Feuilleton

Roter Harn und blaue Windeln*

Wann ist farbiger Urin pathologisch, wann harmlos?


* Meinem treuen, langjährigen, tatkräftigen und immer verlässlichen Wegbegleiter, Herrn Dr. Werner Zimmermann, in freundlicher Verbundenheit zum 65. Geburtstag gewidmet.


Michael Schüppach praktizierte in einem Bauernhaus im Berner Emmentalund war wegen seiner Diagnosen mithilfe der Uroskopie berühmt, wie auchdiese prominente Patientin erkennen lässt. Kupferstich von Bartholomäus Hübner, 1773.

Wer erschrickt nicht, wenn er feststellen muss, dass sein Urin rot oder die Windel seines Säuglings blaugrün befleckt sind?

Bis vor etwa 300 Jahren war die Beschauung des Harns eine wichtige, wenn nicht gar die wichtigste Komponente der ärztlichen Diagnose, einschließlich der Ferndiagnose. Doch es fehlte nicht an entschiedenen Gegnern der Uroskopie. Zu ihnen zählten u. a. Paracelsus (1493 – 1541), der von der "Seichseherei" sprach, ein junger englischer Arzt Thomas Brian, der 1637 ein kritisches Buch mit dem Titel "The Pisse Prophet or certain Pisse-Pot Lectures" schrieb, und Voltaire (1694 – 1778), der den Schweizer Wunderdoktor Michael Schüppach (1707 – 1781) als "médecin des urines" verspottet hat.

Damals stand der zu beurteilende Harn oft tagelang in offenen Schaugläsern herum oder wurde über weite Strecken zu einer als diagnostische Koryphäe geltenden Person transportiert. Kein Wunder, wenn sich der Harn dabei allmählich dunkel verfärbte oder durch bakteriellen Befall ein rotes (Serratia marcescens) oder grünes Aussehen (Pseudomonas -Arten) erlangte, was gravierende Fehldiagnosen zur Folge hatte.

Heute ist prinzipiell zu hinterfragen, was die Ursachen ungewöhnlicher Harnfarben sind.


Harnfarbenkreis Der Urin in den 20 Urinalen hat jeweils eine andere Farbe, oben beginnend mit "weiß [d. h. farblos] wie Quellwasser" und links daneben endend mit "schwarz wie Horn" und "schwarz wie Tinte". Dazwischen folgen im Uhrzeigersinn die eigentlichen Farben wie gelb, braun, rot und sogar grün. (Aus: Ulrich Pinder, Epiphanie medicorum, Nürnberg 1506).

Die natürliche Färbung

Für die natürliche gelbe Färbung des Harns eines gesunden Probanden ist hauptsächlich der Häm-Metabolit Urobilin verantwortlich. Die Farbe des Harns ist auch beim Gesunden deutlichen Schwankungen unterworfen und hängt von den Trinkmengen ab. Trinken wir zu viel – gemeint ist damit das Wasser und nicht das, was ein "Trinker" darunter versteht – , so wird dadurch der Harn verdünnt und seine Farbe blassgelb. Trinken wir zu wenig oder verlieren wir zu viel Wasser z. B. durch intensives Schwitzen bei körperlichen Anstrengungen, im Hochleistungssport, durch langen Aufenthalt in der Sauna, bei hochsommerlichen Temperaturen oder bei starkem Durchfall, dann erfährt der Harn eine stärkere Konzentrierung, die sich in seiner Dunkelfärbung äußert. Die Farbe des Harns kann also auch ein Indikator für zu reichliches oder zu mäßiges Trinken sein.

Endogene Beeinflussung der Harnfarbe

Wenn man von der Hämoglobinurie und der Myoglobinurie absieht, zählen zu den krankheitsbedingten, endogenen Pigmenten Bilirubin (rot bis rotorange), Biliverdin (grün), Urobilin (gelbbraun), Uroporphyrin (gelb, mit Fe3+ rot), Verdoglobin (grün), Koproporphyrin (orangefarben), Protoporphyrin (rotbraun) und indirekt ihre Vorstufen Porphyrinogene, Urobilinogen, Porphobilinogen und δ-Aminolävulinsäure sowie die Propentdyopente (gelb).

