Pandemie Spezial

Mehr „Durchwurschteln“ als Plan

Woran es bei der Pandemiebekämpfung aktuell hapert – ein Meinungsbeitrag

Die Corona-Pandemie wütet nun bereits seit über einem Jahr auf der ganzen Welt, mit verheerenden Folgen für Gesundheit und Gesellschaft. Die Menschen sind müde. Müde von der Pandemie, müde von den Ängsten, müde von den Einschränkungen, von denen einige gut und ­einige weniger gut begründet sind. Neben gesundheitlichen Folgen bis hin zum Tod kämpfen viele um ihre wirtschaftliche Existenz oder erleiden gravierende psychische Probleme. Impfungen sind in dieser Krise der größte Hoffnungsschimmer am Horizont, und es ist beeindruckend, mit welcher Geschwindigkeit hochwirksame und gleichzeitig sichere Impfstoffe entwickelt und getestet wurden. Doch nun stockt auch und gerade in dem ansonsten als so effi­zient geltenden Deutschland – „Musterschüler“ der ersten Welle – die Durchimpfung der Bevölkerung und überhaupt der Kampf gegen die Pandemie und deren Folgen. Die Regierenden verspielen dabei gerade das wichtigste Kapital im Kampf gegen die Pandemie: Das Vertrauen der Bevölkerung. Und eine Impfpflicht oder auch nur die Diskussion darüber sind dabei wenig hilfreich.

„Eine Impfpflicht ist nur scheinbar eine erfolgversprechende ­Lösung: Gerade weil eine Mehrheit der ­Bevölkerung sie ablehnt, birgt sie das Risiko, Vertrauen in Institutionen und Impfungen weiter zu untergraben.“

Prof. Wolfgang Gaissmaier

Kein Geld für Impfstoffe und Produktionsstätten

Was den Impffortschritt angeht, liegt Deutschland, je nachdem wie man es genau dreht und wendet, derzeit irgendwo zwischen dem 40. und 50. Platz im weltweiten Vergleich. Um damit unzufrieden zu sein, muss man gar nicht nach Israel schauen, das diesbezüglich vorbildlich gut durch­organisiert war. Auch im Vergleich zu den USA und Großbritannien sieht Deutschland im Moment nicht gut aus, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt, da die dortigen Regierenden, bzw. bis vor Kurzem Regierenden, durchaus zu Recht für ihren Umgang mit der Pandemie heftig gescholten wurden. Es war zwar sinnvoll, bei der Impfstoffbeschaffung auf Ebene der Europäischen Union gemeinsam vorzugehen. Doch bleibt absolut unverständlich, warum dabei nicht einerseits beherzter Geld für Impfstoffe bereitgestellt und andererseits großzügig der Aufbau von Produktionsstätten unterstützt wurde. Gerade im Verhältnis zu den bereitgestellten Mitteln zur Abmilderung der Pandemiefolgen im hohen dreistelligen Milliardenbereich wären das lächerlich geringe Aus­gaben gewesen. Und das Chaos geht weiter mit angestautem Impfstoff und schwieriger Terminvergabe, begleitet von dem nicht erfüllten Versprechen breit verfügbarer Schnelltests ab März 2021, wo nun auch Discounter und Drogeriemarktketten in die Bresche ­springen.

Fortschreitender Vertrauensverlust

Dazu beobachten wir aktuell ein nicht allzu kreatives „Weiter so“ aus Lockdown und jetzt wieder teilweisen ­Öffnungen – das sieht weiterhin eher nach „Durchwurschteln“ als nach übergeordnetem Plan aus. Gab es vor einem Jahr noch großes Verständnis und große Nachsicht dafür, auf Sicht zu fahren im Lichte der vielen Ungewissheiten, bröckelt nun zunehmend der gesellschaftliche Rückhalt. Den COSMO-Befragungen der Universität Erfurt zufolge sind es dabei insbesondere die Wohlmeinenden, die pandemiebedingte Einschränkungen an sich für notwendig und angezeigt halten, die nun zunehmend das Vertrauen in die Institutionen verlieren.

