Pandemie Spezial

Besser als sein Ruf

Der erste vektorbasierte Impfstoff von AstraZeneca verhindert schwere COVID-19-Verläufe

Es wird gerade viel diskutiert über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 im Allgemeinen und über den vektorbasierten Impfstoff von Astra­Zeneca im Speziellen: Erst wurde über deutliche Impfreaktionen wie Fieber berichtet, dann über Fälle von Thromboembolien. Nachdem in einigen skandinavischen Ländern die Impfungen ausgesetzt wurden, haben am Montag, den 15. März 2021, auch die deutschen Behörden vorübergehend die Impfung mit dem ­COVID-19-Impfstoff Astra­Zeneca ausgesetzt. Prof. Dr. Thomas Winckler vom Institut für Pharmazie der Universität Jena versucht zu erklären, woher die Verunsicherung beim AstraZeneca-Impfstoff kommt.

Der Vektorimpfstoff von AstraZeneca wurde von der europäischen Zulassungsbehörde EMA für alle Personen ab einem Alter von 18 Jahren zugelassen. Die EMA hat die Zulassung nicht auf Personen unter 65 Jahren eingeschränkt, obwohl die Datenlage aus der zugrunde liegenden Phase-III-Studie [1] eine Beurteilung der Wirksamkeit für diesen Personenkreis noch nicht abschließend zuließ. Eine Schwäche der von AstraZeneca in verschiedenen Ländern mit fast 9000 Probanden durchgeführten Phase-III-Studie war, dass nur ca. 12% der Probanden älter als 55 Jahre und 4% älter als 70 Jahre waren. Dieser Umstand ließ aufgrund der insgesamt zu geringen Fallzahlen einer symptomatischen COVID-19-Erkrankung als primärem Endpunkt in der Studie keine Beurteilung der Wirksamkeit bei Personen über 55 Jahren zu, während bei den 18- bis 55-Jährigen eine Wirksamkeit von 67% ermittelt wurde. Die Entscheidung der EMA basierte auch auf Daten aus einer Phase-II-Studie mit 560 Personen [2], in der die Antigenität des Impfstoffes untersucht wurde. In der Studie waren 77% der Probanden älter als 55 Jahre und 43% älter als 70 Jahre. Es wurde beobachtet, dass in allen Altersgruppen nach zwei Impfdosen eine sehr ähnliche Bildung von Antikörpern gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2 stattgefunden hatte. Die EMA hat daraufhin argumentiert, dass es aufgrund der vergleichbaren Immunreaktionen in den verschiedenen Altersgruppen unwahrscheinlich sei, dass die Wirksamkeit des Impfstoffes in der Altersgruppe über 65 Jahren wesentlich schlechter ausfallen würde als bei den Jüngeren.

Prof. Dr. Thomas Winckler

Die Ständige Impfkommission (STIKO) hatte zunächst entschieden, keine Empfehlung für die Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff bei Personen über 65 Jahre auszusprechen. Die STIKO spricht bei der Neueinführung eines Impfstoffes immer erst mit einer gewissen Verzögerung Impfempfehlungen aus. In der Zeit werden die Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit eines Impfstoffes sorgfältig geprüft. Insofern entsprach die Entscheidung der STIKO, den AstraZeneca-Impfstoff zunächst nur für Personen unter 65 Jahren zu empfehlen, der üblichen Vorgehensweise. Leider führte diese Entscheidung, auch durch die nachfolgende Berichterstattung in den Medien (z. B. die Falschmeldung von der angeblichen Wirksamkeit von nur 8%), in der Bevöl­kerung zu dem Eindruck, dass der Impfstoff generell „schlechter“ sei als konkurrierende Produkte. Seither gab es Schwierigkeiten, die verfüg­baren Dosen des AstraZeneca-Impfstoffes zu verimpfen, da er in der Bevölkerung nicht akzeptiert wurde.

Der Impfstoff reduziert massiv schwere COVID-19-Verläufe

In Großbritannien sind mittlerweile über 30% der Bevölkerung mit einer ersten Impfdosis versorgt worden. Dabei wurden vor allem der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer und der AstraZeneca-Impfstoff eingesetzt. In einer Pressemeldung [3] hat Astra­Zeneca auf eine noch unveröffentlichte Studie hingewiesen, in der die Wirksamkeit der insbesondere in Schottland durchgeführten Impfungen auf der Basis von ca. 1,1 Millionen Impfungen berechnet wurde, davon ca. 490.000 mit dem AstraZeneca-Impfstoff. In dem Preprint der Studie [4] wird berichtet, dass bereits nach der ersten Dosis die Hospitalisierungen aufgrund einer COVID-19-Erkrankung um 94% reduziert wurden. Nach der ersten Dosis des Biontech/Pfizer-Impfstoffes lag dieser Wert bei 85%. Zusammen genommen können beide Impfstoffe die Zahl der Hospitalisierungen in der besonders von schweren Verläufen der Erkrankung betroffenen Gruppe der über 80-Jährigen um 81% reduzieren. Der AstraZeneca-Impfstoff ist also bemerkenswert wirksam!

