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Arzneimittel und Therapie
Wenn Medikamente dick machen
Unterstützung für Psychopharmaka-Patienten mit Gewichtsproblemen
Bei Patienten mit neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen sind Gewichtsprobleme multifaktoriell bedingt. Sowohl die verordneten Arzneimittel als auch die Krankheit selbst bzw. das Zusammenspiel beider kommen als Ursachen infrage.
Arzneimittel als Ursache für Gewichtszunahme
Eine Metaanalyse [1], die anhand von 212 randomisierten kontrollierten Studien mit mehr als 43.000 Patienten die Effektivität, aber auch die Nebenwirkungen von 15 gängigen Antipsychotika gegen Schizophrenie beleuchtet hatte, kam beispielsweise zu dem Ergebnis, dass nur bei drei von ihnen (Haloperidol, Ziprasidon, Lurasidon) im Vergleich mit Placebo keine signifikante Gewichtszunahme zu beobachten war.
In den Fachinformationen der einzelnen Präparate finden sich oft konkrete Angaben zum Ausmaß der Gewichtszunahme aus Zulassungs- und anderen Studien. So wurde beispielsweise unter Olanzapin unabhängig vom Ausgangs-BMI bereits nach einer Kurzzeittherapie (mittlere Dauer 47 Tage), aber auch unter Langzeitgabe (mindestens 48 Wochen) sehr häufig (d. h. bei mehr als zehn Prozent der Patienten) eine Gewichtszunahme ≥ 7% des Ausgangskörpergewichtes beobachtet [2]. Bei den meisten Wirkstoffen ist die Gewichtszunahme wahrscheinlich nicht dosisabhängig; für Clozapin und Olanzapin wird eine solche Abhängigkeit jedoch vermutet [3].
Auch bei Wirkstoffen für andere Indikationen treten Gewichtszunahmen als unerwünschte Wirkungen auf.
Bei den Antidepressiva besitzen folgende Substanzen ein moderates oder hohes Risiko für Gewichtszunahme [4]:
- die tri- bzw. tetrazyklischen Substanzen Amitriptylin, Nortriptylin und Mirtazapin,
- die Phasenprophylaktika Lithium und Valproinsäure,
- die SSRI Paroxetin und Citalopram,
- die SNRI Duloxetin und Venlafaxin.
Bei einer Gewichtszunahme spielt die Blockade von zentralen Histamin (H1)-, Serotonin (5-HT2A,B)-, Dopamin- (v. a. D2) und muskarinergen Acetylcholin-Rezeptoren (mACh) eine Rolle [5, 6, 7].
Die Hemmung dopaminerger und H1-Rezeptoren führt zur allgemeinen Dämpfung des Patienten, die ja bei Wahnvorstellungen und Halluzinationen erwünscht ist. Gleichzeitig können aber Müdigkeit und Antriebslosigkeit eine Verringerung des Energiebedarfs und damit – bei gleicher Energiezufuhr – eine Gewichtszunahme zur Folge haben. Die H1- sowie die 5-HT2A-Blockade greift in den Regelkreis von Appetit und Sättigung ein und steigert den Appetit. Bei einer mACh-Rezeptor-Hemmung kommt es zur Mundtrockenheit. Dies kann bei einigen Patienten dazu führen, dass sie weniger Appetit haben und deshalb sogar an Gewicht verlieren. Solche Effekte sind beispielsweise für das SSRI Fluoxetin bekannt [8].
Jedoch kann auch das Gegenteil eintreten: Um die Mundtrockenheit zu bekämpfen, erhöhen die Patienten ihre Trinkmenge – leider häufig nicht wie empfohlen mit Wasser oder Kräutertees, sondern mit zuckerreichen Getränken wie Cola oder Limonaden. Dies hängt auch mit dem „Kohlenhydrathunger“ (carbohydrate craving) zusammen, der ein Zeichen der Grunderkrankung selbst ist.
Dass die Nebenwirkungen bei Patienten unterschiedlich ausgeprägt sein können, lässt sich auch durch Rezeptor-Polymorphismen erklären [9].
