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Wirtschaft

„Die ganze Branche verdient kein Geld mehr“

Dr. Peter Schreiner (Gehe) über das Großhandels-Fixhonorar

jb | Der Stuttgarter Pharmagroßhändler Gehe hat mit einem Whitepaper politische Forderungen de­finiert, wie auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Versorgung aller Patienten mit Arzneimitteln gelingen kann (S. 9). Dr. Peter Schreiner, Vorsitzender der Gehe-Geschäftsführung, erläutert im DAZ-Interview die Hintergründe des Papiers.

DAZ: Was hat Sie als einzelner Großhändler dazu bewegt, so ein politisches Whitepaper zu erarbeiten? Versprechen Sie sich davon mehr Aufmerksamkeit?

Schreiner: Selbstverständlich haben wir das Whitepaper veröffentlicht, um Aufmerksamkeit zu erzeugen – aber für die Sache. Natürlich befinden wir uns zudem in Abstimmung mit unserem Bundesverband Phagro, den das Thema der qualitativ hochwertigen und flächendeckenden Versorgung ja auch umtreibt.

DAZ: Und warum gerade jetzt? Hat es etwas damit zu tun, dass Bundesgesundheitsminister Spahn aktuell das Großhandelshonorar auf der politischen Agenda hat? Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG), dessen Referentenentwurf nun vorliegt, soll ja die Nicht-Rabattierbarkeit des Fixums festgeschrieben werden.

Schreiner: Patienten freuen sich da­rüber, dass Apotheken innerhalb von zwei Stunden ein Arzneimittel besorgen können. Aber darüber, dass das ohne den pharmazeutischen Großhandel nicht geht, machen sie sich kein Bild. Das ist natürlich bei den Politikern genauso. Unter Apotheken und Herstellern können sie sich etwas vorstellen, aber nicht unter dem pharmazeutischen Großhandel. Deswegen haben wir uns im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit personell verstärkt. In der öffentlichen Wahrnehmung kommt der Großhandel nämlich nicht vor.

DAZ: Das Großhandelshonorar ist ja wie das Apothekenhonorar seit vielen Jahren von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abgehängt. Glauben Sie, dass es tatsächlich an der fehlenden öffentlichen Wahrnehmung liegt, dass sich hier nichts getan hat oder wenigstens darüber diskutiert wurde?

Schreiner: Mit dem Papier wollen wir deutlich machen, was wir eigentlich leisten. Viele Dinge sind selbstverständlich für unsere Kunden. Nehmen wir zum Beispiel die Rabattverträge, die wir jetzt das elfte Jahr haben. Natürlich wird immer über sie gesprochen, aber es steht nicht in der Öffentlichkeit, dass die Umsetzung von 27.300 Rabattverträgen ohne die Unterstützung durch den Großhandel nicht möglich wäre. Keine Apotheke kann für alle Patienten der verschiedenen Kassen die Präparate bereithalten.

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Statement zum Gehe-Whitepaper Dr. Peter Schreiner, Vorsitzender der Gehe-Geschäftsführung, im Gespräch mit DAZ.online-Chefredakteurin Julia Borsch und DAZ-Chefredakteur Dr. Armin Edalat (v. r.)

DAZ: Ein Punkt in Ihrem Papier ist die rechtzeitige Information des Großhandels über den Abschluss von Rabattverträgen. Sie wünschen sich eine Frist von drei Monaten vor Start. Zu welchem Zeitpunkt erfahren Sie denn aktuell von Veränderungen?

Schreiner: Zu spät. Es gibt zwar einen standardisierten Prozess über den Phagro, aber für Steuerungszwecke ist das zu spät. Es gibt keine Informationspflicht. Hier fragt man sich wieder, ob eigentlich drüber nachgedacht wurde, wie der Prozess beim Großhandel umgesetzt werden soll.

DAZ: Bei welchen Themen ist das denn noch so?

