Arzneimittel und Therapie

Vorsicht mit NSA nach Infarkt

Kardiovaskuläres Risiko langfristig erhöht?

Das kardiovaskuläre Risiko ist im ersten Jahr nach einem Herzinfarkt deutlich erhöht. Inwieweit sich eine NSA (nicht-steroidale Antirheumatika)-Therapie direkt auf dieses Risiko auswirkt war bisher unklar. Eine epidemiologische Analyse, die im Journal of the American Heart Association veröffentlicht wurde, weist innerhalb der ersten fünf Jahre nach dem Erstinfarkt auf eine über die Zeit abnehmende, aber am Ende noch leichte Erhöhung des Risikos für einen Koronartod oder weitere nichtletale Ereignisse hin, wenn der Patient unter einer NSA-Therapie steht. Lesen Sie dazu auch den Kommentar am Ende des Textes.
Das kardiovaskuläre Risiko nach einem ersten Herzinfarkt ist während des ersten Jahres danach deutlich erhöht. Eine dänische retrospektive Kohortenstudie legt nun die Vermutung nahe, dass die Verordnung von nicht-steroidalenAntirheumatika auch fünf Jahre nach einem Herzinfarkt mit einem erhöhen kardialen Risiko einher geht. Foto: somenski – Fotolia.com

Das kardiovaskuläre Risiko nach einem ersten Herzinfarkt ist während des ersten Jahres danach deutlich erhöht. Ob eine Therapie mit nicht-steroidalen Antirheumatika in dieser Zeit das Risiko noch weiter erhöht, wurde in Dänemark anhand der Daten von 128.418 Patienten, die in den Jahren von 1997 bis 2009 ihren ersten Herzinfarkt erlitten hatten, untersucht. Die 99.187 Patienten (77%), die diesen Infarkt 30 Tage lang überlebt hatten, wurden in die Studie aufgenommen. 64% davon waren Männer, und das mediane Alter aller Patienten betrug 69 Jahre (SD = 13). 43.608 (44%) der 99.187 Patienten wurde in der Nachfolgezeit mindestens ein Rezept über ein NSA ausgestellt.

Verwendete Arzneimittel

Da in Dänemark die meisten NSA verschreibungspflichtig sind, konnte der Gebrauch dieser Arzneimittel weitestgehend über die Verschreibungen erfasst werden. Das einzige nicht-steroidale Antirheumatikum, das in dieser Zeitperiode teilweise nicht verschreibungspflichtig war, ist Ibuprofen. Dieses ist aber auch erst seit November 2001 verschreibungsfrei, und das auch nur in geringen Dosen (200 mg) und davon dürfen bei einem Verkauf auch nur höchstens 100 Tabletten abgegeben werden. Separate Analysen wurden durchgeführt für die zwei selektiven Cyclooxygenase (COX)-2-Hemmer Celecoxib und Rofecoxib einerseits und die noch öfter verwendeten nicht-selektiven NSA Ibuprofen, Diclofenac und Naproxen andererseits. Alle übrigen nicht-steroidalen Antirheumatika wurden in einer dritten Gruppe, den "anderen NSA" zusammengefasst. Wie in Deutschland ist auch in Dänemark Acetylsalicylsäure ohne Verschreibung erhältlich, so dass dessen Verwendung bei den Studienpatienten nicht umfassend erfasst werden konnte. Der Behandlungsstatus mit kardiovaskulären Arzneimitteln wie Betablockern, ACE-Hemmern, Diuretika und anderen wurde auch erfasst.

Erhöhtes kardiales Risiko unter Antirheumatika

Während des Follow-up starben 36.347 (37%) der Patienten, und 29% erlitten einen weiteren kardialen Vorfall wie koronaren Tod oder einen nichttödlichen Koronarinfarkt. Beim Abgleich mit den Daten über die Verschreibungen von nicht-steroidalen Antirheumatika zeigte sich in der Patientengruppe mit NSA innerhalb der Nachbeobachtungszeit von fünf Jahren erstens eine höhere Letalität (durch jegliche Todesursachen) und zweitens ein höheres Risiko für den zweiten, zusammengesetzten Endpunkt aus Tod mit kardialer Ursache und nichtletalem kardialen Zwischenfall. Während in der Vergleichsgruppe im ersten Jahr nach dem Herzinfarkt das Risiko für einen kardialen Vorfall auch noch recht hoch war, danach aber deutlich abfiel, nahm das Risiko bei den Patienten unter einer NSA-Therapie über die gesamten fünf Jahre zwar leicht ab, blieb aber auf einem höheren Niveau. Die Hazard Ratio für das Letalitätsrisiko innerhalb des ersten Jahres nach dem Infarkt betrug beim Vergleich der beiden Gruppen 1,59 (95% CI 1,49 bis 1,69) und in den ersten fünf Jahren nach dem Infarkt 1,63 (CI 1,52 bis 1,74). Der Einsatz von Diclofenac war im Vergleich zu den übrigen NSA und der Vergleichsgruppe mit dem höchsten Todesrisiko innerhalb der ersten fünf Jahre verbunden. In Bezug auf den zusammengesetzten Endpunkt aus koronarem Tod und nicht tödlichem Herzinfarkt-Rückfall war auch das Risiko der NSA-Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe erhöht, hier besonders für Diclofenac. Wie bereits in anderen Studien zeigte sich auch in dieser Analyse Naproxen als das NSA mit dem geringsten relativen kardiovaskulären Risiko.

