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Interpharm 2012
Neues zu Boni, Pick up und Retaxationen
Viel Diskussionsstoff für Apotheker und Juristen beim ApothekenRecht-Tag
Boni, Taler & Co. – was ist erlaubt, was ist verboten?
Auch eineinhalb Jahre nach den Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) zur wettbewerbsrechtlichen Behandlung von Gutscheinen für preisgebundene Arzneimittel sind noch immer nicht alle Fragen endgültig geklärt. Welche Fallstricke nach wie vor lauern, zeigte Dr. Timo Kieser, Partner bei Oppenländer Rechtsanwälte, auf. So ist etwa die konkrete Wertgrenze, unter der ein Verstoß als nicht relevant angesehen wird, vom BGH "noch nicht ausgelotet". Vielmehr hat sich ein Graubereich zwischen 1,00 und 2,50 Euro herauskristallisiert. Die Tendenz geht Kieser zufolge dahin, dass alle Beträge über einem Euro pro verordnetem Arzneimittel unzulässig sind. Mit Inkrafttreten der 16. AMG-Novelle wird diese Grenze künftig voraussichtlich auch für aus dem Ausland nach Deutschland gebrachte Arzneimittel gelten. Während die Europa Apotheek Venlo ihre Boni-Werbung bereits im Vorfeld aufgegeben hat (wenn auch nicht freiwillig, siehe hierzu DAZ 2012, Nr. 9, S. 32), geht Kieser davon aus, dass das Vorteil24-Konzept der holländischen Montanus-Apotheke durch sein Konstrukt der Abholung im Ausland von der Neuregelung nicht unmitelbar betroffen ist. Weiterhin sprach sich der Referent dafür aus, die vom BGH postulierte Spürbarkeitsschwelle auch in berufsrechtlichen Verfahren zu berücksichtigen. Während das Berufsgericht für Heilberufe beim Landgericht Nürnberg-Fürth mit der "traditionell bayerischen Härte" die Wertgrenze für irrelevant erklärte, entschied das Berufsgericht beim Verwaltungsgericht Mainz, dass die Spürbarkeitsschwelle bei der Ermessensübung der Aufsichtsbehörde durchaus zu berücksichtigen sei (siehe DAZ 2012, Nr. 6, S. 28 und Nr. 7 S. 35). Es müsse letztendlich Chancengleichheit im In- und Ausland gelten, findet Kieser: Gelte die Arzneimittelpreisverordnung zukünftig auch für das Ausland, hätten ausländische Apotheken den Vorteil des Angebots von einem Euro pro Arzneimittel, müssten allerdings keine berufsrechtliche Ahndung fürchten. Zudem müssten die Wertungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb berücksichtigt werden, schließlich nehme die Berufsordnung auf den unlauteren Wettbewerb Bezug.
Pick up verfassungsfest verbieten
Pick-up-Stellen von Versandapotheken sind für Apotheker wie für Juristen seit Jahren ein hochvirulentes Thema. Der Arzneimittel- und Apothekenrechtler Professor Dr. Hilko J. Meyer von der Fachhochschule Frankfurt/Main zeichnete die Historie der Diskussion nach und legte dar, dass die ungeliebten Arzneimittelbestell- und abholstellen durchaus verfassungskonform verboten werden könnten. 2004 wurde der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland erlaubt – noch im selben Jahr startete eine Kooperation der Europa Apotheek Venlo mit dem dm-Drogeriemarkt. Die sogenannten Pharmapunkte beschäftigten die Gerichte; im Mai 2008 segnete sie das Bundesverwaltungsgericht ab. Die Leipziger Richter sahen in der Abgabe von Arzneimitteln über Pick-up-Stellen eine mögliche Form des Arzneimittelversandhandels. Das Verbot der Einrichtung von Rezeptsammelstellen ohne Erlaubnis hielt sie nicht für tangiert. In einem obiter dictum fügte das Gericht für den hypothetischen Fall einer gesetzlichen Einschränkung des Versandhandels seine Auffassung hinzu, ein Pick-up-Verbot würde einen Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit darstellen, der nicht durch triftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sei. Bekanntlich fand sich bis heute kein Weg, Pick-up-Stellen zu verbieten – und das, obwohl sich Union und FDP 2009 in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich für ein solches Verbot ausgesprochen haben. Im Referentenentwurf für das AMNOG hatte das Bundesgesundheitsministerium selbst eine Ergänzung in § 11a Apothekengesetz vorgeschlagen, um den Ausfransungen des Versandhandels Herr zu werden. Doch diesem Vorschlag wurde ebenso wie verschiedenen Konzepten der ABDA von den Verfassungsressorts der Bundesministerien für Justiz und für Inneres stets aufs Neue Verfassungswidrigkeit bescheinigt. Aus Meyers Sicht zu Unrecht. Er sieht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vielfach missinterpretiert – zudem hätten die Richter die bestehenden Regelungen