Schreiner: Zum Beispiel bei der Arzneimittel-Fälschungsschutzrichtlinie: Es wird darüber gesprochen, was sie für die Hersteller bedeutet, die beispielsweise den 2D-DataMatrix-Code aufbringen müssen. Auch wird thematisiert, wie sich die Richtlinie auf die Apotheken auswirkt, die darauf vorbereitet sein müssen, wenn es mal nicht der Status „grün“ ist. Was hat das aber beim Großhandel für Folgen? Welchen Aufwand löst das aus? Zum Beispiel ist es mit manchen Automatentypen gar nicht möglich, jede einzelne Packung zu scannen, um die Charge auszulesen. Derzeit tun wir das nur bei wenigen Spezialprodukten. Künftig müssen wir diese Vorgabe aber für jede Packung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels erfüllen, was ich grundsätzlich gut und richtig finde. Aber ist da mitgedacht worden? Die Fälschungsschutzrichtlinie schlägt bei Gehe schon heute mit rund 18 Millionen Euro für notwendige Investitionen zu Buche. Dieses und auch andere Themen sind in der Vergangenheit politisch entschieden worden, ohne zu berücksichtigen, dass das Folgen hat – zum einen für unserer Prozesse, aber auch für unsere wirtschaftliche Situation. Jetzt sind wir in einer Situation, wo wir quasi kein Geld mehr verdienen – und das bei einem Umsatz von etwa 5 Milliarden Euro.

DAZ: Ist das ein Branchen- oder ein Gehe-Problem?

Schreiner: Wir können natürlich nur für uns reden, die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind jedoch von allen einzuhalten. Ich muss daher davon ausgehen, dass die ganze Branche kein Geld mehr verdient. Aber uns ist es vor allem wichtig, zu betonen, dass aufgrund regulatorischer Eingriffe, wie GDP-Vorgaben oder die Fälschungsschutzrichtlinie, und der Struktur unserer Vergütung im Zusammenhang mit dem steigenden Hochpreisersegment, unsere Marge kontinuierlich sinkt. Hochpreisige Arzneimittel sind nach Packungen bemessen gar nicht so viele, aber der Lagerwert ist immens: Nur 0,14 Prozent unserer Packungen sind Hochpreiser, diese vereinen jedoch ein Viertel des gesamten Lagerwerts. Das sind alles Faktoren, die unsere Wirtschaftlichkeit eingeschränkt oder verändert haben. Darauf muss man hinweisen und auch mal nach dem Bestellerprinzip fragen. Es waren nicht un­sere Kunden, die die Fälschungsschutzrichtlinie und GDP gefordert haben, sondern es war ein Aufruf der Politik. Wer bestellt, muss es auch bezahlen!

Wie hat sich die Großhandelsvergütung entwickelt? Quelle: Phagro, GKV-Spitzenverband, Destatis, Verdi

DAZ: Nun gibt es bereits den Vorstoß von Minister Spahn, das Fixhonorar zu fixieren. Trotzdem sprechen Sie es in dem Papier an. Geht es Ihnen darum, das nochmal zu bekräftigen, oder geht es Ihnen um die Höhe, die Sie ja auch konkret definieren?

Schreiner: Wir wollen zum einen darauf aufmerksam machen, dass die Fixierung des Fixums nur die Reparatur dessen ist, was bei dem ursprünglichen Gesetzgebungsprozess missverständlich oder nicht eindeutig formuliert wurde. Die Fixierung hat aber nichts mit den steigenden Kosten und den sinkenden Margen zu tun. Bereits 2010 konnte der Phagro nachweisen, dass der Großhandel 93 Cent erhalten muss, um wirtschaftlich zu bleiben. Aber damals hatte Gesundheitsminister Philipp Rösler auch vom Großhandel Einsparungen gefordert und deswegen die 70 Cent festgesetzt. Darunter leiden wir heute, im Jahr 2018, noch immer. Die Fixierung ist richtig und notwendig, aber das reicht nicht aus. Nur zwei Zahlen: Während 2003 die Marge im pharmazeutischen Großhandel noch 12,52 Prozent betrug, lag sie 2017 nur noch bei 4,38 Prozent.

DAZ: Sie beziffern in dem Papier die Höhe des Fixums auf 96 Cent – die Zahl kommt einem durchaus bekannt vor.

Schreiner: Ja, die Zahl ist aus dem Honorargutachten bekannt. Allerdings ist auch der Phagro bereits 2010 auf 93 Cent gekommen, jetzt haben wir 2018. Allerdings hat die Zahl im Gutachten einen Schönheitsfehler, weil die Gutachter ja gleichzeitig eine Senkung des variablen Anteils auf 0,53 Prozent vorschlagen. Das sehen wir ganz klar nicht.

DAZ: Sie haben sich also das Beste aus dem Gutachten herausgepickt?

