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Arzneimittel und Therapie
Atherosklerose: besiegbar, aber nicht besiegt
Das Eindringen von LDL in die Gefäßwand ist nach der Mainzer Hypothese zunächst einmal ein physiologischer und ein reversibler Prozess, so Bhakdi in seinem Vortrag beim Pharmacon Davos 2010 (siehe Abbildung). Bei überhöhten LDL- und/oder erniedrigten HDL-Plasmaspiegeln sowie bei einem erhöhten Blutdruck kann das in der Gefäßwand gestrandete LDL nicht mehr vollständig entfernt werden. Entzündungsprozesse werden in Gang gesetzt. Um gestrandetes LDL zu entfernen, müssen Monozyten aus dem Blut in die Gefäßwand gelockt werden. Doch wie erhalten sie das Signal dazu?
Nach der Mainzer Hypothese ist dafür die enzymatische Veränderung des LDL in der Gefäßwand verantwortlich. LDL ist die Transportform des an sich unlöslichen Cholesterins. Es wird in der Leber gebildet und besteht aus einem Kern von Cholesterinestern, der umhüllt ist von Phospholipiden, freiem Cholesterin und Apolipoprotein B 100. So verpackt kann Cholesterin über die Blutbahn in die Zellen transportiert werden. Die Verpackung in Form von LDL schützt Cholesterin darüber hinaus vor einem Angriff des Immunsystems. Unter physiologischen Bedingungen wird LDL von Zellen über den LDL-Rezeptor aufgenommen und dort entpackt. Wenn Cholesterin aus dem Blut in die Gefäßwand gelangt, kann es nur mithilfe von Phagozyten herausgeholt werden. Dazu wird LDL mithilfe von Enzymen so verändert, dass Strukturen freigelegt werden, die das angeborene Immunsystem bzw. das Komplementsystem aktivieren. Phagozyten wandern in das Gewebe ein und nehmen das enzymatisch veränderte LDL (eLDL) auf. Es entstehen Schaumzellen, die durch den HDL-abhängigen reversen Cholesterintransport bis zu einem gewissen Punkt entlastet werden können.
Die seit 1984 verfochtene Oxidationshypothese kann nach Meinung Bhakdis das Einwandern der Phagozyten nicht erklären, denn oxidiertes LDL sei in den Plaques nur in geringen Mengen vorhanden und im Gegensatz zum enzymatisch veränderten LDL nicht in der Lage, Komplement zu aktivieren.
Konsequentes Handeln vorausgesetzt …
Die Entstehung einer Atherosklerose könne nur durch eine konsequente Senkung des LDL/HDL-Quotienten auf Werte unter 2,5 sowie durch eine ausreichende Blutdrucksenkung verhindert werden. Wie die entsprechenden Werte erreicht werden, sei für die Prophylaxe unerheblich. In der Therapie haben Statine einen hohen Stellenwert, den sie nach Ansicht Bhakdis beibehalten werden. Risikofaktoren wie Rauchen, Diabetes oder chronische Infektionen würden jedoch erst dann gefährlich, wenn der reverse Cholesterintransport überlastet ist und als Folge dessen Entzündungsprozesse in Gang gesetzt worden sind. Damit werde die Senkung der Risikofaktoren alleine, so Bhakdi, nie so gute Erfolge zeigen wie die Behebung der Ursache.
… müsste ein Sieg möglich sein
Schon vor mehr als zehn Jahren hatte Bhakdi die Mainzer Hypothese der Fachwelt vorgestellt. Damals hatte er verschiedene Voraussagen getroffen, die sich inzwischen bestätigt haben (siehe auch Interview in der DAZ 2010, Nr. 5, S. 98). So zum Beispiel, dass Antioxidanzien keinen Einfluss auf die Atherosklerose-Entwicklung haben werden. Wie auch Prof. Dr. Dr. Walter Schunack, Berlin, im Rahmen einer Diskussion in Davos bestätigte, sind in der Tat alle in diesem Zusammenhang durchgeführten Antioxidanzienstudien erfolglos geblieben. Für Bhakdi ist die Atherosklerose eine im Kopf besiegte Erkrankung. In einem Artikel in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift hatte Bhakdi schon im Jahr 2002 geschrieben: "Nachdem die Ursache des pathologischen Geschehens im Grunde verstanden ist, bleibt es Aufgabe von Politik und Gesellschaft, das Wissen zum Wohl der Menschen umzusetzen. Konsequentes Handeln vorausgesetzt, müsste nach Ansicht des Autors ein Sieg über die wichtigste Krankheit in den Industrienationen nunmehr möglich sein."