überstrapaziert. Sie hätten die Drogerie zum "Transportmittler" verniedlicht und dabei ein Konstrukt gewählt, das die Realitäten ausblende. Auf diese Weise habe das Gericht das Vorgehen "mit Gewalt" unter die Regelungen zum Versandhandel subsumiert. Doch Meyer ist der Auffassung, dass Versandhandel und Pick up zwei verschiedene Dinge sind: "Die Erlaubnis des Versandhandels mit Arzneimitteln bedeutet nicht, dass Pick up zulässig sein muss." Überdies sei der Gesetzgeber auch nicht an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gebunden. Schließlich müsse ein Gericht auf Grundlage der geltenden Gesetzeslage seine Entscheidungen treffen – der Gesetzgeber bestimme, woran sich die Gerichte halten müssen. Insofern verwundert es Meyer am meisten, dass es keine guten Vorschläge für das Verbot gab. Die ABDA versuchte es zunächst über ein generelles Versandverbot, später mit einem Verbot der Pick-up-Stellen über einen Genehmigungsvorbehalt nach dem Muster der Rezeptsammelstellen. Ein Vorschlag, der Meyer zufolge auch nicht weiterhalf – zumal er höchst geheim gehandelt wurde. Völlig inakzeptabel ist für ihn auch der Vorschlag, der noch aus Zeiten der Großen Koalition stammt. Danach sollten rechtliche Anforderungen an Pick-up-Stellen in Ladengeschäften aufgestellt werden, z. B., dass bei der Abgabe eine "sachkundige Person" i. S. d. § 50 AMG anwesend sein muss. "Das wäre", so der Referent, "die Schaffung einer Apotheke dritter Klasse."
Meyer selbst ist überzeugt, dass die Beschränkung des Versandhandels auf die direkte Zustellung an den Patienten durch ein Logistikunternehmen verfassungsrechtlich keinen Bedenken unterliegt. Ein solcher Eingriff in die Berufsfreiheit sei gerechtfertigt und auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege wegen des wesentlichen Unterschieds zwischen Zustellung und Pick-up-Stelle nicht vor. Meyer betonte, dass es allein in den Händen der Koalitionsparteien und ihrer Abgeordneten liege, einen entsprechenden Gesetzentwurf durchzusetzen.
Wenn der Staatsanwalt droht – was tun gegen die Kriminalisierung von Apothekern?
Thematisiert wurde beim ApothekenRecht-Tag auch das Problem des Betrugs im Gesundheitswesen. Doch während in der Berichterstattung der Publikumspresse vor allem die vermeintlich korrupten Leistungserbringer im Vordergrund stehen, drehte Rechtsanwalt Dr. Heinz-Uwe Dettling den Spieß um. Er hielt den gesetzlichen Krankenkassen vor, Leistungserbringer zunehmend zu kriminalisieren und die Politik für eigene Interessen einzuspannen. Das Kernproblem dieser Entwicklung ist nach Ansicht des Referenten das deutsche Gesundheitssystem. Es werde beherrscht vom "Geld-Gesundheits-Konflikt" und vom gesundheitspolitischen Opportunismus: Die Gesellschaft wünsche bestmögliche Versorgung im Krankheitsfall, sei aber nicht bereit, den entsprechenden Preis dafür zu bezahlen. Weil dies nicht besonders ethisch ist, sei die Gesellschaft bestrebt, ihren "illegitimen Opportunismus zu verschleiern", indem von diesem Grundproblem abgelenkt werde. Daher mache sich die Gesellschaft selbst etwas vor, beispielsweise durch Aufstellung der These, es seien genug Mittel im System – das Problem seien die Leistungserbringer, die betrügen. Die Kassen selber sehen sich auf der "guten Seite" und überziehen unter anderem Apotheker mit Strafanzeigen – verbunden mit Pressemitteilungen und Rückzahlungsforderungen. Verlaufen die Anzeigen jedoch im Sande, so schweigen die Kassen. Beispiel Metoprolol: Im vergangenen Jahr hatte sich die AOK für diesen Wirkstoff bekanntlich einen Rabattpartner ausgesucht, der zunächst nicht lieferfähig war. In einer Reihe von Apotheken wurde daraufhin an AOK-Versicherte ein anderes Metoprolol-Präparat abgegeben, aber mit der PZN des nicht verfügbaren Präparates abgerechnet, die ihre EDV vorgab. Die AOK Baden-Württemberg startete mit Strafanzeigen gegen Apotheker wegen angeblichen Betrugs. In den Medien wurde dies breit aufgegriffen. Einige Monate später ist allerdings festzustellen, dass die Verfahren bislang alle eingestellt wurden. Zumeist wegen Geringfügigkeit und daher ohne nähere rechtliche Prüfung – in den meisten Fällen ging es um Beträge von fünf bis 20 Euro pro Apotheke und Monat. Dettling kann in dem Vorgehen der Apotheken auch "nicht die Spur eines Betruges" erkennen. Es habe sich um "völlig falsche" Anschuldigungen gehandelt – eine Rehabilitation der Apotheker in der Allgemeinpresse hat jedoch nie stattgefunden.