Metabolisches Syndrom begünstigt
Weitere Faktoren, die die Gewichtszunahme unter Neuroleptika begünstigen, sind Hyperglykämie und Hyperlipidämie. Hyperglykämien (v. a. unter Atypika) werden möglicherweise durch eine Insulinresistenz in Muskelzellen ausgelöst [5]. Bei verschiedenen atypischen Neuroleptika wie beispielsweise Quetiapin [13] wurden in klinischen Studien über Zunahmen der Triglyzeride, des LDL und Gesamt-Cholesterols sowie eine Abnahme des HDL-Cholesterols beobachtet. Um Folgeerkrankungen zu vermeiden, empfehlen Leitlinien [12] bei den entsprechenden Substanzen eine regelmäßige Kontrolle metabolischer Parameter (siehe Tab. 1).
Bestimmungen |
Beginn |
erste 4 Wochen |
erste 3 Monate |
alle 3 Monate |
jährlich |
---|---|---|---|---|---|
Körpergewicht |
x |
x |
x |
x |
|
Hüftumfang |
x |
x |
x |
x |
|
Blutdruck |
x |
x |
x |
x |
|
Nüchternblutzucker |
x |
x |
x |
x |
|
Nüchternblutfettwerte |
x |
x |
x |
x |
Die Krankheit als Ursache
Auch die psychische Erkrankung selbst kann Ursache der Gewichtszunahme sein. So versuchen depressive Patienten häufig, ihre Stimmung durch Essen, vor allem Süßigkeiten, aufzuhellen. Allerdings kann auch das Gegenteil der Fall sein (s. Kasten „Auch ein Problem: Gewichtsabnahme unter Psychopharmaka“ im Interview „Patienten von Beginn an sensibilisieren“ auf S. 25).
Bei depressiven Jugendlichen fand man im Vergleich zu gesunden Gleichaltrigen ein 2,5-fach erhöhtes Risiko für eine Gewichtszunahme [10]. In diesem Lebensabschnitt spielt sicher auch der häufige Konsum von Fast Food und zuckerhaltigen Getränken eine große Rolle.
Bei Schizophrenie-Patienten mit stark ausgeprägten Negativ-Symptomen wie Apathie, sozialem Rückzug sowie bei Phobien ist dagegen der Energieverbrauch vergleichsweise gering, was eine Gewichtszunahme begünstigt, aber auch mit Gewichtsverlust verbunden sein kann (s. Kasten „Auch ein Problem: Gewichtsabnahme unter Psychopharmaka“ auf S. 25). Die Kehrseite der Medaille: Wenn Patienten mit Schizophrenie oder Depression dank einer guten Behandlung wieder regelmäßig essen, was ihnen in der akuten Krankheitsphase nicht möglich war, zeigt sich der Therapieerfolg auch in der schleichenden Gewichtszunahme.
Was kann man tun?
Wenn ein Patient bereits im ersten Behandlungsmonat 4 bis 5 kg zunimmt und diese Tendenz anhält, kann die Adhärenz erheblich beeinträchtigt sein. Am sinnvollsten erscheinen solche Interventionen, die bereits zu Behandlungsbeginn entgegenwirken – und nicht erst dann, wenn sich der Patient beim Arzt oder Apotheker über eine Gewichtszunahme beklagt, über die er nicht aufgeklärt wurde. Aufklärung durch den Arzt, wie sie auch in den ärztlichen Leitlinien [11, 12] empfohlen wird, Kontrolluntersuchungen in den empfohlenen Zeitintervallen (Tab. 1) sowie Aufklärung der Patienten über die Anzeichen metabolischer Störungen (z. B. Müdigkeit, Durst, Polyurie bei Hyperglykämie) sind daher bedeutsam. Diabetiker müssen darauf hingewiesen werden, dass sich ihre Blutzuckerwerte unter der Therapie verschlechtern können.
