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Arzneimittel und Therapie
Metformin statt Sulfonylharnstoffe
Patienten mit moderater Niereninsuffizienz profitieren
Im April 2016 änderte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA die Kriterien für Indikation und Kontraindikation von Metformin von einem Serumkreatinin- zu einem eGFR-basierten Ansatz. Seither ist Metformin in den USA in reduzierter Dosis und unter Vorsichtsmaßnahmen bis zu einer eGFR von 30 ml/min/1,73 m2 einsetzbar. Allerdings sollte eine Neueinstellung auf Metformin unter einer GFR von 45 ml/min/1,73 m2 nicht mehr erfolgen [1]. Seit Anfang 2017 ist auch in Deutschland der Einsatz bei Patienten mit moderater Niereninsuffizienz möglich, bei schwerer Nierenfunktionsstörung ist Metformin nach wie vor kontraindiziert (s. Tabelle) [2].
GFR (ml/min) |
maximale Tagesdosis |
zusätzliche Erwägungen |
---|---|---|
60 – 89 |
3000 mg |
Eine Dosisreduktion kann in Abhängigkeit von der Abnahme der Nierenfunktion in Betracht gezogen werden. |
45 – 59 |
2000 mg |
Vor Einleitung einer Behandlung mit Metformin sollten Faktoren, die das Risiko einer Laktatazidose erhöhen können, überprüft werden. Die Anfangsdosis beträgt höchstens die Hälfte der Maximaldosis. |
30 – 44 |
1000 mg |
|
< 30 |
– |
Metformin ist kontraindiziert |
Sterblichkeit verringert
Vor diesem Hintergrund untersuchten Pharmazeuten und Mediziner der University of Washington in Seattle den Einfluss von Metformin und Sulfonylharnstoffen (SH) bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und verschiedenen Graden von Nierenfunktionseinschränkungen. Sie werteten dazu die Datensätze von über 175.000 Patienten der Veterans Health Organisation (VHA) aus und kamen zu dem Ergebnis, dass Metformin in jeder der untersuchten Nierenfunktionskategorien überlegen war. Patienten mit einer eGFR unter 30 ml/min/1,73 m2 gingen aufgrund der geringen Anzahl nicht in die Analyse ein. Insbesondere bei einer eGFR von 30 bis 44 ml/min/1,73 m2 zeigte sich eine Mortalitätsreduktion von 12,1 Todesfällen pro 1000 Patientenjahren [1].
Dieses Ergebnis steht in Widerspruch zu einer 2012 publizierten schwedischen Studie, in der Metformin eine Überlegenheit gegenüber anderen Therapien (nicht nur SH) bei einer eGFR zwischen 45 und 59 (Hazard Ratio [HR] 0,87; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,77 – 0,99) – nicht jedoch zwischen 30 und 44 ml/min/1,73 m2 (HR 1,02; 95%-KI 0,84 – 1,24) – aufwies [3]. Auch wenn die amerikanische Studie dadurch limitiert ist, dass ausschließlich SH mit Metformin verglichen wurden und die VHA-Daten keine Aussagen zu Dosierungen lieferten, sollte sie zum Anlass genommen werden, das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Metformin bei Niereninsuffizienz neu zu überdenken.
Geringes Lactatazidose-Risiko?
Hilfreich sind dabei Studien, die sich mit dem Risiko von Lactatazidosen befassen. Dazu liegt nun eine weitere retrospektive Auswertung von Daten zweier amerikanischer Krankenversicherungen vor, die 75.413 und 82.017 Patienten berücksichtigte. Erfasst wurden Krankenhausaufnahmen mit der Diagnose Azidose, definiert als ICD-9-Diagnoseschlüssel 276.2. Dieser Code schließt ein breites Spektrum von Azidosen ein, was die Aussagekraft der Studie limitiert; diabetische Ketoazidosen sind dabei jedoch ausgeschlossen. Das Ergebnis der retrospektiven Kohortenstudie zeigte eine allgemeine Zunahme des Risikos von Azidosen bei abnehmender Nierenfunktion, und zwar unabhängig von den verwendeten Antidiabetika. Unter Metformin stieg das Azidoserisiko erst signifikant an, wenn eine eGFR von 30 ml/min/1,73 m2 unterschritten wurde [4].
