Großhandel

Der pharmazeutische Großhandel

Seine Funktionen, seine Bedeutung, seine Geschäftsmodelle

Foto: Andreas Burmann Fotografie
Von Andreas Kaapke | Der Handel in Gänze ist einer der bedeutendsten Wirtschaftsbereiche in Deutschland. Dabei ist der Einzelhandel, der sich an den privaten Endverbraucher richtet, allgegenwärtig, durch Kaufhäuser in den Innenstädten sowie Shopping Center, Fachmarktzentren oder Factory Outlets auf der grünen Wiese sowie den rund 20.400 Apotheken in unterschiedlichsten Standortlagen. Der Großhandel blüht dagegen eher im Verborgenen. Er erfüllt seine Funktionen weitgehend unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit in unzähligen Gewerbegebieten. Kunden der diversen Großhandelsbranchen sind gewerbliche Profis, zum Beispiel Großabnehmer aus der Industrie, Handwerksbetriebe, Weiterverarbeiter von Halbfertigwaren, öffentliche Bedarfsträger, der Einzelhandel und eben auch die Apotheken. Sie alle können ihre originären Aufgaben nur in der täglich gezeigten Effizienz wahrnehmen, weil der Großhandel als Bindeglied zwischen ihnen und den Herstellern agiert. So breit gefächert das Spektrum der Kunden des Großhandels ist, so vielschichtig und anspruchsvoll sind auch die Leistungen, die der Großhandel tagtäglich für seine Kunden erbringt und zu erbringen hat. Es mag andere Wirtschaftsbereiche geben, die stärker im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, dies jedoch schmälert nicht den Beitrag des Großhandels zur Wertschöpfung in unserem Land, der im Folgenden beschrieben wird.

Die Struktur des Großhandels

Sehr bedeutsam ist die große und breit aufgestellte Gruppe des Produktionsverbindungshandels. Hier ermöglicht der Großhandel durch die Lieferung von Werkzeugen, Ersatzteilen, Maschinen und Halbfertigwaren sowie von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen einerseits die reibungslose Weiterverarbeitung in Herstellerbetrieben sowie im produzierenden Gewerbe und andererseits die notwendige Instandhaltung, Wartung und Reparatur von Produktionsanlagen. Auf der anderen Seite bündelt der Konsumgütergroßhandel alle Waren, die nach der Auslieferung durch den Großhandel über die unterschiedlichsten Vertriebskanäle direkt weiter zum Endverbraucher gelangen (z. B. Nahrungsmittel, Elektrogeräte oder Arzneimittel).

Daneben hat sich der baunahe Großhandel darauf spezialisiert, alle relevanten Waren wie Baustoffe und Baumaschinen rund um das Baugewerbe bereitzustellen. Der Spezialgroßhandel bedient Nischenmärkte mit schmaler, aber ­vollständiger Sortimentsbreite bei in der Regel hoher Sortimentstiefe (z. B. Feuerwehrbedarfsgroßhandel oder Flachglasgroßhandel).

Daraus wird ersichtlich, dass es kaum eine Warenart gibt, die nicht auch durch die Hände des Großhandels geht!

Der pharmazeutische Großhandel gehört zum Konsumgütergroßhandel, da seine Leistungen an Apotheken gerichtet sind, die Patienten und damit Endverbraucher bedienen. Er hat ein Handelsvolumen von rund 25 Mrd. Euro. Die Anzahl sogenannter vollversorgender Großhandlungen, die im Verband Phagro organisiert sind, beträgt 12. Diese unterhalten 112 Niederlassungen.

Die wichtigsten Funktionen des ­Pharmazeutischen Großhandels

Allgemein besteht die Aufgabe des Großhandels darin, die richtige Ware, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, in der richtigen Menge, in der richtigen Qualität und zu möglichst geringen Kosten bereitzustellen (vgl. Abbildung 1). Dies gilt auch oder gerade für den pharmazeutischen Großhandel.

Viele weitere Aufgaben werden durch den Großhandel ganz individuell auf die Bedarfe einzelner Abnehmergruppen ausgerichtet und dokumentieren die Marktnähe und die Flexibilität dieses Wirtschaftszweiges.

Abb. 1: Grundlegende Funktionen und Stellung des Großhandels in der Lieferkette.

Die Transaktionsfunktion.

