehr geschätzt. Den Barcode aufzunehmen und vorzuzeigen, hat sich bewährt.
Verordnungsdatensatz und Dispensierdatensatz wurden durch die gematik weitestgehend übernommen. Was fehlt, sind unkomplizierte Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Apotheke und Arztpraxis. Auch gewisse bürokratische Hürden zwischen Patienten und Krankenkassen müssen weiter abgebaut werden, um die Patienten-App wirklich nutzbar zu machen. Man denke an den Versand von PIN-Nummern an die Versicherten durch die Krankenkassen, damit diese sich mit ihrer elektronische Gesundheitskarte über die E-Rezept-App in der Telematikinfrastruktur authenti­fizieren können.

DAZ: Auch der Deutsche Apotheker­verband (DAV) macht sich für die App-basierte Lösung stark. Zeitweise machte man sich sogar die Hoffnung, die E-Rezept-App für das deutsche Gesundheitswesen entwickeln zu dürfen. Welche Vorteile bietet denn solch eine Anwendung im Gegensatz zum Ausdrucken der 2D-Codes des E-Rezeptes oder dem Abrufen der Verordnungs­daten über die elektronische Gesundheitskarte (eGK)?
Friedrich: Erst mittels App kann das E-Rezept all seine tatsächlichen Vorteile entfalten. Denken Sie an die Verfügbarkeitsanfrage und Vorabüber­tragung an die Apotheke oder an das Apothekenverzeichnis, in dem gelistet wird, welche Apotheke wann geöffnet hat, wo man sie findet und ob beispielsweise ein Botendienst angeboten wird. Das sind echte Mehrwerte für die Patienten.

DAZ: Das Bundesgesundheitsministerium hat ja nun die gematik beauftragt, die eine E-Rezept-App zu entwickeln. Zunehmend sieht es aber so aus, dass jede gesetzliche Krankenkasse, jeder Versender und selbst die Apothekerschaft an eigenen Anwendungen basteln. Steuern wir auf Wild-West-Verhältnisse zu?
Friedrich: Das mag auf den ersten Blick so wirken. Es gibt viele Drittanbieter-Apps auf dem Markt und in der Entwicklung. Die haben meist die folgende Systematik gemeinsam: „Ich fotografiere etwas – das Muster 16 – und schicke es durch die Gegend.“ Also die klassische „Voranfrage“-Funktion. Das mag im Rahmen einer rudimentären Umsetzung der heutigen Prozesse auch attraktiv sein. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es eigentlich um die sichere Übertragung von qualifizierten beziehungsweise echten E-Rezepten gehen wird. Daher ist in meinen Augen auch die aktuell noch vorgesehene „Teilen“-Funktion in der gematik-App unzweckmäßig und ich erwarte eine sinnvolle Regelung in der ausstehenden Rechtsverordnung. Einerseits sollen digitale Verordnungsdaten in einer Hochsicherheitsinfrastruktur bewegt werden. Andererseits wird mit der Funktion ermöglicht, dass Zugangsinformationen zu E-Rezepten in ungeprüfte Kanäle geraten. Wenn sich das „Teilen“ aber tatsächlich durchsetzen sollte, dann wird natürlich auch der DAV darauf vor­bereitet sein.

DAZ: Sie als IT-Experte haben diese Bedenken, aber meinen Sie wirklich, diese Ansicht vertreten große Teile der Bevölkerung? Man will doch die smarteste und bequemste Lösung, und wenn ein Anbieter dann noch gewisse Mehrwerte verspricht, kann es sein, dass man sich für die weniger sichere Anwendung entscheidet, oder nicht?
Friedrich: Ehrlich gesagt wüsste ich gar nicht, was eine Drittanbieter-App für Vorteile hat. Wenn ich als Patient das dringende Bedürfnis habe, meine E-Rezepte nicht nur in meiner Vor-Ort-Apotheke einzulösen, sondern auch dem Versandhandel zukommen zu lassen, dann kann ich das auch über die gematik-App machen. Für den Weg der Verordnungen von der Arztpraxis zur Apotheke bringen Drittanbieter-Apps keine echten Vorteile – bestenfalls helfen sie, gegen das gesetzliche Makelverbot zu verstoßen und Patienten mit gewissen Prämien bei der Einlösung der Rezepte anzulocken.

DAZ: Jüngst hat die ABDA ja erneut auf die offene Flanke beim Makel- und Zuweisungsverbot hingewiesen. Politisch und juristisch lässt sich bekanntlich auch vieles fordern. Wie ist Ihre Haltung als „Techniker“ dazu? Können wir alles absichern?
Friedrich: Ich denke schon. Nehmen wir als Beispiel das Online-Banking. Dort ist es nicht möglich, die Banking-Token mittels anderer Apps zu teilen. Inzwischen muss man sich ja sogar auf bestimmte Endgeräte festlegen, mit denen man Transaktionen managen darf. Das ist eine ganz spezielle Systematik, und die ließe sich auch für die E-Rezepte in der gematik-App umsetzen. Technisch ist das kein Hexenwerk.