Lactatazidose: Risikofaktoren
- akute Verschlechterung der Nierenfunktion (z. B. durch schwere Infektionen, Sepsis)
- Dehydratation (schwere Diarrhö oder Erbrechen, Fieber oder verminderte Flüssigkeitsaufnahme)
- Arzneimittel, die die Nierenfunktion akut beeinträchtigen können (z. B. Antihypertonika, Diuretika und NSAR)
- übermäßiger Alkoholkonsum
- Leberfunktionsstörung
- schlecht eingestellter Diabetes
- Ketose
- langes Fasten
- mit Gewebshypoxie assoziierte Erkrankungen (dekompensierte Herzinsuffizienz, respiratorische Insuffizienz, frischer Myokardinfarkt, Schock)
[Quelle: Fachinformation Glucophage®, Stand April 2017]
Dosisreduktion und Monitoring
Diese Ergebnisse stützen die nun erlaubte Möglichkeit, Metformin in reduzierter Dosis und unter sorgfältiger Überwachung auch bei einer eGFR von deutlich unter 45 ml/min/1,73 m2 einzusetzen. Dagegen spricht jedoch die zunehmende Zahl von Spontanmeldungen zum Teil tödlicher Lactatazidosen, wie sie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKDÄ) bereits 2013 publiziert hat [5]. Für diesen Widerspruch gibt es mehrere Erklärungsansätze:
- Lactatazidosen könnten bevorzugt dann auftreten, wenn es unerwartet zu einer akuten Verschlechterung der Nierenfunktion kommt, z. B. durch die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) durch Patienten unter Renin-Angiotensin-Aldosteron-System(RAAS)-Hemmung und Diuretika („Triple Whammy“, s. auch DAZ 2018, Nr. 30, S. 44). Eine skandinavische Studie legt diesen Schluss nahe. Im Beobachtungszeitraum von zwei Jahren traten in einer Gruppe von 5408 Patienten mit Metformin drei Fälle von Lactatazidosen auf, überraschenderweise keine davon in der höchsten Altersgruppe bei Patienten über 79 Jahren. In einem der Fälle lag als Komorbidität ein Pankreaskarzinom mit Lebermetastasen vor, ein Bezug zur eGFR wurde in diesem Fall nicht hergestellt. In den beiden anderen Fällen, in denen keine schweren Komorbiditäten vorlagen, verbesserte sich die eGFR nach dem Ereignis deutlich. Die Autoren folgern daraus, dass ein rapider Abfall der Nierenleistung die Lactatazidose ausgelöst hatte [6].
- Mangelnde Muskelmasse, assoziiert mit einer reduzierten Freisetzung von Kreatinin, könnte in den dokumentierten Lactatazidose-Fällen zu einer Fehleinschätzung der Nierenfunktion geführt haben. Die klinische Erfahrung zeigt, dass dies bei der Interpretation des Laborparameters Serumkreatinin und der daraus errechneten eGFR immer wieder zu Überdosierungen renal eliminierter Arzneistoffe führt [7].
- Darüber hinaus zeigt die Erfahrung aus mehreren Hundert Projektarbeiten, die bisher in der Weiterbildung Geriatrische Pharmazie erstellt wurden, dass gerade bei geriatrischen Patienten viel zu selten die üblichen Routineparameter gemessen werden, zu denen das Serumkreatinin gehört.
Patienten richtig beraten
Das Fazit aus den aktuellen amerikanischen Studien und den Daten, die den Erfahrungshintergrund dazu liefern, kann lauten, dass auch Patienten mit einer moderat eingeschränkten Nierenfunktion von Metformin profitieren könnten, wenn sie entsprechend instruiert werden (z. B. Einhaltung einer ausreichenden Trinkmenge, Meidung von NSAR) und ein intensiviertes Monitoring erfolgt. |
Quelle
[1] Marcum ZA et al. Mortality associated with metformin versus sulfonylurea initiation: a cohort study of veterans with diabetes and chronic kidney disease. J Gen Intern Med 33(2):155-165
[2] Mitteilung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 17. Februar 2017. Metformin zur Behandlung des Typ-2-Diabetes: Umsetzung der Durchführungsbeschlüsse der EU. www.bfarm.de; Abruf am 31. Juli 2018
[3] Ekström N et al. Effectiveness and safety of metformin in 51675 patients with type 2 diabetes and different levels of renal function. BMJ Open 2012;2(4):e001076
[4] Lazarus B et al. Association of metformin use with risk of lactic acidosis across the range of kidney function: A Community-Based Cohort Study. JAMA Intern Med 2018;178(7):903-910
[5] Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKDÄ). Zunahme von Spontanberichten über Metformin-assoziierte Laktatazidosen. Deutsches Ärzteblatt 2013;110(10):A464
[6] Sterner G et al. Renal function in a large cohort of metformin treated patients with type 2 diabetes mellitus. Br J Diabetes Vasc Dis 2012;12(5):227-231
[7] Alter M, Zieglmeier M. Die perfekte Formel. DtschApothZtg 2013;32:54-58
[8] Fachinformation Glucophage®, Stand April 2017
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