Großhändler bereiten den Austausch von Waren vor, organisieren und vollziehen diesen. Diese Transaktionsfunktion ist die Basis des Geschäftsmodells des Großhandels. Je nach Kundenanforderung erfolgt die bedarfsgerechte Belieferung mehrmals am Tag und stellt ein wichtiges Instrument im Wettbewerb der Großhändler untereinander dar. Die Wirkungskette des pharmazeutischen Großhandels ist in Abb. 2 auf der rechten Seite (Konsumgütergroßhandel) in Abgrenzung zum Produktionsverbindungshandel dargestellt.

Abb. 2: Beispiel der Warenkette im Produktionsverbindungs- und im Konsumgütergroßhandel.

Die Lagerhaltungsfunktion.

Die Lagerkapazitäten des Großhandels ermöglichen es den Herstellern wie auch den Apothekern, ihre Lagerhaltung weitgehend auf ihn zu übertragen. Dadurch sparen Lieferanten und Kunden Kosten. Diese Vorgehensweise sichert außerdem die Lieferfähigkeit und damit die Verfügbarkeit der Ware für den Kunden in einer bedarfsgerechten Zeit. Diese ist in der Wertschöpfungskette „Pharma“ extrem kurz, was auf hohem Niveau die Besonderheit der Arzneimittel als Güter der besonderen Art dokumentiert.

Der Großhandel übernimmt zum einen das Absatzrisiko des Herstellers, aber auch das Beschaffungsrisiko seines Kunden. Bei ihm entstehen Kapitalbindungskosten und Kosten der Lagerhaltung, die für das Vorhalten von Ware anfallen. So bedingt ein durch die vielschichtigen Bedarfe oftmals sehr großes Lager die entsprechenden räumlichen Kapazitäten, Ausstattungen und Technik wie Flurförderzeuge und automatische Regalanlagen, aber auch Kühlräume oder separate Gefahrstofflager oder für BtM nur für ausgewählte Personen zugängliche Räume usw. Nicht umsonst definiert sich das Gros der pharmazeutischen Großhändler als vollversorgend.

Das Bestandsmanagement, mithin die optimale Abstimmung von Lagermenge, Lagerzeit, Lagerbestand und Lagerplatz, stellt einen wesentlichen Erfolgsfaktor des Großhandels dar. So können auch Nachfragespitzen befriedigt und selten benötigte Waren geliefert werden. Findet dies nicht statt, liegt es oft an der mangelnden Lieferfähigkeit bzw. –bereitschaft der Hersteller, weniger am schlechten Bestandsmanagement des Großhandels. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Die Transportfunktion. Neben der Lagerhaltung ist es der Transport der Waren, der sicherstellt, auf Bedarfe so schnell und flexibel wie möglich reagieren zu können. Der Großhandel lotet hier für seine Kunden aus, welche Belieferungsrhythmen ökonomisch sinnvoll sind. Er wägt die Möglichkeiten und Notwendigkeiten ab und generiert in Abstimmung mit dem Kunden einen optimalen Zulieferungsvorschlag. Auf Wunsch sorgt er dafür, dass die Lieferung genau im Moment des Bedarfs beim Kunden eintrifft (just in time). Allerdings gab es in diesem Bereich in den letzten Jahren zusehends Verwerfungen. Apotheken, die signalisieren, dass sie auch mit weniger Belieferungen pro Tag auskommen, verkennen dabei nicht selten, dass sie Teil einer typischen Belieferungstour sind und Reduktionen entweder durchgängig für die gesamte Tour vereinbart werden müssen oder zu einer Neuordnung der Touren führen müssen, was nicht immer zu bewerkstelligen ist. Zudem werden mit abnehmenden Belieferungen pro Tag die Wünsche hinsichtlich der jeweiligen Zeit der Anlieferung sehr viel heterogener, so dass – die Wünsche der Apotheken vor Augen – ggf. die Komplexität für den Großhandel eher steigt denn sinkt und damit keine Kostenvorteile beim Großhandel realisiert werden können ggf. sogar Kostennachteile daraus resultieren.

Lagerungs- und Transportfunktion überbrücken gemeinsam die fehlenden räumlichen und zeitlichen Übereinstimmungen zwischen Hersteller und Apotheken. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass punktuelle Direktbelieferungen von Herstellern an Apotheken das System insgesamt weniger effizient machen und die Mischkalkulation des Großhandels – im Übrigen auch als Basis für Rabattgewährungen an die Apotheken – torpedieren.

