Hintergrund

„Eine Chance!“

Interview mit dem Palliativmediziner Dr. Hans-Jörg Hilscher

DAZ: Herr Dr. Hilscher, wenn es um den Einsatz von Methadon in der Krebs­therapie geht, fällt immer wieder Ihr Name. Wie kommt das?

Hilscher: Als Palliativmediziner setze ich schon seit 20 Jahren bei allen Tumorschmerzen bevorzugt Methadon ein, weil es von allen Opioiden am einfachsten zu handhaben ist. Es ist sehr preiswert. Die Therapiekosten liegen bei 24 Euro für eine Therapiedauer von vier bis sechs Wochen. Schon früh ist mir aufgefallen, dass Glioblastompatienten unter Methadon-Therapie deutlich länger lebten als erwartet. Darüber hinaus habe ich auch noch festgestellt, dass ich Krebspatienten im Endstadium wesentlich seltener wegen Bauchwassersucht und Pleuraergüssen punktieren muss, wenn ich zusätzlich zu Methadon mit dem Zytostatikum Methotrexat behandele.

Dr. Hans-Jörg Hilscher, Iserlohn

DAZ: Also alles interessante Beobachtungen, ohne zu wissen, wie Methadon denn diese Wirkungen auslösen kann.

Hilscher: Ja, so gesehen ein Zufallsbefund, wie auch die Entdeckung von Dr. Claudia Friesen am Institut für Rechtsmedizin an der Universität Ulm. Sie hatte die Wirkung von Drogen näher untersucht und dabei festgestellt, dass Leukämiezellen absterben, wenn Methadon an deren Opioidrezeptoren bindet. Dann hat sie auch noch festgestellt, dass Methadon die Wirkung von Zyto­statika bei verschiedenen Krebszellen verstärken kann.

DAZ: Nun wird ja davor gewarnt, Methadon off label zur Krebstherapie einzusetzen, weil einfach Daten fehlen.

Hilscher: Das ist natürlich ein Problem. Ungeachtet dessen gibt es Bemühungen, entsprechende klinische Studien durchzuführen. Das Interesse an solchen Studien ist naturgemäß sehr gering. Denn patentieren lässt sich Methadon nicht und für die Pharmaindustrie sind natürlich Therapien mit mehr als 1000-fach höheren Kosten wesentlich lukrativer. Hier wird intensiv nach Finanzierungsmöglichkeiten gesucht. Ungeachtet dessen konnte an der Charité Berlin eine retrospektive Untersuchung mit Glioblastom-Patienten durchgeführt werden, die zumindest die Sicherheit der Therapie belegte.

DAZ: Zurück zur Schmerztherapie mit Methadon. Da es kein Fertigarzneimittel gibt, muss in den Apotheken eine 1%ige Lösung hergestellt werden. Wie gehen Sie vor?

Hilscher: Anders als in der Substitutionstherapie kommen wir in der Schmerztherapie mit deutlich niedrigeren Dosierungen aus. Ich beginne in der Regel mit 2 mal 10 Tropfen Methadon pro Tag. Bei Bedarf kann dann auf 2 mal 25 bis 35 Tropfen pro Tag gesteigert werden. Als Nebenwirkungen treten Müdigkeit und Schläfrigkeit auf, manchmal Übelkeit. Verstopfung ist weniger ein Problem.

DAZ: Was raten Sie Ihren Kollegen hinsichtlich der vielen Hoffnungen, die Patienten in diese Therapie setzen auf der einen und der unzureichenden Datenlage auf der anderen Seite?

Hilscher: Wenn ich bei meinen in der Regel austherapierten Krebspatienten im Endstadium Schmerzen behandeln muss und diese mit Methadon gut in den Griff bekomme, dann ist das eine zusätzliche Chance, die ich ihnen nicht vorenthalten möchte. Das Gleiche gilt für die Wirkverstärkung von Chemotherapien bei infausten Tumorerkrankungen.

DAZ: Herr Dr. Hilscher, wir danken Ihnen für das Gespräch. |

du

Dr. Hans-Jörg Hilscher, Hagener Str. 113 58642 Iserlohn

Schmerzbehandlung mit Methadon

Antiemese: 15 min vor Methadon-Gabe 5 bis 10 Tropfen Haloperidol mindestens über 2 bis 3 Wochen.

Bei unzureichender Antiemese und sonstiger Inappetenz: 8 bis 16 mg Dexamethason am Morgen

Umstellung von Morphin auf Methadon: Methadon-Dosisäquivalente zu Morphin (Tab. 1).

Beispiel: Patient erhält 3 × 60 mg Morphin = 180 mg Morphin/Tag. Interpola­tionsfaktor nach Tab. 1: 1:6 = 30 mg Methadon. Da 20 Tropfen 1%ige Methadon-Lösung = 10 mg Methadon entsprechen, erhält der Patient nun 2 × 30 Tropfen Methadon-Lsg 1%.

Tab. 1: Dosisäquivalente Methadon zu Morphin [3]
Morphin-Dosis
Morphin zu Methadon
Methadon-Dosis in % der Morphin-Dosis
< 100 mg
3 zu 1
33,3
101 – 300 mg
5 zu 1
20,0
301 – 600 mg
10 zu 1
10
601 – 800 mg
12 zu 1
8,3
801 – 1.000 mg
15 zu 1
6,7
> 1.001 mg
20 – 30 zu 1
5,0 – 3,3
Opioid-naive Patienten

mit geringer Schmerzintensität: s. Tab. 2

Tab. 2: Methadon-Aufdosierung opioidnaive Patienten mit geringer Schmerzintensität. Dosierungsintervall = 12 h, optimal ~ 8:00 – 20:00 Uhr.
Tag 1
morgens und abends
5 Tropfen
Tag 2
morgens und abends
10 Tropfen
Tag 3
morgens und abends
15 Tropfen
ab Tag 7
morgens und abends
20 Tropfen
Wenn 2 × 20 Tropfen gut vertragen werden, Steigerung auf 2 × 25 bis 2 × 35 Tropfen versuchen.

Quelle: Hilscher HJ, Lux EA: Methadon - neben analgetischen auch antineoplastische Eigenschaften? Schmerzmedizin 2016; Nr. 32 S. 37

Das könnte Sie auch interessieren

Wie mit dem Hoffnungsträger in der Krebstherapie umgegangen werden kann

Die Methadon-Story

Kritische Betrachtungen und Statements zu dem neuen Zellkulturversuch

„Leipziger Studie stützt Methadon-Hypothese!“

Zum Stellenwert von DL-Methadon und Levomethadon in der Palliativmedizin

Methadon gegen Schmerzen

Tipps und Tricks für die Medikationsanalyse – Fall 23: Patient mit Beinödemen und Schwindel

Medikation unter der Lupe

Update zur Substitutionstherapie bei Opioid-Abhängigkeit

Wege aus der Sucht

Patientenindividuelle Auswahl von Wirkstoffen und Darreichungsformen

Gute Schmerzkontrolle in jeder Phase

Leitliniengerechter Einsatz von Antiemetika macht gefürchtete Nebenwirkung beherrschbar

Chemotherapie ohne Übelkeit und Erbrechen

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.