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Pandemie Spezial

Zwischen Offizin und Online

Die Wege der Apothekenkunden in der Corona-Krise – ein Erfahrungsbericht

Ulrike Stübner ist Apothekerin in der „Bezirksapotheke“ Berlin-Friedrichshain, einer Filialapotheke, die sich auf junge Familien spezialisiert hat sowie schwerpunktmäßig HIV-Patienten berät und in Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten betreut. Auch alternativmedizinische Verfahren und die Naturheilkunde spielen in der unweit der Warschauer Brücke liegenden Apotheke eine bedeutende Rolle. Eine Rückkehr zur Normalität nach der ersten Welle der Corona-Pandemie ist für Ulrike Stübner derzeit nicht zu erkennen und auch nicht vorstellbar. Im Gegenteil – die Apothekerin beobachtet seit Anfang der Krise ein verändertes Kundenverhalten, das sich gerade jetzt in den Sommermonaten noch deutlicher abzeichnet, wie sie uns in ihrem Erfahrungsbericht nachfolgend selbst schildert.
Foto: Privat

Seit Beginn der Pandemie haben sich die Arbeitsabläufe und Kundenkontakte in der „Bezirks­apotheke“ verändert, schildert Ulrike Stübner.

Jeden Abend schauen wir gebannt auf die Kundenzahlen des Tages. Es ist Hochsommer. Eigentlich Urlaubszeit. Aus anderen Apotheken kennt man das Phänomen des Sommerlochs, wo die Kollegen einfach in den Urlaub fahren und eine kleine Besetzung die Stellung hält. Im Friedrichshain gab es das noch nie. Gerade im Sommer ziehen sonst die Touristenströme die Warschauer Straße hinunter zum RAW–Partygelände und gehen gern bei uns einkaufen. Wir beraten auf englisch, spanisch, portugiesisch, türkisch und auf französisch. Es gibt normalerweise viel zu tun. Dieser Sommer ist ganz anders. Die Bürgersteige sind leer. Auf dem Mittelstreifen hängen ein paar Skater herum. Das war’s. In der Offizin stehen jetzt meist nur eine Apothekerin oder PTA und der Praktikant, die Klimaanlage fächelt und jeder eintretende Kunde wird wie ein VIP begrüßt. Die Kundenzahlen in der Offizin haben deutlich nachgelassen. Ist das etwa das Ende der Vor-Ort-Apotheken? Kaufen die Kunden aus Angst vor Infektionen ab jetzt nur noch online ein?

Botendienstpauschale „kommt gerade recht“

Im Backoffice-Bereich sind trotz leerer Offizin mindestens vier Personen sehr beschäftigt. Die Kunden kommen uns neuerdings „anders“ besuchen. Vor allem unsere Stammkunden. Seit März 2020 – dem Beginn der Corona-Ausnahmezeit – hat sich alles verlagert. Vorbestellungen per Telefon haben stark zugenommen. Die PKA wünscht sich endlich ein Headset und es gibt immer mindestens zwei zuständige Mitarbeiter, die Telefonate entgegennehmen. Wir schätzen, dass telefonische Bestellungen um mehr als das Doppelte zugenommen haben. Die Patienten möchten nicht mehr zweimal kommen müssen. Oder sie lassen sich gleich alles per Botendienst ­liefern.

Auch dabei hat sich etwas verändert. Zu Hochzeiten des Lockdowns Ende März haben wir mindestens das Doppelte der sonst üblichen Anzahl an Botentüten am Tag vorbereitet und ausgeliefert. Die neue Botenpauschale in Höhe von 5 Euro kam gerade recht. Leider deckt sie nicht einmal ein Drittel unseres Aufwandes und die Freude darüber, dass die Botenpauschale vielleicht doch längerfristig gezahlt werden soll, wird sofort getrübt durch die Tatsache, dass es dann nur noch 2,50 Euro sein sollen. Auch jetzt liegt die Anzahl unserer Botenlieferungen weit über dem üblichen Niveau. Und nicht nur deren Anzahl hat zugenommen, die Boten müssen zunehmend auch weitere Wege auf sich nehmen.

Privatrezepte über Online-Praxen

Unser Faxaufkommen hat sich vervielfacht. Wir lassen die Faxe gleich als PDF in ein E-Mail-Postfach eintreffen, damit kein Papier verschwendet wird. Per E-Mail sind wir natürlich auch schnell erreichbar. Wir haben uns als niedergelassene Apotheke gleich bei zwei Apps registriert. Die Anfragen schnellen sofort in die Höhe, als wir unseren Offizin-Kunden die Flyer mitgeben. Hier in Friedrichshain wohnen viele „Digital Natives“, die einfach alles mit dem Smartphone erledigen – nicht nur für sie wollen wir gut erreichbar sein. Auch ältere, weniger technikaffine Stammkunden finden den Service gut. Mit Corona werden viele mutig und probieren online Neues aus, um Wege zu sparen und riskante Kontakte zu vermeiden. Mit der Zugänglichkeit der Apps werden immer öfter auch Privatrezepte über Online-Praxen ausgestellt und durch die Patienten an uns weitergeleitet. Erstaunlich, wie unkompliziert man die „Pille“ oder Sildenafil bestellen kann. Einfach abholen, beraten lassen und bezahlen – „Click and collect“ eben.

