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E-Rezept

Ausnahme mit gefährlicher Hintertür?

Legale E-Rezept-Zuweisung und mögliche Folgen

tmb | Wer länger über das E-Rezept nachdenkt, findet umso mehr relevante Anwendungsvarianten, die nun zunehmend beachtet werden. Das ist dringend nötig, wenn das E-Rezept praktisch funktionieren soll. Doch dabei muss auch bedacht werden, ob damit möglicherweise ungewollt gefährliche Hintertüren geöffnet werden, die zuvor geplante Sicherheitsmechanismen aushebeln. Ein Fall, bei dem auch solche unerwünschten Effekte denkbar sind, ist die Zuweisung von E-Rezepten durch den Arzt.

Die übergeordneten Regularien für das E-Rezept stehen in Gesetzen und Verordnungen. Doch auch die Spezifikationen der Gematik enthalten viele wichtige Vorgaben. Sie wenden sich insbesondere an die Anbieter der Software für Arztpraxen und Apotheken, die den Alltag mit dem E-Rezept wesentlich bestimmen wird. Die gematik veröffentlicht Entwurfsversionen solcher Spezifikationen, damit sich die Beteiligten frühzeitig darauf einstellen können, beispielsweise die Featurespezifikation „E-Rezept: Workflow-Steuerung durch Leistungserbringer“ vom 18. Februar 2021 (siehe https://fachportal.gematik.de/downloadcenter/vorabveroeffentlichungen). Sie befindet sich nach jüngsten Angaben der gematik weiterhin im Kommentierungsverfahren mit den Gesellschaftern.

Ausnahme für Zyto-Rezepte

In der Spezifikation geht es um einen Spezialfall für den Umgang mit E-Rezepten. Als Normalfall ist vorgesehen, dass nur der Patient das E-Rezept einer Apotheke zuweisen kann. Doch als Ausnahme soll auch die „Steuerung durch Leistungserbringer“ technisch ermöglicht werden. Gemeint ist die Zuweisung von E-Rezepten vom verordnenden Arzt an eine bestimmte Apotheke. Dies ist für einige parenterale Zubereitungen, insbesondere Zytostatika, die nur in bestimmten Apotheken hergestellt werden können, gemäß § 11 Apothekengesetz vorgesehen. Dies soll auch für E-Rezepte über solche Zubereitungen ermöglicht werden. Gemäß dem Spezifikationsentwurf wird vorausgesetzt, „dass vorab eine Abstimmung zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat und diese vom Arzt dokumentiert worden ist“. Damit erschöpfen sich die rechtlichen Anmerkungen. Alle weiteren Ausführungen beziehen sich nur auf die technischen Aspekte. Es wird also vorausgesetzt, dass die technischen Möglichkeiten nur im Rahmen der zulässigen Ausnahmen vom Zuweisungsverbot genutzt werden. Es werden jedoch keine technischen Sicherungen dazu erwähnt oder gar verlangt.

Anforderungen an die Umsetzung

Vielmehr wird in der „User Story“ für den Arzt beschrieben, in bestimmten Fällen möchte der Arzt ein E-Rezept „unkompliziert“ einer Apotheke direkt zuweisen und dabei eine bestimmte „Stammapotheke“ auswählen können. Der Patient soll diese Verordnungen nicht löschen und sie auch nicht selbst einer Apotheke zuweisen können. Für diese Verordnungen soll auch eine automatische Zuweisung möglich sein, die dem Arzt wiederholte Arbeitsschritte erspart. Dies soll an die Praxismitarbeiter delegiert werden können. Der Arzt soll stets über den Bearbeitungsstatus dieser Verordnungen informiert werden, beispielsweise wenn die Apotheke geliefert hat oder nicht liefern kann. Die Apotheke soll zu diesen Verordnungen mit dem Arzt und nicht mit dem Patienten kommunizieren. Dazu soll die Apotheke dem Arzt auf dem Übermittlungsweg antworten können, auf dem der Arzt das Rezept zugewiesen hat. Der Patient soll auch für diese Verordnungen die volle Transparenz haben, die Rezepte ansehen und alle Zugriffsprotokolle einsehen können, aber nicht benachrichtigt werden, wenn das Arzneimittel abgegeben wurde oder das Rezept nicht beliefert werden kann. Dies alles ist inhaltlich auf Zytostatika-Zubereitungen zugeschnitten, technisch läuft es aber auf eine weitere Verordnungsoption für den Arzt hinaus. Damit kommt auf die Anbieter der Arztsoftware die große Verantwortung zu, diese Option so zu gestalten, dass der Verordner die Besonderheit deutlich erkennt. Im derzeitigen Praxisbetrieb sind Verordnungen über Zytostatikazubereitungen sicherlich in einen besonderen Ablauf eingebettet. Doch die Spezifikation beschreibt nur die Programmierung eines weiteren Falls. Schlimmstenfalls werden dann in der Benutzeroberfläche des Arztes zwei Optionen mit oder ohne Zuweisung erscheinen, die suggerieren, der Arzt könne hier eine willkürliche Auswahl treffen. Dieses Bild bietet sich dann voraussichtlich auch Ärzten, die nie Zytostatika verordnen. Es bleibt zu hoffen, dass die Software deutlich machen wird, dass die Option der „Steuerung durch Leistungserbringer“ keine Komfortfunktion für den Arzt ist, sondern engen rechtlichen Grenzen unterliegt.

Sichere Zuweisungswege

Auch für den bestimmungsgemäßen Gebrauch ergibt sich noch ein bemerkenswerter Aspekt: Die Spezifikation sieht keinen bestimmten Übermittlungsweg vom Arzt an die Apotheke vor. Vielmehr heißt es in der „User Story“, der Arzt soll den von ihm „gewohnten Standard für die Übermittlung des E-Rezept-Tokens an die Apotheke“ nutzen können. Der Arzt soll den Token beliebig teilen können, beispielsweise durch „Ausdruck oder Weiterleiten in beliebigem Übermittlungsverfahren“. Diese Freiheit wird im Abschnitt über „Sicherheit“ allerdings eingeschränkt. Demnach „muss“ die Arztsoftware „für die Übertragung von E-Rezept-Token ein Verfahren nutzen, dass die sehr hohe Vertraulichkeit des E-Rezept-Tokens und seine Integrität schützt“. Als Beispiele für solche Verfahren werden die „E-Rezept-Nachricht“ und KIM, der sichere E-Mail-Dienst innerhalb der TI, genannt. Demnach können die Anbieter der Arztsoftware innerhalb dieses Rahmens wählen, welche Übermittlungs­wege sie dem Arzt anbieten.

Fazit

Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie vielschichtig die künftige Arbeit mit dem E-Rezept ist. Details können große Folgen haben. Offenbar wird auch den Anbietern der Software große Verantwortung für die Gestaltung des künftigen Alltags und die Wahrung der gesetzlichen Bestimmungen zukommen. |

 

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