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Post-Finasterid-Syndrom: ein neues Rätsel

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung – das ist das Charakteristikum einer wirksamen Arzneimitteltherapie schlechthin. Umfangreiche Beipackzettel geben Auskunft, womit zu rechnen ist. Oft genug kristallisiert sich allerdings das tatsächliche ­Nebenwirkungspotenzial erst nach Markteinführung heraus. Und immer wieder beklagen Betroffene, dass die unerwünschten Wirkungen auch nach Absetzen noch anhalten. Ein prominentes Beispiel ist die Therapie mit Fluorchinolonen (s. a. S. 23).

Nun zieht ein weiterer Fall von möglicherweise irreversiblen Nebenwirkungen das Interesse der Öffentlichkeit auf sich. Zunehmend häufiger wird in der Laienpresse über junge Männer berichtet, die für den Erhalt ihrer Kopfbehaarung auf den 5α-Reduktase-Hemmer Finasterid zurückgegriffen haben und danach nicht nur unter sexuellen Funktionsstörungen leiden. Die Betroffenen berichten über viele weitere belastende psychische und kognitive Beschwerden, die trotz Absetzen bestehen bleiben. Auch eine Testosteron-Substitution soll nur bedingt helfen. Wie bei den Fluorchinolonen wird gerätselt, wie viele Patienten tatsächlich unter den Folgen der Therapie leiden und was denn der Grund sein könnte. Immer wieder werden die Betroffenen mit dem Vorwurf konfrontiert, dass chronische Müdigkeit, Angstzustände, ­Depressionen, Schlafstörungen etc. nichts mit der Behandlung zu tun haben. Auch ein ausgeprägter Nocebo-Effekt wird diskutiert.

Dabei ist gerade Finasterid ein Parade­beispiel für ein Medikament, dessen Potenzial sowohl im positiven wie im negativen Sinne bei der Markteinführung als Proscar® zur Behandlung der benignen Prostata-Hyperplasie gar nicht abzuschätzen war. Dass unter der Therapie auch das Kopfhaar wieder zu sprießen begann, war eine erfreuliche Begleitwirkung, die zur Weiterentwicklung von Finasterid (Propecia®) zur Behandlung der leichten bis mäßigen androgenetischen Alopezie führte.

Heute weiß man, dass von dem Enzym 5α-Reduktase mindestens drei Isoformen existieren, die unterschiedlich lokalisiert und unter anderem wichtig für den Neuro­steroid-Metabolismus sind. Finasterid hemmt zwei dieser Isoformen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus vorstellbar, dass Finasterid auch in das hochkomplexe Regelwerk der Neurotransmitter-Regulation eingreift – mit durchaus dramatischen Folgen.

Das sind jedoch Hypothesen, die auf Veri­fizierung warten. Grundlagenforschung wäre gefragt, auf die die Betroffenen aber nicht warten können. Und so hat der Androloge Prof. Dr. Michael Zitzmann vom Universitätsklinikum Münster aus der Not eine Tugend gemacht. Er erfasst den Hormon­status auch der Steroide, die für den Neurotransmitter-Stoffwechsel von Bedeutung sind, und führt bei Mangel – durchaus erfolgreich – eine gezielte „Hormonersatz“-Therapie durch (s. S. 29).

Das alles passiert nicht im Rahmen von kontrollierten klinischen Studien, dafür fehlt wohl, ebenso wie für die Grundlagenforschung, das Geld. Den Betroffenen, denen Zitzmann so helfen kann, kann das egal sein. Für die anderen, die auf diese Weise keine Linderung erfahren und deshalb dringend auf Ursachenforschung angewiesen wären, ist das ein Desaster.

Die Beispiele Finasterid sowie Ciproflox­acin und Co. machen einmal mehr ganz klar: Wir brauchen dringend effektivere Strukturen zur Erfassung und Erforschung von seltenen Nebenwirkungen – auch und vor allem nach der Markteinführung. Das Feld darf nicht den Internetforen zur Aufarbeitung überlassen werden. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass die posttherapeutischen Syndrome exponenziell in die Höhe schnellen und immer mehr Patienten das Vertrauen in ihre Therapien verlieren.


Dr. Doris Uhl

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