Arzneimittel und Therapie

Schmerzen, Schmerzmittel und das kardiale Risiko

In einer soeben erschienenen dänischen Kohortenstudie wurde der Frage nachgegangen, welchen Einfluss die Einnahme von NSAIDs nach einem Myokardinfarkt auf das Reinfarktrisiko hat. Das Ergebnis: schon eine kurzzeitige NSAID-Anwendung (1 bis 7 Tage) kann das Risiko für einen erneuten Herzinfarkt und das Sterberisiko geringfügig erhöhen. Der Pharmakologe Prof. Dr. Thomas Herdegen, Kiel, hat die Studie zum Anlass genommen, die Datenlage zu kardiovaskulären Risiken von COX-Inhibitoren näher zu beleuchten und kritisiert Berichte, die pauschal titeln: „Schmerzmittel können Herzinfarkt auslösen“.
Abb.: Inzidenz der Todesfälle während der NSAID-Behandlung. Die vertikalen Balken geben das 95%-Konfidenz-Intervall an [aus Schjerning Olsen AM et al: Circulation. 2011; 123:2226 – 2235].

Das kardiovaskuläre Risiko unter Cyclooxygenase(COX)-Inhibitoren ist eine bekannte Nebenwirkung, die mit einer Ereignisrate von ungefähr 0,3 bis 2 pro 100 Patientenjahre oder pro 1200 Patientenmonate je nach Alter und Komorbidität auftritt. Einfluss auf die Inzidenz haben kardiovaskuläre Vorschädigungen oder entzündliche Erkrankungen, bei letzteren kann das Risiko sogar vermindert werden.

In der APPROVe-Studie (Rofecoxib und Placebo zur Prophylaxe gegen Darmpolypen) erhöhte sich die Inzidenz bei herzgesunden Probanden gegenüber Placebo nach 12 bis 18 Monate dauernder kontinuierlicher Einnahme (1 Ereignis in mehr als 100 Patientenjahren) [Bresalier et al., 2005]. Ähnlich war die Inzidenz mit ca. 1% in der MEDAL-Studie, in der Diclofenac mit Etoricoxib bei Patienten mit Osteoarthrose und teilweise kardiovaskulären Risiken verglichen wurde; von dieser 1%-Inzidenz muss noch die Medikamenten-unabhängige Ereignisrate abgezogen werden, auf die ca. 50% der Ereignisse zurückzuführen sind [Cannon et al., 2006]. Im Gegensatz steigerte die Einnahme von Valdecoxib bzw. Parecoxib in Studien zu unerwünschten Ereignissen bei kardialen Hochrisikopatienten nach Bypass-Operation (CABG-Studien) die kardiale Morbidität und Mortalität sofort nach wenigen Tagen [Nussmeier et al. 2005].

Komorbidität und Zeitpunkt wichtig für Kardiotoxizität

Neben der Komorbidität scheint also auch der Zeitpunkt eine mögliche Rolle für die Kardiotoxizität zu spielen. Eine australische Studie errechnete für die Einnahme von COX-Inhibitoren zwischen einem Monat und zwei Jahren keinen Unterschied gegenüber Probanden ohne COX-Inhibitoren; die Einnahme an zwei Tagen in den letzten 30 Tagen verminderte sogar die Inzidenz, während ein mehr als zweitägiger Gebrauch in den letzten 30 Tagen die Inzidenz erhöhte [Mangoni et al., 2010].

Die dänische Kohortenstudie

Eine aktuelle Studie aus Dänemark bestimmte den Einfluss von COX-Inhibitoren auf das Auftreten von Reinfarkten bei Patienten, die 1 bis 14 Wochen nach einem Herzinfarkt COX-Inhibitoren eingenommen hatten [Schjerning Olsen AM, et al.: Circulation 2011; 123:2226 – 2235]. Beobachtungszeitraum war das Jahrzehnt zwischen 1997 und 2006. Insgesamt erhöhte sich im Durchschnitt die Mortalität von ca. 0,26 Todesfällen (Kontrollpopulation) auf durchschnittlich 0,39 Todesfälle pro 1000 Patientenjahre (Abb.), das sind absolut 1,3 Fälle pro 10.000 Patientenjahre. Diese Zunahme trat bereits nach einer Woche auf und blieb abgesehen von einer Zunahme um weitere 0,14 Fälle pro 1000 Patientenjahre zwischen der 7. und 8. Behandlungswoche nach dem Erstinfarkt konstant. Zeitweise erhöhte sich die Inzidenz pro 1000 Patientenjahre bei hohen Standardabweichungen gegenüber der Kontrollgruppe für je ein bis zwei Wochen, z. B. bei Celecoxib um 1,2 nach 4 Wochen und bei Diclofenac um 0,6 nach der 1. und 6. Woche. Bei dem manchmal als kardioprotektiv bezeichneten Naproxen war die Inzidenz von minus 0,1 und 0,3 ähnlich dem von Ibuprofen (0,1 bis 0,3). Bei der Assoziierung mit kardial bedingten Todesfällen bzw. Reinfarkten betrug der Kontrollwert ca. 0,36 und die Inzidenzrate unter allen COX-Inhibitoren nach einer Woche 0,56 pro 1000 Patientenjahre, dieser Wert fiel mit geringfügigen Abweichungen kontinuierlich nach 14 Wochen auf 0,41 – das sind 2 bzw. 0,5 Fälle pro 10.000 Patientenjahre (Abb.).

