Pandemie Spezial

Analgetika, Antipyretika und der Impferfolg

Einfluss auf die Immunantwort vermutlich überbewertet

Fieber soll man nicht zu früh senken, denn es hilft bei der Infekt­abwehr – ein Merksatz, den schon die Großmütter beherzigten. Fest steht, dass die erhöhte Körpertemperatur für pathogene Eindringlinge unbehaglicher ist, aber ergeben sich dadurch auch förderliche Rahmenbedingungen für die Immunantwort?

Es gibt Hinweise, dass eine erhöhte Körpertemperatur mehr ist als ein vager Ausdruck der Immunreaktion des Organismus. So soll unter anderem die Antikörperproduktion hiervon profitieren. Impfungen verfolgen das Ziel, eine besonders gute Immunantwort auszulösen, und es stellt sich daher die Frage, ob die Abmilderung einer physiologischen Fieberreaktion durch Arzneimittel den Impferfolg abschwächen könnte. Oder haben die durch klassische Analgetika/Antipyretika gehemmten Cyclooxygenasen einen von der Fieberunterdrückung unabhängigen Einfluss auf die fein regulierten Prozesse der Immunantwort?

Verunsichernde Impfreaktionen

Über grippeähnliche Beschwerden, wie Fieber, Myalgien, Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Schmerzen an der Applikationsstelle, klagen aktuell viele Personen in den ersten Tagen nach einer COVID-19-Impfung. Solche vorübergehenden Lokal- und Allgemeinreaktionen stuft die Ständige Impfkommission (STIKO) als übliche Impfreaktionen ein, welche gemäß STIKO-Kriterien für gewöhnlich ein bis drei Tage andauern [1]. Nur Reaktionen, die über das übliche Maß hinausgehen, sind laut Infektionsschutzgesetz (IfSG § 6 Abs. 1, Nr. 3) meldepflichtig und gelten als Verdacht auf eine Impfkomplikation [1, 2].

Teilweise fielen die Beschwerden nach einer COVID-19-Impfung oder Berichte darüber aber so stark aus, dass Arbeitgeber empfahlen, nicht alle Beschäftigten eines Bereiches oder einer Schicht gleichzeitig zu impfen, um mögliche Arbeitsausfälle kompensieren zu können. Impfkandidaten waren zunehmend verunsichert, was auf sie zukommen würde und wie man die zu erwartenden Impfreaktionen abmildern könnte, andere lehnten ein Impfangebot ab. Auch in Apotheken gingen Anfragen ein, ob es sinnvoll und unbedenklich sei, prophylaktisch analgetisch und/oder antipyretisch wirksame Arzneimittel vor der Impfung einzunehmen. Es galt, neben der Frage der Sinnhaftigkeit und des Nutzens abzuwägen, ob dieses Vorgehen gesundheitliche oder immunologische Nachteile mit sich bringen würde. Diskussionswürdig ist das Argument, dass sich bei vorbeugender Arzneimitteleinnahme mit dem Ziel der Abmilderung von Impfreaktionen auch eine Möglichkeit eröffnen würde, die Akzeptanz der Impfung bei Personen zu erhöhen, die diesbezüglich Ängste oder Sorgen in sich tragen.

Foto: Irina Shatilova - stock.adobe.com

Mahnende Worte

Wie immer bei starken Impfreaktionen stellt sich die bis heute nicht völlig geklärte Frage, ob COX-Hemmstoffe die Immunantwort abschwächen. So äußerte sich auch Professor Thomas Herdegen, Klinischer Pharmakologe aus Kiel, im Ärzteblatt zu der Thematik [3]. Seiner Ansicht nach sei derzeit noch unklar, ob und wie stark nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR) eine klinisch relevante Reduktion der Immunantwort hervorrufen würden. Weitere Wissenschaftler und Organisationen riefen zur Vorsicht auf und empfahlen, Analgetika und Antipyretika nur bei Auftreten von nicht tolerablen Impfreaktionen anzuwenden.

