Arzneimittel und Therapie

Verwirrende Packungsbeilagen

Fehlende Informationen führen zu Verunsicherung

Erhöht eine Therapie mit Amisulprid das Osteoporoserisiko – oder nicht? Ein Blick in die Packungs­beilagen verschiedener Präparate mit diesem Wirkstoff verwirrt. Die Angaben in den Gebrauchsinformationen variieren. Doch das Neuroleptikum ist kein Einzelfall ...

Im Rahmen der Arzneimittelberatung der Universität Bremen sorgte die Anfrage einer Patientin, die seit mehreren Jahren Amisulprid einnimmt und wegen eines neuen Rabattvertrags ihrer Kasse auf ein anderes Generikum umgestellt wurde, für Aufsehen. Im Unterschied zum bisherigen Präparat fand sich in der Packungsbeilage des neuen Rabattpartners kein Hinweis auf die gelegentliche unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) „Osteoporose, Osteopenie“. Die Patientin war auf diese Diskrepanz aufmerksam geworden, da sie gewohnt war, eine Knochendichtemessung mittels Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DXA) auf Kosten ihrer Kasse durchführen zu lassen. Insbesondere bei einer Dauermedikation wird die Messung aufgrund des ­erhöhten Erkrankungsrisikos unter bestimmten Voraussetzungen als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen, wenn in der Fach- bzw. Gebrauchsinformation ein Hinweis zu Osteoporose als mögliche UAW vorliegt. Fehlt dieser Hinweis, kann die Erstattung aus formalen Gründen abgelehnt werden. Die Patientin war nun unsicher, ob die Kostenübernahme für die diagnostische Leistung versagt würde.

Auch der Psychiater der Patientin zeigte sich über die fehlende Information in der Packungsbeilage verwundert. In der Stammapotheke der Patientin fand das pharmazeutische Personal in der Apothekensoftware jedoch den Hinweis auf Osteoporose bzw. Osteo­penie für das betreffende Generikum – auch dort war man über die Diskrepanz zur Gebrauchsinformation der verkauften Packung erstaunt.

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Ein Wirkstoff, viele Versionen

Adressat der Packungsbeilage nach § 10 Arzneimittelgesetz ist der Patient. Die Informationen sollen leicht verständlich und gut lesbar aufbe­reitet werden sowie stets aktuell sein. Was Generika anbelangt, könnte man eigent­lich erwarten, dass deren Packungs­beilagen nicht nur bei den Indikationen, sondern auch bei der Nennung der UAW den Informationsstand des Erstanbieters widerspiegeln und dass dies bei der Zulassung und während des gesamten Produktlebenszyklus geprüft wird. Dies ist jedoch keineswegs immer der Fall. Die Gründe hierfür sind vielschichtig (s. Kasten). So ergab eine vergleichende Suche in verschiedenen Infor­mationsquellen zu Fach- und Gebrauchsinformationen, welche die Datenbanken der Zeitschrift arznei-telegramm, des Fachinfo-Service der Roten Liste, der Lauer-Taxe Online 4.0 (Stand: 1. Juli 2019), des Arzneimittelinformationssystems (AMIS) von PharmNet.Bund sowie die Internetseiten der pharmazeutischen Unternehmer bzw. deren medizinisch-wissenschaftlicher Abteilungen einschloss, im Fall von Amisulprid deutliche Diskrepanzen. Für die 84 im Juli 2019 in Deutschland verkehrsfähigen Fertigarzneimittel zeigte sich in Bezug auf die gesuchte Information „gelegentliche UAW: Osteoporose/ Osteopenie“, die der Hersteller des Alt-Originals Solian® (Sanofi-Aventis Deutschland GmbH) bzw. der Zulassungsinhaber des Generikums AmisulpridLich® (Winthrop Arzneimittel GmbH/Zentiva Pharma GmbH) im März 2016 ergänzte, ein differenziertes Bild: Bei ­einigen Generika bzw. Reimporten fehlte diese Information gänzlich, in anderen Fällen war sie als „Spontanmeldung unbekannter Häufigkeit“ ­deklariert oder sie war – wie es zu ­erwarten wäre – konform wie beim Originalpräparat ausgewiesen.