Alle vorangehend genannten Pigmente stehen im Zusammenhang mit der Synthese und dem Abbau des Hämoglobins und des Myoglobins. Aus dieser Reihe tanzen zwei Stoffwechselprodukte, die selbst noch keine Pigmente sind, aber zu solchen werden durch Polymerisation und Oxidation: Dihydroxyphenylalanin (Dopa) und Homogentisinsäure.

Dopa ist das Edukt des Melanins. Wenn es im Harn auftritt, färbt es diesen bräunlich und bei Belichtung nahezu schwarz und weist diagnostisch auf ein malignes Melanom hin.

Die Homogentisinsäure stammt aus dem Abbau von Tyrosin und liefert als Oxidationsprodukt ein schwarzbraunes chinoides Pigment, das den Harn ebenfalls bräunlich bis fast schwarz färbt und dadurch eine Alkaptonurie anzeigt.

Bilirubin. Eine rötliche Urinfärbung kann durch pathologische Stoffwechselstörungen bedingt sein, bei welchen Bilirubin als Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffes im Harn vermehrt nachzuweisen ist. Eine andere Ursache sind Abflussbehinderungen im Gallensystem (Obstruktionsikterus).

Biliverdin entsteht beim Stehenlassen an der Luft aus Bilirubin.

Urobilin , das aus dem farblosen Urobilinogen beim Stehenlassen des Harns gebildet wird, führt zu einem rotbraunen Nachdunkeln. Lebererkrankungen und vermehrte Hämolyse verursachen eine erhöhte Ausscheidung des Urobilinogens.

Uroporphyrin I ist ein Metabolit, der sich bei Patienten mit Porphyrie infolge eines Enzymdefekts bei der Porphyrinsynthese bildet und mit dem Harn ausgeschieden wird.

Verdoglobin , auch als Choleglobin bezeichnet, entsteht beim Abbau des Hämoglobins besonders in ausgedehnten Blutergüssen und kann dann im Harn erscheinen.

Koproporphyrine sind Zwischenstufen des Häm-Stoffwechsels, deren renale Ausscheidung wichtig ist für die Differentialdiagnostik von Porphyrinurien.

Protoporphyrin ist das Grundgerüst des Häm, das daraus durch Komplexierung von Eisen(II)-Ionen entsteht. Sein Nachweis im Harn dient ebenfalls der Differentialanalyse von Porphyrinurien.

Propentdyopente werden bei Gelbsucht und bestimmten Lebererkrankungen als Abbauprodukte des Bilirubins gebildet und treten dann vermehrt im Harn auf, wo sie eine intensive Gelbfärbung verursachen (s. "Pyrrol-Farbstoffe" in DAZ 2011, Heft 36, S. 4101).

Das Phänomen der blauen Windeln

Bei der Eiweißverdauung entstehen als Endstufen freie Aminosäuren, die im Dünndarm resorbiert werden. Bei einer erblichen, angeborenen Störung der Resorption der Aminosäure Tryptophan gelangt diese in den Dickdarm ("Blue Diaper Syndrome"). Dort wird sie durch bakterielle Aktivität zu Indol abgebaut, das nach Resorption in die Leber gelangt, wo es in Harnindican umgewandelt und danach renal ausgeschieden wird. Harnindican ist wie das aus Färberpflanzen isolierte Indican (aus Indigofera tinctoria) oder das Isatan B (aus Isatis tinctoria) eine Vorstufe des blauen Farbstoffs Indigo. Kommt der Harn mit Luft in Berührung, so wird oxidativ Indigo gebildet (Abb. 1), der den Harn und die Windeln blau färbt.


Abb. 1: Bildung von Indigo aus Tryptophan.