Studie zu Paracetamol bei Kindern

Ursprung der Annahme, dass eine vorbeugende Paracetamol-Gabe die Antikörperantwort nach einer Impfung beeinflussen könnte, ist eine Veröffentlichung im Fachjournal Lancet aus dem Jahr 2009. Tschechische Wissenschaftler untersuchten an Säuglingen im Alter von drei bis fünf Monaten und bei Booster-Impfungen dieser Kinder im Alter von zwölf bis 15 Monaten die Effekte einer prophylaktischen (gleichzeitigen) Gabe des Antipyretikums auf die Körpertemperatur und auf immunologische Parameter verschiedener Vakzine [4]. Unmittelbar nach der Impfung erhielten die Kinder der Verumgruppe eine körpergewichtsadaptierte rektale Paracetamolgabe, gefolgt von zwei bis drei weiteren Dosen im Abstand von sechs bis acht Stunden am Tag der Impfung. Als Vergleichsgruppe dienten Kinder, die standardmäßig keine Paracetamol-Prophylaxe erhielten, aber die Möglichkeit hatten, bei aufkommenden (Fieber-)Reaktionen mit dem Antipyretikum behandelt zu werden. Gemessen wurde der Einfluss der Arzneimittelgabe auf Körpertemperaturen ab 38,0 °C am Tag der Impfung und auf die Antikörpertiter der verabreichten Pneumokokken-, Diphtherie-, Tetanus-, Pertussis-, Hepatitis B-, Poliomyelitis-, Haemophilus influenzae Typ b- und Rotavirus-Antigene, jeweils nach einmonatiger Wartezeit nach der Erst- und der Boosterimpfung.

Antikörpertiter verringert, Schutz dennoch vorhanden

Die geometrischen Mittelwerte der Antikörpertiter der mit Paracetamol behandelten Kinder waren bei Pneumokokken, Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Haemophilus influenzae Typ b zwar nach der Erstimpfung signifikant niedriger als die der nicht behandelten Kinder, dieser Effekt verflüchtigte sich aber nach der Auffrischimpfung (die in der Verumgruppe ebenfalls Paracetamol-begleitend erfolgte) in den meisten Fällen. Danach konnte nur noch für Tetanus und einige Pneumokokken-Subtypen ein statistisch signifikanter Unterschied im Anti­körpertiter zwischen beiden Gruppen festgestellt werden [4]. Eine weitere Auswertung ergab, dass das Ausmaß der Booster-Reaktion (Anstieg der Antikörperkonzentrationen von vor bis nach der Auffrischimpfung) und somit die sekundäre Immunantwort durch die prophylaktische Paracetamol-Gabe nicht beeinträchtigt wurde. Besonders wichtig ist aber die Feststellung, dass mindestens 96% aller Kinder beider Gruppen bereits nach der Erstimpfung seroprotektive Antikörperkonzentra­tionen aufwiesen beziehungsweise ­seropositiv, also geschützt waren. Die Reduktion in der primären Antikörperantwort, repräsentiert durch niedrigere Antikörpertiter in der Verumgruppe, war somit klinisch keinesfalls bedeutsam.

Offizielle Empfehlungen

In den offiziellen Aufklärungsmerkblättern zur Impfung gegen COVID-19, die in Zusammenarbeit mit dem Robert Koch-Institut entwickelt wurden, werden Impfreaktionen beschrieben und im Falle des Auftretens – also nicht prophylaktisch – folgende Optionen aufgezeigt: „Bei Schmerzen oder Fieber nach der Impfung können schmerzlindernde / fiebersenkende Medikamente (z. B. Paracetamol) eingenommen werden.“ [7, 8]. Zur Dosierung werden keine Angaben gemacht, im Aufklärungsmerkblatt zu Vektorimpfstoffen heißt es lediglich: „Zur Linderung möglicher Beschwerden kann ein schmerzlinderndes / fiebersenkendes Medikament in der empfohlenen Dosierung eingenommen werden.“ [8].