Offene Fragen und Empfehlungen

Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch andere nicht erfasste Faktoren für die beobachtete Kardiotoxizität mit verantwortlich waren. Außerdem haben epidemiologische Studien natürlich nicht die Power von kontrollierten randomisierten Studien. Aber nach Meinung der Autoren sind die Zusammenhänge zwischen NSA-Verwendung und kardialem Risiko auch Jahre nach Erstinfarkt, die hier in der Bevölkerung eines ganzen Landes gezeigt werden konnten, doch so bemerkenswert, dass Ärzte den Einsatz von NSA für Patienten nach Herzinfarkt sehr genau erwägen sollten. Benefit und Risiko sollten sorgfältig gegeneinander abgewogen werden, und das nicht nur im ersten Jahr nach dem Infarkt sondern auch deutlich länger. Zwar war Naproxen hier das NSA mit dem geringsten kardiovaskulären Risiko, aber dabei darf nicht vergessen werden, dass es mit einem höheren Risiko für gastrointestinale Blutungen verbunden ist als zum Beispiel Rofecoxib. Und gastrointestinale Blutungen bei Patienten nach Herzinfarkt führen auch zu einer sehr schlechten Prognose. Insofern wären weitere Studien und evidenzbasierte Leitlinien wünschenswert, die den Einsatz von nicht-steroidalen Analgetika im Hinblick auf kardiovaskuläre sowie gastrointestinale Nebenwirkungen empfehlen könnten.


Quelle

Schjerning Olsen, A.-M.; et al.: Long-Term Cardiovaskular Risk of NSAID Use According to Time Passed After First-Time Myocardial Infarction: A Nationalwide Cohort Study. Journal of the American Heart Association, published online September 2012.


Apothekerin Dr. Annette Junker




Thomas Herdegen

Einmal NSA, immer infarktgefährdet?

Die dänische nationale Kohortenstudie ist eine Erweiterung der Studie, die die Autoren mit dem gleichen und jetzt erweiterten Patientengut schon 2011 zum selben Thema veröffentlicht hatten. Die Studie war bereits Gegenstand meines kritischen Kommentars in der DAZ 2011, Nr. 21, S. 30 – 31 sowie im Deutschen Ärzteblatt (2011). Damals wurde den nicht-steroidalen Analgetika (NSA) der schlimmste Vorwurf gemacht, den man einem Arzneimittel machen kann: dass es die Mortalität erhöht. Grundlage für diesen für den Kommentator haltlosen Vorwurf war die Berechnung, dass nicht-steroidale Analgetika ca. 0,15 bis 0,2 letale Ereignisse pro 1000 Patientenjahre [Schjerning-Olsen et al. 2011, Abb. 1] oder 1,5 bis 2 Ereignisse pro 10.000 Patientenjahre bzw. 120.000 Patientenmonate verursachen.

In der aktuellen Studie mit der gleichen Studienpopulation plus ca. 20% Patienten aus den Jahren 2007 bis 2009 wird nun ein ähnliches relatives Risiko von 59% bzw. 63% mehr Todesfällen nach einem bzw. fünf Jahren sowie von 30% bzw. 41% mehr tödlichen KHK oder nicht-tödlichen Reinfarkten berichtet. Entscheidend sind wie in jeder Studie die absoluten Zahlen. Hier lässt sich eine ungefähre Differenz zwischen NSA-Gruppe und der Kontrollgruppe mit acht bzw. vier Todesfälle pro 100 Personenjahre nach einem bzw. fünf Jahre berechnen, bei KHK-Mortalität/Reinfarkte sind es zusätzlich 3,5 bzw. 1,5 Fälle.

Der Grund für die um den Faktor 50 bis 100 erhöhte Inzidenz zwischen den beiden Publikationen erschließt sich nicht. In jedem Fall wird die Inzidenz nach einem Jahr höher als nach einem halben Jahr [Schjerning-Olsen et al. 2011], obwohl das Reinfarktrisiko in dieser Zeit pathophysiologisch am höchsten ist.