Sortimentsbündelungsfunktion.

Allgemein erkennt der Großhandel Muster in der Warenbestellung ganz unterschiedlicher Kundengruppen, nimmt die Bedarfe der Kunden vorweg und richtet sein Sortiment in Breite und Tiefe darauf aus. Der pharmazeutische Großhandel ist in der Regel vollversorgend, mit anderen Worten: Alle lieferbaren Artikel sind bei ihm zu beziehen. Er minimiert die Transaktions­kosten, indem er jeden Anbieter mit vielen Abnehmern verbindet. Diese Kostenreduktion bzw. dieser Effizienzgewinn lässt sich eindrucksvoll belegen: Die Einschaltung des Handels verringert den normalerweise anfallenden Aufwand alleine dadurch, dass die Anzahl der Kontakte reduziert wird, die ansonsten notwendig wäre, um die Waren insgesamt im Markt bereitzustellen (vgl. Abbildung 3).

(Darstellung in Anlehnung an: Müller-Hagedorn/Toporowski/Zielke: Der Handel. Grundlagen – ­Management – Strategien, 2., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart 2012)

Abb. 3: Geschäftsbeziehungen mit (m+n Kontakte) und ohne (m•n Kontakte) Handel: Wenn 100 Produzenten und 100 Kunden jeweils einzeln miteinander in Kontakt treten wollten, ergeben sich 10.000 Kontakte. Schaltet sich der Großhandel als Bindeglied und Vermittler ein, reduziert sich die Kontaktzahl auf 200. Damit werden 9800 Kontakte und somit Zeit und Aufwand aufseiten der Produzenten sowie der Konsumenten eingespart.

Die Kenntnis und genaue Beobachtung der Beschaffungsmärkte versetzt den Großhandel in die Lage, das optimale Sortiment zusammenzustellen, stets abgestimmt auf die ­Bedürfnisse seiner Abnehmer. Anders als ein Produzent ist der Großhändler in der Lage, Ergänzungs- und Zubehör­sortimente, z. B. typische C-Artikel – die in Apotheken ­gebraucht werden können oder der Bequemlichkeit der Apotheker dienen – zu liefern.

Die Güterfolgeleistungen. Güterfolgeleistungen spielen im pharmazeutischen Großhandel nur eine eingeschränkte Rolle. Für Produkte, die zur Verlängerung der Gebrauchsdauer repariert werden können, hält der Großhandel die benötigten Ersatzteile nebst den entsprechenden Informationen vorrätig. Seine Lagerhaltung sorgt somit dafür, dass die Nutzbarkeit vieler Produkte und somit deren Lebenszyklus „am Markt“ weit über den Produktlebenszyklus aus Herstellersicht hinausgeht.

Zu den Güterfolgeleistungen zählen in einigen Großhandelsbranchen auch umfangreiche Prüfungs- und Reparaturservices, entweder im eigenen Haus oder vor Ort beim Kunden, um den vom Gesetzgeber vorgesehenen, sicheren Zustand von bestimmten Produkten auf Dauer zu erhalten. Diese Funktion spielt im pharmazeutischen Großhandel eine sehr eingeschränkte Rolle.

Informationsfunktion. Der Großhandel verfügt durch seine Rolle als Bindeglied zwischen Produzent und Endverbraucher über sehr viele Informationen und gewinnt täglich neue hinzu. Durch die vorgehaltene Sortimentsbreite und -tiefe kann er die Unterschiede zwischen Produkten und Dienstleistungen diverser Hersteller herausarbeiten. Auf der anderen Seite kennt der Großhandel alle Absatzkanäle und erhält eine qualitativ wertvolle Datenmenge über Abnahmemengen, Abnehmergruppen usw.

An die Hersteller kann er somit Informationen über Apotheken und deren Kaufverhalten weitergeben, an die Apotheken Informationen über vergleichbare Hersteller und deren Produkte.

Auch andere Partner können von den Informationen profitieren, um benötigte Dienstleistungen anzubieten oder sich nutzstiftend in die Wertschöpfung einzubringen. Der Großhandel übernimmt damit eine Art Informationsbroker­funktion.

