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Pandemie Spezial

Risikofaktor Fettmasse

Warum Übergewicht und Adipositas ungünstig für den COVID-19-Verlauf sind

Neben einem höheren Alter gehen vor allem bestimmte Vorerkrankungen mit einem schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung einher. Die ersten Studien aus China und Italien fanden darunter vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie und chronische Lungenerkrankungen. Allerdings fand man erst vor Kurzem, dass Übergewicht und vor allem die Adipositas wichtige und bislang unerkannte Risikofaktoren für eine ­beatmungspflichtige Therapie und eine erhöhte Mortalität bei COVID-19-Patienten darstellen. Diese Erkenntnis ist für die Risikostratifizierung wichtig und hilft möglicherweise, die Therapie der Patienten zu verbessern.  | Von Norbert Stefan

Bei Übergewicht, und vor allem bei Adipositas, besteht ein erhöhtes Risiko an Diabetes mellitus, arterieller Hypertonie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu leiden und vorzeitig zu sterben. Angesichts dieser Tatsache haben viele Wissenschaftler, welche über den klinischen Verlauf der COVID-19-­Erkrankung bei ihren Patienten berichteten, möglicher­weise die Fettmasse ihrer Patienten dabei nicht als einen unabhängigen Risikofaktor erachtet.

Erste Hinweise

Erstmalig berichteten französische Forscher Mitte April 2020, dass Patienten, die an COVID-19 erkrankt sind und einen Body-Mass-Index (BMI) ≥35 kg/m2 haben, vermehrt eine invasive mechanische Beatmung benötigten. Obwohl die Fallzahl mit 124 Patienten sehr klein war, ließen diese Daten vermuten, dass dieser Zusammenhang unabhängig vom Alter und dem Vorliegen von Diabetes mellitus, arterieller Hypertonie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen war [1]. ­Danach zeigte eine größere Studie aus China, unter Einbeziehung von Daten von 383 Patienten mit COVID-19, dass Übergewicht und Adipositas mit einem 86%-ig und 240%-ig höheren Risiko einhergeht eine schwere Pneumonie zu erleiden. Auch in dieser Studie war die Fettmasse, unabhängig von anderen Risikofaktoren und Vorerkrankungen, mit dem Schwereverlauf der COVID-19-Erkrankung assoziiert [2]. Angesichts des starken Zusammenhangs einer erhöhten Fettmasse mit Hypertonie und Diabetes ist es allerdings schwierig, aus Studien mit kleinen Fallzahlen einen möglicherweise vorliegenden unabhängigen Einfluss der erhöhten Fettmasse auf den Verlauf der COVID-19-Erkrankung statistisch gut zu belegen. Mitte April 2020 wurde dann eine Studie publiziert, die über den Verlauf der COVID-19-Erkrankung bei 5700 Patienten, welche in New York in Krankenhäusern stationär behandelt wurden, berichtet. Dabei fand man erneut, dass die Hypertonie mit 56,6% als häufigste Vorerkrankung bei Patienten mit COVID-19 vorlag. Interessanterweise fand man bei diesen Patienten aber als zweithäufigste Komorbidität die Adipositas, welche mit einer Häufigkeit von 41,7% nachweisbar war. Diabetes lag dabei als dritthäufigste Vorerkrankung, mit einer deutlich niedrigeren Prävalenz von 33,8%, vor [3]. Somit ist es naheliegend anzunehmen, dass die Adipositas möglicherweise eine bedeutende Rolle für die Notwendigkeit der stationären Aufnahme bei diesen Patienten gespielt hat. Leider haben die Autoren in dieser Studie mit der sehr hohen Fallzahl an Patienten aber nicht den unabhängigen Zusammenhang der Adipositas mit dem Schweregrad der COVID-19-­Erkrankung untersucht.

