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- DAZ 34/2012
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Zulassung
In der Grauzone
Rückblick: 1961 wurde in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) erstmals ein Arzneimittelgesetz (AMG) verabschiedet. Es verpflichtete die Hersteller, ihre Arzneimittel registrieren zu lassen. Hierzu war für bereits im Handel befindliche Arzneimittel nicht mehr als eine formale Anmeldung notwendig. Der Arzneimittelhersteller machte zwar administrative Angaben, musste aber keine Unterlagen zu Wirksamkeit, Sicherheit oder Qualität einreichen.
1965 verabschiedete die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) unter dem Einfluss der Contergan-Katastrophe die Richtlinie 65/65/EWG, die für Arzneimittel erstmals ein Zulassungsverfahren vorschrieb, bei dem die Behörden Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit prüfen sollten [1]. Auch den Arzneimittelverkehr innerhalb Europas wollte die EWG damit angleichen. Die BRD setzte diese Richtlinie 1976 mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts um. Das heutige AMG trat 1978 in seiner ersten Fassung in Kraft.
Zu diesem Zeitpunkt gab es in der BRD bereits 140.000 angezeigte Arzneimittel [2]. Für diese Alt-Arzneimittel legten die Behörden eine Übergangsregelung fest: Die Hersteller sollten Unterlagen gemäß aktuellen Standards nachliefern, um ihre Alt-Arzneimittel damit an die neuen Vorgaben anzugleichen. Während dieser laufenden, als Nachzulassung bezeichneten Verfahren galten die Arzneimittel als fiktiv zugelassen und blieben damit verkehrsfähig.
Auch die rund 4000 Medikamente der DDR stuften die Behörden nach der Wiedervereinigung als fiktiv zugelassene Arzneimittel ein [3]. Hierzu gehört auch Pentalong®, das sich derzeit im Fokus von Erstattungsfragen befindet (vgl. DAZ 2012, Nr. 19, S. 55ff).
Die Nachzulassung – eine unendliche Geschichte?
In Deutschland fiel der Startschuss für die Nachzulassungsverfahren, als das AMG 1978 in Kraft trat. Die Zulassungsbehörden forderten die Arzneimittelhersteller auf, für Alt-Arzneimittel, auf die sie nicht verzichten wollten, bis 1985 entsprechende Unterlagen vorzulegen. Gemäß Vorgaben der EWG sollten die Mitgliedstaaten bis 1990 alle Anträge bewerten und mit einer Zulassung oder Versagung abschließen [5].
Die deutschen Behörden konnten die Datenflut, die durch die Nachzulassung auf sie zukam, jedoch kaum bewältigen. Hinzu kamen einige AMG-Novellen, durch die sich der Spielraum des Verfahrens veränderte. Dies führte sowohl auf Firmen- als auch auf Behördenseite zu Verzögerungen [3]. 1990 waren noch mehr als 30.000 Arzneimittel als fiktive Zulassungen im Handel, man verlängerte daher die Frist bis 2005 [2; 4].
Während des Verfahrens änderten sich außerdem die Vorgaben an die vorzulegenden Daten. Zunächst forderten die deutschen Behörden nur den Qualitätsteil. Dieser muss ausführliche Angaben zu Zusammensetzung, Entwicklung, Herstellung und Prüfung des Medikaments enthalten, außerdem Unterlagen zu den Inhaltsstoffen und Packmitteln sowie Stabilitätsuntersuchungen.
Zu den präklinischen und klinischen Daten erstellten dazu einberufene Kommissionen Monographien, auf die sich die Hersteller zunächst berufen konnten. Die EG-Kommission entschied 1998 allerdings, dass der Bezug auf die Monographien nicht EU-konform sei, sondern dass Sicherheit und Wirksamkeit für jedes Arzneimittel gezeigt werden müssen [4]. Mit der 10. AMG-Novelle aus dem Jahr 2000 forderte Deutschland daher entsprechende klinische Studien nach [3]. Fristverlängerungen für die Firmen zogen die Verfahren weiter in die Länge [6].
Bis 2005 konnten die Behörden zwar alle Nachzulassungsanträge bearbeiten, allerdings sind einige dieser Verfahren bis heute nicht abgeschlossen, weil die Hersteller Mängel bearbeiten oder Informationen nachliefern müssen. Auch laufen teilweise noch Klageverfahren gegen die Versagung einer Zulassung. Schon im Jahr 2000 sprach das Arzneitelegramm daher von der „unendlichen Geschichte der Nachzulassung“ [7].