Dabei ist gerade dieses Vertrauen essenziell für die Bewältigung dieser Krise. So sind Menschen mit höherem Vertrauen sowohl in die Bundesregierung als auch in das Robert Koch-Institut weniger pandemiemüde (und umgekehrt): Sie fühlen sich weniger überfordert davon, sich an die Verhaltensvorschriften zu halten und verlieren weniger ihren Elan beim Ankämpfen gegen das Corona-Virus. Und sie sind auch eher bereit, sich impfen zu lassen, zum effektiven Schutz für sich selbst, aber auch zum solidarischen Schutz der anderen. Inwieweit die bislang zugelassenen Impfungen tatsächlich auch Übertragungen verhindern können, ist zwar noch nicht abschließend wissenschaftlich geklärt, aber die bisherigen Daten rechtfertigen hier durchaus Optimismus. Dieses zwar sinkende, aber immer noch einigermaßen gut ausgeprägte Vertrauen sollte genutzt werden, um all diejenigen, die gerne geimpft werden wollen, schnell zu impfen.

Die endlich beschlossene erweiterte Zulassung des Impfstoffs von Astra­Zeneca auch für Ältere ist dabei sehr hilfreich, ebenso wie ein möglicher Abbau der Impfbürokratie und eine Streckung der beiden erforderlichen Dosen. Eine gewisse Lockerung der Priorisierung könnte ebenfalls helfen, die Durchimpfung zu beschleunigen, z. B. indem man die Impfzentren für alle öffnet, aber eine Überholspur für Risikogruppen einrichtet, wie von Mark Schieritz bei „ZEIT online“ kürzlich vorgeschlagen.

Zum Weiterlesen

In einer Zeit, in der Patienten zunehmend in medizinische Entscheidungen einbezogen werden, ist es angesichts einer zunehmend komplexer werdenden Therapielandschaft umso bedeutsamer, Nutzen und Schaden medizinischer Eingriffe richtig einschätzen und abwägen zu können. In „Achtung Fallstricke“ erklärt Prof. Wolfgang Gaissmaier, wie ein besserer Umgang mit Risiko in der Medizin gelingen kann (DAZ 2019, Nr. 11, S. 50).

Wenig hilfreiche Debatten

In diesem Zusammenhang war es wenig hilfreich, dass zunächst die Rückgabe von Grundrechten als „Impfprivilegien“ verunglimpft wurden und dann auch noch eine Debatte um eine mögliche Impfpflicht losgetreten wurde. Um den Beginn der Impfung herum sind Befragungsdaten bekannt geworden, die darauf hindeuteten, dass im Gesundheitswesen arbeitende Personen der Impfung besonders skeptisch gegenüberstehen, vor allem Pflegekräfte. Impfungen sind für diese Gruppe natürlich besonders stark angezeigt, wiederum sowohl zum Eigen- als auch zum Fremdschutz, so dass es durchaus berechtigt ist, diese Entwicklung mit Sorge zu betrachten.

Aber dass eine der ersten Reaktionen darauf sogleich ein Nachdenken über einen Zwang zur Impfung für bestimmte Berufsgruppen ist, wie zum Beispiel vom bayerischen Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angeregt, erscheint dabei kontraproduktiv und eher geeignet, Reaktanz und Skepsis zu befördern als zu lindern.