Wie kommt es zu unterschiedlichen Gebrauchsinformationen bei wirkstoffgleichen Präparaten?

hb | Leider entspricht die Idealvorstellung, dass die Packungsbeilage eines Generikums eine 100%-ige Kopie der Packungsbeilage des „Originalarzneimittels“ sein sollte, in der Praxis nicht immer der Realität. Dies hat verschiedene Gründe: Der überwiegende Anteil der Generika wird nicht zentral durch die europäische Arzneimittelagentur (EMA) zugelassen, sondern über andere europäische Verfahren, und zwar über das gegenseitige Anerkennungsverfahren (MRP) oder das dezentrale Verfahren (DCP). In die Verfahren sind je nachdem, wo die Arzneimittel auf den Markt kommen sollen, unterschiedlich viele Länder eingebunden. Die Bezugsarzneimittel in den Verfahren heißen nicht „Originalarzneimittel“, sondern „Referenz­arzneimittel“. Generika-Zulassungen im europäischen Binnenmarkt müssen nicht immer dasselbe in einem bestimmten Land zugelassene Referenzarzneimittel haben. Deswegen gibt es auch nicht „das“ Originalarzneimittel für alle Generika.

Außerdem kann es aus historischen Gründen auch bei ein und demselben Referenzarzneimittel Zulassungen in verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Zusammenfassungen der Produktmerkmale (SmPC) geben („horizontale Disharmonie“). Weiterhin wird als Ergebnis von MRPs und DCPs nicht wie im zentralen Verfahren eine einzige Zulassung erteilt. Das Ergebnis sind vielmehr jeweils nationale Zulassungen in den einzelnen Ländern. Zwar sollten die Texte idealerweise europäisch harmonisiert sein, aber das gelingt nicht immer nach „Punkt und Komma“, denn die neuen Zulassungen müssen sich in die bereits bestehenden nationalen Generikamärkte einfügen, auf denen im Detail immer noch mit kleinen Abweichungen bei den Texten gerechnet werden muss. Hinzu kommt, dass die so erteilten Generika-Zulassungen national „weiterleben“, zwar weiterhin mit ihrem jeweiligen Referenzarzneimittel („Orginalarzneimittel“) als Bezugspunkt, aber doch in gewissem Umfang eigenständig. Mit jedem Präparat werden individuelle Anwendungserfahrungen gemacht. Nebenwirkungsprofile müssen sich nicht zwangsläufig gleich entwickeln. Neue anwendungssichernde Hinweise müssen über Änderungsanzeigen ebenfalls wieder unter den in das Verfahren eingebundenen Ländern abgestimmt werden, wobei manchmal in mühsamen Abstimmungsverfahren Kompromisse gefunden werden müssen.

Gibt es also bei Generika keine „Zwangsharmonisierung“ der Packungsbeilagen, weder national noch europäisch? Doch, die gibt es. Und zwar immer dann, wenn abweichende Angaben ein bedeutendes Arzneimittelrisiko nach sich ziehen können. In solchen können für die entsprechenden Passagen in der Packungsbeilage einheitliche Texte empfohlen oder angeordnet werden.

Abweichungen bei Packungsbeilagen können außerdem dann entstehen, wenn bei der Umstellung eines Textes noch Vorläuferversionen in Verkehr sind. Deswegen empfiehlt es sich, immer auf das Datum einer Packungsbeilage zu schauen und gegebenen­falls den letzten Stand über das Portal www.pharmnet-bund.de zu verifizie­ren.

Anpassungen laufen schleppend

Anfragen bei den betroffenen Herstellern erbrachten Zusagen für Nach­besserungen, deren Umsetzung sich jedoch bis zum nächsten Unbedenklichkeitsbericht (Periodic Safety Update Report, PSUR) an die europäische Arzneimittelagentur (EMA) im Jahr 2020 verzögern könne. Festzustellen ist bezüglich des Wirkstoffes Amisulprid jedoch auch, dass bereits seit Jahren keine Unbedenklichkeitsberichte im Rahmen der EMA-Aktivitäten be­arbeitet wurden – die zentrale Arzneimittelbehörde scheint bei der großen Anzahl der in Europa vermarkteten Arzneimittel diese wichtige Aufgabe der Aktualisierung und Harmonisierung von Arzneimittelinformationen bei Medikamenten mit gleichem Wirkstoff nicht in allen Fällen ausreichend rasch erledigen zu können.