Rolle der Apotheke
Die Beratung in der Apotheke kann die Patienten bereits zu Therapiebeginn für mögliche Gewichtsprobleme sensibilisieren und entsprechende Hilfsangebote unterbreiten (s. Interview „Patienten von Beginn an sensibilisieren“). Patienten sollten auf die Bedeutung einer regelmäßigen Einnahme des verordneten Antipsychotikums hingewiesen werden sowie auch darauf, dass der Arzt bei starken Gewichtsproblemen eventuell ein anderes, besser verträgliches Präparat verordnen kann. Wirkstoffe wie Metformin oder Antidepressiva können ebenfalls gegen unerwünschte Gewichtszunahme helfen, dieser Einsatz ist jedoch derzeit noch off label [14, 15]. Auch die geschickte Wahl des Einnahmezeitpunktes kann einem Gewichtsanstieg vorbeugen: Wenn Anticholinergika abends eingenommen werden, wird einerseits durch die Nebenwirkung Müdigkeit der Schlaf begünstigt, andererseits der Appetitanstieg „verschlafen“. |
Quelle
[1] Leucht S et al. Comparative efficacy and tolerability of 15 antipsychotic drugs in schizophrenia: a multiple-treatments meta-analysis. Lancet, 2013 382(9896): 951-962. doi: 10.1016/S0140-6736(13)60733-3
[2] Fachinformation Zyprexa®, Stand April 2014
[3] Simon V et al. Are weight gain and metabolic side effects of atypical antipsychotics dose dependent? A literature review. J Clin Psychiatry (2009)70:1041–1050
[4] Wittman M et al. Antidepressiva und Antipsychotika. Behalten Sie das metabolische Risiko im Blick! MMW-Fortschrit Med (2011)9:42-44
[5] Kroeze WK et al. H1-histamine receptor affinity predicts short-term weight gain for typical and atypical antipsychotic drugs. Neuropsychopharmacol (2003)28:519–526
[6] Herdegen Th Pharmako-logisch! Schizophrenie. Wenn die Lebensmaßstäbe verrückt sind. Dtsch. Apoth. Ztg, 2010,150(22):2456–2485
[7] Herdegen Th Pharmako-logisch! Update Schizophrenie und Neuroleptika. Dtsch. Apoth. Ztg, 2015,155(23):2233-2246
[8] Fachinformation Fluoxetin-ratiopharm® 20 mg Tabletten, Stand August 2014
[9] Müller DJ et al. Genetik der Antipsychotika-assoziierten Gewichtszunahme. Der Nervenarzt (2009)80(5):556-563
[10] Blaine B Does depression cause obesity? A meta-analysis of longitudinal studies of depression and weight control. J Health Psychol (2008)13(8):1190-1197
[11] Bandelow B et al. Deutsch S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen, Stand 15.4.2014, www.awmf.org, AWMF-Registernr. 051-028
[12] S3-Behandlungsleitlinie Schizophrenie (2006), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) (Hrsg.)
[13] Zusätzliches Informationsmaterial zur Minimierung metabolischer Nebenwirkungen unter Seroquel® und Seroquel Prolong® (Quetiapin). Meldung der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) vom 9. Juni 2015; http://www.abda.de/amk-nachricht/artikel/2415-informationen-der-hersteller-zusaetzliches-informationsmaterial-zur-minimierung-metabolischer/, Abruf am 12. Juni 2015
[14] Schlenger R Aktuelle Schizophrenie-Leitlinie gibt Priorisierung der Atypika auf. Dtsch. Apoth. Ztg, 2013;153(31):3198-3202
[15] Hasan A et al. The WFSBP task force on Treatment Guidelines for Schizophrenia. Guidelines for Biological Treatment of Schizophrenia, Part 1: Update 2012. The World Journal of Biological Psychiatry (2012)13:318–378
3 Kommentare
Gewichtszunahme durch Antidepressiva
von Nicole Hinze am 12.12.2019 um 22:51 Uhr
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Gewichtszunahme
von Horst Lex am 17.05.2019 um 2:52 Uhr
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Dickmacher Tabletten
von Šárka Wolf am 18.12.2018 um 23:44 Uhr
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