Feuilleton

Pigmente von Mikroorganismen - Von gelben Antibiotika bis zur roten "Algenblüte"

Der hoch verehrten Kollegin, Frau Prof. Dr. Monika Schäfer-Korting, die wiederholt ihre Kraft und Zeit für das Amt einer Vizepräsidentin der FU Berlin geopfert hat, in anerkennender Bewunderung zum 60. Geburtstag gewidmet.

Was sind Mikroorganismen?

Meist einzellige Lebewesen, die wegen ihrer geringen Größe mit unbewaffnetem Auge nicht sichtbar sind und sich erst unter dem Mikroskop zu erkennen geben. Man unterscheidet bekanntlich Eukaryonten mit einem echten Zellkern von Prokaryonten mit einem ringförmigen DNA-Strang im Zytoplasma. Zu den eukaryontischen Mikroorganismen gehören mikroskopisch kleine Pilze, Mikroalgen und Einzeller, die früher als Protozoen bezeichnet wurden (aktuell ist die Taxonomie des kanadischen Mikrobiologen Sina Adl, die allerdings außer den Spezialisten nur wenigen bekannt ist). Zu den Prokaryonten zählen die Bakterien (mit Cyanobakterien) und Archäen. Die nicht zellulär organisierten Viren stehen hier nicht zur Debatte.

Zu den von Mikroorganismen produzierten farbigen Verbindungen gehören verschiedene Antibiotika, die als Pigmente zu bezeichnen sind. Nicht alle Pigmente werden zur Färbung von Textilien aus Wolle, Seide und Baumwolle oder Leder gebraucht, obwohl sie auch hierfür geeignet wären. Dass Letzteres zutrifft, müssen wir erkennen, wenn wir uns abmühen, durch Antibiotika verursachte Farbflecken aus der Wäsche eines Patienten zu entfernen.

Aus Gründen der Übersichtlichkeit sollen die mikrobiellen Pigmente eingeteilt werden in farbige Antibiotika und in Pigmente, die bislang ohne therapeutische (antibiotische) Verwendung geblieben sind. Ferner erscheint es zweckmäßig, in stickstofffreie und stickstoffhaltige Pigmente zu unterteilen.

Farbige Antibiotika

Stickstofffreie Wirkstoffe

Die als Antitumormittel eingesetzten Anthracycline haben ein aus vier kondensierten Ringen bestehendes Chromophor (Abb. 1), das ihnen eine orangerote Farbe verleiht. Offizinell sind Daunorubicin-, Doxorubicin- und Epirubicinhydrochlorid, ebenfalls Stoffwechselprodukte von Streptomyceten (Tab.).


Tab.: Von Streptomyceten produzierte Pigmente

Streptomyces-Art
Produkt
Farbe
Str. aureofaciens
Tetracyclin
Chlortetracyclin
gelb
Str. caespitosus
Mitomycin C
blauviolett
Str. coelicolor
Actinorhodin
rot
Str. coeruleorubidus und Str. peucetius
Daunorubicin
Doxorubicin
orangerot
Str. flavofungini
Flavofungin
gelb
Str. filipinensis und

Str. durhamensis
Filipin
gelb
Str. flocculus
Streptonigrin
kaffeebraun
Str. griseus
Candicidin
gelb
Str. nodosus
Amphotericin B
gelb bis orange
Str. noursei
Nystatin
gelb
Str. parvulus
Dactinomycin
(Actinomycin D)
orangerot
Str. peucetius
Epirubicin
orangerot
Str. rimosus
Oxytetracyclin
gelb
Str. sp.
Serpenten
gelb
Str. violaceoruber
Granaticin
rot
Str. viridoflavus
Candidin
goldgelb
Abb. 1: Struktur der N-haltigen Tetracycline und N-freien Anthracycline.

Das rote Actinorhodin (Abb. 5) wurde 1947 von Hans Brockmann als erster Vertreter der Benzoisochromanchinone aus Streptomyces coelicolor isoliert. Es ließ sich in zwei identische Hälften spalten, ist antimikrobiell und antiviral wirksam und besitzt die Eigenschaften eines acidobasischen Indikators.

Polyen-Antibiotika sind mit den antibakteriell wirksamen Makroliden strukturverwandt, werden jedoch als Antimykotika eingesetzt. Offizinell sind zurzeit Amphotericin B mit sieben konjugierten Doppelbindungen (Heptaen) und Nystatin mit vier plus zwei konjugierten Doppelbindungen im Ring (Abb. 2).

Zu den weniger bekannten Heptaen-Makroliden gehören auch das gelbe Candidin (Abb. 2), isoliert aus Streptomyces viridoflavus, und das gelbe Candicidin, das ebenfalls von Streptomyceten (z. B. Str. griseus) gebildet wird. Übrigens ist Candicin für Blattschneiderameisen lebenswichtig: Sie kultivieren in ihren unterirdischen Nestern auf Blättern, die sie ständig herbeischaffen, den Futterpilz Leucoagaricus, eine Art Champignon, und wehren mithilfe von Candicidin den Schadpilz Escovopsis ab, der die ganze Kultur vernichten könnte; das Antimykotikum stellen ihnen Streptomyceten zur Verfügung, mit denen sie in Symbiose leben.


