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Arzneimittel und Therapie
Kinderwunsch kein Problem
Diabetikerinnen profitieren von optimaler Stoffwechseleinstellung und Gewichtsreduktion
Dass Kinderwunsch und Diabetes aufeinandertreffen, ist kein Einzelfall. Nach Daten des Instituts für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen kamen im Jahr 2016 bei insgesamt etwa 759.000 Schwangerschaften 6745 Kinder zur Welt, bei deren Mutter bereits präkonzeptionell ein Diabetes mellitus bekannt war (0,89%). Die Mehrzahl davon hatte einen Typ-2-Diabetes (0,6 bis 0,7%), nur eine Minderheit einen Typ-1-Diabetes (0,3 bis 0,4%). Weit häufiger entwickelten die Frauen aber einen Diabetes während der Schwangerschaft: Bei 40.650 Neugeborenen lag bei der Mutter ein Gestationsdiabetes vor.
Fertilität bei Typ-1-Diabetes: Stoffwechsellage entscheidet
Die Chance auf ein Baby ist bei Frauen mit einem Typ-1-Diabetes ähnlich hoch wie bei stoffwechselgesunden Frauen, wenn eine normnahe Stoffwechsellage erreicht wird. Etwaige Zyklusstörungen normalisieren sich häufig bereits unter intensivierter Insulintherapie. Auch wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt und eine Sterilitätsbehandlung angestrebt wird, hat die Stoffwechseloptimierung einen hohen Stellenwert.
Fertilität bei Typ-2-Diabetes: eine Frage des BMI
Die Fertilität bei Frauen mit Typ-2-Diabetes hängt wesentlich von deren Körpergewicht ab: Übergewicht und Adipositas schränken die Fertilität ein. Denn die Fettzellen produzieren hormonaktive Substanzen wie Leptin und Adiponektin, die in die zentrale Hormonregulation von Hypothalamus und Hypophyse eingreifen, aber auch direkt auf die Gonaden wirken. Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres schwanger zu werden, ist schon ab einem BMI von 26 kg/m2 reduziert. Auch bei normaler Ovulation nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Konzeption ab einem BMI von 29 kg/m2linear um 4% pro kg/m2 Gewichtszunahme ab. Aber: „Diese Veränderungen sind funktionell und durch Gewichtsabnahme und körperliche Aktivität reversibel“, erläuterte Dr. Cornelia Jaursch-Hancke, Leiterin Fachbereich Endokrinologie-Diabetologie Helios-Klinik Wiesbaden, auf der Fortbildungsveranstaltung „Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos“ in München. Die Konsequenz liegt auf der Hand. Übergewichtige Frauen mit Typ-2-Diabetes, die sich ein Kind wünschen, sollten Gewicht reduzieren und möglichst ein normales Körpergewicht anstreben.
HbA1c unter 7%
Konkret verwies Jaursch-Hancke auf die Empfehlungen der S3-Leitlinie „Diabetes und Schwangerschaft“ der Deutschen Diabetes-Gesellschaft. Danach soll präkonzeptionell eine normnahe Stoffwechseleinstellung für mindestens drei Monate erzielt werden. Der HbA1c-Wert sollte nicht mehr als absolut 0,5 bis 1% oberhalb des oberen Referenz-Grenzwertes der verwendeten Labormethode liegen. Aber, so Jaursch-Hancke: „Ein HbA1c-Wert unter 7% ist schon gut.“
Nach Eintritt der Schwangerschaft gelten folgende Blutglucose-Zielwerte:
- nüchtern, präprandial: 60 bis 90 mg/dl
- 1 Stunde postprandial: < 140 mg/dl
- 2 Stunden postprandial: < 120 mg/dl
Ab einem postprandialen Glucose-Wert von 200 mg/dl sollte sofort korrigiert werden.