Das "Syndrom der violetten Urinbeutel"

Ein Phänomen, das immer wieder bei älteren Patientinnen in Krankenhäusern beobachtet wird, ist die violette Verfärbung der Plastikbeutel, in welche der Harn abgeleitet wird (Purple Urin Bag Syndrome, PUBS). Mögliche Erklärungen sind die bakteriell beschleunigte Bildung von Indigo (s. o.), das in die Wand der Urinbeutel eingelagert wird und dort violett erscheint, oder die Bildung von Indigorot, einem isomeren Indigo, das zusammen mit diesem eine violette Mischfarbe ergibt. Nach heutiger Kenntnis ist das PUBS nicht Sorgnis erregend und bedarf auch keiner therapeutischen Behandlung.

Das "Syndrom der schwarzen Windeln"

Bei der Alkaptonurie, einer vererbten, seltenen, krankhaften Veränderung des Tyrosinstoffwechsels durch Defekte oder Mangel des Enzyms Homogentisat-Dioxygenase, entsteht als Abbauprodukt vermehrt Homogentisat. Daraus bildet sich das Alkapton, wie man die oxidierte, schwarzbraune Form des Homogentisats bezeichnet, das bei Pflegefällen die Pampers dunkel färbt.

Exogene Farbstoffe …

… und Pigmente, die dem Körper zugeführt werden und das Aussehen des Urins mehr oder weniger stark verändern, sind in drei Gruppen zu unterscheiden:

  • Alimentäre Pigmente, farbige Stoffwechselprodukte von Nahrungsmitteln, färbende Nahrungsergänzungsmittel,
  • Arzneistoffe und ihre Metaboliten,
  • Metaboliten toxischer Verbindungen.

Pigmente in und aus Nahrungsmitteln

Enthalten unsere Nahrungsmittel kräftige Pigmente, die nach der Resorption nicht oder nicht unmittelbar abgebaut werden, so färben sie in entsprechender Weise den Urin.

Eine Rotfärbung muss nicht Blut im Urin bedeuten, sondern kann ebenso durch den Verzehr der Roten Bete bedingt sein. Sie enthält die intensiv roten Betalaine, darunter besonders die Betacyane, die z. B. auch in der Kermesbeere anzutreffen sind (s. hierzu "Sind das leuchtende Rot des Fliegenpilzes und das satte Pigment der Roten Bete molekulare Geschwister oder molekulare Kontrahenten?" in DAZ 2011, Heft 12, S. 1498).

Infrage kommt ebenso das als Lebensmittelfarbstoff bzw. Nahrungsergänzungsmittel zugelassene Betanin (Betenrot, E 162).

Eine Rotfärbung des Harns durch rote Anthocyane, die in Kirschen, blauen Weintrauben, Brombeeren, schwarzen Johannisbeeren, Holunderbeeren, Heidelbeeren, Blutorangen, Auberginen und Rotkohl zu finden sind, ist eher unwahrscheinlich, da ihre Farbintensität nicht so dominant ist wie die der Betalaine und ihre Konzentration nicht ausreicht für eine deutlich wahrnehmbare Farbänderung. Ausnahmen bilden die Brombeeren und besonders die exotischen Früchte Açai (von der brasilianischen Palme Euterpe oleracea) und Apfelbeere (von Aronia melanocarpa) bzw. deren Zubereitungen wegen eines besonders hohen Gehalts an roten Anthocyanen.

Für eine rötliche, rote oder rotbraune Verfärbung des Harns kommen auch die in Möhren, Tomaten, Paprika und Orangen enthaltenen Carotinoide und die im Rhabarber befindlichen Anthrachinon-Derivate (pH-abhängig, alkalischer Bereich) infrage, wenn solche "Esswaren" übermäßig genossen werden.

Eine gelbe bis orangefarbene Tönung des Urins kann verursacht werden durch Carotinoide, Anthrachinon-Derivate (Rhabarber, pH-abhängig, saurer Bereich) oder gelbe Lebensmittelfarbstoffe. Eine intensivere Gelbfärbung des Harns ist nach Einnahme von Riboflavin zu beobachten. Riboflavin selbst und seine hydroxylierten Metaboliten sind tief gelbfarben.