Wege zur Lösung dieses Konflikts sieht Dettling in der Schaffung von mehr Bewusstsein in der Öffentlichkeit. Allerdings nicht einseitig durch die Krankenkassen – es sei Gegenöffentlichkeitsarbeit nötig. "Die Leistungserbringer – Industrie, Ärzte und Apotheker – müssen sich gemeinsam wehren", so Dettling. Letztendlich müsse aber jeder für sich entscheiden, ob er kämpfen oder sich der Willkür der Krankenkassen beugen wolle. Es gelte allerdings: Wer kämpft, kann gewinnen und verlieren – wer aber nicht kämpft, hat schon verloren.
Dauerbrenner Retaxationen
An der Grenze zum Betrug mag auch das Thema Retaxierung liegen. Die Rechnungskürzungen durch die Krankenkassen sind für Apotheker eine leidvolle Angelegenheit. Rund 0,5 Prozent ihres Umsatzes gehen im Schnitt hierfür drauf. Hinzu kommt viel Zeit und Aufwand. Einen Überblick zur aktuellen Entwicklung in der Rechtsprechung gab Dr. Valentin Saalfrank, Fachanwalt für Medizinrecht aus Köln. Erst kürzlich entschied das Sozialgericht Lübeck, dass eine Retaxation auf Null wegen Nichtabgabe rabattbegünstigter Arzneimittel nicht zulässig sei – die schriftlichen Urteilsgründe liegen allerdings noch nicht vor (DAZ 2012, Nr. 6, S. 23). Dabei handelt es sich um ein Urteil im Rahmen einer Musterstreitvereinbarung zwischen Ersatzkassen und dem Deutschen Apothekerverband. Rechtskräftig wird es voraussichtlich nicht – Ziel ist es, eine Entscheidung des Bundessozialgerichts herbeizuführen. Daher wurde auch Sprungrevision eingelegt, über deren Zulassung allerdings noch nicht entschieden ist. Ob Nullretaxationen überhaupt verfassungsgemäß sein können, wird unter Juristen stark angezweifelt. Schließlich wurde etwa im Fall der Abgabe eines Nicht-Rabattarzneimittels der Patient korrekt versorgt – und für den Apotheker gehe es um seinen beträchtlichen Wareneinsatz. Es könne nicht sein, dass zulasten der Apotheken eine Versorgung zum Nulltarif stattfinde. Das Problem ist jedoch, dass die Rechtsstreitigkeiten um die Rechnungskürzungen noch nicht bis zum Bundesverfassungsgericht vorgedrungen sind.
Vor dem Hintergrund der derzeitigen Finanzpolster der Kassen ist es für Saalfrank erst recht nicht zu akzeptieren, dass sich einige Kassen offenbar mit Null-Retaxationen zusätzliche Einnahmen verschaffen wollen. Er riet zu Unrecht retaxierten Apothekern, Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Während bei der Überprüfung von Krankenhausrechnungen durch die Kassen eine Aufwandspauschale von 300 Euro für die Kliniken vorgesehen ist, wenn die Prüfung nicht zur Absetzung führt, müssen sich Apotheken zum Nulltarif abspeisen lassen.
