Feuilleton

Bunt in Mund und Schlund

Natürliche, naturidentische, synthetische, bekömmliche und gefährliche Lebensmittelfarbstoffe*


* Der von mir sehr geschätzten Pharmazeutischen Chemikerin Dr. Julia Zajacz kowska, die viele Jahre an der Jagiellonen-Universität in Krakau erfolgreich tätig war, in freundschaftlicher Verbundenheit zum 75. Geburtstag gewidmet.
Farbig muss es sein, was wir essen und trinken! Aber warum? Hier spielt uns die Psyche einen Streich. Würden Sie gerne einen schwarzen Salat, grüne Himbeeren, roten Reis oder blaue Erbsen essen? Wenn das Suppenfleisch schon etwas "ergraut" ist, glauben Sie, es wäre schon beinahe verdorben. 

Der Blinde beurteilt Speisen und Getränke nach dem Geruch, dem Geschmack und dem Gefühl (Tastsinn). Der Sehende jedoch lässt sich durch das Aussehen täuschen, denn das Auge isst mit. Wir verbinden – mehr unbewusst als bewusst – mit der Farbe eines Nahrungsmittels seine Qualitäten. Was wir in den Mund schieben oder durch die Kehle rauschen lassen – wir sollten wissen, dass es farblich geschönt sein kann und auf welche Weise:

  • Lachs wird mit Carotinoiden gefüttert.
  • Fleisch wird gepökelt.
  • Bonbons werden mit Azo farbstoffen aufgepeppt.

Bevor daraus eine Litanei wird, wollen wir etwas systematischer vorgehen und dabei auch das Lebensmittelrecht berücksichtigen. Alle Lebensmittelzusatzstoffe, zu denen auch die Farbstoffe gehören, müssen gekennzeichnet werden. Dies geschieht mithilfe der E-Nummern. Das "E" ist abgeleitet von "Europa" und von "edible" (engl. essbar, genießbar).

Die Zusatzstoffe sind bei Berück sichtigung bestimmter Grenzwerte (erlaubte Tagesdosis, ADI) nicht schädlich für den menschlichen Organismus. Möglich sind allerdings auch bei minimaler Verwendung von Zusatzstoffen allergische und pseudoallergische Reaktionen. Betroffene Personen sollten deshalb immer die Zusatzstoffliste auf den Speisekarten und auf den Verpackungen von Konserven und Fertiggerichten studieren.

Aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 wurden europaweit alle vor dem 20. Januar 2009 zugelassenen Lebensmittelzusatzstoffe neu bewertet. Anhang II dieser Verordnung fasst die in der EU zugelassenen Zusatzstoffe und ihre Verwendungs bedingungen zusammen. Die Farbstoffe sind in Tabelle 1 gelistet. Darunter befinden sich acht Carotinoide, während in Deutschland früher 15 zugelassen waren (Tab. 2).

Außer chemisch definierten Stof fen sind auch einige farbgeben de Zubereitungen mit E-Nummern belegt: Carbo medicinalis (E 153, schwarz), Zuckercouleur, Caramel (E 150, braun), Sulfitlaugen-Zuckercouleur (E 150a, braun), Ammoniak-Zuckercouleur (E 150c), Ammonsulfit- Zuckercouleur (E 150d).

Für das Färben von Oberflächen zubereiteter Lebensmittel dienen u. a. folgende Pigmente: Calcium carbonat (E 170, weiß), Titandioxid (E 171, weiß), Eisen oxide und -hydroxide (E 172, braun), Aluminium (E 173, silbergrau), Silber (E 174) und Gold (E 175).

Natürliche Farbstoffe

Carotinoide ist die Sammelbezeichnung für Carotine und Xanthophylle, d. h. für reine Tetraterpene und sauerstoffhaltige Tetraterpene. Sie können von Pflanzen und Mikroorganismen biosynthetisiert werden, aber nicht von Tieren.

Carotine sind 11- bis 12-fach ungesättigte Tetraterpene der Summenformel C40 H56 Bekannt sind drei Isomere, α-, β- und γ-Carotin, die sich in einer der beiden Endgruppen unterscheiden.