Wie groß ist das Risiko für ein thrombotisches Ereignis?

Mit Stand vom 10. März 2021 sind der EMA 30 Fälle von thromboembolischen Ereignissen gemeldet worden – bei über drei Millionen Personen, die in ganz Europa den AstraZeneca-Impfstoff erhalten haben. Diese Zahl ist nicht höher als die Zahl der thromboembolischen Ereignisse, die statistisch zufällig in der exponierten Bevölkerung auch ohne Impfung vorkommen würden. Nach Angaben des Paul-­Ehrlich-Instituts sind in Deutschland bis zum 11. März 2021 insgesamt elf Meldungen über unterschiedliche thromboembolische Ereignisse bei etwa 1,2 Millionen Impfungen berichtet worden. Berücksichtigt werden sollte auch, dass es bei schweren Verläufen von COVID-19, die durch eine Impfung oft verhindert werden können, häufiger zu arteriellen und venösen Thrombosen kommt – teils mit schwerwiegenden Komplikationen einhergehend. Auch wenn es schwierig ist, eine Aussage zum Thrombose­risiko zu treffen, da es an Daten aus großen Studien mangelt, so zeigte doch eine Auswertung von 42 Studien mit insgesamt 8271 stationären Patienten mit SARS-CoV-2, dass die Rate für thromboembolische Komplikationen bei 20% liegt, für pulmonale Embolien bei 13% und für arterielle Thromboembolien bei 2%. Damit treten im Zusammenhang mit COVID-19 deutlich häufiger thromboembolische Komplikationen auf als bei anderen Infektionen. Als mögliche Ursache werden inflammatorische Gefäß­schäden diskutiert, die im Rahmen einer SARS-CoV-2-Virämie durch proinflammatorische Zytokine sowie durch eine ACE2-Rezeptor-vermittelte Endothelinfektion ausgelöst werden.

Kleine Mitteilung: COVID-19-Therapie – Aktuelles zum Stellenwert der Antikoagulation. Der Arzneimittelbrief 2021;55:16-18

Was ist mit Verdachtsfällen von Impfkomplikationen?

Die Meldungen von Impfnebenwirkungen wie lokalen Reaktionen an der Einstichstelle und systemischen Reaktionen wie grippeähnlichen Symptomen, Schüttelfrost und Fieber mit dem AstraZeneca-Impfstoff geben weitgehend die Beobachtungen aus den klinischen Studien wieder. Aufhorchen ließ jedoch das Auftreten einer tödlich verlaufenen Blutgerinnungsstörung und mehrerer Fälle von thromboembolischen Ereignissen in zeitlichem Zusammenhang mit der Verimpfung einer bestimmten Charge des AstraZeneca-Impfstoffes. Die EMA hat Meldungen von 22 Verdachts­fällen thromboembolischer Ereignisse bei ca. drei Millionen Impfungen registriert [5]. Einige Länder wie beispielsweise Dänemark haben die Impfungen mit dieser Charge des Impfstoffes zunächst einmal ausgesetzt [6]. Ob es ­einen kausalen Zusammenhang zwischen den Ereignissen und den ­Impfungen gibt, muss sorgfältig analysiert werden. Sowohl die EMA auf europäischer Ebene als auch das Paul-Ehrlich-Institut befassen sich intensiv mit der Auswertung dieser Meldungen [5, 7]. Ob es sich bei den vom Paul-Ehrlich-Institut berichteten Meldungen zu zerebralen Sinus­venenthrombosen bei Geimpften (sieben Meldungen auf ca. 1,7 Millionen Impfungen) um eine Häufung im Vergleich zur ungeimpften Normalbevölkerung handelt, ist derzeit unklar [10]. Man muss also diese Verdachtsfälle immer auch vor dem Hintergrund einer normalen Inzidenz für solche Ereignisse in der Bevölkerung einordnen. Auch ist zu bedenken, dass im Falle einer COVID-19-Erkrankung das Risiko für thromboembolische Ereignisse bei Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen stark erhöht und oft todesursächlich ist [8]. Ähnlich sind Meldungen über anaphylaktische Reaktionen zu bewerten. Es handelt sich um sehr seltene Ereignisse (ca. 0,8 Fälle pro 100.000 Impfungen), deren Auftreten nicht häufiger ist als bei den anderen COVID-19-­Impfstoffen oder generell bei anderen Impfstoffen [7]. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis für den AstraZeneca-Impfstoff ist angesichts der hohen Wirksamkeit in der Verhinderung schwerer COVID-19-Fälle und der damit einhergehenden Mortalität gegenwärtig als überwältigend positiv zu bewerten. Die STIKO hat auf der Grundlage dieser neuen Daten beschlossen, die Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff doch für alle Altersgruppen zu empfehlen [9].