Grüne Farbtöne kommen durch die Mischung blauer Komponenten mit der gelben Farbe des Harns zustande, so z. B. durch Indigotin (Indigocarmin, E 132), das als Lebensmittelfarbstoff in Gebrauch ist.

Arzneistoffe und ihre Metaboliten als Harnverfärber

Zu den 38 in Tabelle 1 genannten Arzneistoffen sind folgende Bemerkungen zu machen:

Die in vielen alten Listen enthaltenen Angaben über Harnverfärbungen durch heute obsolete Arzneistoffe (u. a. Acetanilid, Anisindion, Cinchophen, Etoxazen, Niridazol, Phenindion) wurden nicht einbezogen.

Bei 18 Verbindungen können begründete Angaben über die Entstehung der Färbung gemacht werden, bei acht Stoffen werden Wahrscheinlichkeiten diskutiert, und bei 13 Stoffen sind bisher nur empirische Angaben möglich.


Tab. 1: Abweichende Harnfarben durch Arzneistoffe und ihre Metaboliten

Arzneistoff
Harnfarbe
Bemerkungen
Aminophenazon
rot
Metabolit Rubazonsäure
4-Aminosalicylsäure (PAS)
dunkel bis schwarz
phenolisch
Amitriptylin
grün bis blau
Anthrachinone
gelb, braun bis rot
Eigenfarbe
Chinin
gelbbraun
Chloroquin
braun
Cimetidin
grünlich
Daunorubicin
rötlich bis rotbraun
Eigenfarbe
Deferoxamin/Fe
rot-braun
Eigenfarbe
Dihydroergotamin
rötlich bis rotbraun
Indolderivat
Doxorubicin (Adriamycin)
rötlich bis rotbraun
Eigenfarbe
Ibuprofen
rötlich bis rotbraun
Indometacin
grünlich
Indolderivat
Levodopa
nach Stehenlassen schwarz
phenolisch
Metamizol
rot
Metabolit Rubazonsäure
Methocarbamol
rotbraun, nach Stehenlassen dunkel
phenolisch nach Metabolisierung
Methyldopa
nach Stehenlassen schwarz
phenolisch
Methylenblau
grün bis blau
Eigenfarbe, Diagnostikum
Metronidazol
rotbraun
Nitrofural
blau
Nitrofurantoin
gelbbraun bis rotbraun
Phenazon (Antipyrin)
rot
Metabolit Rubazonsäure
Phenazopyridin
orange-rot-braun
Eigenfarbe
Phenolphthalein
sauer: gelb
alkalisch: rot
acidobasischer Indikator
Eigenfarbe
Phenothiazine
rötlich bis rotbraun
Phensuximid
rötlich bis rotbraun
Phenylbutazon
grünlich
Phenytoin
rötlich, rot bis braun
Propylphenazon
rötlich bis rotbraun
Metabolit Rubazonsäure
Propofol
grünlich
phenolisch
Riboflavin (Vitamin B2)
intensiv gelb, auch durch gelbe Metaboliten
Eigenfarbe
Rifamycine (Ansamycine)
gelb-orange bis rotbraun
Eigenfarbe
Sulfasalazin (Salazosulfapyridin)
rotbraun
Eigenfarbe
Sulfamethoxazol
rotbraun
in Co-trimoxazol enthalten
Sulindac
dunkel
Thiamin (Vitamin B1)
gelb, blaue Fluoreszenz
gelber Metabolit Thiochrom
Thymol
bläulich bis schwarz
phenolisch
Triamteren
grün bis blau
blaue Fluoreszenz der unveränderten Verbindung
Warfarin
orange bis rot

Zur Dunkelfärbung des Harns

Aus den Tabellen 1 und 2 geht hervor, dass Phenole, Phenol-Derivate (Abb. 2) und phenolische Carbonsäuren (Abb. 3) den Harn dunkelrot, braun und besonders bei längerem Stehen an der Luft schwarz färben.