Marktbeobachtungs-/Marktforschungsfunktion. Die Rolle, die dem Großhandel als Informationsbroker zukommt, veredelt er, indem er selbst die von ihm bedienten Märkte beobachtet. Welche Produkte werden zusammen mit anderen Produkten nachgefragt? In welchen Tranchen bestellen Apotheken bzw. kaufen die Kunden der Apotheken? Gibt es bevorzugte Marken und wovon hängt die Präferenz der unterschiedlichen Kundengruppen ab? Wie reagieren verschiedene Kunden auf Events, Aktionen, Sponsoring oder andere Marketingaktionen?

Wie ist es um das Zahlungsverhalten der Apotheken bestellt? Werden Innovationen schnell oder zögerlich angenommen? Diese und andere Fragen lassen sich durch den Großhandel vergleichsweise einfach klären.

Werden diese Informationen genutzt, kann auf dieser Grundlage zum einen die Warendistribution optimiert werden, zum anderen können die Produktionsprogramme der Hersteller bedarfsgerecht angepasst werden.

Schulungsfunktionen. Da der Großhandel in vielerlei Hinsicht eine heterogene Kundschaft mit zum Teil sensiblen Produkten bedient, entsteht rund um die gelieferte Ware, aber auch hinsichtlich betriebswirtschaftlicher, rechtlicher, pharmazeutischer und technischer Fragen ein ständiger Informationsbedarf.

So bieten Großhändler oft eigens auf spezifische Apothekentypen ausgelegte, qualitativ gute Schulungen zu einem vergleichsweise günstigen Preis an. Von diesem Schulungs­angebot profitieren alle Marktakteure, indem Informationsbrüche auf dem Weg vom Hersteller zum Endverbraucher verhindert werden.

Finanzierungsfunktion. Viele Großhändler übernehmen quasi die Funktion einer Bank und verbessern die Liquiditätssituation vieler Apotheken, entweder durch eine spätere Rechnungsstellung oder durch eine Verlängerung der Zahlungsfrist bei normaler Rechnungsstellung.

Apotheken erhalten damit finanzielle Spielräume für ihr eigenes Marketing oder andere Aktivitäten. Auch bei Vor­finanzierungen von notwendigen Investitionen hilft der Großhandel seinen Kunden und sichert damit das Verhältnis zu bestehenden Kunden.

Sachgüteraufbereitungsfunktion. Sachgüteraufbereitung umfasst Aufgaben der Bearbeitung (Manipulation), der Sortierung und der Installation der Ware. Zur Manipulationsfunktion gehören Aufgaben wie beispielsweise die patientenorientierte Verblisterung. Die Sortierung umfasst beispielsweise die Abtrennung von defekter Ware durch die Eingangskontrolle, die Stückelung der Ware in bedarfsgerechte Größen, das Verpacken in kundenspezifische Ladungsträger usw. Schließlich betrifft die Installationsfunktion die Montage, aber auch den Abbau technischer Anlagen sowie ihre Inbetriebnahme, Instandhaltung und Reparatur.

Die Qualitätssicherungsfunktion. Ware muss auf ihre Funktionsfähigkeit, ihre Richtigkeit, ihre Haltbarkeit und ihre Sicherheit überprüft werden. Der Großhandel übernimmt diese Aufgabe: Er prüft und sichert die Qualität der von ihm ausgelieferten Ware. Auch im Rahmen der Redistribution, also in jenen Fällen, in denen Ware zurückgeschickt wird, sichert der Großhandel die Qualitätseigenschaften und lagert nur Ware wieder ein, die den qualitativen Ansprüchen entspricht. Damit wird neben der Warenversorgung in logistischer Hinsicht auch die Qualitätssicherung in der Lieferkette garantiert.

Abbildung 4 zeigt die Mitgliedsfirmen des Phagro in 2015. Dabei hat sich zwar die Anzahl der vollversorgenden Großhändler in den letzten Jahren dramatisch reduziert, ­keineswegs aber die Zahl der Niederlassungen. Diese sind im Zeitverlauf relativ stabil geblieben, was verdeutlicht, dass eine gewisse Anzahl an Niederlassungen („Hubs“) ­erforderlich ist, um die gesetzlich vereinbarten Leistungen als vollversorgender Großhandel auch bewerkstelligen zu können.

Abb. 4: Phagro-Mitgliedsfirmen mit ihren Niederlassungen in 2015.

