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Keine Festpreise für patientenindividuelle Blister
BGH legt Urteilsgründe vor – Wettbewerbszentrale sieht Politik gefordert
In dem Verfahren war die Wettbewerbszentrale gegen Ratiopharm vorgegangen. Sie beanstandete eine Klausel in einem Mustervertrag des Unternehmens gegenüber Apotheken. Danach sollten die Preise für Ratiopharm-Präparate, die Apotheker zur patientenindividuellen Verblisterung verwenden, „entsprechend der Arzneimittelpreisverordnung frei verhandelbar“ sein.
Die Wettbewerbszentrale vertritt die Auffassung, dass auch zur Verblisterung verwendete Arzneimittel preisgebunden sind und das Unternehmen mit seinem Angebot gegen § 78 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 AMG verstößt. Diese Vorschrift sieht auch für pharmazeutische Hersteller eine Preisbindung in Form eines einheitlichen Abgabepreises vor. Die Wettbewerbszentrale verwies darauf, dass bei der patientenindividuellen Verblisterung die ärztliche Verordnung für ein bestimmtes Fertigarzneimittel vorliegt, aus dem der Apotheker die Tabletten entnehme. Im Endeffekt erhalte der Patient aber die Gesamtmenge der vom Arzt verschriebenen Tabletten.
BGH orientiert sich am Wortlaut
Nachdem die Wettbewerbszentrale in den ersten beiden Instanzen erfolgreich gegen Ratiopharm geklagt hatte, musste sie in der letzten eine Niederlage einstecken. Für den BGH ging es letztlich um die Frage, ob der Ausnahmefall des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 Arzneimittelpreisverordnung für den Fall der Abgabe von Arzneimitteln, die der Verblisterung dienen, einschlägig ist. Danach sind von aus Fertigarzneimitteln entnommene Teilmengen, soweit deren Darreichungsform, Zusammensetzung und Stärke unverändert bleiben, von der Preisbindung ausgenommen. Dies sei hier, so meint der BGH, der Fall und argumentiert mit dem Wortlaut: „Darreichungsform, Zusammensetzung und Stärke der in den von den Apotheken hergestellten Blistern abgegebenen Arzneimittel blieben unverändert.“ Und wenn die Apotheke nicht an die Arzneimittelpreisverordnung gebunden ist, müsse der Hersteller auch keinen einheitlichen Abgabepreis sicherstellen. Die Ausnahmevorschrift erfordere auch nicht, dass die Abgabe der Teilmenge auf einer ärztlichen Verordnung beruht, wie sie die Wettbewerbszentrale für nötig hält, erklärt der BGH knapp.
Keine einschränkende Auslegung
Eine einschränkende Auslegung hielten die Karlsruher Richter im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Norm sowie ihren Sinn und Zweck für nicht geboten. Der Verordnungsgeber habe bei der Fassung der Vorschrift den Fall der individuellen Verblisterung vor Augen gehabt. Der BGH verweist auf Praktikabilitätserwägungen: Die Alternative wäre eine vorherige Einstellung von Listenpreisen für patientenindividuelle Arzneimittelblister oder die Aufstellung fester Berechnungsgrundlagen für die Abgabe von Teilmengen – dies sei „nicht praktikabel“. Der BGH glaubt auch nicht, dass es eine Missbrauchsgefahr gibt, wie sie die Wettbewerbszentrale befürchtet. Für die Gefahr, dass eine Verpackung in neue Blister für Patienten mit dem Ziel erfolge, Preisvorschriften zu umgehen, sei „nichts ersichtlich“.
Sodann setzt sich der I. Zivilsenat mit Artikel 12 Grundgesetz, der die Berufsausübungsfreiheit gewährleistet, auseinander. Einheitliche Abgabepreise sicherzustellen, beschränkt dieses Grundrecht und bedarf daher einer Rechtfertigung, konstatiert er. Eine solche ist durchaus möglich: Mit der Gewährung einheitlicher Abgabepreise solle ein Preiswettbewerb auf der Handelsstufe der Apotheken ausgeschlossen oder jedenfalls vermindert werden, führt der BGH aus. So soll im öffentlichen Interesse die gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt und das finanzielle Gleichgewicht des GKV-Systems abgesichert werden. Aber im vorliegenden Fall habe der Gesetzgeber auf einheitliche Apothekenabgabepreise verzichtet – dementsprechend gebe es auch für den pharmazeutischen Unternehmer keine Pflicht, einheitliche Preise zu verlangen.
BVKA: DAV ist in der Pflicht
Andreas Willmann, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes klinik- und heimversorgender Apotheker (BVKA) betonte anlässlich des BGH-Urteils, dass der Einsatz verblisterter Arzneimittel ein wichtiges Instrument bei der Versorgung pflegebedürftiger und älterer Menschen sei. Daher setze sich der BVKA schon lange dafür ein, dass die Preisberechnung für die patientenindividuelle Neuverpackung der verordneten Arzneimittel auf eine verlässliche Grundlage gestellt wird. „Das BGH-Urteil hat unseren Eindruck verstärkt, dass hier erhebliche Rechtsunsicherheit besteht“, so Willmann in einem Statement. Das stehe nicht im Einklang mit dem auch vom BGH hervorgehobenen Ziel der Gesundheitspolitik, die Arzneimittelversorgung pflegebedürftiger Menschen durch das patientenindividuelle Verblistern zu verbessern. Der BVKA sieht nun in erster Linie den DAV als Verhandlungsführer der Apotheken in der Pflicht, kurzfristig die überfällige Preisvereinbarung mit den Krankenkassen zu schließen. Wie bei der Hilfstaxe sei der BVKA bereit, hierzu fachliche Hilfestellung zu leisten. Aber auch der Verordnungs- und Gesetzgeber sei gefordert: Auf Dauer sei eine Neufassung der Preisregelung in der Arzneimittelpreisverordnung erforderlich. Der BVKA habe hierzu bereits konkrete Vorschläge gemacht. Eckpunkte seien dabei der einheitliche Apothekenabgabepreis, das angemessene Verblisterungshonorar und die Verantwortung des Apothekers für das patientenindividuelle Stellen und Verblistern.