Schreiner: Nein, das sind valide Daten, die sich auch beim Phagro nachlesen lassen. Auf diesen Daten basiert ja auch der Vorschlag im Honorargutachten. Die 96 Cent bilden somit die Realität ab. Die 0,53 Prozent für den variablen Anteil tun das aber nicht. Der Fehler, den das Gutachten im Bezug auf den Großhandel macht, ist: Man hat dem pharmazeutischen Großhandel keinen Gewinn zugestanden. Wenn man so agieren möchte, müsste man den Großhandel verstaatlichen. Das Gutachten sieht nur Kostendeckung vor, aber nicht, dass es auf der anderen Seite Akteure gibt, die das System finanzieren und investieren, und die bei 5 Milliarden Euro Umsatz auch einen unternehmerischen Gewinn einplanen. Bei einer Erhöhung des Fixums auf 96 Cent bei gleichbleibendem variablem Anteil wäre wieder eine wirtschaftliche Attraktivität gegeben, in diesem Segment weiter tätig zu sein. Mit dem Vorschlag der Gutachter, den variablen Anteil auf 0,53 Prozent abzusenken hingegen, wäre kein unternehmerischer Gewinn mehr drin – im Gegenteil, wir wären sogar noch schlechter gestellt als heute. Der GKV-Spitzenverband möchte an zwei Stellen sparen, deswegen findet der das Thema so spannend: Einmal am Apothekenhonorar direkt und außerdem über die Großhandelsrabatte. Wir wollen aber weiter gerne mit unseren Kunden partnerschaftlich zusammenarbeiten. Auch für die Apotheken bzw. ihre Konditionen ist der variable Anteil von großer Bedeutung. Zudem hängen Erfolg der Apotheke und Erfolg des Groß­handels eng zusammen.

DAZ: Die Rabatte zwischen Apotheke und Großhandel sind allerdings die große Dunkelziffer im Gutachten, das haben die Gutachter ja auch zugegeben.

Schreiner: Die Frage wird am Ende sein: was will der Gesetzgeber. Bislang wollte er ein System, das dem Großhandel Spielraum für Rabatte zugesteht. Aus den Gesprächen, die ich geführt habe, schließe ich, dass das weiterhin der Wunsch ist.

DAZ: Viele Apotheker sehen das ja als schlechtes Omen, dass Spahn sich erstmal um den Großhandel kümmert. Er hätte für die Apotheken gleich eine Lösung mit präsentieren können.

Schreiner: Deswegen kann ich mich jetzt auch über die 70 Cent nicht freuen und meine Arme hochreißen. Das ist jetzt nur ein vorgelagerter Schritt. Ich finde es auch gut, dass er vorgelagert wurde. Aber man muss abwarten was im Herbst kommt. Auch deswegen sind wir gerade sehr aktiv, unsere Position darzulegen, auch als Einzelunternehmen. Was heißt das für uns und unsere 2300 Mitarbeiter. Das sind elementare Entscheidungen, die da anstehen. Daher ist es wichtig, in Abstimmung mit unserem Verband in Berlin den Gesetzgeber auf unsere Situation aufmerksam zu machen.

DAZ: Die 96 Cent wären aber auch nur ein erster Schritt? Sie fordern ja außerdem eine Dynamisierung.

Schreiner: Als wir das letzte Mal für eine bessere Großhandelsvergütung gekämpft haben, kamen die 70 Cent raus. Das ist weit weg von dem, was wir als kalkulatorische Basis vorgelegt haben. Dann ist acht Jahre nichts passiert und jetzt stehen noch Vorschläge im Raum, die vorsehen, dass wir wieder einen hohen Beitrag leisten. Wenn man das Thema wieder jahrelang nicht behandelt, wird wieder so eine Schieflage entstehen. Beim Großhandel spielen auch viele Faktoren eine Rolle. Stichwort: Löhne und Gehälter. Wir sind tariflich gebunden, aber kein Unternehmen des öffentlichen Rechts, sondern privatwirtschaftlich tätig. Allerdings beziehen wir einen Großteil unserer Einnahmen aus einem staatlich regulierten Markt und daher muss man darauf hinweisen, einen Faktor einzubeziehen, der diesen Anstieg der Löhne und Gehälter berücksichtigt. Auch die Hersteller haben beispielsweise die Möglichkeit, innerhalb des Preismoratoriums inflationsbedingt Preise zu erhöhen. Warum gilt das für die Hersteller, nicht aber für den pharmazeutischen Großhandel?

DAZ: Sie sprechen in Ihrem Papier ja auch die sinkende Großhandelsmarge an.