bringt wenig Neues

Die Arbeit bringt wenig Neues, allenfalls die Erkenntnis, dass das überraschend geringe Risiko selbst nach Herzinfarkt unabhängig von der Postinfarktzeit ist. Ob nach einer Woche oder nach drei Monaten, die Inzidenz bleibt gleich. Die meisten aktuellen Metaanalysen zum kardiovaskulären Risiko zeigen eine relative Risiko-Erhöhung unter COX-Inhibitoren und/oder Coxiben um 30 bis 70%, die in Einzelfällen auf das Doppelte steigen kann. Dies ist angesichts der niedrigen Absolutzahlen klinisch nur bedingt relevant und die Angabe des relative Risikos ohne absolute Inzidenzen ist bedeutungslos. Die relativen Risiken von COX-Inhibitoren oder Coxiben ändern sich von Studie zu Studie, was auf die niedrige absolute Zahl zurückzuführen ist. Allerdings gilt es herauszufinden, welche Patienten sich im Bereich der oberen hohen Standardabweichung befinden, um hier eine besondere Aufmerksamkeit walten zu lassen.

Kontraindikation akute Koronarerkrankung

In Deutschland ist eine akute Koronarerkrankung eine Kontraindikation für Coxibe, jedoch bestätigen die vorliegenden Zahlen die Einschätzung des Autors S. 77 und S. 83), dass bei kardialen Kontraindikationen für Coxibe auch kein anderer COX-Hemmer eingesetzt werden sollte. Dies gilt auch für Naproxen, das sich hier nur unwesentlich von Ibuprofen oder nur gering von Diclofenac unterscheidet.

Kardiales Risiko von unbehandelten Schmerzen

Auch in dieser Studie muss davon ausgegangen werden, dass in der Vergleichsgruppe keine behandlungsbedürftigen Schmerzen auftraten. Stets gilt zu berücksichtigen, dass unbehandelte Schmerzen mit einer Aktivierung der Stresshormone (Adrenalin, Cortison) das kardiale Risiko wahrscheinlich in einer Größenordnung erhöhen, die dem der COX-Inhibitoren nahe kommt.

Die sich meist ähnelnden Kommentare wie z. B. in der Online-Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts (aerzteblatt.de vom 10. Mai 2011) "KHK: Schmerzmittel können Herzinfarkt auslösen" werden dem Problem nicht gerecht. Erstens bleiben die absoluten Ereignisse unkommentiert (die Differenzen betragen in manchen Studien oft weniger als 0,3% pro 100 Patientenjahre), zweitens werden keine Alternativen benannt, die bei niedrigerem Risiko eine ähnliche analgetische Wirkung bieten (siehe auch die Warnung vor Metamizol im Deutschen Ärzteblatt 2009 106(17): A-846 sowie die deutlich erhöhte Mortalität unter Opioiden in Solomon et al., 2010); drittens werden die erhöhte Schmerzlast bzw. damit verbundene Komorbiditäten nicht berücksichtigt, von denen bei Patienten mit Analgetikagebrauch ausgegangen werden muss. Der Hinweis im erwähnten Artikel des Deutschen Ärzteblatts, dass "einem COX-1-selektiven NSAID wie Naproxen der Vorzug gegeben werden sollte", zeugt von einem immer noch bedauernswerten und weit verbreiteten Missverständnis bezüglich Wirkung und Nebenwirkungsrisiko. Denn nur die Hemmung von COX-2 trägt die analgetische und antiphlogistische Wirkung; in anderen Worten, selektive COX-1-Hemmstoffe sind wirkungslos.


Prof. Dr. Thomas Herdegen, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Universitäts-Klinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Hospitalstr. 4, 24105 Kiel


Literatur beim Verfasser

Zum Weiterlesen


Pharmako-logisch! – Nichtsteroidale Analgetika

Vom großen Glück der Schmerzfreiheit

Von Thomas Herdegen

DAZ 2011; Nr. 18, S. 48 – 92

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