Rund 90% des Marktes wird unter fünf Anbietern aufgeteilt, der Rest geht an inhabergeführte private Großhändler, die sich unter dem Namen Pharma Privat in eine Kooperation begeben haben, die seit rund 25 Jahren am Markt existiert.

Teilt man den Markt nach Geschäftsmodellen auf, sind 3 + 1 Geschäftsmodelle zu beobachten. Die Konzerne (Phoenix, Gehe/Celesio, Alliance Healthcare Deutschland), die Genossenschaften (Noweda eG, Sanacorp eG) und die Privaten (Pharma Privat mit C. Krieger, Ebert + Jacobi mit drei weiteren Unternehmen, Leopold Fiebig mit einem weiteren Ableger, Max Jenne, Otto Geilenkirchen sowie Richard Kehr) und Hageda Stumpf, die keinem der anderen zugehörig sind, verfolgen mehr oder weniger alle einen hoch qualitativen Ansatz mit mehrmaligen Belieferungen der Apothekenkunden am Tag, zahlreiche Funktionserfüllungen gemäß der obigen Aufstellung und einem Qualitätslevel, der keinen Zweifel an der Leistungsstärke aufkommen lässt. Seit ca. zwei Jahren hat sich nun abseits dieses generellen Leistungsversprechens ein weiterer Wettbewerber, der aber nicht dem Anspruch der Vollversorgung genügt, am Markt etabliert: AEP Direkt. Die Vereinfachung des Geschäftsmodells durch eine Belieferung spätestens am Folgetag und als Versprechen transparente Rechnungen sowie weiteren aber nicht im Fokus stehenden Leistungen machen dieses Modell für manche Apotheken offensichtlich als Zweitlieferant für nicht ganz so dringend benötigte Waren attraktiv.

Die Frage, ob man auf den Großhandel im Rahmen der Arzneimittelversorgung verzichten könnte, muss mit einem klaren Nein beantwortet werden. Welche Akteure dann stattdessen das Geschäft faktisch betreiben würden, steht dabei auf einem anderen Blatt, aber die Funktionen, die gegenwärtig vom pharmazeutischen Großhandel angeboten und sichergestellt werden, müssten in Zukunft von wem auch immer erbracht werden, es sei denn, das System würde sich grundlegend verändern und die Arzneimittelversorgung gänzlich neu strukturiert. Das gegenwärtige System der Arzneimitteldistribution ist in Abbildung 5 dokumentiert.

Quelle: Kaapke/Preißner/Heckmann: Profil und Effizienz des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandel, Köln 2008.

Abb. 5: Die an der Arzneimittelversorgung beteiligten Akteure.

Vor dem Hintergrund der seit vielen Jahren seitens der Politik betriebenen Kostendämpfungsstrategie steht auch oder gerade das Zusammenspiel von Großhandel und Apotheken unter der genauen Beobachtung des Staates. Wenn von zwölf Großhändlern und 112 Niederlassungen die Arzneimittel von 1500 Herstellern an rund 20.400 Apotheken geliefert werden, kann und muss über Effizienzsteigerungen permanent nachgedacht werden. Dabei gibt es hinreichend viele Anknüpfungspunkte. Eine Auswahl zeigen die nächsten drei Punkte:

  • Die durchschnittliche Zahl der abgegebenen Packungen je fakturierter Zeile ist deutlich zu steigern und hängt mit der Bestelldisposition in einzelnen Apotheken zusammen.
  • Ebenso ist die durchschnittliche Anzahl der in einem Auftrag gebündelten Lieferanten verbesserbar, zeigt aber auch, wie viel effizienter das Belieferungssystem zwischen Großhandel und Apotheken gegenüber der direkten Belieferung von Herstellern in die Apotheke ist.
  • Auch die durchschnittliche Frequenz der täglichen Belieferungen muss überdacht werden. Hierfür bedarf es aber Ansatzpunkte für eine Reduzierung der Belieferungsfahrten. Großhändler berichten immer wieder davon, dass sie zum Teil in der Spitze 400 Bestellungen im Monat pro Apotheke haben, was gleichbedeutend mit mehr als 15 Bestellungen pro geöffnetem Tag ist.