Xanthophylle sind sauerstoffhaltige, unverseifbare Carotino ide pflanzlicher, tierischer oder mikrobieller Herkunft. Sie färben Blüten gelb oder rot und tragen wesentlich zur Herbstfärbung der Laubblätter bei. Die präventiven und therapeutischen Effekte von β-Carotin gegenüber Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden derzeit sehr kontrovers diskutiert. Jeden falls sollten langjährige starke Raucher auf hochdosierte β-Carotin-Einnahmen verzichten.

Zu den Carotinoiden zählt man auch Polyene mit kürzeren Ketten, so das Bixin (E 160b, orange, Abb. 1), der Monomethylester des Norbixins (C24 H28 O4). Eine labilere cis -Form ist in den reifen Samen des tropischen Orleansstrauchs Bixa orellana (Bixaceae) enthalten, deren färbender Rohextrakt Annatto oder Orlean genannt wird.

Anthocyane (griech. ανθος, anthos = Blüte und κυανος, kyanos = blau) sind rote, violette und blaue Farbstoffe, die in der Pflanzenwelt weit verbreitet sind, insbesondere im Zellsaft der Blüten und Früchte. Anthocyane sind Glykoside, die nach Hydrolyse die eigentlichen Chromophore als Anthocyani dine liefern. Diese sind Benzopyryliumsalze, deren Namen sich durch Ersatz der Endung "in" durch "idin" ergeben (siehe DAZ 2011, Nr. 6, S. 98 f.).

Chinolingelb Unter diesem Namen verbergen sich zwei strukturverwandte, aber unterschiedliche Farbstoffe: Chinolingelb A ist Chinophthalon; es ist hydrophob und wurde in Kosmetika verwendet. Chinolingelb S ist ein Gemisch von ein- bis dreifach sulfoniertem Natriumsalz des Chinophthalons; es ist wasserlöslich und als Lebensmittelfarbstoff zugelassen (E 104, Abb. 2 ).

Synthetische Farbstoffe

Azofarbstoffe sind die wichtigste Farbstoffgruppe überhaupt, weil sie zahlreicher sind als alle anderen Farbstoffe zusammen. Die beiden Arylreste der Azogruppe können identisch oder verschieden sein (Abb. 3); daraus resultiert eine Unzahl von Verbindungen, die teilweise als Lebensmittelfarbstoffe zugelassen sind; sechs von ihnen müssen seit dem 20. Juli 2010 mit einem Warnhinweis deklariert werden (Tab. 1). Viele andere Vertreter sind wegen des Verdachtes auf toxische und kanzerogene Eigenschaften nicht mehr verkehrsfähig.

Erythrosin gehört zu den Xanthenfarbstoffen , die auch als Indikatoren, zur spektralen Sensibilisation oder als Röntgenkontrastmittel Verwendung finden ( Abb. 4).

Triphenylmethanfarbstoffe mit E-Nummern sind Patentblau V, Brillantblau und Brillantsäuregrün (Abb. 5).

Nachdem um 1900 verschiedene Synthesen des einst so kostbaren Indigos gelungen waren, konnten auch viele indigoide Farbstoffe produziert werden. Einer davon ist das Indigocarmin (Indigotin), ein zentralsymmetri sches Dimer (Abb. 6).

Pökelrot

Das Pökeln dient zum Konservieren und Farbstabilisieren von Fleisch- und Wurstwaren. Verwendung findet dabei das im Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 gelistete Nitrit pökelsalz. Es wirkt bakterizid und beugt insbesondere einem Befall mit Salmonellen und dem Bakterium Clostridium botulinum (Verursacher der "Wurstvergiftung" Botulismus) vor. Nitrit pökelsalz ist ein Speisesalz, das mindestens 0,4% und höchstens 0,5% Natriumnitrit enthält. Laut Fleisch-Verordnung ist der Zusatz von höchstens 150 mg/kg für Rohschinken und höchstens 100 mg/kg für andere Fleisch erzeugnisse erlaubt.