Neben der Rezeptkontrolle, die über ein digitales Modul unseres Abrechnungszentrums abgewickelt wird, muss man sich zum Beispiel auch mit den Securpharm-Fehlermeldungen befassen und diese aufarbeiten. Technische Probleme wie Server- oder Internet-Ausfälle kommen auch vor und müssen schnell behoben werden. Man mag sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn das Netz einmal längere Zeit ausfällt. Mit Registrierkasse, telefonischer Großhandels-Bestellung und ­Roter Liste allein ließe sich ein solcher Geschäftsalltag nicht mehr be­wältigen.

Foto: BEZIRKSapotheke

Leere Offizin? Die Apothekenkunden und Patienten nutzen vermehrt alternative Möglichkeiten der Kontaktaufnahme. Wichtig ist, dass es auf diese Nachfrage auch ein entsprechendes Angebot in den Betrieben gibt.

Viel Arbeit für den Datenschutzbeauftragten

Demnächst kommt das elektronische Rezept. Einige in unserem Team haben Informationen darüber von der Expopharm 2019 mitgebracht, sodass alle im Team ungefähr wissen, was sie erwartet. Wir wollen schnell dabei sein, weil die Online-Konkurrenz auch schnell ist. Vorsorglich haben wir uns im April zum Pilotprojekt der Techniker Krankenkasse angemeldet. Wir sind bis jetzt nicht an die Telematikinfrastruktur angeschlossen. Unser Softwareanbieter arbeitet mit Hochdruck daran – das wird uns immer wieder versichert. Wir bleiben gespannt. Noch haben wir auch von Patienten der Techniker Krankenkasse kein E–Rezept erhalten. Unklar ist auch, welche Arztpraxis darauf überhaupt schon vorbereitet ist.

Damit die Apotheke wirklich von überall her erreichbar ist, betreut eine PTA den Facebook- und den Instagram-Account sowie die Website der Apotheke, erstellt aktuelle Beiträge und prüft regelmäßig unseren Bewertungsstatus auf Portalen wie Jameda und Google. Manchmal beantwortet sie sogar noch am Wochenende Anfragen, die über Facebook gestellt werden. Ein totales Handyverbot, wie in einigen anderen Apotheken üblich, ist für uns daher schwer vorstellbar. Das Smartphone wird aktiv für die Kundenbindung eingesetzt. In der Offizin hat es selbstverständlich keinen Platz. Da gehört dem Kunden unsere volle und persönliche Aufmerksamkeit.

Unser Datenschutzbeauftragter hat alle Hände voll zu tun. Sind unsere Kommunikationswege sicher? Welche Daten dürfen wir auf welchen Wegen versenden? Die Datenschutzschulung ist aufschlussreich, jedoch hat sie viele Mitarbeiter*innen auch stark verunsichert angesichts der möglichen drakonischen Strafen. Zum Glück dürfen wir den zuständigen Mitarbeiter in Detailfragen immer gern anrufen. Das hilft ungemein.

Der besorgte Blick in die abendliche Kundenstatistik beruhigt doch ein klein wenig. In der Offizin war zwar wenig los, jedoch haben wir auch im Hintergrund viele Kundenvorgänge vorbereitet und versendet. Natürlich fehlen uns persönliche Gespräche mit Stammkunden und die Touristen als Laufkunden. Die Gesamtkundenzahl bleibt noch immer unter unseren Erwartungen. Es ist auch ein wenig schade, dass die hochmoderne Offizin gerade weniger besucht wird. Es gibt eine großformatige elektronische Sichtwahl und die neueste Generation von Bildschirmkassen. Die Arzneimittel werden vom Kommissionierautomaten bereitgestellt. Kontaktloses Bezahlen ist Standard. Es macht Spaß, mit der neuesten Technik die Kunden zu bedienen und dazu persönlich gut zu beraten.

Aber statt auf Kunden zu warten, ­gehen wir lieber aktiv neue Wege. Wir wollen alles. Die alten guten persönlichen Wege neben den neuen digitalen Wegen gehen wir dann eben gleich­zeitig.

Die Chefin macht es vor. Sie ist schon früh proaktiv in die Digitalisierung eingestiegen und entwickelt ihre Apotheken zukunftsweisend immer weiter, nicht nur über Spezialgebiete wie die Cannabisversorgung und Prävention. War sie vor Corona schon auf jeder Messe in Sachen Digitalisierung unterwegs, ist sie heute per Videokonferenz fleißig am Netzwerken, streamt Vorträge auf Digitalkongressen und arbeitet im Hintergrund an modernen Online-Konzepten.

Die allgemein populär gewordenen Online-Meetings haben auch uns als Team bisher gut über die Corona-Zeit gebracht, besonders, als wir vorübergehend in getrennten Mini-Teams arbeiteten. Bei der nächsten Dienst­besprechung sind wieder einige Mitarbeiter per Zoom zugeschaltet und sind froh, dass sie von zu Hause aus teilnehmen können. Die Dienstbesprechung ist aber erst morgen. Jetzt ist erst mal Feierabend. |

 

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