Je höher der BMI, um so größer das Risiko

Diese Untersuchung wurde dann aber in einer weiteren Studie, welche über den Verlauf der COVID-19-Erkrankung bei 4103 Patienten aus New York City berichtete, vorgenommen. Die Autoren dieser Studie [4] fanden in adjustierten statistischen Modellen, dass gleich nach einem erhöhten Alter (> 65 Jahre), die Adipositas die zweitstärkste Determinante für eine stationäre Aufnahme und Behandlung von Patienten mit einer COVID-19-Erkrankung war. Dabei hatten, im Vergleich zu Patienten ohne Adipositas, Patienten mit einem BMI von 30 – 40 kg/m2 ein um 326% erhöhtes Risiko, welches mit 520% bei Patienten mit einem BMI > 40 kg/m2 noch weit übertroffen wurde. In derselben Studie war das Risiko bei Vorliegen einer arteriellen Hypertonie mit 23% und eines Diabetes mit 181% deutlich niedriger. Kürzlich wurde auch in einer viel kleineren Studie [5], welche 150 Patienten aus China untersucht hat, ein ähnlich starker Zusammenhang der Adipositas mit dem Schweregrad von COVID-19 belegt. Dabei war bei Vorliegen einer Adipositas, im Vergleich zu Patienten ohne Adipositas, das unabhängige Risiko um 200% höher. Für jede Einheit eines höheren BMI stieg dieses Risiko um 12% an. Daten der Johns Hopkins Universität weisen weiterhin darauf hin, dass die Adipositas einen komplizierten Verlauf von ­COVID-19 hin zum jüngeren Lebensalter verschiebt [6].

Übergewicht, Prädiabetes und ACE2-Expression

Aber, über welche Mechanismen trägt das Übergewicht unmittelbar und unabhängig von den anderen Vorerkrankungen zu einem schweren Verlauf von COVID-19 bei? Gesichert ist, dass bei Hyperglykämie, wie sie bei Diabetes mellitus vorliegt, die Expression des membranständigen Glykopro­teins Angiotensin Converting Enzym 2 (ACE2), welches vor allem in der Lunge, in Endothelzellen, im Herzen und in den Nieren vorkommt, hochreguliert ist. Das SARS-CoV-2 benutzt zum Eintritt in die Zelle unter anderem ACE2. Ein Beleg, dass die Hyperglykämie den Verlauf von COVID-19 wesentlich beeinflusst, zeigen Daten einer Studie aus der Provinz Hubei, China. Dabei fanden die Autoren, dass eine akzeptable Diabetes­einstellung (mittlerer HbA1c-Wert 7,3%) im Vergleich zu einer schlechten Einstellung der Blutzuckerstoffwechsellage (mittlerer HbA1c-Wert 8,1%) das Risiko, bei Vorliegen einer COVID-19-Erkrankung zu sterben, um 87% reduziert [6]. Wenn nun in statistischen Modellen zum Zusammenhang von Übergewicht mit COVID-19 für das Vorliegen eines Diabetes mellitus adjustiert wird, müsste der Einfluss der Hyperglykämie auf den Verlauf von COVID-19 herausgerechnet worden sein. Hier liegt aber das Problem vor, dass bei vielen Menschen (38% der erwachsenen Bevölkerung in den USA und 36% der erwachsenen Bevölkerung in China) ein Prädiabetes vorliegt. Die dabei nachweisbaren erhöhten Blutzuckerwerte, die vor allem bei Übergewicht vorliegen, gehen bereits mit einem erhöhten Risiko für Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einher [7]. Eine Erhöhung des Blutzuckers in den Bereich des Prädiabetes könnte bereits auch eine erhöhte Expression von ACE2 verursachen und somit das Krankheitsgeschehen bei übergewichtigen Patienten mit Hyperglykämie, welche aber noch nicht im Bereich des Diabetes liegt, vorantreiben.

Weiterhin wird vermutet, dass eine erhöhte Expression von ACE2 auf Adipozyten, wie sie beim Übergewicht bekannt ist, ein Mechanismus für den direkten Zusammenhang des Übergewichts mit dem Schweregrad von COVID-19 darstellt. Dabei geht man davon aus, dass damit im Fettgewebe ein vergrößertes Reservoir für die Viren entsteht [8].

Problem subklinische Inflammation

Außerdem liegt bei Übergewicht in den meisten Fällen bereits eine subklinische Inflammation vor. Diese ist vor allem bei viszeraler Adipositas präsent [9]. Im Rahmen von ­COVID-19 geht man davon aus, dass eine überschießende Inflammationsantwort den Verlauf der Erkrankung negativ beeinflusst.

Massive Endotheliitis

Ein weiterer Mechanismus, wie das Übergewicht bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 den Krankheitsverlauf beeinflussen kann, stellt die erhöhte Thromboseneigung dar, die bei Übergewicht besteht. ACE2-Rezeptoren werden auch auf Endothelzellen exprimiert. In einer Studie wurde nachgewiesen, dass SARS-CoV-2 Endothelzellen direkt befallen und zu einer massiven Endotheliitis der Gefäße führen kann [10]. Entsprechend fand man eine stark erhöhte Hyperkoagulabilität, sowohl im arteriellen, als auch im venösen System bei Patienten mit COVID-19 [11].