Der rechtliche Status ...
Solange das Nachzulassungsverfahren nicht abgeschlossen ist, ist ein Arzneimittel verkehrsfähig, selbst wenn eine mögliche Versagung nur aufgrund eines Klageverfahrens noch nicht rechtskräftig ist. Es behält solange den Status der fiktiven Zulassung, meist erkennbar an der fehlenden Zulassungsnummer. In der Packungsbeilage muss der Hersteller außerdem folgenden Satz aufführen: „Dieses Arzneimittel ist nach den gesetzlichen Übergangsvorschriften im Verkehr. Die behördliche Prüfung auf pharmazeutische Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ist noch nicht abgeschlossen.“
... und die Erstattungsfähigkeit
Wie sieht es mit der Erstattungsfähigkeit aus? Die Verkehrsfähigkeit, also eine gültige Zulassung, ist zwar generell die Voraussetzung dafür, dass die Gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für ein Medikament übernehmen, aber keine hinreichende Bedingung. Kassenärztliche Vereinigungen, die momentan Ärzte vor Regressen warnen, berufen sich auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahr 2005. Das BSG entschied damals, dass fiktiv zugelassene Arzneimittel nicht erstattet werden müssen, wenn sie nur deshalb noch verkehrsfähig sind, weil der Hersteller gegen die Versagung klagt und damit die Rechtskraft der Versagung verzögert [8].
Den Ärzten wird geraten, die fiktiv zugelassenen Arzneimittel nicht weiter auf Kassenrezept zu verordnen, sondern entweder ein Privatrezept auszustellen oder die Medikation zu ändern. Im Zweifelsfall solle der Patient selber mit der Kasse die Erstattung verhandeln. Zwar verschicken die Vereinigungen Listen der fiktiv zugelassenen Arzneimittel, allerdings gibt es keine Information darüber, welchen dieser Medikamente tatsächlich ein Klageverfahren anhängt.
Es mag berechtigt sein, dass die Kassen die Wirtschaftlichkeit dieser Therapien hinterfragen (wenn sich auch die Frage stellt, warum sie das erst jetzt tun), aber nicht, Ärzte und Patienten in dieser Grauzone hängen zu lassen. Man kann daher nur hoffen, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die unendliche Geschichte bald beendet und Alt-Arzneimittel, die aktuellen Standards entsprechen, regulär zulässt, den übrigen dagegen die fiktive Zulassung entzieht.
Quellen:
[1] Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten. Amtsblatt Nr. 022 vom 09.Juni1965: 0369-0373 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= CELEX:31965L0065:DE:HTML letzter Zugriff am 24.06.2012
[2] Das BfArM im Dialog: Stand der Nachzulassung 19. Juni 2001. Vortragsfolien http://www.bfarm.de/SharedDocs/1_Downloads/DE/BfArM/publ/dialogveranstaltungen/dialog_2001-2005/dialog-010619/bernt.pdf?__blob=publicationFile letzter Zugriff am 24.06.2012
[3] Geng B. Die Nachzulassung. Wissenschaftliche Prüfungsarbeit zur Erlangung des Titels "Master of Drug Regulatory Affairs" 2008 http://www.dgra.de/studiengang/pdf/master_geng_b.pdf letzter Zugriff am 24.06.2012
[4] arznei-telegramm 1998;12:109-10 http://www.arznei-telegramm.de/html/1998_12/9812109_01.html letzter Zugriff am 24.06.2012
[5] Zweite Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten. Amtsblatt Nr. L 147 vom 09. Juni 1975:0013-0022 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= CELEX:31975L0319:DE:HTML letzter Zugriff am 24.06.2012
[6] arznei-telegramm 2012;4: 38 http://www.arznei-telegramm.de/html/2012_04/test2.php3?&knr=202511/403276&produktid=038_01 letzter Zugriff am 24.06.2012
[7] arznei-telegramm 2000;7: 58 http://www.arznei-telegramm.de/html/2000_07/0007058_01.html, letzter Zugriff am 24.06.2012
[8] BSG, 27.09.2005 - B 1 KR 6/04 R
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