Tab. 2: Abweichende Harnfarben durch Intoxikationen

Stoff
Harnfärbung
Bemerkungen
Nitrobenzol
gelbbraun
Reduktion zu 4-Aminobenzol, Methämoglobinbildung
Kresol
gelbbraun, rotbraun
Methämoglobinbildung
Nitrat und Nitrit
bräunlich
Nitrit in gepökelter Wurst
Pyrogallol
rotbraun, schwarz
Kreosot
grün, schwarz
früher Hustenmittel, heute zur Imprägnierung von Holz
Resorcin
grün, schwarz
Antiseptikum, Keratolytikum
Phenole
schwarz

Gleiches verursachen die Stoffwechselprodukte Dihydroxyphenylalanin (DOPA) und Homogentisinsäure (Abb. 3). DOPA und Methyldopa sind Brenzcatechin-Derivate, Homogentisinsäure ist ein Hydrochinon-Derivat. Solche zweiwertigen Phenole lassen sich bekanntlich leicht zu Chinonen oxidieren Aus allen diesen Verbindungen können durch kombinierte Kondensations- und Redoxprozesse Melanin-ähnliche, chinoide Pigmente von braunroter bis fast schwarzer Färbung entstehen. Die dabei ablaufenden Reaktionen sind vergleichbar mit jenen, die bei der permanenten Haarfärbung eintreten (s. "Getönt und angemalt" in DAZ 2012, Heft 12, S. 1545).


Abb. 2: Alkyl-, Hydroxy- und Alkyloxy-Derivate des Phenols.
Abb. 3: Phenolische Carbonsäuren, aus denen chinoide Pigmente von braunroter bis schwarzer Färbung entstehen.

Eine dunkelbraune Harnfärbung tritt auch bei Hämoglobinurie und Myoglobinurie auf, bedingt durch die Entstehung der bräunlichen Metaboliten Methämoglobin (Met-Hb) und Metmyoglobin. Met-Hb entsteht durch Oxidation des zweiwertigen Eisens im Hb. Zu den Verursachern von Met-Hb zählen Nitrobenzol, Nitrat und Nitrit.

Eigenfarben der Arzneistoffe

Einige der in Tabelle 1 genannten Arzneistoffe sind farbig und führen bei renaler Ausscheidung zur direkten Beeinflussung der Harnfarbe.

Daunorubicin, Doxorubicin und weitere Anthracycline sind rötliche bis braunrote Farbstoffe und vermitteln ihre Farben den Lösemitteln, in welchen sie sich befinden. Analoges gilt für die gelben, braunen bis roten Anthrachinone (Emodine) der Abführdrogen und für Rifampicin und seine Verwandten (Rifamycine, Ansamycine). Riboflavin ist intensiv gelb gefärbt und macht sich in dieser Eigenschaft immer im Harn bemerkbar.

Methylenblau, das als Diagnostikum geschluckt oder gespritzt wird, bleibt blau oder liefert mit der natürlichen Gelbfärbung des Harns eine grünliche Mischfarbe. Phenolphthalein ist bekanntlich ein acidobasischer Indikator, der den alkalisch reagierenden Harn rot färbt. Phenazopyridin und Sulfasalazin sind rote Azofarbstoffe und verändern ebenso wie lösliche Azofarbstoffe in Nahrungsmitteln die Farbe des Urins.

Farbige Arzneistoffmetaboliten

Bei allen Arzneistoffen, die dem menschlichen Auge farblos erscheinen, sind es die Biotransformationsprodukte, die nach ihrer Applikation den Harn verfärben. In wenigen Fällen sind diese Metaboliten bekannt, so bei den Pyrazolinon-Derivaten wie Aminophenazon, Metamizol, Phenazon und Propyphenazon. Die Rotfärbung wird durch die hierbei gebildete Rubazonsäure (Abb. 4) verursacht. Vitamin B1 (Thiamin) geht oxidativ leicht in das intensiv gelbe Thiochrom über (Abb. 4), das in Lösung blau fluoresziert. Beide Farbphänomene sind im Harn deutlich erkennbar.