Fieber nicht ausschlaggebend

Die Autoren kamen auch zu dem Schluss, dass es bei den Immunantworten keinen Unterschied machte, ob Kinder gefiebert hatten oder nicht. Paracetamol war für die Unterschiede in den Antikörpertitern verantwortlich, unabhängig davon, ob es Fieber unterdrückt hatte [4]. In ihrer Diskussion führen die Autoren an, dass Paracetamol möglicherweise direkte Effekte auf B-Zellen ausüben könnte, da diese Cyclooxygenase-2 zur maximalen Antikörperproduktion benötigen würden. Auch Nachteile durch die Reduktion inflammatorischer Signale auf Antigen-präsentierende dendritische Zellen, eine direkte T-Zell-Hemmung und Einflüsse auf das Endocannabinoidsystem durch Paracetamol werden von anderen Autoren diskutiert, zum Teil stammen die Daten aus in-vitro- oder Tierstudien [4, 5, 6]. Man sollte aber bedenken, dass die Immunantwort nicht nur am Tag der Impfung stattfindet, sondern sich über Tage und Wochen entwickelt. Daher können potenzielle Einflüsse bei punktueller Paracetamolgabe, die gleichzeitig oder kurz nach der Impfung erfolgt, vermutlich vernachlässigt werden, zumal Paracetamol auch über eine kurze Halbwertszeit verfügt.

Ungeklärte Fragestellungen

Interessant wäre aber vor diesem Hintergrund eine Untersuchung, welche Effekte die chronische Analgetika-/Antipyretikaeinnahme auf die Immunantwort des Körpers hat. Auch ist unklar, ob die Ergebnisse dieser Studie, die mit Kindern durchgeführt wurde, auf Erwachsene, auf Immunsupprimierte, auf Ältere und auf nicht in der Studie untersuchte Impfstoffantigene übertragbar sind und ob durch andere Antiphlogistika ähnliche Effekte zu erwarten sind. Für die aktuelle Diskussion scheint aber die grundlegende Erkenntnis hilfreich, dass trotz prophylaktischer Paracetamolgabe seroprotektive Antikörpertiter bei allen untersuchten Impfantigenen bei Kindern erreicht wurden. Es müsste „nur“ noch geklärt werden, welche Antikörpertiter für einen wirksamen Schutz vor COVID-19 erforderlich sind und wie das Immunsystem von Erwachsenen auf eine kurzfristige und eine chronische Analgetikaeinnahme reagiert.

Daten aus den Niederlanden

Sicherlich macht man nichts falsch, wenn man die anlassbezogene/therapeutische Einnahme von Analgetika oder Antipyretika bei eintretenden Impfreaktionen empfiehlt. Eine niederländische Studie konnte bei jungen Studierenden zeigen, dass die Hepatitis-B-Antikörpertiter nur statistisch signifikant reduziert waren, wenn Paracetamol prophylaktisch zeitgleich zur Impfung eingesetzt wurde (jeweils 1000 mg zu den Zeitpunkten 0, 8 und 16 Stunden nach der Impfung). Bei einer um sechs Stunden verschobenen Gabe (jeweils 1000 mg zu den Zeitpunkten 6, 14 und 22 Stunden nach der Impfung), die die therapeutische Gabe nachempfinden sollte, war zwar ebenfalls eine Reduktion der Antikörpertiter nachweisbar, diese war aber nicht statistisch signifikant [6]. Unabhängig davon, ob eine prophylaktische, eine um sechs Stunden verschobene oder keine Paracetamol-Gabe erfolgte, am Ende hatten alle Probanden nach Abschluss der Immunisierung schützende Antikörperspiegel. |

Literatur

[1] Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut – 2020/2021. Epid Bull 2020;34:1-68 | DOI: 10.25646/7083.7

[2] Infektionsschutzgesetz (IfSG) (§ 6 Abs. 1, Nr. 3). https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__6.html (Zugriff am 31.03.2021)

[3] Lenzen-Schulte M. COVID-19: Paracetamol & Co gegen Impfnebenwirkungen nicht zu früh einnehmen. Dtsch Arztebl 2021; 118(12):A-620/B-523. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/121976/COVID-19-Paracetamol-Co-gegen-Impfnebenwirkungen-nicht-zu-frueh-einnehmen (Zugriff am 31.03.2021)

[4] Prymula R et al. Effect of prophylactic paracetamol administration at time of vaccination on febrile reactions and antibody responses in children: two open-label, randomised controlled trials. Lancet 2009;374(9698):1339–50

[5] Caballero FJ et al. The acetaminophen-derived bioactive N-acylphenolamine AM404 inhibits NFAT by targeting nuclear regulatory events. Biochem Pharmacol 2007;73(7):1013-23. doi: 10.1016/j.bcp.2006.12.001.