Seine Funktion erfüllt der Großhandel unter schwierigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen. Wurde die Spanne des Großhandels mit dem GMG ab 2004 auf die Hälfte gekürzt, was 6,32% entspricht, liegt diese heute im Jahr 2015 nur noch bei rund 4,5% und hat sich weit vom im GMG geplanten Wert verabschiedet. Während der Gesetzgeber in 2003 ff. davon ausging, dass mit Stärkung des Generikamarktes (und damit der Steigerung der Anzahl der abzugebenden Packungen) ein Preisverfall einhergeht, was sich nicht bewahrheitet hat, ist insbesondere in den letzten Jahren eine unerwartete Zunahme hochpreisiger Arzneimittel zu beobachten. Laut Phagro ergab sich im Preissegment von 1200 bis 4000 Euro eine Umsatzsteigerung in 2014 um 25% bei gleichzeitiger Absatzsteigerung von 19% und im darüber liegenden Preissegment eine Umsatzsteigerung von 36% bei gleichzeitiger Absatzsteigerung von 16%. Dies ist deshalb bemerkenswert, da ab einem Abgabepreis von 1200 Euro je Packung die Marge des Großhandels gesetzlich gekappt ist (38,50 Euro). Selbst für extrem teure Arzneimittel mit dem gesamten damit einhergehenden Warenrisiko ist der Aufschlag auf diesem Niveau gedeckelt. Berechnet man eine artikelbezogene Marge, liegt diese demnach bei einem Arzneimittel mit Abgabepreis 5000 Euro bei 0,77%.

Schlussbemerkung

Der „unsichtbare Riese“ pharmazeutischer Großhandel ist ein beeindruckender Wirtschaftsbereich. Seine Marktbedeutung äußert sich in seinem Beitrag zur flächendeckenden Versorgung der bundesrepublikanischen Apotheken und damit der Bevölkerung mit Arzneimitteln, seiner hohen Beschäftigtenzahl an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und seiner überdurchschnittlichen Ausbildungsquote. Die hohe Relevanz für die Wertschöpfungskette Pharma zeigt sich in dem facettenreichen Funktionsspektrum, das der pharmazeutische Großhandel übernimmt, aktiv gestaltet und ständig weiter entwickelt. Weite Teile der Wertschöpfungskette Arzneimitteldistribution wären ohne die Leistung des Großhandels kaum oder nicht funktionsfähig, zumindest nicht zu den gegenwärtigen Kosten. Dies macht den pharmazeutischen Großhandel in seiner Wertschöpfungskette unverzichtbar: als Warendistributeur, als strategischer Vertriebspartner für Hersteller sowie für Apotheken, als Arbeitgeber und als Dienstleister. Der volkswirtschaftliche Nutzen des pharmazeutischen Großhandels dokumentiert sich in der Reduktion von Transaktionen bei besserer Leistungserbringung als andere Distributionsalternativen.

Gleichwohl darf mit großer Achtsamkeit darauf geachtet werden, wie sich die Honorarsituation bei den Apotheken entwickelt und welche finanziellen Optimierungsmöglichkeiten der Gesetzgeber im Bereich der Arzneimitteldistribution insgesamt sieht. Sollten sich hier keine bahnbrechenden Erkenntnisse ergeben, ist auch mit keinen dramatischen Veränderungen beim Großhandel zu rechnen. Sollten sich aber in einem gegenwärtig vom Bundeswirtschaftsministerium ausgeschriebenen Gutachten strukturelle Änderungen bei der Vergütung von Apotheken ergeben bzw. auch die Vergütung des Großhandels angefasst werden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dies nicht massiven Einfluss auf die Anbieter wie auch auf die Leistungen im pharmazeutischen Großhandel haben wird. Im März 2016 soll entschieden werden, wer das entsprechende Gutachten mit Laufzeit von 18 Monaten erstellen soll, demnach kann frühestens an Weihnachten 2017 mit Ergebnissen gerechnet werden, also zu Beginn der neuen Legislatur. Ob sich die dann relevante Konstellation einem Gutachten der alten Regierung annimmt, wird man sehen, auch, welche Empfehlungen drin stehen. Gegebenenfalls muss dann der vor­liegende Beitrag völlig neu geschrieben werden. |

Autor

Prof. Dr. Andreas Kaapke, Duale Hochschule Baden-Württemberg, Professor f. Lehraufgaben im Studiengang BWL-Handel, Theodor-Heuss-Straße 2, 70174 Stuttgart

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