Schreiner: Wir verlieren jedes Jahr Millionenbeträge dadurch, dass das am stärksten wachsende Segment für uns das unprofitabelste ist – die Hochpreiser. Da trifft uns die Kappungsgrenze von 1200 Euro. Bei allem was teurer ist, geht unsere Marge tendenziell gegen null. Auf der anderen Seite ist der Kapitalbedarf deutlich größer. Es ist ja heute keine Seltenheit mehr, dass wir Produkte auf Lager haben, die 10.000 Euro kosten und sogar solche, die über 20.000 Euro kosten. Wenn da mal eine Packung auf den Boden fällt, kann der Großhandel das mit dem mit den anderen Packung generierten Gewinn nie wieder kompensieren. Und dieser Trend wird nicht abnehmen, der nimmt eher zu.

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DAZ: Diese Kostensteigerungen durch GDP und die Fälschungsschutzricht­linie sowie die sinkenden Margen treffen ja alle Mitglieder. Wäre es nicht sinnvoll, wenn der Phagro ein eigenes Gutachten erstellen würde, das sich mit dem gesetzlichen Versorgungs­auftrag beschäftigt, wo die Kosten entstehen und damit, ob das alles in ein Fixum abgebildet werden soll?

Schreiner: Wir haben im Vorstand des Phagro eine Studie in Auftrag gegeben, die jetzt zeitnah fertiggestellt werden soll, um auch hier noch einmal Zahlen, Daten, Fakten auf den Tisch zu legen.

DAZ: In einem weiteren Punkt beziehen Sie sich in Ihrem Whitepaper auf das Gutachten, indem Sie sagen, dass es weiterhin ihre frei unternehmerische Entscheidung sein muss, wie oft Sie einen Kunden beliefern. Die Gutachter haben ja hier vorgeschlagen, die Lieferfrequenz auf eine Tour am Tag zu begrenzen, um noch einmal Kosten zu sparen.

Schreiner: Das wäre Planwirtschaft. Natürlich kann der Gesetzgeber alles Mögliche vorschreiben. Letztlich müssen wir aber ein Sache ganz klar sehen: Es gibt 128.000 Arzneimittel auf dem Markt, eine typische Apotheke hat zwischen 4000 und 5000 PZN, also weniger als vier Prozent. Die anderen 96 Prozent müssen bestellt werden. Wenn das nur noch einmal am Tag passiert, sollte dann aber auch der Gesetzgeber oder die Honorargutachter den Menschen erklären, dass sie ihre dringend benötigten Arzneimittel nicht mehr am selben Tag bekommen, weil der Fahrer schon da war und nicht mehr kommen darf. Das sollte nicht die Apotheke erklären müssen, sondern der Verursacher. Eine solche Lösung halte ich für absolut realitätsfern. Es müssen bedarfsgerechte Belieferungen erfolgen. Dieses System mit den Rabattverträgen von über 100 Kassen, die zum Teil auch noch regionale Verträge haben, bringt eine gewisse Komplexität mit sich. Wenn ich die nicht haben will, gibt es verschiedene Stellschrauben, an denen man drehen kann. Ob die dann immer gewünscht sind oder nicht, ist eine andere Frage.

DAZ: Die Festlegung auf eine Tour wäre ja eine Schwächung der Apotheke vor Ort und eine Stärkung des Versandhandels?

Schreiner: Absolut. Das ist ja das Verrückte: Einerseits bewundert man bei allgemeinen Konsumgütern die Services von beispielsweise Amazon Prime Now. Andererseits ist es bei dem besonderen Gut Arzneimittel aber genau das, was die Apotheken vor Ort jeden Tag leisten – und das nicht nur in Berlin und in München, sondern überall. Leider wird dies auf Basis dessen, was wir als pharmazeutischer Großhandel hierzu beitragen, nicht wahrgenommen. Das muss stärker in die Köpfe. Da sind wir gefordert, wir als Gehe, aber auch unsere Kunden, das noch deutlicher zu kommunizieren und weiter in den Vordergrund zu stellen im lokalen Umfeld. Was Apotheke und Großhandel hier geneinsam leisten ist eine Selbstverständlichkeit geworden. Wenn der Großhandel aber nur noch einmal am Tag beliefern darf, kommen wir in eine ganz andere Versorgungsituation. Und da darf doch die Frage erlaubt sein, ob dies tatsächlich politisch gewollt ist.

DAZ: Herr Dr. Schreiner, vielen Dank für das Gespräch. |

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