Übergewicht und kardiale Funktion

Das Übergewicht kann weiterhin unabhängig von humoralen Mechanismen den Krankheitsverlauf beeinflussen. Während Übergewicht nicht immer mit einem veränderten und meist dysregulierten Stoffwechsel einhergeht, geht das Übergewicht, und vor allem die Adipositas, fast immer mit einem erhöhten Risiko für eine Herzinsuffizienz einher [12]. Dabei sind die bei Übergewicht und Adipositas vorliegenden Faktoren, wie eine Erhöhung des Blutvolumens, des Herzzeitvolumens und der kardialen Arbeitsleistung, sowohl für die Rechtsherz- als auch die Linksherzbelastung relevant. Tritt diese kardiale Belastungssituation zusammen mit einem erhöhten Risiko für eine Endotheliitis der Gefäße und eine prothrombotische Situation auf, wie sie bei COVID-19 vorliegen, kann man davon ausgehen, dass dadurch die Morbidität und Mortalität bei übergewichtigen Menschen wesentlich beeinflusst wird.

Übergewicht und pulmonale Funktion

Schließlich hat eine erhöhte Fettmasse einen direkten Einfluss auf die Ventilation der Lunge und die Oxygenierung des Blutes. Seit Langem ist bekannt, dass bei Übergewicht und bei Adipositas das Risiko für Pneumonien und die Wahrscheinlichkeit eines komplizierten Verlaufs einer Pneumonie erhöht sind. Dabei spielt vor allem die respiratorische Funktion eine Rolle. Bei erhöhter Fettmasse ist das Lungenvolumen oft vermindert. Dabei liegt meist eine reduzierte Einsekundenkapazität (FEV1), einer der wichtigsten spiroergometrischen Lungenfunktionswerte, vor. Weiterhin sind ein vermindertes exspiratorisches Reservevolumen und ein erhöhtes Residualvolumen nachweisbar. Außerdem liegt bei Übergewicht meist ein gestörtes Atemmuster vor, was vor allem durch eine erhöhte Atemarbeit und einen dadurch erhöhten Sauerstoffverbrauch gekennzeichnet ist. Auch eine gestörte Atemphysiologie, die durch einen Zwerchfellhochstand vermittelt wird, induziert durch eine erhöhte viszerale Fettmasse, ist bedeutsam. Außerdem ist damit der Atemwiderstand erhöht. Schließlich beobachtet man bei Übergewicht und Adipositas einen gestörten Gasaustausch, welcher unabhängig von den genannten mechanischen Atemstörungen auftreten kann.

Abb.: Übergewicht und Adipositas erhöhen auf vielfältige Weise das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf.

Zusammenfassung

Es gibt zunehmend Daten, welche belegen, dass Übergewicht und Adipositas eine wichtige Rolle für den Schweregrad von COVID-19 haben. Die meisten Studien dazu belegen, dass vor allem die Adipositas, nach einem fortgeschrittenen Alter, das Risiko für einen komplizierten Verlauf der Erkrankung wesentlich erhöht. Unter den Mechanismen, welche diesen Zusammenhang erklären, findet man eine Erhöhung des Blutzuckers, auch im Bereich, wo noch kein Diabetes mellitus diagnostiziert werden kann. Weiterhin sind die subklinische Inflammation und die erhöhte prothrombotische Neigung, die bei Übergewicht und vor allem bei Adipositas nachweisbar sind, bedeutsam. Auch eine verstärkte Belastung des Herzens in seiner Pumpfunktion spielt eine wichtige Rolle. Schließlich stellen die eingeschränkte Ventilation der Lunge und die reduzierte Oxy­genierung des Blutes, die bei Übergewicht und ­Adipositas nachweisbar sind, ein Risiko für einen komplizierten Verlauf von COVID-19 dar [15] (siehe Abbildung).