Die Autoren warnen davor, dass der Gebrauch von nicht-steroidalen Analgetika auch fünf Jahre nach einem kardialen Ereignis die Inzidenz für ein nachfolgendes Ereignis erhöht. Diese Warnung lässt zwei wesentliche Sachverhalte außer Acht, die die Bedeutung der Studie für den klinischen Alltag relativieren:

1. Wer NSA einnimmt hat Schmerzen und Schmerzen sind ein krankheitsrelevanter Stressfaktor.

2. Was wären die Alternativen? Metamizol steht in Dänemark nicht zur Verfügung. Schwache Opioide oder Glucocorticoide erhöhen die kardiovaskulären Ereignisse und Mortalität wesentlich stärker [Solomon et al. 2010; Fardet et al. 2012] als nicht-steroidale Analgetika. Nach Angaben der Autoren hatte die rheumatoide Arthritis keinen Einfluss auf das Ergebnis, Kopfschmerz und Arthrosen und andere Schmerzen wurden nicht berücksichtigt. Der zeitliche Abstand zwischen der letzten Einnahme von nicht-steroidalen Analgetika und dem kardialen Ereignis hatte keinerlei Einfluss. Da sich pathophysiologisch keine jahrelange Nachwirkung einer NSA-Einnahme konstruieren lässt, scheint die Grunderkrankung, die zum NSA-Gebrauch führt, der bestimmende Risikofaktor zu sein. Während die unter nicht-steroidalen Analgetika zusätzlichen Todesfälle sich von acht auf vier halbieren, nehmen die kardialen Ereignisse absolut von ca. 18 auf sechs wesentlich stärker ab, die Differenz beträgt nur noch ca. 1,5 Fälle auf 100 Personenjahre. Von einem gleichbleibend erhöhten kardialen Risiko zu sprechen, ist nicht angebracht.

Schließlich bleibt noch anzumerken, dass in der Gruppe ohne NSA 61,2% der Patienten Acetylsalicylsäure (ASS) einnahmen, in der gesamten Gruppe mit nicht-steroidalen Analgetika nur 53,8%, bei den Coxiben sogar nur 38 bis 40%. Die konsequente Einnahme von ASS neutralisiert aber vollständig das kardiale Risiko von nicht-steroidalen Analgetika [Strand et al. 2007]. Das kardiale Risiko von Rofecoxib (inzwischen vom Markt genommen), das als besonders kardiotoxisch galt, war übrigens nicht höher als das von Ibuprofen, dem gemeinhin die höchste Sicherheit zugesprochen wird.

Schließlich interpretieren die Autoren ihre Daten recht flexibel: Naproxen wird als das NSA mit dem geringsten Risiko bezeichnet, obwohl kein Unterschied zu anderen der NSA-Gruppe besteht. Andererseits gilt den Autoren die Abnahme von 18 Fällen nach einem Jahr auf sechs Fälle KHK/Reinfarkte pro 100 Patientenjahre als gleichbleibendes Risiko.

In Deutschland bestehen die Kontraindikationen ab NYHA II und KHK für Coxibe bzw. ab NYHA-III für unselektive COX-Inhibitoren. Diclofenac zeigte auch in dieser Studie eine Tendenz für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Die Unterschiede in den Kontraindikationen vermitteln eine Sicherheit gegenüber Coxiben, die in der Praxis nicht besteht.

Die Warnung der Autoren, dass nicht-steroidale Analgetika potenziell auch fünf Jahre nach einem Infarkt schädlich sind und dass die OTC-Verfügbarkeit von NSA beunruhigend ist, geht sowohl an den Bedürfnissen der Patienten vorbei und wird der kardiovaskulären Problematik nicht gerecht.


Quelle

Fardet, L.; et al.: Risk of cardiovascular events in people prescribed glucocorticoids with iatrogenic Cushing‘s syndrome: cohort study. BMJ. 2012; 345: e4928.

Schjerning Olsen, A.-M;. et al.: Duration of treatment with nonster-oidal anti-inflammatory drugs and impact on risk of death and recurrent myocardial infarction in pa-tients with prior myocardial infarction: a nationwide cohort study. Circulation. 2011;123: 2226 – 2235.

Schjerning Olsen, A.-M., et al.: Long-Term Cardiovaskular Risk of NSAID Use According to Time Passed After First-Time Myocardial Infarction: A Nationalwide Cohort Study. Journal of the American Heart Association, published online September 2012.

Solomon, D.H.; et al.: The comparative safety of opioids for nonmalignant pain in older adults. Arch Intern Med. 2010;170: 1979 – 1986.

Strand V: Are COX-2 inhibitors preferable to non-selective non-steroidal anti-inflammatory drugs in patients with risk of cardiovascular events taking low-dose aspirin? Lancet 2007; 370: 2138 – 2151.


Prof. Dr. Thomas Herdegen

Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie UK-SH,

Hospitalstr. 4, 24105 Kiel



DAZ 2012, Nr. 38, S. 38

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