Abb. 2: Chromophore Bereiche der Polyen-Antibiotika.

Schließlich sollen hier die Pentaen-Makrolide Filipin und Flavofungin (Abb. 2) Erwähnung finden, schon deshalb, weil sie – wie nicht anders zu erwarten – ebenfalls von Streptomyceten produziert werden (Tab.).


Stickstoffhaltige Antibiotika

Die Bezeichnung Tetracycline ist von ihrer Struktur abgeleitet, die vier kondensierte Ringe enthält. Der Artname des produzierenden Bakteriums Streptomyces aureofaciens weist schon darauf hin, dass es ein goldgelbes Produkt liefert, was der Handelsname Aureomycin® für Chlortetracyclin bestätigt. (Der Gattungsname Streptomyces erinnert daran, dass diese Bakterien früher als "Strahlenpilze" angesehen wurden.) Alle Tetracycline enthalten eine chromophore Partialstruktur, die für die antibiotische Wirkung essenziell ist (Abb. 1); alle sind sie gelbe kristalline Verbindungen. Tetracyclin, Chlortetracyclin und Oxytetracyclin sind Stoffwechselprodukte von Streptomyceten (Tab.). Doxycyclin und Minocyclin sind halbsynthetische Tetracycline.

Actinomycine , die über ein planares Chromophor verfügen, das ihre Interkalation zwischen benachbarten DNA-Basen ermöglicht, sind stark toxische Chromopeptide. Dactinomycin wird trotz erheblicher Nebenwirkungen als einziges Actinomycin zur Behandlung maligner Tumoren eingesetzt.

Unter den blauvioletten Mitomycinen hat bisher nur das Mitomycin C als alkylierendes Zytostatikum Eingang in die Therapie gefunden. Es wird produziert – wie könnte es anders sein – von einer Streptomyces -Art (Tab.).

Streptonigrin (Abb. 7) ist ein Antibiotikum von kaffeebrauner Farbe (also nicht schwarz!), das ein Aminochinolin-Chinon darstellt und u. a. von Str. flocculus produziert wird (Tab.).

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Streptomyceten die fantasievollsten biochemischen Alleskönner sind und nicht nur Pigmente und Antibiotika synthetisieren. Wenn ein Prüfling im MC-Verfahren gefragt wird, von welchem Mikroorganismus ein bestimmtes Antibiotikum stammt, und er die richtige Antwort nicht weiß, dann sollte er "von einer Streptomyces -Art" ankreuzen. Das stimmt fast immer.


Mikrobielle Pigmente, die nicht als Antibiotika eingesetzt werden

Stickstofffreie Pigmente

Streptomyceten, die fähigsten Mikroben, was die Biosynthese komplizierter Naturstoffe angeht, sind auch in der Lage, stickstofffreie Verbindungen zu produzieren. Einen Beweis liefert das Granaticin (Abb. 3), ein von Streptomyces violaceoruber (Tab.) synthetisiertes Benzoisochromanchinon-Antibiotikum mit pH-Indikatorcharakter (im Alkalischen Umschlag von rot nach blau), das wegen seiner starken Nebenwirkungen keinen Eingang in die Therapie gefunden hat.


Abb. 3: Pigmente mit Benzochinon-, Naphthochinon- und Anthrachinon-Struktur.

Das gelbe, von Streptomyceten synthetisierte Serpenten ist eine Polyencarbonsäure aus 20 C-Atomen mit einem disubstituierten Benzolring, dessen Seitenketten E - und Z -konfigurierte Doppelbindungen aufweisen (Abb. 6).

Das gefährliche Mycobacterium tuberculosis gehört ebenfalls zu den Mikroorganismen, die sich mit Farben schmücken. Es bildet das gelbe Phthiokol , ein schlichtes Naphthochinon (Abb. 3), das ein hydroxyliertes Menadion (Vitamin K3) darstellt und vermutlich aus dem Abbau von Phytomenadion (Vitamin K1) stammt.

Ein bestimmtes Carotinoid, das rote Rubixanthin (Abb. 6), kommt nicht nur in höheren Pflanzen (insbesondere in ihren reifen Früchten) vor, sondern auch in Mikroorganismen, z. B. in Staphylococcus aureus .

Seit der Mensch lebt, hat er mit Schimmelpilzen (man könnte sagen) zu kämpfen. Als das Mikroskop noch nicht geschaffen war, konnte er sie noch nicht als Einzelwesen sehen. Sichtbar waren aber von Beginn an die Pilzkolonien, die oft eine charakteristische Farbe haben, weil sie Pigmente produzieren. Dies gilt insbesondere für den Pinselschimmel (Penicillium spp.).

Der bronzefarbene Oosporein (Abb. 3) wird von verschiedenen Pilzen gebildet, zu denen Penicillium -Arten und Basidiomyceten gehören. Das um zwei Sauerstoffatome ärmere Phoenicin (Abb. 3) wurde ebenfalls als Stoffwechselprodukt in Penicillium -Arten gefunden. Es ist ein giftiges Benzochinon-Pigment und kann über Nahrungsmittel-besiedelnde Pilze in Tiernahrung vorkommen. Es zeigt eine akut toxische, aber keine chronisch toxische Wirkung.