[6] Doedée AMCM et al. Effects of Prophylactic and Therapeutic Paracetamol Treatment during Vaccination on Hepatitis B Antibody Levels in Adults: Two Open-Label, Randomized Controlled Trials. PLoS One 2014;9(6):e98175.

[7] Deutsches Grünes Kreuz e. V. und Robert Koch-Institut. AUFKLÄRUNGSMERKBLATT | Schutzimpfung gegen COVID-19 (Corona Virus Disease 2019) – mit mRNA-Impfstoffen. Ausgabe 1 Version 004 (Stand 01.04.2021). https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Materialien/Downloads-COVID-19/Aufklaerungsbogen-de.pdf?__blob=publicationFile (Zugriff am 06.04.2021)

[8] Deutsches Grünes Kreuz e. V. und Robert Koch-Institut. AUFKLÄRUNGSMERKBLATT | Schutzimpfung gegen COVID-19 (Corona Virus Disease 2019) – mit Vektor-Impfstoffen. Ausgabe 1 Version 004 (Stand 01.04.2021). https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Materialien/Downloads-COVID-19-Vektorimpfstoff/Aufklaerungsbogen-de.pdf?__blob=publicationFile (Zugriff am 06.04.2021)

Apothekerin Dr. Verena Stahl, Herdecke

 

COX-Hemmer trotzdem geben!

Ein Gastkommentar

Die heftigen (grippalen) Impfreaktionen, v. a. auf das COVID-19-Vakzin von Astra-Zeneca, haben in vielen Fällen eine krankheitsrelevante Intensität mit mehrtägigen Einschränkungen von beruflichen und privaten Aktivitäten. Dagegen sind wie bei sonstigen Impfreaktionen Hemmstoffe der Cyclooxigenase-2 (COX-Hemmer, NSAR) wie Ibuprofen oder Paracetamol hilfreich. In nebenstehendem Artikel hat Frau Dr. Verena Stahl wie andere Autoren auch [1, 2] die wenigen diesbezüglichen Daten diskutiert, die auf eine nicht-relevante und nur schwache (wenn überhaupt) Verminderung der Impfreaktion deuten. Trotz der offenen Fragen sollten bei Patienten mit Angst vor Impfreaktionen oder bei notwendiger Vermeidung von Impfreaktionen COX-Hemmer gegeben werden. Hilfreich wäre es, die Daten über Studienteilnehmer mit präemptiver Gabe von Paracetamol zu bekommen [2], und Immunologen sollten uns die mögliche Rolle der COX-2 bei den COVID-Vakzinen erklären, u. a. inwieweit es sich bei den grippeähnlichen Nebenwirkungen um eine Immunreaktion des Körpers auf das Vakzin oder um die beginnende Immunantwort des Körpers auf die neu produzierten Spike-Proteine handelt.

Literatur

[1] Lenzen-Schulte M. COVID-19: Dtsch Arztebl 2021; 118(12):A-620/B-523. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/121976/COVID-19-Paracetamol-Co-gegen-Impfnebenwirkungen-nicht-zu-frueh-einnehmen (Zugriff am 31.03.2021)

[2] Etminan M, Sodhi M, Ganjizadeh-Zavareh S. Should Antipyretics Be Used to Relieve Acute Adverse Events Related to Coronavirus Disease 2019 Vaccines? Chest. 2021 Feb 5:S0012-3692(21)00254-3. doi: 10.1016/j.chest.2021.01.080. Epub ahead of print. PMID: 33549598; PMCID: PMC7862017

 

Weiterer Beitrag des Pandemie Spezials in DAZ 2021, Nr. 14

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