Ja zu Insulin-Analoga
Medikamentös therapiert wird bei diabetischen Schwangerschaften mit Insulin. Schwangere, die bereits vor der Schwangerschaft wirksam mit Insulin-Analoga behandelt werden, müssen nicht mehr wie früher auf Humaninsulin umgestellt werden. Schwangere mit Typ-2-Diabetes, die vor der Schwangerschaft orale Antidiabetika erhalten haben, oder Frauen, die bisher diätetisch behandelt wurden und nun neu eingestellt werden, sollten laut aktueller Leitlinie primär auf Humaninsuline eingestellt werden. Inkretinmimetika und orale Antidiabetika sind kontraindiziert. Ob bei Typ-1-Diabetikerinnen eine intensivierte konventionelle Insulin-Therapie durchgeführt oder eine Insulin-Pumpe eingesetzt wird, kann die Schwangere entscheiden. Treten gehäuft schwere Hypoglykämien auf, spricht dies allerdings für eine Pumpe. Die Pumpeneinstellung sollte idealerweise mindestens drei Monate präkonzeptionell vorgenommen werden.
Gestationsdiabetes: Ernährung umstellen und bewegen!
Das weitaus häufigere diabetische Problem in der Schwangerschaft ist der Gestationsdiabetes: „In den letzten Jahren ist es zu einem dramatischen Anstieg in der Prävalenz gekommen, nämlich um 20% seit 2012“; so Jaursch-Hancke. Als wesentliche Gründe nannte sie ein höheres Alter der schwangeren Frauen (mittleres Geburtsalter: 31 Jahre), vor allem aber die deutliche Zunahme an Übergewicht und Adipositas. Bereits im Alter von 18 bis 29 Jahren liegt der Anteil übergewichtiger und adipöser Frauen in Deutschland bei 30% und steigt auf 38% bei den 30- bis 39-Jährigen. Anders als Frauen, deren Diabetes bereits vor der Konzeption bekannt ist, stehen werdende Mütter der Diagnose „Gestationsdiabetes“ hilflos gegenüber. In dieser für sie völlig unbekannten Situation benötigen sie umfassende Unterstützung. Wichtig sind eine detaillierte Ernährungsberatung, Empfehlungen zur körperlichen Betätigung, aber auch die Einweisung in die Blutzuckerselbstkontrolle und den adäquaten Umgang mit den Ergebnissen. Meist genügen eine Umstellung der Ernährung und mehr Bewegung. „Bei 70 bis 80% der Schwangeren ist eine Normalisierung der Stoffwechselsituation zu erreichen“, so Jaursch-Hancke. Gelingt dies nicht, ist Humaninsulin auch hier die medikamentöse Therapie der Wahl.
Einzelfallentscheidung Metformin
Immer wieder diskutiert wird der Einsatz von Metformin. Der könne aber lediglich im Rahmen einer Einzelfallentscheidung erfolgen, so Jaursch-Hancke. Nach Einschätzung von embryotox, dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité Universitätsmedizin Berlin, ist Metformin in ausgewählten Einzelfällen eine alternative Therapieoption für übergewichtige Typ-2-Diabetikerinnen. Wenn Metformin im Rahmen eines polyzystischen Ovarialsyndroms verordnet wird, sollte es in der Regel nach erfolgreich eingetretener Schwangerschaft abgesetzt werden. Die Entscheidung über eine längere Therapiedauer bedarf einer individuellen Prüfung durch den behandelnden Arzt unter Berücksichtigung der Anamnese der Patientin (www.embryotox.de).
Kinderwunsch? Ab ins Zentrum!
Als Schlüssel zum Erfolg bezeichnete Jaursch-Hancke letztlich die präkonzeptionelle Beratung in einem diabetologischen Zentrum. Sie wird aber nur unzureichend wahrgenommen. Nur 30% der Frauen mit Typ-2-Diabetes und allenfalls 50% der Typ-1-Diabetikerinnen suchen hier Hilfe. |
Literatur
Diabetes und Schwangerschaft. S3-Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, AWMF-Nr. 057/023: Stand: Dezember 2014
Jaursch-Hanke C. Diabetes und Kinderwunsch aus Sicht des Diabetologen. München, 8. Februar 2019
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