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INTERPHARM 2014 - ApothekenRechtTag
Neues von der Retax-Front
ApothekenRechtTag: Rechtliches Update zu Null-Retaxationen
Viele Retax-Entscheidungen der letzten Zeit ergingen zulasten der Apotheken. Erinnert sei hier insbesondere an das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) im Musterstreitverfahren zur Abgabe von Nicht-Rabattvertragsarzneimitteln trotz Bestehens eines Rabattvertrags. Geschieht dies ohne Grund, so ist die Krankenkasse zur sogenannten Null-Retaxation berechtigt (siehe DAZ 2013, Nr. 49, S. 25). Keinen Vorrang hat das Rabattarzneimittel nur, wenn es auf dem Markt nicht verfügbar ist, es in der konkreten Apotheke nicht vorliegt, aber ein dringender Fall gegeben ist, oder wenn pharmazeutische Bedenken bestehen. Liegt ein solcher Grund vor, muss die Apotheke dies für die Kasse klar erkennbar dokumentieren – sonst droht die Null-Retaxation. Die Frage ist, ob die Verletzung einer solchen Dokumentationspflicht durch eine nachträgliche Korrektur geheilt werden kann. Selbst wenn man dies – wie Wesser – für möglich hält, wäre es wohl nur zu beweisen, wenn die Dokumentation sauber erfolgt ist.
Ein weiteres BSG-Urteil zuungunsten der Apotheken erging schon im Juli 2012. Danach schließt die Versäumung einer im Arzneiliefervertrag vereinbarten Ausschlussfrist den Vergütungsanspruch des Apothekers gänzlich aus (DAZ 2012, Nr. 28, S. 20). Doch es gab auch ein BSG-Urteil zugunsten der Apotheken: Vergütungsansprüche der Apotheke werden nicht um den Apothekenabschlag gemindert, wenn die Kasse sie nicht fristgerecht begleicht (DAZ 2012, Nr. 28, S. 20).
Ordnungsgemäße Verordnung als Abgabevoraussetzung
Daneben wurden in den letzten Monaten auch eine Reihe bemerkenswerter erst- und zweitinstanzlicher Entscheidungen bekannt. Anlass für Rechtsstreitigkeiten bieten häufig Retaxationen, die erfolgen, weil Arzneimittel ohne eine zugrunde liegende ordnungsgemäße vertragsärztliche Verordnung abgegeben wurden. Besonders facettenreich ist etwa ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg (Urt. vom 18. September 2013, Az. L 9 KR 92/11). In diesem Fall erhielt eine Apotheke von einer Arztpraxis am 22. Dezember per Fax den Infusionsplan für einen Patienten. Auf diesem war die Zusammensetzung für eine parenterale Ernährungslösung angegeben und vermerkt, dass die Therapie am 23. Dezember 2005 beginnen solle – die Apotheke gab die Ernährungslösung an diesem Tag ab. Erst am 10. Januar folgte die Verordnung selbst. Sie bestand aus drei Verordnungsblättern, die jeweils vom Arzt unterschrieben und mit einem Praxisstempel versehen waren. Dem LSG reichte der Infusionsplan nicht, um einen Vergütungsanspruch der Apotheke zu begründen. Eine ordnungsgemäße Verordnung sei nur ein ordnungsgemäß ausgefülltes Verordnungsblatt Muster 16. Auch die nachträgliche Verordnung heile diesen Mangel nicht. Den Hinweis des Apothekers, es habe sich angesichts der bevorstehenden Feiertage um einen dringenden Fall gehandelt, ließ das Gericht nicht gelten. Die Arzneimittelverschreibungsverordnung (§ 4 Abs. 1) lässt eine solche Abgabe ohne Verordnung ausnahmsweise zu – dann muss der Arzt den Apotheker „in geeigneter Wiese, insbesondere fernmündlich“ über die Verschreibung unterrichten und diese „unverzüglich nachreichen“. Im Rahmenvertrag gibt es jedoch keine Regelung zu diesem Problemfall, ebenso wenig im hier einschlägigen vdek-Liefervertrag. Selbst wenn also eine apothekenrechtliche Leistungspflicht besteht, so mangelt es an ihrer sozialrechtlichen Berechtigung. Die Konsequenz: Das Arzneimittel darf lediglich auf Kosten des Versicherten, nicht aber auf Kosten seiner Kasse abgegeben werden. Allerdings ist es dem Versicherten möglich, gegen seine Kasse einen Anspruch auf Kostenerstattung geltend zu machen! Diesen Anspruch kann sich wiederum der Apotheker abtreten lassen. Hierauf sollten Patienten hingewiesen werden. Bei einem hohen Arzneimittelpreis kann die Apotheke auch eine Stundung anbieten. Verrückte Kassen-Welt! Auf jeden Fall, so rät Saalfank, sollte die Abtretung schriftlich fixiert und vom Versicherten bzw. seiner vertretungsberechtigten Person unterschrieben sein.
Vorsicht bei Fälschungsverdacht
Weitere Retax-Fallen zeigen sich etwa bei der Verordnung eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels oder einer bestimmten Menge/Stückzahl ohne Angabe der N-Größe. Die Kassen schreiten auch zur Aufrechnung von Vergütungsansprüchen, wenn sie Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot – etwa wegen der Abgabe nicht wirtschaftlicher Packungsgrößen – wittern, oder sich die bedienten Rezepte als gefälscht herausstellen. Was Letzteres betrifft, so ist vom Apotheker viel Aufmerksamkeit gefordert. Wann immer ein Verdacht aufkommt, die Verordnung könne gefälscht sein, sollte die Apotheke – so sie nicht zur direkten Klärung mit dem Arzt Rücksprache halten kann – zur Schadensminimierung die Abgabemenge reduzieren, rät Wesser (siehe z.B. Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Januar 2013, Az. S 14 KR 562/12, AZ 2013, Nr. 21, S. 2).
Auch wenn hier nur einige Fälle angesprochen sind: Die Rechtsprechung im Bereich der Retaxation wird immer vielfältiger – und die Apotheken haben häufig das Nachsehen. Nicht jede gerichtliche Argumentation ist für Wesser und Saalfrank nachvollziehbar. Sicherlich besteht nicht nur aus ihrer Sicht nach wie vor einiger Klärungsbedarf. Selbst bei der Null-Retax-Entscheidung des BSG im Musterstreitverfahren muss noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. Gegen sie wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt. Ob diese angenommen wird, ist allerdings noch offen.
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