Dass phenolische Verbindungen zu dunkelbraunen bis schwarzen Stoffwechselprodukten führen, wurde oben schon dargelegt.


Abb. 4: Ein roter Metabolit von Pyrazolinon-Arzneistoffen und ein gelber Metabolit von Vitamin B1 (Thiamin).

Mögliche farbige Arzneistoffmetaboliten

Metronidazol, Nitrofural und Nitrofurantoin sind wie alle hetrocyclischen Nitroverbindungen photolabil und bilden in alkalischer Lösung farbige Anionen, die sich weiter verändern können.

Verbindungen, die phenolische OH-Gruppen enthalten, wurden unter "Dunkelfärbung" erörtert. Möglicherweise gehört auch das Methocarbamol zu dieser Gruppe, da es zu Pyrogallol metabolisiert werden kann. Für Propofol dürften keine analogen Reaktionen zu erwarten sein, da seine phenolische OH-Gruppe durch die beiden flankierenden Isopropylgruppen stark behindert wird.

Indometacin und Dihydroergotamin sind bekanntlich Indolderivate, die als solche leicht oxidativen Veränderungen zugänglich sind, wodurch meist farbliche Effekte hervorgerufen werden.

Amitriptylin ist für eine Dehydrierung der Ethylengruppe zwischen den beiden Benzolringen und eine β-Eliminierung der Aminogruppe prädestiniert. Daraus resultiert ein Chromophor mit neun konjugierten Doppelbindungen.

Weitere Überlegungen dieser Art würden in den Bereich der Spekulationen führen.

Abweichende Harnfarben durch Intoxikationen

Literaturbekannt sind auch einige Urinverfärbungen, die durch Vergiftungen verursacht werden. Für alle phenolischen Verbindungen der Tabelle 2 gelten die Überlegungen, die zu den entsprechenden Arzneistoffen unter "Dunkelfärbung des Harns" gemacht wurden (s. o.).

Blick über den Tellerrand

Die Zeiten der ärztlichen Diagnose nach rein sensorischer Beurteilung der Farbe und der Beschaffenheit des Urins sind längst vorbei. Trotzdem behält im Zusammenhang mit anderen, exakten Kriterien die Harnfärbung ihren diagnostischen und differentialdiagnostischen Wert.

Andere sensorische, aber weniger effektive Kriterien sind der Geruch des Harns (Tab. 3) und die Verfärbung des Stuhls. Hierzu ein paar knappe Angaben.

Zu den bekannten auffallenden Veränderungen der Faeces gehören beispielsweise

  • die Dunkelfärbung durch Bismutverbindungen, durch die Einnahme medizinischer Kohle oder durch Emodin-Metaboliten,
  • die hellrote Färbung durch Pyrvinium-Embonat (Molevac®) und
  • die Dunkelgrünfärbung durch Chlorophyll-haltiges Gemüse wie Spinat oder Grünkohl.

Tab. 3: Geruchsänderung des Urins

Ursache
Geruch nach
Lactoflavin
weißer Schokolade
Spargel
Spargel, hauptsächlich bedingt durch Methanthiol und Dimethylsulfid
Terpenintoxikation
Veilchen
Chloralhydrat
Birnen
Intoxikationen mit Phosphor, Arsen, Tellur
Knoblauch
Nitrobenzolintoxikation
Schuhwichse

Ergänzende Literatur

J.-P. Colombo, R. Richterlich: Die einfache Urinuntersuchung. Verlag Hans Huber, Bern/Stuttgart/Wien 1977.

P. Hagemann, I.W. Reimann: Arzneimittel und Laborwerte. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1992.

M. Stolberg: Die Harnschau, eine Kultur- und Alltagsgeschichte. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2009.

Autor
Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth

Friedrich-NaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe

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info@h-roth-kunst.com



DAZ 2012, Nr. 24, S. 72

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