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Pandemie Spezial
Die Entzauberung der Malariamittel
Registerstudie zu Chloroquin / Hydroxychloroquin bei COVID-19 zeigt erhöhte Sterblichkeit
Der Hype um Chloroquin und Hydroxychloroquin hat mit der Veröffentlichung einer weltweiten Beobachtungsstudie einen neuen Dämpfer erhalten. Doch sind Aufstieg und Fall dieser zwei Wirkstoffe nicht nur von wissenschaftlichen Ergebnissen bestimmt, sondern ganz wesentlich durch das mediale Interesse geprägt. Dazu kommt der Zwang, in Pandemiezeiten wirksame Mittel zu rekrutieren. Erste Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit von Hydroxychloroquin bei COVID-19 erschienen im Februar 2020. Dann folgten zahlreiche weitere Publikationen. Allein in der medizinischen Datenbank Pubmed lassen sich unter den Begriffen „Hydroxychloroquin“ und „COVID-19“ 422 Einträge finden. Im amerikanischen Studienregister ClinicalTrials.gov der U. S. National Library of Medicine sind 138 Studien (Stand 1. Juni 2020) verzeichnet. Im Folgenden werden einige Veröffentlichungen und Meldungen zum Einsatz von Hydroxychloroquin bei COVID-19-Erkrankungen aufgeführt.
Trial and Error: eine Chronologie
17. Februar 2020: Die chinesische Staatsregierung gibt in einer Pressekonferenz bekannt, dass Chloroquin in mehreren klinischen Studien mit über 100 Patienten bei COVID-19-assoziierten Lungenentzündungen eine gute Wirksamkeit und akzeptable Verträglichkeit gezeigt hat [1].
20. März 2020: Französische Wissenschaftler veröffentlichen eine kleine klinische Studie, in der sie erste Daten zu Hydroxychloroquin (als Monotherapie und teilweise in Kombination mit Azithromycin) bei COVID-19-Erkrankungen beschreiben. An Tag sechs wurde unter der Kombinationstherapie eine vollständige Virenfreiheit im Rachenraum erzielt, unter der Gabe von Hydroxychloroquin bei 57% [2].
3. April 2020: Ergebnis und Methodologie dieser Studie werden von Fachkreisen angezweifelt [3].
April 2020: Die in der französischen Studie publizierte hohe Heilungsrate erfährt ein großes mediales Interesse und erreicht durch den amerikanischen TV-Kanal Fox News und Twitter eine große Reichweite; die Kombination von Azithromycin und Hydroxychloroquin wird von Donald Trump als „game changer in the history of medicine“ bezeichnet. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro wirbt im Schlepptau von Trump ebenfalls für Hydroxychloroquin [4].
16. April 2020: Eine brasilianische Studie stoppt die Hochdosisgabe von Chloroquin frühzeitig aufgrund gefährlicher Herzrhythmusstörungen [5].
5. April 2020: Einer retrospektiven Analyse von 1061 Patientendaten zufolge wurden unter Hydroxychloroquin und Azithromycin nach zehn Tagen hohe Heilungsraten erzielt; die Patienten wiesen meist nur eine milde Symptomatik auf, Vergleichsgruppen wurden nicht erfasst [6].
23. April 2020: Eine Studie mit 368, an COVID-19 erkrankten US-Veteranen weist auf ein mögliches höheres Sterberisiko unter der Einnahme von Hydroxychloroquin hin [7].
24. April 2020: Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA warnt vor kardialen Risiken unter der Einnahme von Hydroxychloroquin/Chloroquin [8].
7. Mai 2020: In einer größeren Studie mit knapp 1400 Patienten erwies sich Hydroxychloroquin erneut als wirkungslos. In dieser Beobachtungsstudie mit hospitalisierten COVID-19-Patienten war die Verabreichung von Hydroxychloroquin weder mit einem verringerten noch mit einem erhöhten Risiko für den zusammengesetzten Endpunkt Intubation oder Tod verbunden [9].
25. Mai 2020: Die WHO unterbricht vorübergehend den Hydroxychloroquin-Arm der Solidarity-Studie aufgrund negativer Ergebnisse einer multinationalen Beobachtungsstudie (siehe unten) [10].
27. Mai 2020: Frankreich, Italien und Belgien stoppen den Einsatz von Hydroxychloroquin [11].
27. Mai 2020: Das Bundesgesundheitsministerium gibt gespendete Chloroquin-Tabletten an Bayer zurück [12].
28. Mai 2020: Die deutschen Studien zur Wirksamkeit von Hydroxychloroquin bei COVID-19 werden unterbrochen [13].
Problem erhöhte Mortalität
Mit der jüngsten Veröffentlichung einer multinationalen Registerstudie wird die Reihe erfolgloser COVID-19-Studien mit Hydroxychloroquin fortgesetzt. Patienten, die aufgrund einer COVID-19-Erkrankung mit Hydroxychloroquin oder Chloroquin (mit oder ohne Makrolid-Antibiotikum) behandelt worden waren, erfuhren keinen Nutzen und wiesen neben einer erhöhten Sterberate auch ein höheres Risiko für lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auf [14].