Einfallstor zur Umgehung der Preisbindung
Die klagende Wettbewerbszentrale zeigte sich enttäuscht über das Urteil. Der BGH hat aus ihrer Sicht wesentliche Aspekte nicht ausreichend gewürdigt – etwa die bereits erstinstanzlich festgestellte Tatsache, dass die ärztliche Verordnung über die Gesamtmenge des Arzneimittels lautet und die Apotheke gegenüber der Krankenkasse das verschriebene Fertigarzneimittel entsprechend der Preisbindung abrechnet. Da der BGH die Abgabe der Teilmengen nicht von einer ärztlichen (Blister)-Verordnung abhängig mache, könnten Apotheken nunmehr Teilmengen von Arzneimitteln abgeben, ohne an die Arzneimittelpreisverordnung gebunden zu sein. Dr. Reiner Münker, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied der Wettbewerbszentrale, erklärte: „Das Urteil kann nur als Aufforderung an den Verordnungsgeber verstanden werden, den Wortlaut der Arzneimittelpreisverordnung zu korrigieren beziehungsweise zu präzisieren. Denn wir glauben nicht, dass die Ausnahmevorschrift als Einfallstor zur Umgehung der Preisbindung gedacht war.“
Gefahr für EuGH-Vorlageverfahren?
Noch weitergehende Gefahren sieht der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas. Seiner Ansicht nach erging das BGH-Urteil zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn gerade steht die Geltung der Arzneimittelpreisverordnung für ausländische Versandapotheken auf dem Prüfstand des Europäischen Gerichtshofs. Douglas, der seinerzeit erfolgreich dafür stritt, dass auch DocMorris, Europa Apotheek & Co. an die deutschen Festpreise gebunden sind und damit keine Boni gewähren dürfen, wenn sie nach Deutschland versenden, rechnet damit, dass der EuGH nun wenigstens eine Plausibilitätskontrolle vornimmt: Ist der Gesetzgeber stringent – oder widerspricht er sich selbst, wenn er allzu viele Ausnahmen von der Arzneimittelpreisverordnung zulässt? In der Heimversorgung werde zunehmend auf individuell verblisterte Arzneien gesetzt, so Douglas gegenüber der DAZ. Das Geschäftsfeld werde noch weiter wachsen und sei nicht mehr mit anderen Ausnahmetatbeständen, wie sie die Arzneimittelpreisverordnung etwa für Inhaftierte vorsieht, vergleichbar. Das könnte die Verteidiger der Arzneimittelpreisverordnung in Erklärungsnot bringen, meint Douglas. Daher will er Gesetz- und Verordnungsgeber nun zum Nachdenken bringen, sie animieren etwas zu unternehmen, wenn sie meinen, der BGH habe ihre Vorschrift anders als von ihnen gewollt ausgelegt. Auch sonst sieht Douglas Gefahren durch das Urteil: „Das lädt natürlich ein, für bestimmte Produkte eigene Packungsgrößen zu gestalten, um die Arzneimittelpreisverordnung zu umgehen“. Gerade bei Selbstzahlern sei dies denkbar.
Oder doch ein klar nachvollziehbares Urteil?
Die negativen Konsequenzen für das EuGH-Verfahren teilt nicht jeder – schließlich sind die Ausnahmen von der Preisbindung hinreichend bekannt. Auch die Missbrauchsgefahr wird unterschiedlich eingeschätzt. Anders als die Wettbewerbszentrale und Douglas wertet diese etwa Rechtsanwalt Dr. Timo Kieser von der Stuttgarter Kanzlei Oppenländer. Er hält das Urteil ohnehin für „richtig und konsequent“ und überdies für „nicht überraschend“. Im Bereich der Klinikware oder beim Erwerb von Fertigarzneimitteln zur Verarbeitung in parenteralen Lösungen sei es allgemeines Verständnis, dass diese Fertigarzneimittel nicht der Arzneimittelpreisbindung unterliegen, erklärte er gegenüber der DAZ. Warum dies bei Fertigarzneimitteln zur Verwendung in Arzneimittelblistern oder bei der Entnahme von Teilmengen nach § 1 Abs. 3 Ziff. 7 AMPreisV anders sein sollte, sei nicht einsichtig. Dass er das Risiko des Missbrauchs nicht sieht, erklärt er folgendermaßen: „Apotheker, die sich verleiten ließen, mit dieser Zweckbestimmung günstiger eingekaufte Arzneimittel als ‚normale‘ Fertigarzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abzugeben, sähen sich, wie in anderen Bereichen auch, des Vorwurfs des Betruges ausgesetzt“. |
Zum Weiterlesen
Lesen Sie mehr zu den Urteilsgründen des BGH und den möglichen Auswirkungen unter DAZ Aktuell im Beitrag „Dringender Handlungsbedarf“ von Prof. Dr. Hilko J. Meyer und in unserem Interview mit der Geschäftsführerin des LAV Baden-Württemberg „Ein Schritt in die falsche Richtung“.
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