Über das Problem des zeitlichen Verzuges bei der Aufnahme relevanter Warnhinweise in die Informationstexte, d. h. in die Fach- und Gebrauchsinformationen, wies die Zeitschrift arznei-telegramm für den Wirkstoff Citalopram bereits im Jahr 2012 hin.

Auch was Informationen zu Wechselwirkungen betrifft, liegt einiges im Argen. So haben Mitarbeiter der Arbeitsgruppe um Professor Maas schon 2013 auf „Inkonsistenzen reziproker Interaktionswarnungen in Fachinformationen“ in erheblichem Umfang – nämlich bei 52% der untersuchten Wirkstoffe – hingewiesen. Demzufolge müssten Ärzte und Apotheker stets mehrere Fachinformationen konsultieren, um „sicherzugehen, keine klinisch relevante Warnung zu übersehen“.

Ausweg Wirkstoffmonografien

Anbieter von Datenbanken zur Arzneimittelinformation mindern dieses Problem, indem sie Informationen zum Wirkstoff aller pharmazeutischen Hersteller, d. h. Original, Reimporte und Generika, in sogenannten Wirkstoffmonografien zusammenfassen. Ergänzend werden aktuelle Warnmeldungen, z. B. Nachrichten der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) oder Rote-Hand-Briefe sowie Fach- und Gebrauchsinformationen online zur Verfügung gestellt. Wie auch im Fall der Amisulprid-Patientin kann es für Patienten hilfreich sein, sich diese aktuellen Informationen in ihrer Stammapotheke bei Bedarf ausdrucken zu lassen und diese dann bei ihrer Kasse vorzulegen, wenn bestimmte diagnostische Leistungen abhängig von möglicherweise vorkommenden UAW erbracht werden sollten.

Weiterhin können auf der Internetseite der europäischen Zulassungsbehörde EMA aktuelle Packungsbeilagen und Fachinformationen der zentral zu­gelassenen Arzneimittel in den Amtssprachen der europäischen Union ­abgerufen werden. Für Generika, die meistens beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen werden, oder ­Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMPs), Biologika, Impfstoffe und Sera, für die das Paul-Ehrlich-­Institut zuständig ist, können diese über die AMIS-Datenbank herunter­geladen werden.

Luft nach oben

In Zeiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen ergeben sich neue Chancen zur zeitnahen Wissensvermittlung sowohl für Patienten als auch für Fachkreise. Beim Zugang und auch den Aktualisierungsintervallen der Packungsbeilagen und Fachinformationen muss akut noch dringender Verbesserungsbedarf festgestellt werden. Ein erster Schritt wäre, pharmazeutische Unternehmer gesetzlich zu verpflichten, auf ihrer Internetseite Fach- und Gebrauchsinformationen aller im Handel befindlichen Präparate online barrierefrei zur Verfügung zu stellen und Unterschiede der redaktionellen Versionen in Synopsen kenntlich zu machen. |

Apotheker Lutz Muth, Prof. Dr. Gerd Glaeske, Universität Bremen

Literatur

Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (MVV-RL): Osteodensitometrie bei Osteoporose. Beschluss vom 21. Februar 2013. www.g-ba.de

Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG). www.gesetze-im-internet.de

arznei-telegramm. Fachinformationen – im Schneckentempo aktualisiert. a-t 2012;43:34-35

Pfistermeier B et al. Inkonsistenzen reziproker Interaktionswarnungen in Fachinformationen. Poster am 3. Kongress für Arzneimittelinformation vom 11. bis 12. Januar 2013 in Köln. www.adka-arznei.info

Pfistermeister B et al. Inconsistencies and misleading information in officially approved prescribing information from three major drug markets. Clin Pharmacol Ther 2014;96(5):616-624

European Medicines Agency. www.ema.europa.eu

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). www.bfarm.de

Arzneimittel-Informationssystem von PharmNet.Bund. www.pharmnet-bund.de

ABDA-Datenbank. www.drugbase.de

DAZ.online. Rote-Hand-Briefe werden in ABDA-Datenbank eingepflegt. Meldung vom 7. Juni 2019; www.deutsche-apotheker-zeitung.de

Blasius H. Packungsbeilage – Fachinformation. DAZ 2014, Nr. 42, S. 46

Blasius H. Arzneimittelrisiken erfassen. DAZ 2014, Nr. 50, S. 62

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