In die Beobachtungsstudie wurden weltweit über 96.000 Patienten aus 671 Krankenhäusern eingeschlossen, die innerhalb von 48 Stunden nach einem positiven SARS-CoV-2-Test eine der vier Behandlungen erhalten hatten:
- Chloroquin
- Chloroquin plus Makrolid-Antibiotikum
- Hydroxychloroquin oder
- Hydroxychloroquin plus Makrolid-Antibiotikum.
Als Kontrollgruppe dienten Patienten, die keine dieser Therapien erhalten haben. Im Vergleich mit der Kontroll-Gruppe wiesen alle Patienten der Verum-Gruppen eine erhöhte Mortalität auf. Diese lag in der Kontrollgruppe bei 9,3% und war in den Verum-Gruppen mehr als verdoppelt. Zudem war das Risiko für neu aufgetretene ventrikuläre Arrhythmien in allen vier Verum-Gruppen erhöht (s. Tab).
Therapiearm | Mortalität | Risiko für ventrikuläre Arrhythmien |
---|---|---|
Chloroquin (n = 1868) | 16,4%; HR 1,365; 95% KI 1,218 – 1,531 | 4,3%; HR 3,561; 95% KI 2,760 – 4,596 |
Chloroquin + Makrolid-Antibiotikum (n = 3783) | 22,2%; HR 1,368; 95% KI 1,273 – 1,469 | 6,5%; HR 4,011; 95% KI 3,344 – 4,812 |
Hydroxychloroquin (n = 3016) | 18,0%; HR 1,335; 95% KI 1,223 – 1,457 | 6,1%; HR 2,369; 95% KI 1,935–2,9 |
Hydroxychloroquin + Makrolid-Antibiotikum (n = 6221) | 23,8%; HR 1,447; 95% KI 1,368 – 1,531 | 8,1%; HR 5,106; 95% KI 4,106–5,983 |
Kontrollgruppe (n = 81.144) | 9,3% | 0,3% |
Dem Resümee der Studienautoren zufolge bestätigt diese große, internationale Real-World-Analyse den fehlenden Benefit von Hydroxychloroquin/Chloroquin bei COVID-19-Patienten – und dies auch bei einer vorsichtigen Interpretation der Ergebnisse. Aus der Sicht der Autoren zeigen die Daten, dass Chloroquin und Hydroxychloroquin nicht außerhalb klinischer Studien eingesetzt werden sollten und randomisierte klinische Studien dringend erforderlich sind. |
Literatur
[1] arznei-telegramm; blitz-a-t- vom 25.03.2020
[2] Gautret P et al. Hydroxychloroquine and azithromycin as a treatment of COVID-19: results of an open-label non-randomized clinical trial. https://doi.org/10.1016/j.ijantimicag.2020.105949.
[3] https://www.isac.world/news-and-publications/official-isac-statement
[5] Borba M et al. Chloroquine diphosphate in two different dosages as adjunctive therapy of hospitalized patients with severe respiratory syndrome in the context of coronavirus (SARS-CoV-2) infection: Preliminary safety results of a randomized, double-blinded, phase IIb clinical trial (CloroCOVID-19 Study) medRIX 2020; DOI:10.1101/2020.04.07.20056424.
[6] Million M et al. Early treatment of COVID-19 patients with hydroxychloroquine and azithromycin: A retrospective analysis of 1061 cases in Marseille, France [published online ahead of print, 2020 May 5]. Travel Med Infect Dis. 2020;101738. doi:10.1016/j.tmaid.2020.101738
[7] Magagnoli J et al. Outcomes of hydroxychloroquine usage in United States veterans hospitalized with COVID-19. doi: https://doi.org/10.1101/2020.04.16.20065920
[9] Geleris J et al. Observational Study of Hydroxychloroquine in Hospitalized Patients with COVID-19. DOI: 10.1056/NEJMoa2012410
[11] https://de.reuters.com/article/virus-frankreich-hydroxychloroquin-idDEKBN2331GV
[13] https://www.aerztezeitung.de/Nachrichten/Deutsche-Hydroxychloroquin-Studien-ausgesetzt-409921.html
[14] Mehra MR et al. Hydroxychloroquine or chloroquine with or without a macrolide for treatment of COVID-19: a multinational registry analysis. Lancet 2020; S0140-6736(20)31180-6
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