Die Seite 3

Die Angst vor den „Quartalsirren“

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Das Problem der Nichtlieferbarkeit von lebenswichtigen Arzneimitteln ist nicht neu. Die Ursachen wie Marktkonzentration und verstärkte Nachfrage wurden rauf und runter diskutiert, ohne dass man der Lösung des Problems einen Schritt näher gekommen ist. So bleiben in der Apotheke nur die Mangelverwaltung und der Versuch, den damit verbundenen bürokratischen Irrsinn in Grenzen zu halten und trotzdem die Versorgung der Patienten sicherzustellen. Verbindliche Listen nicht lieferbarer Arzneimittel mit entsprechenden Handlungsempfehlungen könnten eine wertvolle Hilfe sein. Deshalb wird immer wieder der Ruf nach dem Gesetzgeber laut, der die Hersteller verpflichten soll, nicht lieferbare Arzneimittel umgehend an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu melden. So geschehen beim Deutschen Apothekertag (DAT) 2014 durch die Landesapothekerkammer Thüringen – der Antrag wurde in den Ausschuss verwiesen und versandete. Die Landesapothekerkammer Hessen wagte beim DAT 2015 einen neuen Anlauf – der Antrag landete erneut im Ausschuss. Warum so viele Delegierte dem Antrag nicht zustimmen mochten, mag an der Angst vor den „Quartals­irren in den Retaxzentren“ (Zitat des DAV-Vize Dr. Rainer ­Bienfait) liegen. Denn bei solch einer offiziellen Liste würde immer von ­Lieferfähigkeit ausgegangen werden, wenn das Präparat zum Zeitpunkt der Abgabe nicht gelistet sei, so die Sorge manch eines Delegierten.

Während also auf den Apothekertagen immer noch Bedenken gewälzt werden, haben die Behörden versucht, eigenständig das Problem zu lösen. So hat das BfArM auf die Freiwilligkeit der Hersteller gesetzt und führt schon seit einiger Zeit eine Liste nicht lieferbarer Arzneimittel – allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit und damit für die gesetzlichen Krankenkassen nicht belastbar. Jetzt hat das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) nachgezogen und gleich zwei Listen veröffentlicht: eine Liste nicht lieferbarer „Human-Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten“, bei denen es zu Versorgungsengpässen kommen kann, sowie eine Liste mit Impfstoffen, bei denen nur einzelne Packungsgrößen von einem Engpass betroffen sind (s. S. 11, Neue Liste zu Impfstoff-Engpässen).

Zwar gibt es auch für die PEI-Listen keine gesetzliche Meldepflicht, doch haben sich hier Zulassungsinhaber, Verbände und Hersteller in einer Erklärung gegenüber dem PEI zur Meldung verpflichtet. Bei vorhersehbaren Lieferengpässen, beispielsweise durch Umstellung der ­Produktionsanlage, soll die Meldung spätestens sechs Monate vor diesem zum Engpass führenden Ereignis erfolgen, bei unvorhersehbaren Ereignissen unverzüglich. Zudem, und das dürften sowohl Ärzte wie Apotheker besonders begrüßen, finden sich in der Liste alternative Impfstoffoptionen, so sie denn vorhanden sind. Stehen keine Alternativen zur Verfügung, sollen in Kürze Handlungsempfehlungen gegeben werden.

Wie praxistauglich diese Liste sein wird, wird auch hier von ihrer Aktualität und der Zuverlässigkeit der Herstellermeldungen abhängen. Mit einem Fenster zwischen „nicht lieferbar“ und „noch nicht gelistet“ wird allerdings immer zu rechnen sein – und das könnte ganz schnell zu dem auf dem Apothekertag diskutierten Problem führen. Denn weil in Sachen „Human-Impfstoffe gegen Infektionskrank­heiten“ eine Verbindlichkeitserklärung der Hersteller vorliegt, ist die Gefahr groß, dass die Retaxabteilungen der ­gesetzlichen Krankenkassen sich auf die Verbindlichkeit der Liste berufen und sie zur Bilanzauffrischung nutzen werden – es sei denn, der Gesetzgeber hat ein Einsehen und weist die „Quartalsirren“ rechtzeitig in ihre Schranken.

Dr. Doris Uhl


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