Zumindest räumt aber auch das BSG ein, dass Apotheker Verzugszinsen geltend machen können. Diese können sich im Laufe jahrelanger Rechtsstreitigkeiten durchaus summieren, zumal hier keine Verbraucher beteiligt sind und der Zinssatz bei 8 Prozentpunkten (statt 5 Prozentpunkten) über dem Basiszinssatz liegt. Zu zahlen sind die Verzugszinsen ab dem Zeitpunkt, zu dem die Kasse nach dem einschlägigen Arzneiliefervertrag die Vergütungsforderungen hätte begleichen müssen (regelmäßig innerhalb von zehn Tagen). Saalfrank rät Apothekern daher dringend, gegen Kassen, die unberechtigt retaxieren, vorzugehen.
Die neue ApBetrO – Wie ist der Stand? Was soll sich ändern?
Dr. Valentin Saalfrank warf zum Abschluss des ApothekenRecht-Tags noch einen Blick auf die neue Apothekenbetriebsordnung, wie sie derzeit im Kabinettsentwurf geplant ist. Darin gebe es noch immer zwei Ausnahmen vom Grundsatz, dass Filialapotheken nicht privilegiert werden sollen: Die Identitätsprüfung von Ausgangsstoffen, deren Qualität durch ein Prüfzertifikat nachgewiesen ist, darf zentral in einer der Apotheken des Verbundes erfolgen. Und im Rahmen der Dienstbereitschaft ist die Befreiung einer Verbundapotheke möglich, wenn ein berechtigtes Interesse besteht, die Filiale in angemessener Nähe zur dienstleistenden Verbundapotheke liegt und die Versorgung mit Rezepturarzneimitteln sichergestellt ist. Für Saalfrank ist allerdings nicht klar genug definiert, wann ein "berechtigtes Interesse" vorliegt und in Bezug worauf die Nähe "angemessen" sein müsse. Ihm sage der Vorschlag der ABDA – statt "angemessen" lieber "benachbart" aufzunehmen –, mehr zu.
Auch die Aufnahme einer genauen Definition des Stellens und Verblisterns hält Saalfrank für "nicht geglückt". Der Unterschied liege darin, dass für das Stellen wiederverwendbarer Behältnisse, für das Verblistern dagegen nicht wiederverwendbare Behältnisse eingesetzt werden. Die für das Stellen und die Herstellung von Arzneimitteln zur parenteralen Anwendung erforderliche Bereitstellung eines separaten Raumes, der durch eine Schleuse vom restlichen Betriebsraum abgetrennt ist, führe im Übrigen dazu, dass einige Apotheken dazu nicht mehr in der Lage sein werden, warnte Saalfrank. In diesem Zusammenhang verwies er darauf, dass auch die geänderte Formulierung des Grundsatzes der Raumeinheit viele Apotheken vor ein großes Problem stellen werde. Er lasse zukünftig keine Ausnahmen mehr zu.
Die Formulierung des für alle Apotheken in Zukunft verpflichtenden Qualitätsmanagements sieht Saalfrank kritisch. Es drohe eine "Zertifizierung Marke Eigenbau", denn welcher Maßstab gelte dafür? Andererseits ermögliche diese offene Formulierung jeder Apotheke, besondere Eigenheiten zu berücksichtigen. Die weniger strenge Definition der apothekenüblichen Dienstleistungen eröffnet ihm zufolge wiederum eine Menge Raum für Kreativität, gleichzeitig aber auch Zündstoff für juristische Streitigkeiten. Dienstleistungen müssen zukünftig nicht mehr "unmittelbar" der Gesundheit dienen. Aber wie es beispielsweise mit einfachen Gesundheitstests aussehe, werde dadurch nicht geklärt. Hier gelte wohl das Prinzip "Zahlenerhebung ja – Diagnose nein".
Am Ende des ApothekenRecht-Tages zeigte sich vor allem eines: Vieles ist im Fluss, vermeintlich klarstellende Entscheidungen werfen wieder neue Fragen auf. Die juristischen Mühlen werden auch weiterhin nicht stillstehen, wenn es um Apotheken und Arzneimittel geht. Wir dürfen also gespannt sein auf den nächsten ApothekenRecht-Tag bei der Interpharm 2013.
ks/jz
DAZ 2012, Nr. 11, S. 52
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