Foto: imago images/vmd-images

Eine Impfpflicht ersetzt keine ­vernünftige (Impf-)Strategie

Ja, eine Impfpflicht ist generell rechtlich möglich, wenn auch dem Deutschen Ethikrat zufolge nur für präzise zu definierende Personengruppen wie Multiplikatoren und auch nur bei ausreichend gesichertem Wissen über die neuen Impfstoffe. Um wirksam sein zu können, muss eine Impfpflicht zudem robust genug durchgesetzt werden und darf nicht durch zu viele Ausnahmeregelungen ausgehöhlt werden, wobei medizinisch begründete Ausnahmen natürlich möglich sein müssen. Gleichzeitig erhöht eine robuste Durchsetzung wiederum den Widerstand sowohl gegen diese, aber auch gegen andere Impfungen. Eine Impfpflicht ist daher nur scheinbar eine einfache und erfolgversprechende Lösung. Gerade auch weil eine Mehrheit der Bevölkerung sie ablehnt, birgt sie aber umgekehrt das Risiko, das Vertrauen in Institutionen und Impfungen weiter zu untergraben. Wie fragil und gleichzeitig bedeutsam dieses Vertrauen ist, kann gerade eindrücklich im Zusammenhang mit dem Impfstoff von AstraZeneca beobachtet werden. Erst wurden die Menschen durch eine unglückliche Kommunikation verunsichert, ob dieser Impfstoff nicht am Ende weniger wirksam ist und ihnen sozusagen ein zweitklassiges Produkt angedreht werden soll. Die initialen Daten wiesen tatsächlich auf eine geringere Wirksamkeit in Bezug auf die Verhinderung aller COVID-19-Erkrankungen im Vergleich zu den mRNA-Impfstoffen hin, wobei auch in diesen Daten bereits eine gleichwertige Verhinderung schwerer und tödlicher Verläufe sichtbar wurde, die man hätte besser kommunizieren können. Neuere Daten zeigen nun auch in Bezug auf weniger schwere Verläufe eine ähnliche Wirksamkeit, die wohl sogar von einem größeren Abstand zwischen den zwei Dosen profitieren kann – was wiederum die Möglichkeiten zur Bereitstellung verbessert. Zudem gab es eine verwirrende Debatte um die Wirksamkeit bei über 65-Jährigen und eine zu zurückhaltende Empfehlungspolitik durch die zuständigen Behörden, die zum Glück geändert wurde. In Summe hatte das dann leider dazu geführt, dass die Nachfrage nach diesem zwischenzeitlich in Deutschland besser verfügbaren Impfstoff ­verhaltener war als nötig. Viele Menschen wollten lieber mit anderen Impfstoffen geimpft werden und sich erst einmal hintanstellen, bis das möglich ist. Dabei wird es absehbar durch Mutationen des Virus ohnehin erforderlich sein, Menschen im Lauf der Jahre mehrfach zu impfen. Jetzt zu warten ist daher absolut kontraproduktiv und kostet nicht nur Zeit, sondern auch Menschenleben, Verzweiflung und wirtschaftliche Einbußen.

Foto: imago images/MiS

„Jetzt heißt es erst einmal: Impfen, impfen, impfen, und zwischenzeitlich testen, testen, testen“ – Gaissmaier sieht vieles als erreicht an, wenn all diejenigen geimpft wären, die dazu unmittelbar und gerne bereit sind.

Ein Angebots- und kein Nachfrageproblem!

Was es jetzt dringend braucht, ist eine zügige und unbürokratische Bereitstellung von Impfungen. Dabei könnte Geschwindigkeit bedeutsamer sein als eine perfekt eingehaltene Impfreihenfolge. Trotz aller skizzierten Bedenken haben wir momentan immer noch ein Angebots- und kein Nachfrageproblem: Wenn alle geimpft sind, die dazu unmittelbar und gerne bereit sind, wäre bereits sehr viel erreicht. In der Zwischenzeit kann der nun endlich erfolgende Ausbau von Testmöglichkeiten unsere Probleme etwas abfedern, wobei gewisse Einschränkungen trotz allem erforderlich bleiben werden. Ablenkende Debatten wie die um die Impfpflicht sind dabei zum jetzigen Zeitpunkt wenig hilfreich und können sogar schaden, indem sie Vertrauen untergraben. Gleichzeitig müssen wir natürlich Strategien zur Bekämpfung im Hinterkopf behalten und vorbereiten, für den Fall, dass nach Impfung aller Impfbereiten zu viele Ungeimpfte übrig bleiben, um Herdenimmunität zu erreichen. Doch jetzt heißt es erst einmal: Impfen, impfen, impfen, und zwischenzeitlich testen, testen, testen. |

Prof. Dr. Wolfgang Gaissmaier, 
Fachbereich Psychologie, Sozialpsychologie und 
Entscheidungsforschung, Universität Konstanz

 

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