Mit der schönen Farbe des frischen Fleisches hat es folgende Bewandtnis. Der Muskel enthält einen roten, O2 -bindenden Farbstoff, das Myoglobin, das wie Hämoglobin zu den Porphyrinproteinen zählt. Farbgebend ist das darin enthaltene Häm, das Sauerstoff reversibel zu binden vermag. Als Zentralatom des Häms fungiert – wie auch im Hämoglobin – das zweiwertige Eisen. Beim Lagern des Fleisches an der Luft wird Fe(II) leicht zu Fe(III) oxidiert. Aus Myoglobin wird Oxymyoglobin und schließlich Metmyoglobin, das dem Fleisch eine braune bis graubraune Farbe gibt.

Nun zeigt Myoglobin nicht nur eine große Affinität zu Sauerstoff, sondern auch zu anderen Liganden wie Kohlenmonoxid, Cyanid oder Stickstoffmonoxid (NO), das durch bakterielle Reduktion aus Nitrit oder aus Nitrat gebildet wird und sich mit Myoglobin zu Nitrosomyoglobin verbindet. Es verursacht das schöne und stabile "Pökelrot" von gepökeltem Fleisch, Wurst und Schinken. Den Übergang von Myoglobin in Nitrosomyoglobin nennt man Umrötung. Durch Zusatz von Ascorbinsäure (Vitamin C) werden die NO- Bildung und die Umrötung stark beschleunigt und damit verkürzt.

Hätten Sie geglaubt, dass die Fleischwarenindustrie innerhalb der Lebensmittelindustrie zu den größten Verbrauchern von Vitamin C zählt? Der Bedarf liegt zwischen 30 und 40 mg pro kg Fleischerzeugnis.

Ein anderer positiver Effekt des Pökelns ist die Erzeugung eines angenehmen Aromas, das auf den nicht ungefährlichen Nitrosaminen beruht (Reaktion von Nitrit mit Aminosäuren). Ich bin davon überzeugt, dass uns bestimmte nitritfrei hergestellte Wurstwaren heute überhaupt nicht mehr schmecken würden.

Roter Reis

Es gibt Reiskörner, die bereits bei der Ernte ein rötliches Aussehen haben: Camargue-Reis, Philippinischer roter Bergreis und Bhutan-Reis.

Beim Camargue-Reis ist nur die Außenhaut rotbraun; die Farbe resultiert von bestimmten Tonmineralien des Ackers.

Beim Philippinischen roten Berg reis und dem Bhutan-Reis sind die Außenhaut und das Innere des Korns durch native Farb stoffe rot gefärbt.

Von diesen drei Sorten ist der Chinesische rote Reis (chin. hong qu mi; im Dialekt auch ang-kak) zu unterscheiden. Er erhält seine intensive Rotfärbung erst nach dem Kochen durch die Fermentation mit dem Pilz Monascus purpureus (chin. hong qu, "rote Hefe"), wobei sich Monascus-Pigmente (Mona coline, Abb. 7) bilden, u. a. Monascin (gelb), Rubropunctatin (rot), Monascorubrin (rot), Anka flavin (gelb), Rubropunctamin (purpurrot) und Monascorubramin (violett). Teils wird der Reis nach der Fermentation gegessen, teils wird er getrocknet und gemahlen, um mit dem roten Pulver Fleischgerichte zu färben. Wenn Sie in einem Chinarestaurant eine appetitlich rote Pekingente verzehren, dann ist sie mit rotem Reismehl gefärbt, das im Übrigen auch konservierende Eigenschaften haben soll.

Seit dem 16. Jahrhundert dient der Chinesische rote Reis auch als Arzneimittel, das bei Herz beschwerden, Lipidämie, Hypertonie und Diabetes Typ 2 helfen soll; Zubereitungen werden u. a. unter dem Namen Xue zhikang® (d. h. Blutfettregulator) vermarktet. Möglicherweise hemmen die Monacoline ein Enzym der Cholesterin-Biosynthese.

Anstatt solchen Heilversprechen zu vertrauen, empfehle ich Ihnen lieber den Genuss einer appetitlich gefärbten Pekingente. Guten Appetit und wohl bekomm’s!


Literatur beim Verfasser.

Autor
Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, Friedrich-NaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe
www.h-roth-kunst.com, info@h-roth-kunst.com



DAZ 2012, Nr. 1, S. 91

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