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Arzneimittel und Therapie
Achtung chronische Migräne
Chronische Migräne ist nicht selten. Die Prävalenz liegt zwischen 0,4 bis 1,8%. Entsprechend leben in Deutschland 0,3 bis 1,5 Millionen Patienten mit diesem Krankheitsbild, vor allem Frauen. Was aber ist "chronische Migräne"? Die Definition der International Headache Society (IHS) lautet folgendermaßen:
15 Kopfschmerztage im Monat, davon an mindestens acht Tagen Migräne, in einem Zeitraum über drei Monate,
der Kopfschmerz ist weder auf Medikamentenübergebrauch noch auf eine andere ursächliche Erkrankung zurückzuführen.
Die chronische Migräne geht zudem nicht selten mit Depression, Angst und Schlafstörungen einher. Physischer oder psychischer Missbrauch in der Kindheit erhöhen die Gefahr. Als weitere Risikofaktoren gelten die arterielle Hypertonie und die Myoarthropathie der Kaumuskulatur.
Frustrierte Patienten
Das Problem brachte Dr. Charly Gaul, Medizinischer Leiter der Migräne- und Kopfschmerz-Klinik Königstein, bei einer von Allergan Pharm. Ireland unterstützten Veranstaltung in Hamburg auf den Punkt. Viele Patienten mit chronischer Migräne werden gar nicht diagnostiziert. Selbst in Fachkreisen ist das Krankheitsbild noch nicht genügend etabliert. "Häufig geben die Patienten nach erfolglosen Arztbesuchen frustriert auf." Wird die Migräne diagnostiziert, erfolgt die Einweisung in ein qualifiziertes Kopfschmerzzentrum oft verspätet oder gar nicht. Dabei gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die den Patienten helfen können. Als "Schlüssel zur Diagnose" bezeichnete Gaul die Kommunikation mit dem Patienten. Ergänzend zur üblichen Anamnese sollten folgende Fragen gestellt werden:
An wie vielen Tagen im Monat sind Sie wirklich völlig frei von Kopfschmerz?
An wie vielen Tagen im Monat geht es Ihnen so schlecht, dass Sie nichts mehr unternehmen können?
An wie vielen Tagen im Monat nehmen Sie Schmerzmittel ein?
Wegweisend ist auch ein Kopfschmerztagebuch, das möglichst früh begonnen werden sollte.
Den Patienten auf Trab bringen
Die Behandlung der chronischen Migräne muss auf nicht-medikamentöse und medikamentöse Maßnahmen setzen. Prof. Dr. Andreas Straube, Oberarzt an der Neurologischen Klinik der Universität München, betonte die Bedeutung von regelmäßigem Ausdauersport. Entspannungstechniken können zusätzlich hilfreich sein, aber auch eine Verhaltens- oder Psychotherapie. Die medikamentöse Intervention richtet sich nach dem individuellen Krankheitsbild. Bei mehr als drei Attacken pro Monat oder regelmäßigen Attacken, die über 72 Stunden dauern, sollte aus seiner Sicht eine medikamentöse Prophylaxe durchgeführt werden.
Onabotulinumtoxin A reduziert die Kopfschmerztage
Umfangreich untersucht zur Prophylaxe bei chronischer Migräne ist Onabotulinumtoxin A (Botox®), das in den beiden multizentrischen Phase-III-Studien PREEMPT (Phase III REsearch Evaluating Migraine Prophylaxis Therapy)-I und -II, Wirksamkeit und Sicherheit bei chronischer Migräne unter Beweis stellen konnte. Eingeschlossen waren 1324 Patienten mit mindestens 15 Kopfschmerztagen pro Monat, davon acht Tage mit Migräne, die mindestens vier Stunden anhielten. Das Design der Studien war identisch: ein 24wöchiger doppelblinder, placebokontrollierter Parallelgruppenvergleich, gefolgt von einer offenen Phase über weitere 32 Wochen. Onabotulinumtoxin A wurde in bis zu fünf Therapiesitzungen mit zwölfwöchigen Abständen intramuskulär in sieben Kopf-, Nacken- und Schultermuskeln in einer Dosis zwischen 155 und 195 Einheiten injiziert. Die Häufigkeit der Kopfschmerztage in dem 28-tägigen Zeitraum vor Woche 24, definiert als primärer Endpunkt, ging unter Verum um 8,4 Tage im Vergleich zum Ausgangswert zurück (Placebo: 6,6 Tage; p < 0,001). Migräneschmerzen reduzierten sich in der 24-wöchigen Behandlungsphase deutlicher (-8,2 Tage vs. -6,2 Tage, p < 0,001). Nach einem Behandlungsjahr erreichten etwa 70% der Patienten eine Reduktion der Migräneschmerztage um mindestens 50% im Vergleich zum Ausgangswert. Entsprechend besserte sich die Lebensqualität der Patienten, ermittelt anhand des Migräne Specific Questionnaire. Auch Kopfschmerz-bedingte Alltagseinschränkungen gingen zurück. Sie lassen sich mithilfe des HIT6-Fragebogens ermitteln, der die sechs Kriterien Schmerzintensität, Rollenfunktionen, soziale Funktionen, Vitalität, kognitive Funktionen und psychologische Belastung erfasst. Eine Veränderung um 2,3 Punkte (MID; minimally important difference) gilt als klinisch signifikante Verbesserung der Kopfschmerzsituation. Der Unterschied zwischen Verum und Placebo lag bei 2,4. Neue Therapie-assoziierte Nebenwirkungen wurden unter Onabotulinumtoxin A nicht beobachtet. Am häufigsten traten Nackenschmerz (6,7% vs. 2,2%), Muskelschwäche (5,5% vs. 0,3%) und Ptosis der Augenlider (3,3% vs. 0,3%) auf.
Seit einem Jahr zugelassen
Auf der Basis dieser Daten wurde Onabotulinumtoxin A im September 2011 zugelassen zur Linderung der Symptome bei erwachsenen Patienten, die die Kriterien einer chronischen Migräne erfüllen (Kopfschmerzen an mindestens 15 Tagen pro Monat, davon mindestens acht Tage mit Migräne), und die auf eine prophylaktische Migräne-Medikation nur unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben. Damit steht eine zugelassene medikamentöse Therapieoption speziell für die Therapie der chronischen Migräne zur Verfügung. Die empfohlene Dosis an rekonstituierter Botox®-Lösung zur Behandlung von chronischer Migräne beträgt zwischen 155 und 195 Einheiten, die mit einer 30-G-Nadel als 0,1-ml-Injektionen (5 Einheiten) intramuskulär (i. m.) in 31 bis zu 39 Stellen verabreicht werden. Die Injektionen sollten auf sieben spezifische Kopf-/Nackenmuskelbereiche verteilt werden. Das empfohlene Intervall für Wiederholungsbehandlungen ist alle zwölf Wochen.
Zum WeiterlesenToxikologie der Botulinumtoxine. Von der Wurstvergiftung zur ästhetischen Medizin. DAZ 2012, Nr. 34, S. 46– 50. |
Apothekerin Dr. Beate Fessler
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