Fataler Lebensstil
Doch die Realität sieht anders aus. Nach wie vor führen Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Todesursachenstatistik an. Schunack machte dafür den in westlichen Industriestaaten dominierenden Lebensstil und eine Unterversorgung mit Arzneimitteln verantwortlich. Allein durch eine Veränderung des Lebensstils, geprägt von Nichtrauchen, ausreichender körperlicher Aktivität und ausgewogener Ernährung, könnte die Zahl der tödlichen kardiovaskulären Ereignisse um 50% reduziert werden, so Schunack. Als Beleg für eine medikamentöse Unterversorgung führte er u. a. eine Untersuchung der Bayerischen Landesapothekerkammer aus dem Jahr 2002 an: 75 bis 80% der Patienten, die laut Leitlinie therapiepflichtig gewesen wären, hatten keinen Lipidsenker erhalten. Von den Patienten, die im Jahr 2002 einen Lipidsenker verordnet bekommen hatten, waren 20 bis 25% unterversorgt. Auch die Ergebnisse der DYSIS-Studie (Dyslipidemia International Study) legen die Mängel der Therapie mit Lipidsenkern offen. An dieser Studie nahmen 22.000 mit Statinen behandelte Hochrisiko-Patienten aus Europa teil, davon 4260 aus Deutschland. Untersucht wurde, wie viele Patienten tatsächlich die angestrebten Zielwerte erreichen. Bei Betrachtung der LDL-, HDL- und Triglycerid-Werte konnten bei deutschen Patienten nur in 26% der Fälle Normwerte gemessen werden. Über 43% der KHK-Patienten hatten LDL-Werte über 100 mg/dl. Bei anderen Hochrisikopatienten, meistens Diabetikern, lagen sogar nahezu 80% der LDL-Werte oberhalb des Zielwertes.
Atherosklerose-Risiko: Gefährliches Lipoprotein aLipoprotein a ist ein eigenständiger, genetisch kontrollierter Atherosklerose-Risikofaktor. Es handelt sich um modifiziertes LDL, dessen Apolipoprotein-B-100 mit Apolipoprotein a über eine Disulfidbrücke verbunden ist. Über seine physiologische Bedeutung herrscht Unklarheit. Sicher ist dagegen, dass Werte über 30 mg/dl hoch atherogen sind. Lipoprotein a akkumuliert in atherosklerotischen Plaques und fördert dort über eine Hemmung von TGFβ die Proliferation glatter Muskelzellen. Darüber hinaus besitzt es Strukturähnlichkeiten mit Plasminogen, was zu einer antiplasminogenen Wirkung und damit zu einer Hemmung der Thrombolyse führt. Da es sich bei Lp(a) um einen genetisch kontrollierten Risikofaktor handelt, sind die Werte sehr stabil. Zur Risikoeinschätzung genügt daher eine einmalige Bestimmung. Der Normwert wird mit unter 30 mg/dl angegeben. Erhöhte Lp(a)-Werte lassen sich am wirkungsvollsten mithilfe einer Lipidapherese senken. Seit dem 1. Januar 2009 erstatten die gesetzlichen Krankenkassen diese Behandlung bei Patienten mit Lp(a)-Werten über 60 mg/dl und manifesten Gefäßkomplikationen. Medikamentös lässt sich Lp(a) mithilfe von Nicotinsäure senken, allerdings nur in einer Größenordnung von 20 bis 30%. |
Erfolge erst bei LDL-Werten unter 80 mg/dl
Um die Progression der Atherosklerose aufzuhalten, sei aber eine konsequente LDL-Absenkung unter 70 bis 80 mg/dl notwendig, so Schunack. Untersuchungen mittels intravaskulärem Ultraschall hätten gezeigt, dass auch unter Statintherapie bei LDL-Werten über 80 mg/dl die Progression des Atheromvolumens zunehme. Bei Werten unter 80 mg/dl sei dagegen mit einer Regression der Atherosklerose zu rechnen. Statine sollten aber nicht nur einen festen Platz in der Therapie haben, sie können auch in der Primärprävention von Nutzen sein, so Schunack. Das habe die JUPITER-Studie bestätigt. Hier hatten 17.802 Gesunde mit LDL-Werten unter 130 mg/dl mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko (erhöhtes hochsensitives C-reaktives Protein, hs-CRP) über durchschnittlich 1,9 Jahre 20 mg Rosuvastatin oder Placebo erhalten. Durch das Statin wurden sowohl LDL als auch hs-CRP im Vergleich zu Placebo um 50% bzw. um 37% gesenkt, Der kombinierte Endpunkt aus Herzinfarkt, Schlaganfall und tödlichen kardiovaskulären Ereignissen sei um 47% reduziert worden.
Risikofaktor niedriges HDL
Neben hohem LDL ist niedriges HDL ein weiterer, wie Schunack betonte, unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung einer koronaren Herzkrankheit. Die Erhöhung um 1 mg/dl erniedrige bei Frauen das KHK-Risiko um 3%, bei Männern um 2%. Eine Erhöhung des HDL-Wertes lässt sich durch Nichtrauchen, fettreduzierte Ernährung, Gewichtsabnahme und körperliche Aktivität erreichen. Die medikamentösen Möglichkeiten sind begrenzt. Der stärkste Stimulator der HDL-Synthese ist Nicotinsäure. Dessen Hauptnebenwirkung, die Flush-Symptomatik, stand einem breiten Einsatz lange Zeit entgegen. In Kombination mit dem DP1 -Rezeptor-Antagonisten Laropiprant (Tredaptive®) lassen sich jedoch von Hautrötungen und brennendem Hitzegefühl geprägte Flush-Episoden innerhalb von 20 Wochen auf Placeboniveau senken. HDL-Werte steigen unter der Einnahme von täglich 2000 mg Nicotinsäure in einer Größenordnung von 19%. Zusammen mit einem Statin kann der HDL-Wert weiter angehoben werden, so z. B. mit Simvastatin um etwa 28%. Unter einer solchen Therapie sinken die LDL-Werte in einer Größenordnung von 48% und Triglycerid-Werte um 33%.
Quelle Nach Vorträgen von Prof. Dr. Sucharit Bhakdi, Mainz; Prof. Dr. Dr. Walter Schunack, Berlin, 8. Februar 2010, Pharmacon Davos 2010.
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