DAZ: Schätzungen gehen davon aus, dass die meisten E-Rezept-Patienten nach wie vor persönlich in die Apotheke kommen werden. Warum wird vonseiten der Apothekerschaft die Bedeutung der eGK in dem Kontext nicht aufgewertet?
Friedrich: Die eGK hat durchaus ihre Bedeutung im Hinblick auf das E-Rezept. Stand heute benötigen die Ver­sicherten ihre eGK noch, um sich zumindest einmalig für die E-Rezept-App zu authentifizieren. Außerdem ist vorgesehen, dass zukünftig auch die Möglichkeit bestehen soll, per eingesteckter eGK in der Apotheke die Verordnungen vom E-Rezept-Dienst ab­rufen zu können. Es steht also ein Mechanismus in Aussicht, bei dem die eGK eine wichtige Rolle bei der Übertragung von E-Rezepten ohne App einnehmen soll. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass man statt der Lösung mit dem Papier-E-Rezept von Anfang an auf die eGK gesetzt hätte. Den Token auf dem Zettel hätte man auch auf der eGK abspeichern können, die jeder GKV-Versicherte ohnehin bei sich trägt. Zur Not könnten Patienten ihre Karten auch Angehörigen mitgeben.

DAZ: Was meinen Sie, warum man sich vonseiten des Ministeriums und der gematik dagegen entschieden hat?
Friedrich: Vermutlich aufgrund von Übergabemechanismen und Spezifikationsänderungen. Wenn das Betriebssystem der eGK zwingend aktualisiert werden muss, dann dauert es einfach sehr lange, Millionen von Karten im Feld auszutauschen. Zudem ist in den Gesetzen eine sehr dichte Taktung vorgesehen, welche Anwendungen zu welchem Zeitpunkt dem Gesundheitssystem zur Verfügung stehen sollen. Auf der Basis war die papierbezogene Token-Übermittlung ein probates Mittel zur schnellen Umsetzung. Zudem steht auf dem Zettel ja immer auch für alle lesbar, was für den Patienten verordnet wurde. Das erleichtert das Handling und die Akzeptanz, es gibt ja auch eine gewisse Informationspflicht dem Patienten gegenüber.

DAZ: Müssten die Apotheken nicht weitergehende technische Voraussetzungen schaffen, dass Patienten ihre E-Rezept-Tokens – gerade in der Pandemie – kontaktlos überbringen können? Wie sieht es mit einer Refinanzierung dieser Komponenten aus?
Friedrich: Genau das spiegelt wunderbar die Vorstellung des DAV wider. Wir befinden uns nämlich gerade in laufenden Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband genau über diese Thematik. Ein Handscanner könnte dem pharmazeutischen Personal im Handverkauf hierbei weiterhelfen, sodass man nicht immer auf den Scanner auf oder hinter dem HV-Tisch angewiesen ist.

DAZ: Sonderbar ist ja, dass die Abrechnung der E-Rezepte außerhalb der Telematikinfrastruktur abläuft. Erklären Sie uns bitte, warum das so ist?
Friedrich: Weil es das Gesetz so vorsieht. Die gematik ist nur für den Bereich der Verordnung bis hin zur Abgabe zuständig, und soll den sicheren Datenaustausch innerhalb der Telematikinfrastruktur regeln. DAV und GKV-Spitzenverband hingegen müssen sich zu Abrechnungsmodalitäten verständigen. Dabei muss ich betonen, dass die derzeit bestehenden Abrechnungsprozesse schon stark digitalisiert waren und wir nur ein kleines Stück digital ergänzen mussten. Der gesamte Abrechnungsweg wäre ja schon längst digital gewesen, der Medienbruch wurde lediglich durch das Muster-16-Rezept verursacht.

DAZ: Kommen wir abschließend zum angekündigten DAV-Verbändeportal: Sie wollen damit ja einerseits die Verbindung zwischen Apotheken und Verbänden herstellen und andererseits auch ein Angebot der Apotheken für ihre Kunden schaffen. Wie lässt sich das zur gematik-App abgrenzen?
Friedrich: Sämtliche Dienstleistungen, die die Apotheken heute schon erbringen, sollen aus der anlogen Form digital übersetzt werden können. Derzeit etablieren wir beispielsweise einen Kommunikationsdienst, der dieselbe technologische Plattform eines späteren, in der Telematikinfrastruktur umzusetzenden Dienstes nutzt. Wir planen aber, weitaus mehr anzubieten wie Terminmanagement, Telepharmazie oder auch den Austausch von Dokumenten für die Beratung. Es soll die Kunden noch näher und komplett digital an die Apotheken binden. Sollte die endgültige Rechtsverordnung zum E-Rezept tatsächlich die „Teilen“-Funktion beinhalten, wird es dieses Angebot selbstverständlich auch bei uns geben. Ansonsten bleibt die Bereitstellung der E-Rezepte natürlich Aufgabe der gematik-App.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch. |

 

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