Fazit? Für die Impfung werben!

Die Kontroverse um die Wirksamkeit des AstraZeneca-Impfstoffes sollten wir beenden. Der AstraZeneca-Impfstoff wird dazu beitragen, schwere COVID-19-Verläufe und Todeszahlen innerhalb kurzer Frist drastisch zu reduzieren. Einzelfallmeldungen zu möglichen Impfkomplikationen müssen sehr sorgfältig beobachtet und eingeordnet werden, sind aber momentan nicht besorgniserregend. Weitere Ver­zögerungen in der Verteilung des AstraZeneca-Impfstoffes sind aber angesichts der aktuellen Situation einer wahrscheinlich bevorstehenden dritten Welle völlig inakzeptabel. Die Bevölkerung sollte darüber informiert werden, dass neue Daten dem Impfstoff eine hohe Wirksamkeit und Sicherheit bescheinigen. |

Literatur

[1] Voysey M, Clemens SAC, Madhi SA et al. Safety and efficacy of the ChAdOx1 nCoV-19 vaccine (AZD1222) against SARS-CoV-2: an interim analysis of four randomised controlled trials in Brazil, South Africa, and the UK. Lancet 2021;397:99-111

[2] Ramasamy MN, Minassian AM et al. Safety and immunogenicity of ChAdOx1 nCoV-19 vaccine administered in a prime-boost regimen in young and old adults (COV002): a single-blind, randomised, controlled, phase 2/3 trial. Lancet 1993;396:1979-1993

[3] First real-world study of COVID-19 Vaccine AstraZeneca demonstrates 94% reduction in hospitalisations. Informationen der AstraZeneca vom 23. Februar 2021, www.astrazeneca.com/media-centre/articles/2021/first-real-world-study-of-covid-19-vaccine-astrazeneca-demonstrates-94-reduction-in-hospitalisations.html

[4] Vasileiou E et al. Effectiveness of first dose of COVID-19 vaccines against hospital admissions in Scotland: national prospective cohort study of 5.4 million people. Preprint, www.ed.ac.uk/files/atoms/files/scotland_firstvaccinedata_preprint.pdf

[5] COVID-19 Vaccine AstraZeneca: PRAC preliminary view suggests no specific issue with batch used in Austria. Informationen der Europäischen Arzneimittel Agentur (EMA) vom 10. März 2021, www.ema.europa.eu/en/news/covid-19-vaccine-astrazeneca-prac-preliminary-view-suggests-no-specific-issue-batch-used-austria

[6] Drug regulatory authorities are investigating reports of blood clots after AstraZeneca vaccinations. Informationen der Danish Medicines Agency vom 11. März 2021, https://laegemiddelstyrelsen.dk/en/news/2021/drug-regulatory-authorities-are-investigating-reports-of-blood-clots-after-astrazeneca-vaccinations/

[7] Sicherheitsbericht: Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Impfung zum Schutz vor COVID-19. Informationen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vom 4. März 2021, www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/sicherheitsbericht-27-12-bis-26-02-21.pdf?__blob=publicationFile&v=6

[8] Linnemann B, Bauersachs R, Grebe M et al. Venous thromboembolism in patients with COVID-19 (SARSCoV-2 infection) – a position paper of the German Society of Angiology (DGA). Vasa 2020;49:259–263, DOI:10.1024/0301-1526/a000885

[9] Mitteilung der STIKO zur COVID-19-Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff. Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 4. März 2021, www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/AstraZeneca-Impfstoff.html

[10] Vorübergehende Aussetzung der Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff Astra­Zene­ca. Informationen des Paul-Ehrlich-Instituts(PEI) vom 15. März 2021, www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen/2021/210315-voruebergehende-aussetzung-impfung-covid-19-impfstoff-astra-zeneca.html;jsessionid=9545935A7A41D0BC0E1EF63AAA36E714.intranet231

Prof. Dr. Thomas Winckler, Institut für Pharmazie, Friedrich-Schiller-Universität Jena

 

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