Daher gilt, dass Hausärzte und das Personal in den Krankenhäusern, aber auch die Menschen mit Übergewicht und Adipositas selber, bei Verdacht auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 rechtzeitig an die Möglichkeit eines schwereren COVID-19-Verlaufs denken sollten, um zeitnah die entsprechenden Maßnahmen zur engmaschigen Überwachung und rechtzeitigen Therapie ergreifen zu können. |

Literatur

 [1] Simonnet A, Chetboun M, Poissy J et al. High prevalence of obesity in severe acute respiratory syndrome coronavirus-2 (SARS-CoV-2) requiring invasive mechanical ventilation. Obesity (Silver Spring). 2020 Apr 9. doi: 10.1002/oby.22831. [Epub ahead of print]

 [2] Cai Q, Chen F, Wang T et al. Obesity and COVID-19 Severity in a Designated Hospital in Shenzhen, China. Diabetes Care. 2020 May 14:dc200576. doi: 10.2337/dc20-0576. Online ahead of print. PMID: 32409502

 [3] Richardson S, Hirsch JS, Narasimhan M et al. Presenting Characteristics, Comorbidities, and Outcomes Among 5700 Patients Hospitalized With COVID-19 in the New York City Area. JAMA. 2020 Apr 22:e206775. doi: 10.1001/jama.2020.6775. Online ahead of print. PMID: 32320003

 [4] Petrilli CM, Jones SA, Yang J et al. Factors associated with hospitalization and critical illness among 4,103 patients with COVID-19 disease in New York City. medRxiv April 11, 2020, doi: https://doi.org/10.1101/2020.04.08.20057794

 [5] Gao F, Zheng KI, Wang XB et al. Obesity is a Risk Factor for Greater COVID-19 Severity. Diabetes Care. 2020 May 14;dc200682. doi: 10.2337/dc20-0682. Online ahead of print

 [6] Kass DA, Duggal P, Cingolani O. Obesity could shift severe COVID-19 disease to younger ages. Lancet. 2020 May 16;395(10236):1544-1545. doi: 10.1016/S0140-6736(20)31024-2. Epub 2020 May 4

 [7] Stefan N, Fritsche A, Schick F, Häring HU. Phenotypes of prediabetes and stratification of cardiometabolic risk. Lancet Diabetes Endocrinol. 2016 Sep;4(9):789-798

 [8] Kruglikov IL, Scherer PE. The role of adipocytes and adipocyte-like cells in the severity of COVID-19 infections. Obesity (Silver Spring). 2020 Apr 27. doi: 10.1002/oby.22856. Online ahead of print

 [9] Stefan N, Häring HU, Schulze MB. Metabolically healthy obesity: the low-hanging fruit in obesity treatment? Lancet Diabetes Endocrinol. 2018 Mar;6(3):249-258

[10] Varga Z, Flammer AJ, Steiger P et al. Endothelial Cell Infection and Endotheliitis in COVID-19. Lancet. 2020 May 2;395(10234):1417-1418

[11] Mucha SR, Dugar S, McCrae K et al. Coagulopathy in COVID-19. Cleve Clin J Med. 2020 May 14. doi: 10.3949/ccjm.87a.ccc024. Online ahead of print

[12] Stefan N, Fritsche A, Häring HU. Mechanisms Explaining the Relationship Between Metabolically Healthy Obesity and Cardiovascular Risk. J Am Coll Cardiol. 2014 Jun 24;63(24):2748-9

[13] Zhu L, She ZG, Cheng X et al. Association of Blood Glucose Control and Outcomes in Patients with COVID-19 and Pre-existing Type 2 Diabetes. Cell Metab. 2020 May 1:S1550-4131(20)30238-2. doi: 10.1016/j.cmet.2020.04.021. Online ahead of print. PMID: 32369736

[14] Murugan AT, Sharma G. Obesity and Respiratory Diseases. Chron Respir Dis. 2008;5(4):233-42

[15] Stefan N, Birkenfeld AL, Schulze MB, Ludwig DS. Obesity and Impaired Metabolic Health in Patients With COVID-19. Nat Rev Endocrinol. 2020 Apr 23;1-2.

Autor

Prof. Dr. med. Norbert Stefan, Internist, Endo­krinologe und Diabetologe. Heisenberg-Professur für Klinisch-experimentelle Diabetologie, Abteilung für Innere Medizin IV, Bereiche Endokrinologie, Diabetologie und Nephrologie, Universitätsklinikum Tübingen, Gastprofessur an der Harvard Medical School in Boston, USA.

Universitätsklinik Tübingen, Innere Medizin IV, Otfried-Müller-Str. 10, 72076 Tübingen

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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