Abb. 4: Zwei Bianthrachinon-Pigmente.

Skyrin (Abb. 4), ein dimeres Anthrachinon, wird von Penicillium islandicum und anderen Penicillium -Arten sowie von bestimmten Flechten produziert und wirkt als Entkoppler der oxidativen Phosphorylierung (untersucht an Rattenlebermitochondrien).

Luteoskyrin (Abb. 4) ist ein gelbes, hepatotoxisches Mykotoxin aus Penicillium islandicum Wie Skyrin gehört es strukturell zu den Bianthrachinonen, ist allerdings stereochemisch in anspruchsvoller Weise modifiziert.

Flavomannine (Abb. 5) sind zentrosymmetrische gelbe, orangefarbene bis grüne dimere Anthrachinone, die von Penicillium -Arten und von Blätterpilzen (Cortinarius, Dermocybe, Tricholoma) gebildet werden.

Das rote Averythrin (Abb. 3) wurde aus Kulturen von Aspergillus versicolor isoliert und gehört zur Familie der Anthrachinonfarbstoffe, die auch in Flechten vorkommen.

Ein weiteres Anthrachinon, das nicht nur in Rhabarberwurzeln und Sennesblättern zu finden ist, sondern auch von Aspergillus - und Penicillium -Spezies gebildet wird, ist das orangefarbene Physcion (Abb. 3).

Das orangerote Aversulfin (Abb. 3) ist ein Stoffwechselprodukt von Aspergillus -Arten und phytopathogenen Pilzen und stellt ein Zwischenprodukt der Aflatoxin-Biosynthese dar.

Über die Monacoline , die den Reis rot färben und von dem Pilz Monascus purpureus gebildet werden, wurde bereits im Essay "Bunt in Mund und Schlund" berichtet (DAZ 2012, Heft 1, S. 91).

Der Mutterkornpilz Claviceps purpurea ist uns bekannt als Produzent der verschiedenen Mutterkornalkaloide. Er kann aber auch eine stattliche Reihe von N-freien Pigmenten liefern, die man als Ergochrome bezeichnet. Unter ihnen nehmen die Secalonsäuren A bis G den größten Raum ein. Es sind Dimere von sieben verschiedenen Xanthon-Einheiten, die auch von anderen Pilzen wie Penicillium - und Aspergillus -Arten gebildet werden können. Als Prototyp ist in Abbildung 5 die Secalonsäure A dargestellt.


Abb. 5: Drei zentrosymmetrische stickstofffreie Pigmente.

Carotinoide werden auch von Dinoflagellaten (einzellige Algen, die in den Meeren den größten Teil des Phytoplanktons ausmachen) produziert, sofern sie autotroph sind. In den roten "Algenblüten" verursachen sie die Farbigkeit, jedoch nicht die Giftigkeit. Dafür sind Toxine wie das Saxitoxin verantwortlich.


Abb. 6: N-freie Pigmente mit konjugierten Doppelbindungen.

Zu den von Dinoflagellaten erzeugten Carotinoiden gehört außer β-Carotin und einigen Xanthophyllen das purpurrote Peridinin (Abb. 6), ein Tri-nor-carotinoid, dem mitten in der Kette drei C-Atome fehlen.


Stickstoffhaltige Pigmente

Das rote Erythropterin (Abb. 7) ist als Pigment von Schmetterlingsflügeln bekannt. Doch sind auch Mycobacterium lacticola und andere Bakterien imstande, es zu produzieren. Das ebenfalls rote, aus drei Pyrrolringen aufgebaute Prodigiosin ist der Farbstoff, der vom Bakterium Serratia marcescens gebildet wird und in der "Bluthostie" das Blut vortäuscht (s. Glossay "Bluthostie und andere Anekdoten", DAZ 2011, Heft 25, S. 76).


Abb. 7: Alkaloidartige Pigmente.

In den Fruchtkörpern der Schleimpilze (Myxomyceten) Arcyria denudata und A. nutans sowie weiterer Arten sind rote und gelbe Pigmente enthalten, die symmetrische Bis-indolyl-maleinimide darstellen und als Arcyriarubine und Arcyriaflavine bezeichnet werden. In Abbildung 7 sind die Prototypen Arcyriarubin A und Arcyriaflavin A dargestellt. Daneben existieren auch verschiedene blaue Arcyriacyanine, die durch weitere Zyklisierung entstehen, und grüne Arcyriaverdine, die durch Oxidation gebildet werden.


Literatur

Zu weitergehenden Informationen und zur chemischen Struktur der Tetracycline, Anthracycline, Actinomycine, Polyen-Antibiotika und Mitomycin C siehe "Medizinische Chemie" von D. Steinhilber, M. Schubert-Zsilavecz und H.J. Roth, 2. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2010.

Weitere Literatur beim Verfasser.

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, Friedrich-NaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe, www.h-roth-kunst.com, info@h-roth-kunst.com



DAZ 2012, Nr. 18, S. 85

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