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Arzneimittel und Therapie
Vorhofflimmern durch Schmerzmittel?
Vorhofflimmern zählt zu den häufigsten Rhythmusstörungen. Betroffen sind vor allem ältere Menschen. Die Prävalenz bei 80- bis 89-jährigen wird mit 10% angegeben.
Verbunden mit den Arrhythmien ist eine erhöhte Morbidität und Sterblichkeit, hauptsächlich verursacht durch hämodynamische Störungen, die ihrerseits eine bestehende Herzinsuffizienz verschlechtern bzw. deren Entstehung begünstigen können. Besonders gefürchtet ist das erhöhte Schlaganfallrisiko als Folge des Vorhofflimmerns.
Ein erhöhtes Arrhythmierisiko unter COX-Inhibitoren könnte möglicherweise die Folge renaler Nebenwirkungen sein, ausgelöst beispielsweise durch Elektrolytverschiebungen, Flüssigkeitsretention oder Destabilisierung des Blutdrucks.
In der dänischen Fall-Kontrollstudie wurde der Frage nachgegangen, welchen Einfluss die Einnahme von unselektiven und selektiven (Coxibe, COX-2-Inhibitoren) COX-Inhibitoren auf das Arrhythmierisiko bei Patienten mit Vorhofflimmern hat.
Insgesamt 2925 von 32.602 Patienten, die in der Zeit von 1999 bis 2008 wegen Vorhofflimmern behandelt worden waren, hatten zum Zeitpunkt der Einweisung oder zuvor diese Analgetika eingenommen. Die Einnahme über einen längeren Zeitraum bis hin zum Zeitpunkt der Einweisung war mit einer adjustierten Inzidenzrate von 1,17 für nicht-selektive und 1,27 für selektive COX-Inhibitoren assoziiert, das sind 1,7 bis 2,7 zusätzliche Fälle auf 1000 Patienten. Etwas höher fiel die Inzidenzrate bei Neuanwendung aus, das sind Patienten, die innerhalb von 60 Tagen vor der Klinikeinweisung COX-Inhibitoren eingenommen hatten. Sie lag hier bei 1,46 für unselektive COX-Inhibitoren und 1,71 für Coxibe (siehe Abb.).
Was bedeuten diese Zahlen? Läßt sich – wie so oft interpretiert – ein kardiovaskuläres Risiko einfach nur der bloßen Einnahme von COX-Inhibitoren anlasten? Das erörtert der Kieler Pharmakologe Prof. Dr. Thomas Herdegen in nachfolgendem Kommentar.
Quelle
du
Kommentar: Eine problematische Interpretation
Auch für diese dänische Fall-Kontrollstudie gilt, wie für die meisten Studien zu Risiken von Analgetika, dass eine Vergleichsgruppe ohne Analgetika auch eine Vergleichsgruppe ohne Schmerzen und ohne koanalgetische Komedikation ist. Dieses einfache Faktum wird oft übersehen. Nehmen wir die Glucocorticoide: sie erhöhen – stärker als nichtsteroidale Analgetika – das Risiko für Vorhofflimmern; bei einigen Schmerzsyndromen wie der rheumatoiden Arthritis, muss oft von ihrer Komedikation ausgegangen werden. Tatsächlich war die Einnahme von Glucocorticoiden in der Verumgruppe gegenüber der Vergleichsgruppe mehr als verdoppelt (6,9% vs. 3,2%). Die Verumgruppe umfasste ca. 30% mehr Patienten mit Tumorleiden (cancer), das sind 30% mehr Patienten mit potenziell kardiotoxischen Medikamenten und Komorbiditäten.
Ein weiterer klinisch relevanter "Risikofaktor für NSAID" war die in der Verumgruppe um ca. 50% höhere Einnahme von kardiovaskulären Medikamenten darunter auch 50% mehr ACE- und AT1 -Hemmstoffe (30% versus 20%). Diese Substanzen sind für ihr Risiko einer Hyperkaliämie bekannt, und verstärken damit die hyperkaliämische Wirkung aller COX-Inhibitoren. Außerdem scheint die Verumgruppe per se ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko zu besitzen, auf das neben der erhöhten Einnahme von ACE- und AT-Hemmstoffen die um ca. 50% erhöhte Einnahme von ASS deutet. Auch die Zahl der Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz war mehr als verdoppelt (2,7% vs. 1,1%), ein starker Studien-relevanter Confounder, gerade was COX-Inhibitoren betrifft. Zusammengenommen wurden in der Verumgruppe gegenüber der Vergleichsgruppe mehr als doppelt so viele Patienten mit Glucocorticoide, ACE- und AT1 -Hemmer und ASS behandelt, und mehr als doppelt so viele litten unter kardialen Erkrankungen und Niereninsuffizienz. Diese zusätzlichen Risikofaktoren wurden teilweise in der Regressionsanalyse mitberücksichtigt. Aber wie wird man einer Niereninsuffizienz oder dem gleichzeitigen Auftreten mehrerer Risikofaktoren quantitativ gerecht?
Schließlich muss die erhöhte Inzidenz unter Neuanwendungen von Analgetika unter dem pathophysiologischen Aspekt betrachtet werden, dass ein akutes Schmerzereignis oder ein schmerzhafter Aktivitätsschub aufgetreten sind, das sind auch Phasen mit erhöhter Komedikation.
Interessant ist die Einzelanalyse der beobachteten COX-Inhibitoren, die der "gängigen" Meinung widerspricht. Rofecoxib war so wenig induzierend wie das als kardioprotektiv geltende Naproxen bzw. Naproxen so schädigend wie Rofecoxib, und Celecoxib erhöhte das Risiko mehr als Rofecoxib, das als der COX-Inhibitor mit dem größten kardiotoxischen Potenzial gilt. Insgesamt waren auch hier die absoluten Fallzahlen zu niedrig, um wirklich vergleichend quantitative Aussagen treffen zu können. So gab es z. B. nur 30 Patienten mit Naproxen bei Neuanwendung von insgesamt 24.593 Patienten der Verumgruppe.
Neuanwendung von unselektiven COX-Inhibitoren senkt das Risiko bei chronischen Nierenerkrankungen auf das Kontrollniveau – aber bei Nierenerkrankungen sollten sie eigentlich wegen funktioneller Nierenschädigung kontraindiziert sein! Dafür erhöhen die unselektiven COX-Inhibitoren das Risiko bei Langanwendung. Diese Zahlen dokumentieren die Problematik kleiner absoluter Fallzahlen.
Im Abstract und in Berichten in der medizinischen Fachpresse zu dieser Studie wurde das besonders hohe relative Risiko bei Neuanwendung mit rheumatoider Arthritis hervorgehoben, aber die Absenkung unter das Niveau der Kontrollgruppe bei Langanwendung ignoriert. Diese selektive Bewertung der Daten sowohl von den Autoren wie der medizinischen Fachpresse ist nicht nachvollziehbar.
Fazit: Eine Studie ist immer nur so gut wie die Interpretation es zulässt.
Prof. Dr. Thomas Herdegen
Anmerkung Zur Bewertung des kardialen Risiko von COX-Inhibitoren darf auf die weiteren Ausführungen von Prof. Dr. Thomas Herdegen bei einer anderen dänischen Studie in der DAZ 2011, Nr. 21, S. 2510-2511 sowie auf seine generellen Ausführungen zum kardialen Risiko von nicht-steroidalen Analgetika in der DAZ 2011, Nr. 18, S. 2162 ff. verwiesen werden.
Prof. Dr. Thomas Herdegen, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Hospitalstr. 4, 24105 Kiel
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